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Lokale Produktion, handwerkliches Wissen und innovative Ansätze zur Wiederverwendung prägen den Salone del Mobile 2025. Ein Rundgang durch Mailand führt zu Lavastein, Aluminium, Wolle und Palmfaser – und stellt die Frage, welche Geschichten diese Materialien heute erzählen und welche Spuren sie in der Zukunft hinterlassen.

von Jasmin Jouhar

RANIERI MDW25 – ALCOVA: Under the Volcano Installation | Foto: Alberto Strada
RANIERI MDW25 – ALCOVA: Under the Volcano Installation | Foto: Alberto Strada

Woraus die Dinge gemacht sind? Diese Frage führt direkt ins Herz der zeitgenössischen Gestaltung, denn Materialien bestimmen zu einem guten Teil die ökologischen und sozialen Auswirkungen von Produkten. Die Frage rührt aber auch an die Bedeutungen von Objekten: Materialien erzählen Geschichte, sie stiften Identität, sie sind mit bestimmten Landschaften und Traditionen verbunden. So weisen sie sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Ein Rundgang durch Mailand auf den Spuren der Materialkulturen – anlässlich des Salone del Mobile 2025.

Aus der Erde: Lavastein

Es war sicher eine der schönsten Rauminszenierungen der diesjährigen Designweek: Der Hersteller Ranieri aus Neapel hatte große Brocken aus Lavagestein in einer verfallenen Fabrikhalle nördlich von Mailand aufgestellt, als Beitrag zur Ausstellung der Designplattform Alcova. Kontrastierend zu den archaisch wirkenden Brocken standen meterhohe Stelen, verkleidet mit glasierten Fliesen aus Vulkangestein. Anders als anderer Naturstein entsteht Lavastein durch vulkanische Aktivitäten immer wieder neu, und je nach Porosität ist er relativ leicht. 

Das prädestiniert ihn auch als Material für gravitätische Leuchten, wie auf der Lichtmesse Euroluce zu sehen war: Foscarini zeigte die drei nach den Äolischen Inseln benannten Pendelleuchten „Alicudi“, „Filicudi“ und „Panarea“ von Alberto und Francesco Meda – eine Hommage an die vulkanisch geprägte Landschaft Siziliens. David Pompa wiederum inszenierte an seinem Stand Lava als einen der traditionellen Werkstoffe seiner Heimat Mexiko, etwa mit der Leuchte „Meta“.

Foscarin Pendelleuchten – Eolie Collection: eine Hommage an die vulkanisch geprägte Landschaft Siziliens | Foto: Giuliano Koren
Materia – Pendelleuchte: Eine Materialkombination aus Vulkangestein und mattschwarz pulverbeschichtetem Aluminium | Studio Davidpompa

Mit Ewigkeitswert: Recycling von Keramik und Stein

Alles, was aus dem Boden kommt, hat potenziell Ewigkeitswert – und doch verbrauchen wir mineralische Rohstoffe in großen Mengen. Wie sich wenigstens ein Teil davon recyceln lässt, zeigte etwa der Tisch „Pied-à-Terre“ vom Designduo Alberto Brogliato und Federico Traverso für Magis: Dessen Fuß wird mit einer Scheibe aus recyceltem Marmor beschwert. Dafür werden Bruchstücke zu einem neuen, dekorativen Werkstoff verbunden. Ebenfalls bei Alcova zu sehen: das Projekt „Fragma“ vom Keramikunternehmen Terraformæ mit 70Materia, für das Überreste der Keramikherstellung zu einem terrazzo-ähnlichen Material weiterverarbeitet werden. Mehr symbolischen Charakter hatten wohl die Stelen aus Abfallstücken griechischen Marmors, die das Athener Designstudio Objects of Common Interest unter dem Titel „Soft Horizons“ bei Alcova zeigte. Entstanden in Zusammenarbeit mit dem Verband der griechischen Marmorhersteller, ging es eher um Marketing, als darum, Wege einer sinnvollen Weiterverwendung auszuloten.

FRAGMA von 70Materia und Terraformæ: Eine innovative Materialkomposition aus keramischen Produktionsabfällen und patentierten Mischungen – ein konkretes Beispiel für industrielles „Upcycling“.

Tisch Pied-à-Terre, vom Designduo Alberto Brogliato und Federico Traverso für Magis

Lokal und improvisiert: Aluminium

Schon zum zweiten Mal war der Aluminiumkonzern Hydro aus Norwegen bei der Mailänder Designwoche dabei. Wie im vergangenen Jahr lautete die Aufgabe an zeitgenössische Gestalter*innen, Produkte aus recyceltem, farbig eloxiertem Aluminium zu entwerfen – mit dem Unterschied, dass die Aluminiumabfälle für das Recycling dieses Mal aus einem Umkreis von maximal 100 Kilometern um die Fabrik stammen mussten. Durch die lokale Produktion soll der Fußabdruck des eigentlich energieintensiven Materials gesenkt werden. Zu sehen waren unter anderem Mülleimer von Stefan Diez und Leuchten von Sabine Marcelis. Deutlich experimenteller erschien da das improvisierte Laboratorium aus Badewanne und Waschbecken, das Studio Looploop bei Alcova aufgebaut hatte. Das Duo hat ein Verfahren entwickelt, Aluminium mit Pigmenten pflanzlicher Herkunft zu eloxieren. Üblicherweise sind Eloxal-Farbstoffe Erdöl-basiert. Den für eloxiertes Aluminium typischen attraktiven Schimmer bekommt Studio Looploop mit dem DIY-Ansatz trotzdem hin.

