Wie umfassend sind die Designaufgaben einer Hausgerätemarke? Wie komplex ist der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft und wie gelingt er trotzdem? Anlässlich des 125-jährigen Jubiläums von Miele sprechen wir darüber mit Andreas Enslin, Vice President Design.
Interview von Thomas Wagner
Herr Enslin, wie verstehen Sie Industriedesign bei Miele – und was ist das Besondere daran, Haushaltsgeräte zu gestalten?
Andreas Enslin: Unter dem Oberbegriff Design werden viele Dinge subsumiert. Deshalb gilt es zunächst einmal zu klären, was Industriedesign macht und was wir bei Miele machen: Wir bauen die Brücke zwischen den Nutzer*innen, der Technik und der Marke.
Man kann sich das wie Inseln vorstellen, zwischen denen es Verbindungen gibt – und die müssen für ein Markenunternehmen stark sein. Ein einfacher Holzsteg reicht da nicht. Beim Design geht es letztlich darum, dass wir Menschen mit Komplexität nicht gut umgehen können. Wir entscheiden schnell und meist emotional, aber es dauert lange, bis wir die Dinge wirklich gedanklich durchdringen können. Es ist die Aufgabe des Industriedesigns, das Fachliche, das Technische und das Physische mit dem Emotionalen, dem Impulsiven und dem Sinnlichen, mit all dem, was wir als Menschen sind, zusammenzubringen. Das ist die Brücke, von der ich spreche.
Die Brücke, die das Design schlägt, besteht also aus vielen Bögen?
Andreas Enslin: Über das Design im Sinne des Erscheinungsbildes geben wir ein Versprechen ab und prägen eine Marke wie eine Persönlichkeit mit Eigenschaften. Eine Marke besteht ja nicht nur aus dem Logo. Was wir im Design leisten, ist auch eine Art visuelle Kommunikation: Wenn wir Entscheidungen treffen, bekommen wir eine Reaktion von unseren Kund*innen, was toll ist und für eine Identifikation spricht. Aber es geht weit darüber hinaus. Es geht um Vertrauen in die Marke – und dieses Vertrauen muss über das Produkt eingelöst werden. Dazu gehört, dass das Aussehen, die Handhabung, also User Experience und User Interface, aber auch die Reaktionen auf das Produkt die Erwartungen erfüllen – und zwar über den gesamten Lebenszyklus. Wenn man von Qualität spricht, möchte man als Kund*in zum Beispiel keine wackeligen Drehschalter haben.
Küche, Wäschepflege, Staubsauger, Professional: Wie gelingt es Ihnen, die verschiedenen Bereiche Ihres Unternehmens unter dem Dach des Designs zu vereinen?
Andreas Enslin: Das Zusammenführen ist entscheidend. Man kann keine konsistente Marke aufbauen, wenn man am Ende keine konsistente Leistung erbringt. Dazu müssen Technik, Design und Kommunikation durch Qualität überzeugen – User Experience, Produkt und Markenkommunikation müssen zusammenpassen.
Sie haben gerade auf der IFA in Berlin das Konzept für den Staubsauger „Vooper“ vorgestellt. Dieser soll modular aufgebaut und ein erster Schritt zu einem kreislauffähigen Produkt sein. Wie wichtig ist das Thema für Sie generell und was zeichnet die Studie aus, die dem Konzept zugrunde liegt?
Andreas Enslin: Wir entwickeln regelmäßig Zukunftsszenarien mit einem Prognosezeitraum von etwa zehn Jahren, um Entwicklungen erkennen und steuern zu können. Die Studie zum „Vooper“ haben wir vor drei Jahren begonnen. Wir denken, dass sich das Thema Nachhaltigkeit beschleunigen wird und wir große Aktivitäten, Anfragen und Nachfragen in diesem Bereich sehen werden. Und ich muss sagen, ich habe mir auch sehr intensiv Gedanken gemacht: Was bedeutet das Thema Zirkularität für uns im Design und speziell für Miele im Premiumbereich? Ist das überhaupt möglich, mit entsprechenden Rezyklaten, mit dem Verzicht auf Lacke und Beschichtungen? Damit haben wir uns beschäftigt. Und ich bin sehr froh, dass die Antwort lautet: Ja, es geht. Für Miele ergeben sich daraus zwei Aspekte. Intern: Brauche ich das, will ich das, kann ich das? Habe ich das Wissen dafür an Bord? Und im externen Diskurs: Das Produkt kann toll sein, es zu produzieren macht aber nur Sinn, wenn es genügend Kund*innen gibt, die den Wandel mitmachen und es kaufen.
Sollten nicht gerade Miele-Kund*innen, die Qualität schätzen, solche Transformationsprozesse mittragen?
