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Frank Lloyd Wright halten viele für den größten Architekten des 20. Jahrhunderts. Sigrid Faltin nimmt in ihrem sehenswerten Dokumentarfilm „Der Phönix aus der Asche“ seine visionäre Architektur ebenso in den Blick wie sein bewegtes, hollywoodreifes Leben.

Von Thomas Wagner.

Zu Beginn wird er in einem Filmausschnitt aus dem Jahr 1957 vorgestellt: „Heute sprechen wir mit einem besonderen Mann unserer Zeit, der 88 Jahre alte Frank Lloyd Wright, vielleicht der größte Architekt des 20. Jahrhunderts, für viele Amerikas größter Sozialrebell“. Der kleine schmale Mann mit dem flachen Hut und dem Cape über den Schultern, den man sieht, gibt sich im Interview bescheiden, will sich selbst nicht als größten Baumeister seiner Zeit bezeichnen. Das zieme sich nicht, sagt er, gesteht aber, es oft gedacht zu haben. Bescheidenheit, das wird schnell klar, zählt nicht zu seinen Tugenden. Seine Selbsteinschätzung ist berühmt: „Schon früh in meinem Leben musste ich mich zwischen ehrlicher Arroganz und scheinheiliger Demut entscheiden; ich entschied mich für die Arroganz – und sah bislang keine Notwendigkeit, das zu ändern.“

Geradlinige Architektur, mäanderndes Leben

Während an seiner Architektur Klarheit und Geradlinigkeit gepriesen werden, verlief sein Leben eher mäandernd, oft sogar auf heftig schlingerndem Kurs. Sigrid Faltins Dokumentarfilm über Frank Lloyd Wright (1867 bis 1959) rückt beides, Leben und Architektur, Verworrenheit und Stringenz, Verzweiflung und Triumph in den Blick. Unter dem in der Tat treffenden Titel „Der Phönix aus der Asche“ gelingt es ihr, das dramatische, skandalöse, oft auch tragische Leben eines sensiblen Egomanen und seiner Frauen ebenso zu erzählen wie die wichtigsten seiner Bauten vorzustellen und den Zuschauer mit den zentralen Prinzipien seiner Architektur bekannt zu machen. So wird hinter dem selbstbezogenen Genie immer wieder ein Mensch erkennbar, der sich – Stichwort Sozialrebell – der herrschenden gesellschaftlichen Moral widersetzt hat.

Anfänge in Chicago

Wright wächst in Wisconsin auf, in der Provinz. Die Mutter prägt ihn. Schon im Kindergarten spielt er mit Fröbelschen Bauklötzen, weshalb ihm die Idee gefällt, er sei als Wunderkind zur Architektur gekommen. Seine Karriere beginnt in Chicago, in jener Stadt, in der, wie David Bagnall, der Kurator des Frank Lloyd Wright Trusts es beschreibt, „man Architekt werden konnte“. Denn das große Feuer von 1871 hatte Chicago großteils zerstört und der Aufbau die fortschrittlichsten Architekten der Zeit angezogen. Schon hier stand das Feuer Pate. Wright heiratet, baut sich und der jungen Familie in Oak Park ein Haus samt Atelier. Seine Aufträge erhält er von Nachbarn, die von seiner offenen Raumauffassung begeistert sind und ebenfalls ein Haus wie das seine möchten. Was als Prairie Houses bezeichnet wird, ist anders: modern und doch traditionsbewusst, offen und naturverbunden, neuartig und ganz und gar amerikanisch.