Hydro 100R, Spazio Maiocchi: Hydro hat sieben weltbekannte Designer herausgefordert, Möbel aus Hydro CIRCAL 100R zu entwerfen. | Foto: Einar Aslaksen

LoopLoop X Alcova, Mailand 2025: Bei dem Verfahren von Looploop wird Aluminium mit pflanzlichen Pigmenten eloxiert | Fotos: Studio LoopLoop

Hydro 100R, Mailand 2025: Hydro CIRCAL 100R ist das erste Aluminium der Welt, das vollständig aus recyceltem Post-Consumer-Schrott in industriellem Maßstab hergestellt wird. | Foto: Einar Aslakse

Verfilztes Vlies: Wolle

Nicht erst seit der Ausstellung „Oltre Terra“ von Formafantasma hat die Designwelt die Wolle wiederentdeckt. Bei vielen Projekten geht es darum, sinnvolle Nutzungen für Wolle aus Europa zu entwickeln. Die Fasern werden oft weggeworfen oder verbrannt, weil die Verarbeitung zu teuer ist und weil notwendige Betriebe wie Wollwäschereien längst geschlossen sind. In der Ausstellung „House of Switzerland“ waren dieses Jahr gleich zwei Woll-Projekte zu sehen. Zum einen die Kooperation der Textildesignerin Claudia Caviezel mit der Initiative Swisswool und der Textilmanufaktur Lantal. Das Ergebnis: die Teppichkollektion „MOIRA“ aus dem Vlies des Walliser Schwarznasenschafs. Zum anderen ein Projekt der Designer*innen Alix Arto und Emma Casella mit Yihan Zang von der Róng Design Library aus China, die die Möglichkeiten des Filzens untersucht haben. Auch bei diesem Projekt wurde ausschließlich Schweizer Wolle in Schweizer Betrieben verarbeitet. Am anderen Ende der Welt, in Australien, wird Wolle bis heute in großem Maßstab produziert, riesige Schafherden grasen in den Weiten des Landes. Kate und Joel Booy vom Desigstudio Truly Truly, zwei Australier*innen mit Wohnsitz Niederlande, haben für den australischen Leuchtenhersteller Rakumba die Leuchtenfamilie „Big Glow“ entworfen. Der Schirm besteht aus einem Gemisch von Wolle und Fasern aus Bioplastik und ist biologisch abbaubar. Die Leuchte wird komplett im australischen Bundesstaat Victoria hergestellt und flatpack geliefert.

Big Glow – Design Kate und Joel Booy vom Desigstudio Truly Truly | Foto: Rakumba
MOIRA – Swisswool: Design von Claudia Caviezel | Foto: Agnese Bedini und Alessandro Saletta

Wie gewachsen: Palme und Bambus

Der Austro-Mexikaner David Pompa feierte an seinem Euroluce-Stand nicht nur Lavagestein als traditionelles mexikanisches Material, er zeigte auch zwei Leuchten mit Schirmen aus Palmfasern – „Cilia“ und „Nilia“. Pompa lässt die Palmfasern von lokalen Handwerker*innen verarbeiten. Effektvoll: der Kontrast der naturfarbenen Fasern zu den Metallteilen der Leuchten. Auch Bambus hat in vielen Ländern eine lange Geschichte als Werkstoff. Designer Michael Anastassiades aus London verwendet das Material bereits für Leuchten, in Mailand gestaltete er damit nun eine Ausstellung. Um die historische Innenarchitektur der Fondazione Danese nicht zu beschädigen, stellte er ein Gerüst aus Bambusstangen auf, an dem er neue Leuchtenentwürfe präsentierte. Die Modemarke Gucci widmete der schnellwachsenden Pflanze gleich eine ganze, von 2050+ kuratierte Ausstellung. Gehört Bambus doch seit 1947 zu den Signature Materialsdes Hauses. Nathalie du Pasquier entwarf Raumteiler aus Bambus, das Kollektiv Kite Club ließ Drachen steigen als Hommage an die Qualitäten des Materials, und Dima Srouji aus London sammelte antike Bambusobjekte wie Körbe und Hüte und schmückte sie mit mundgeblasenen Glastropfen, hergestellt in ihrer Heimat Palästina. Eine so konzeptionelle wie heiter-freigeistige Ausstellung, wie sie die Marketingmaschinen der Modeindustrie sonst eigentlich nicht zustande bringen.

Gucci – Bertjan Pot, Liesbeth Abbenes und Maurice Scheltens von Kite Club präsentieren „Thank you, Bamboo“, eine Serie von Drachen aus Ripstop-Nylon, Kunststoff und Bambus. | © Guccio Gucci S.p.A. –
GUCCI – Dima Srouji vereint in „Hybrid Exhalations“ den methodischen Prozess der Bambusverarbeitung mit leichtem Glas. | © Guccio Gucci S.p.A. –
Nilia Collection – Leuchte aus Palmfasern | Studio Davidpompa
Cilia – Leuchte aus Palmfasern | Studio Davidpompa

Über die Autorin

Jasmin Jouhar arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Zu ihren Themen gehören Design und Marken, Architektur und Innenarchitektur. Sie schreibt für eine Vielzahl deutschsprachiger Fach- und Publikumsmedien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Online-Plattform Baunetz, die Magazine Schöner Wohnen und AD. Daneben moderiert sie Branchenevents und verantwortet Corporate Publishing-Projekte. Jasmin Jouhar engagiert sich mit Coachings, Workshops und Vorträgen in der Förderung des jungen Designs. 

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