Andreas Enslin: Auch dazu haben wir eine Studie gemacht, und wir freuen uns, dass wir gerade unter den Miele-Kund*innen viele finden, die diese Entwicklung mitgehen. Aus der Studie wissen wir aber auch: Es geht um Zirkularität, nicht um Recycling – und das entsprechende Geschäftsmodell ist noch sehr gewöhnungsbedürftig. Es führt nicht nur zu einem völlig anderen Design. Viel entscheidender ist aber, dass sich die Nutzer*innen an ein anderes Gefühl gewöhnen müssen. Denn um sicherzustellen, dass wir die Materialien auch wieder zurückbekommen und dann in neue Produkte einfließen lassen können, dürften sie das Gerät nicht mehr besitzen. Ich vergleiche das immer mit einem Kasten Sprudelwasser: Ich kann das Wasser trinken, muss aber den Kasten mit den leeren Flaschen zurückgeben.
Nutzen statt besitzen.
Andreas Enslin: Ja genau. Das attraktiv zu machen, ist Aufgabe des Designs. Um von einer linearen in eine zirkuläre Wirtschaft zu kommen, brauche ich aber auch Partner*innen bei der Rückführung der Materialien.
Wie lange wird so ein Transformationsprozess bei Hausgeräten dauern?
Andreas Enslin: Wir sind in Europa schon recht gut – und ich glaube, in Deutschland sind wir richtig gut. Es gibt viele Unternehmen, die mitziehen und sich engagieren. Auch bei der Entsorgung wird schon viel gemacht. Allerdings gilt dies oft für Produkte, die von gestern und lange etabliert sind. Das ist der Knackpunkt. Eine andere Bauweise erfordert eine ganz andere Art der Entsorgung als wir sie heute haben. Das Entscheidende sind die Partner*innen. Wir wollen ja nicht selbst Rücknahmestationen aufbauen und gebrauchte Staubsauger mit Lastwagen zurückbringen. Das ist auch im Sinne der Kreislaufwirtschaft völlig unsinnig. Es müssen also zwei Dinge gleichzeitig passieren: Ich muss das Produkt kreislauffähig machen und die Rückführung in den Kreislauf muss funktionieren. Das können wir nur anstoßen.
Werden Sie dabei von der Politik ausreichend unterstützt?
Sagen wir es einmal so: Die Rahmenbedingungen könnten besser sein. Wir würden uns wünschen, dass die Vorschriften innerhalb der Europäischen Union länderübergreifend kompatibel sind.
Sind bessere Wartung und Reparierbarkeit sinnvolle Zwischenschritte auf diesem Weg?
Ein Beispiel, um überhaupt anfangen zu können, ist die Stofftrennung. Bisher haben wir bei Miele rund 2.000 Kunststoffmaterialien im Einsatz. Indem wir viele der speziellen Materialien durch höherwertige, teurere ersetzen, kommen wir mit nur noch 300 Kunststoffsorten aus. Das ist ein erster Schritt, auch bei der Trennung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Elektronik bei den heutigen Geräten: Diese hat oft eine begrenzte Lebensdauer, meist nicht auf der Seite der Halbleiterbauelemente, sondern auf der Seite der Kondensatoren und Widerstände. Die Frage ist: Macht es Sinn, Elektroniken für eine Lebensdauer von 100 Jahre zu konstruieren? Was wir tun – und auch aus einem Recyclingprojekt in den Niederlanden gelernt haben: Wir zerlegen die Elektronik und setzen sie wieder instand. Das hat eine sehr hohe Akzeptanz, wenn wir das als Hersteller mit dem entsprechenden Vertrauen machen.
Wann kann ich eine reparierte Maschine bei Miele kaufen?
Eigentlich schon jetzt. In dem besagten Pilotprojekt in den Niederlanden haben wir reparierte Geräte wieder auf den Markt gebracht. Manchmal ist hier aber auch die Langlebigkeit unserer Produkte ein Hindernis. Denn wenn sich die Vorschriften geändert haben, dann darf man die Geräte nicht wieder neu auf den Markt bringen. Deshalb ist das Thema Modularität so wichtig: Wir müssen Produkte von vornherein so konstruieren, dass Komponenten ausgetauscht werden können.
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Über den Autor
Thomas Wagner, geb.1955, hat in Heidelberg und Brighton (Sussex) Germanistik und Philosophie studiert. Bereits während des Studiums arbeitet er als Kunstkritiker und freier Journalist. Ab 1986 schreibt er für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1991 bis 2007 als leitender Redakteur für Bildende Kunst und Design zuständig ist. Anschließend freier Autor, Kunstkritiker und Kolumnist. Für Stylepark baut er ein Online-Magazin auf. Er war Redakteur des Magazins designreport des Rat für Formgebung und ist derzeit Online-Redakteur bei ndion. Thomas Wagner hat als Vertretungs-, Gast- und Honorarprofessor gelehrt und war Gründungsmitglied der DGTF. Er war und ist Mitglied zahlreicher Jurys.