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Steht der unmittelbare Abschied von der Ära der Automobilität bevor? Die Zeiten, als die autogerechte Stadt das Maß aller Dinge für zeitgemäße Mobilität war, sind vorbei. Im 21. Jahrhundert wird die Gesellschaft geprägt von den Faktoren Konnektivität, Individualisierung sowie facettenreiche Mobilität. Die Pandemie-Situation tut ihr Übriges, um Fragestellungen nach zeitgemäßer Fortbewegung und der Mobilität der Zukunft jenseits des Verbrennungsmotors schneller zu beantworten.

Von Lutz Dietzold.

Das Frikar E-Bike von Podbike
Das Frikar E-Bike von Podbike. © 2021 PODBIKE

Seitdem die Notwendigkeit nachhaltiger Konzepte im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen ist und bis zur Verhaltensebene vordringt, werden in unserer (westlich geprägten) Lebens- und Arbeitswelt plötzlich neue Wege zum Ziel möglich.

Und das schafft völlig neue Märkte und Geschäftsmodelle. Ob Städte-(um)bau, IT-/Databranche, Logistik, bis hin zur Fahrzeugentwicklung: Es ist buchstäblich vieles in Bewegung – Gründerzeit-Stimmung.

Und trotzdem: Nicht nur in ländlichen Regionen, insbesondere auch im urbanen Raum, hat der Faktor Convenience und die schiere Lust am Benutzen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor seinen prominenten Platz im Spektrum privaten Mobilitätsverhaltens. Dabei stehen neben Fahrrad, E-Bike, Scooter, ÖPNV, diversen Car-Sharing-Anbietern, natürlich App-gesteuert, eine Vielzahl von Alternativen zum motorisierten Individualverkehr zur Verfügung. Was ist die Hürde für uns mobile Menschen, diesen Strauß an Möglichkeiten nicht ganz alltäglich zu nutzen, so dass das private Kraftfahrzeug obsolet wird? Denn der wegfallende, gar nicht geringe Kostenfaktor ist ein höchst rationales Argument für einen Verzicht auf das Fahrzeug. Offensichtlich spielt die emotionale Bindung an das Gewohnte, Bequeme eine nicht unbedeutende Rolle und: die pure Lust am Autofahren! Bedeutsam in diesem Kontext ist die Frage nach dem Recht auf (abgeschlossene) Privatsphäre für die Nutzung der eigenen Mobilität.

Flugtaxis stellen eine Möglichkeit der Mobilität der Zukunft dar.
Landestation für den Volocopter: Urban Air Mobility. © Graft Brandlab, Skyports, Volocopter, GRAFT

Das mag auch einer der Gründe dafür sein, warum die großen Fahrzeughersteller nahezu einträchtig batterie-betriebene Fahrzeugmodelle entwickeln, die sich im Design noch vergleichsweise wenig von den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor unterscheiden. Hier setzt man auf eine evolutionäre Designentwicklung, die über die Marke Vertrauen in die neuen Technologien schafft. Und wenn diese Fahrzeuge noch immer auf Strom angewiesen sind, der aus herkömmlichen Kraftwerken stammt, so fällt die Bilanz im Hinblick auf echte nachhaltige Erneuerung unserer automobilen Wirklichkeit (noch) recht nüchtern aus.

Es ist jedoch ungeheuer spannend mitzuerleben, wie immer neue Geschäftsmodelle in punkto Mobilität vorangetrieben werden. Innovative Unternehmen wie Volocopter treiben ihre Vision von fliegenden Fahrzeugen, den Flugtaxis, mit großer Energie zur Geschäftsreife. Die Unternehmensführung rechnet damit, dass bereits in den kommenden drei Jahren erste kommerzielle Routen in ausgewählten Städten zur Verfügung stehen werden. Doch es steht immer die Frage im Raum: Wird das Geschäftsmodell tragfähig sein? Nicht zuletzt entscheidet der mobile und zahlungskräftige Kunde, wie attraktiv das Angebot für den urbanen Alltag ist.