Frank Lloyd Wright auf der Baustelle des Guggenheim-Museums 1959
Frank Lloyd Wright auf der Baustelle des Guggenheim-Museums 1959. Foto: © SWR/William Short/Frank Lloyd Foundation/Avery Archives/Museum of Modern Art New York

Vom offenen Wohnstil zur Ökoarchitektur

Diese Architektur (der Film hebt es hervor, verfolgt die Spur aber nicht weiter) revolutioniert mit ihren langen Fensterbändern, durch welche die Natur in die mit viel Holz ausgestatteten Räume gleichsam hereinzuströmen scheint, und mit ihrem offenen Wohnstil und ihrer geschickten Raumaufteilung die allgemeine Vorstellung vom Wohnen – und prägt sie bis heute. Mehr noch. Was heute als Ökoarchitektur das Bauen in die Zukunft führen soll, hier hat es einen seiner Ursprünge. In und mit der Natur statt gegen sie zu bauen, das Gebaute organisch in die Umgebung einzufügen, lokale Materialien zu verwenden und Handwerker vor Ort zu beschäftigen, all das lässt sich von Frank Lloyd Wright lernen. Später wird er bei Fallingwater, einem seiner bekanntesten Werke, das Haus direkt über einen Wasserfall setzen – nicht daneben, nicht gegenüber, mitten hinein. Ein Haus sollte aussehen, als ob es aus seiner Umgebung herausgewachsen wäre.

Ein Leben voller Mord, Feuer, Scheidungen und Skandale

Der Film macht aber auch deutlich, dass Wright nicht nur ein Architekturgenie war. Er zeichnet die Konturen seines ruhelosen, prall gefüllten und hollywoodtauglichen Lebens nach, eines Lebens voller Mord, Feuer, Scheidungen, Geldnot und Insolvenzen, eines Wechselbads zwischen Fluchten und sozialer Ächtung. Turbulent geht es zu, und im Auge des Sturms steht ein Mann, der trotz all der Skandale und Katastrophen nicht zerbricht, sondern sich wieder und wieder aus den Trümmern erhebt wie ein Phoenix aus der Asche. Ausgebreitet wird all das mittels bislang unveröffentlichter Filmaufnahmen und Fotografien. Wright selbst kommt in Interviews und Zitaten aus seiner Autobiografie zu Wort. Und so entsteht, wie bei einem Puzzle, nach und nach ein vielgestaltiges Bild – in Gesprächen mit seinem Enkel, seinen Schülern, mit Kunsthistorikern, Biografen und dem Schriftsteller T. C. Boyle. Boyle, der seit den 1990er-Jahren in dem 1909 von Wright entworfenen George C. Stewart House im kalifornischen Santa Barbara lebt hat über „Die Frauen“ des Meisters einen Beststeller geschrieben. Die Magie von Wrights Prairie Houses und ihre manchmal schicksalhafte Wirkung wird deutlich, wenn Boyle gesteht, der Kauf des Hauses habe „seine Ehe mit Frau Boyle“ gerettet. Sie habe das Haus zusammen mit ihrer Schwester entdeckt und gedacht, er könne es nicht sofort kaufen – dabei, so T.C., „hatte ich es noch gar nicht gesehen. Als ich reinkam: Wow! – Wir kauften es noch am selben Tag.“

In Boyles Roman klingt die innige Verbindung zwischen Haus und Frau, Architektur und Leben ebenfalls an: „Kitty“, ist da zu lesen, „saß auf dem vertrauten Sofa mit der harten Linie, das vor dem aus flachen Ziegeln gemauerten Kamin stand, im Wohnzimmer des Hauses, das ihr so vertraut war, als wäre es ihr eigenes, was es nicht war“. Es war das Haus von Edwin Cheney und seiner Ehefrau Martha („Mamah“) Borthwick Cheney, Franks Geliebter. „Oder“, so heißt es weiter, „vielleicht sollte sie es Franks Haus nennen, da die von ihm gestalteten Zimmer einander so glichen, dass es war, als lebte er in hunderten Räumen zugleich, Räumen, die über das ganze Land verteilt sein mochten, in der Architektur seines Geistes jedoch irgendwie ein Kontinuum darstellten. Es war Franks Haus, ganz klar, ebenso wie das Haus, das sie gemeinsam bewohnten, seines war. Alles gehörte ihm. Er drückte allem seinen Stempel auf, seien es leblose Dinge oder Menschen: ihr, seiner eigenen Frau, ebenso wie Mamah und Mrs. Darwin Martin und allen anderen Frauen, die in sein Visier gerieten.“