Der Change-Prozess für die Nutzung zeitgemäßer Mobilität mit all ihren Möglichkeiten setzt aber nicht über Nacht ein. Es ist viel eher davon auszugehen, dass zukünftig die verschiedenen Antriebsformen noch miteinander koexistieren. Allerdings kann hier die Gesetzgebung beschleunigend eingreifen, wenn aus Gründen des CO2-Ausstoßes Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor schlicht verboten werden. Außerhalb Deutschlands bestehen bereits derartige strikte Regularien.

Die Mobilität der Zukunft ist elektrisch
chargeBIG von MAHLE

Je besser sich allerdings die Infrastrukturen für smarte, vernetzte Lösungen entwickeln, Radwegangebote und ÖPNV für die mobilen Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, desto eher werden wir bereit sein, einen grundsätzlichen Wandel mitzutragen, ganz freiwillig und lustvoll, ohne Verbote. Megatrends verheißen oft den großen Umbruch, schnell, explosionsartig. Es ist jedoch viel eher davon auszugehen, dass sich der mobile Wandel fließend vollzieht, einhergehend mit der unkomplizierten Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Verkehrsmittel-Angebote. So kann der für viele so lustvolle Gedanke an Autobahntempi von 250 im eigenen Sportwagen irgendwann einmal getrennt vom mobilen Alltag auf einer Rennstrecke ausgelebt werden oder – besser noch – in den Simulationen immer realer werdender Computer-Games.

Die Zukunft smarter Mobilität ist in vollem Gange. Diese gestaltet sich als evolutionärer Prozess. Angebote diverser Art stehen miteinander in Konkurrenz um die Gunst unserer Nutzung. Doch es ist genau dieser Gründergeist, der allen zugutekommt: den innovativen Unternehmen, uns, den mobilen Menschen, und letztendlich auch unserer Umwelt, wenn nachhaltige, klimaneutrale Lösungen in die visionären Geschäftsmodelle mit einfließen.


Der Autor: Lutz Dietzold

Geschäftsführer Rat für Formgebung

Lutz Dietzold, Geschäftsführer Rat für Formgebung © Lutz Sternstein
Lutz Dietzold © Lutz Sternstein

Lutz Dietzold (*1966) ist seit 2002 Geschäftsführer des Rat für Formgebung. Zuvor war er selbstständig in der Designkommunikation tätig und verantwortete als Geschäftsführer des hessischen Designzentrums die strategische Neuausrichtung der Designförderung.

Fundiert auf seinem Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Germanistik in Frankfurt hat Lutz Dietzold langjährige Expertise in den Bereichen Design, Marke und Innovation. Sein Augenmerk gilt zudem der Förderung von Design und Designnachwuchs. Seit 2011 ist er Beiratsmitglied der Mia-Seeger-Stiftung und Mitglied im Vorstand der Stiftung Deutsches Design Museum, dessen Vorsitz er 2020 übernahm. Im selben Jahr wurde er in den Beirat des Dieselkuratoriums berufen und setzt sich dafür ein, die Vorreiterrolle wirtschaftlich erfolgreicher Innovatoren zu stärken.

Zudem engagiert sich Lutz Dietzold für die verstärkt internationale Ausrichtung des Rat für Formgebung und seines weltweiten Netzwerks von führenden Unternehmen aus Industrie und Wirtschaft. Dazu zählt der Aufbau einer Tochtergesellschaft in China.

Lutz Dietzold veröffentlicht regelmäßig Beiträge und hält national und international Vorträge zu einer Vielzahl von Themen. Daneben ist er Mitglied in zahlreichen Gremien und Jurys sowie Projektbeirat des Bundespreis Ecodesign des Bundesumweltministeriums.


ABC Award 2021 – The world of mobility

Der ABC Award ist ein weltweit einzigartiger Design- und Branchenwettbewerb, der die ganze Welt der Mobilität umfasst. Unabhängige Experten prämieren herausragende Produkte, Projekte und Marken aus allen mobilen Bereichen: von den Best Practices der Kommunikation und Werbung über kommerziellen und individuellen Transport bis hin zu wegweisender Innovation. Der Anmeldeschluss für die Anmeldung ist am 12. Mai!


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