Vier große Liebesgeschichten

In Wrights Leben gab es vier große Liebesgeschichten. Alle verliefen sie mehr oder weniger dramatisch oder endeten gar in einer Tragödie. Und alle waren sie, der Ausschnitt aus T.C: Boyles Roman deutet es an, mit dem Bau (oder der Zerstörung) von Häusern verbunden. Mit Catherine Tobin, „Kitty“, seiner ersten Ehefrau, war Frank über zwei Jahrzehnte lang verheiratet, gemeinsam hatten sie sechs Kinder. Er verließ sie wegen Mamah Borthwick Cheney, für deren Familie er ein dem eigenen ähnliches Haus entworfen hatte. Mamah wurde unter tragischen Umständen ermordet, bevor er sie heiraten konnte, und Taliesin, das gemeinsame Domizil in Wisconsin, wohin sie sich zurückgezogen hatten, niedergebrannt. Welcher Schmerz. „Der Gedanke an den Wiederaufbau rettet ihn“, heißt es im Film kurz und knapp. Es tröstet ihn Ehefrau Nummer 2, Maude Miriam Noel. Ruhm und Genialität, so glaubt er, erlauben es ihm, Sitten und gesellschaftliche Regeln zu ignorieren. Weshalb die Liebe zu Olgivana, der jüngsten Angebeteten, abermals ein öffentliches Skandalfeuerwerk entfacht: Der noch verheiratete Mann lebt offen mit seiner Geliebten zusammen und zeugt mit ihr ein uneheliches Kind. Wieder bricht in Taliesin ein Feuer aus, und wieder baut er es aus der Asche neu auf, etabliert dort, da Aufträge ausbleiben, eine private Architekturschule. Fasziniert eilt der Zuschauer von Ereignis zu Ereignis.

Guggenheim-Museum
Das Guggenheim-Museum ist Frank Lloyd Wrights berühmtester Bau. Foto: © SWR/Sigrid Faltin

Frank Lloyd Wright, der, wie T.C. Boyle schreibt, gekleidet war „wie ein Ästhet auf dem Weg zu einer Kunstausstellung: Baskenmütze, Cape, ein Hemd mit hohem Kragen, wollene Wickelgemaschen, dazu der Malakkastock, den er gern benutzte, um seine Eleganz und Autorität zu unterstreichen“, und dessen Haar, „ein Gewirk aus Schäfchen- und Gewitterwolke“, ihm über den Kragen quoll, hasste seine Konkurrenten, hießen sie Gropius, Le Corbusier oder Mies. Dem Bauhaus stand er feindselig gegenüber, und was Internationaler Stil heißt, war das Gegenteil von Wrights Architektur. Als er, aus Gesundheitsgründen, in Arizona Taliesin 3 wie ein Ureinwohner aus Steinen und Findlingen erbaut und mit der Umgebung verschmelzen lässt, erhebt sich der Phönix abermals. Mit fast 80 Jahren – „er ist in Bestform“ – entwirft er, Krönung seines Spätwerks, das Guggenheim-Museum am Central Park in New York. Die früheren Skandale sind vergessen, Proteste von Stadtplanern und Künstlern regen sich trotzdem; man nennt ihn abfällig Frank Lloyd Wrong. Als Frank mit knapp 91 Jahren stirbt, ist er tatsächlich weltbekannt. In 70 Jahren hat er mehr als tausend Gebäude entworfen, von denen über 500 realisiert wurden. Acht wurden 2019 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben.


Frank Lloyd Wright: Der Phoenix aus der Asche ist noch bis zum 21. Dezember 2020 in der Arte Mediathek verfügbar.

Frank Lloyd Wright auf der Baustelle des Guggenheim-Museums 1959

Frank Lloyd Wright, Der Phönix aus der Asche, 2020
Arte Mediathek
Regie: Sigrid Faltin
Dauer: 53 Min.

Zum Film auf YouTube


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