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Green City, Teil 2: In Zeiten der Klimakrise sind nachhaltige Antriebsformen, flächendeckende Lade-Infrastruktur für Elektromobilität und sichere Wegstrecken-Konzepte für Radfahrer gefragt, um die Verkehrswende voranzutreiben. Das Mobilitätsverhalten lässt sich nur dann tiefgreifend verändern, wenn die Vorteile der neuen Systeme und nicht der Verzicht überwiegen. 

Von Kay Alexander Plonka

Mobilität in der Stadt Paris
Bis 2026 soll das Radwegenetz auf allen Hauptverkehrs- und Nebenstraßen von Paris durchgängig verbunden sein. © Paris Tourist Office, Fotograf: David Lefranc

In keiner Metropole Europas scheint der Umbau des Verkehrssystems so schnell vonstatten zu gehen wie derzeit in Paris. Die Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo hat fast flächendeckend Tempo 30 eingeführt und räumt dem Radverkehr ohne Wenn und Aber mehr Platz ein. Rund 400 Kilometer neue Radwege sind in kürzester Zeit entstanden. Auf den wichtigsten Verkehrsstraßen im Zentrum wurden Autospuren kurzerhand in Radwege umgewandelt. Überall entstehen verkehrsberuhigte Zonen. Paris ist mit knapp 21.000 Bewohnerinnen und Bewohner pro Quadratkilometer die am dichtesten besiedelte Hauptstadt Europas. Es gibt schon jetzt über 60.000 Fahrradparkplätze. Zudem wurden tausende Autoparkplätze entfernt oder dienen jetzt als Ladestellen für E-Autos und Abstellplätze für Leihräder und E-Scooter. Bis 2026 sollen sich die Zahlen vervielfachen und das Radwegenetz auf allen Hauptverkehrs- und Nebenstraßen durchgängig verbunden sein. Der Umbau der französischen Hauptstadt zu einer klimafreundlichen Metropole ist in vollem Gange und zeigt Wirkung: Die Pariser fahren begeistert Fahrrad. Erklärtes Ziel der Bürgermeisterin ist eine von Mikromobilität und öffentlichem Nahverkehr geprägte Mobilitätswende, die den Bewohnerinnen und Bewohnern eine grüne Stadt der Zukunft verspricht.

Mobilität in der Stadt mit dem Fahrrad

Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos anlässlich des UN-Weltfahrradtages zeigt, dass die Bevölkerung rund um den Globus das Radfahren als essenziell für die Erreichung der Klimaziele wahrnimmt. Gleichzeitig gibt es große Unterschiede bei der Bereitschaft zum Fahrradfahren – abhängig davon, wie sicher es wahrgenommen wird. 

Green City – die ndion-Reihe
Wir müssen Stadt neu denken: Wohnraumknappheit, Ausbau der E-Mobilität, Verödung der Innenstädte – Städte stehen vor großen Herausforderungen, was Nachhaltigkeit anbetrifft.
Wie können Stadtkonzepte in der Zukunft aussehen? Und wo wird finden sich bereits innovative Ideen, um Stadt neu zu denken? Das fragt die ndion-Reihe „Green City“. Wir werfen einen Blick zurück in die Vergangenheit, schauen auf Mobilitätskonzepte von morgen und auf die Gestaltung von Innenstädten.

In den Niederlanden, dem Land mit der weltweit besten Infrastruktur für den Radverkehr, ist die Bereitschaft am höchsten. In Utrecht, der viertgrößten Stadt der Niederlande ist im Rahmen eines Pilotprojektes der mit 330 Metern längste Solar-Radweg der Welt eröffnet worden. Mit dem Projekt soll die doppelte Nutzung von Flächen erprobt werden. Um das Aufstellen von Solarpanelen in der Natur zu vermeiden, wurden die Sonnenkollektoren als Bodenbelag eine spezielle lichtdurchlässige Kunststoff-Oberfläche in die Fahrbahn eingelassen. Der Radweg produziert nicht nur genügend Strom, um rund 40 Haushalte zu versorgen, sondern liefert auch Energie für die eigene Beleuchtung und Beheizung im Winter. Und die Gemeinde Romont im Schweizer Kanton Freiburg testet einen innovativen Solartunnel für Fahrradfahrer nach dem Entwurf des Architekten Peter Kuczia auf einer 300 Meter langen Pilotstrecke. Die Radweg-Überdachung entsteht in Zusammenarbeit mit dem Start-up Solaroute und soll in Zukunft pro Kilometer jährlich bis zu 2.000 Megawattstunden Strom erzeugen, womit sich nicht nur nachts der Radweg kostengünstig beleuchten lässt, sondern auch bis zu 750 Haushalte mit Strom versorgt werden können. Positiver Nebeneffekt: Der Tunnel schützt die Radfahrer vor Wind oder Regen und es müssen keine weiteren Flächen versiegelt werden, um die Bogengerüst-Konstruktion über dem bestehenden Radweg zu installieren.

Und in Deutschland?

Kritsche Abbiegesituation von LKW und Fahrrad in Dresden, © ADFC / Juliane Mostertz

In Deutschland gibt es enormen Nachholbedarf bei sicherer und innovativer Fahrradinfrastruktur. 42 Prozent der für die Ipsos-Studie Befragten halten das Radfahren für gefährlich. Der Fahrradclub ADFC fordert deshalb durchgängige und sichere Radwege im ganzen Land. ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider sagt: „Die Ipsos-Studie bestätigt eindrucksvoll, dass mehr Radverkehr nicht von selbst kommt, sondern nur durch gute Radinfrastruktur, auf der sich die Menschen sicher fühlen. Und da liegt in Deutschland noch einiges im Argen: Fast die Hälfte der Bundesbürger sagt, dass sie das Radfahren zu gefährlich findet. Das ist ein Armutszeugnis – und zeigt, wie viel Potenzial die Politik bei der klimafreundlichen Umgestaltung des Verkehrs verschenkt. Was wir haben, sind chaotische und kaputte Rumpelradwege oder den Zwang, dass Radfahrende sich die Fahrbahn mit dem schnellen Auto- und LKW-Verkehr teilen müssen. Was wir brauchen, sind durchgängige und sichere Radwegenetze in allen Städten und Dörfern, die Menschen jeden Alters förmlich dazu einladen, das Rad anstelle des Autos zu benutzen. Damit Kommunen die notwendigen Spielräume zur fahrradfreundlichen Umgestaltung der Straßen bekommen, brauchen wir eine große Reform des Straßenverkehrsgesetzes.“

In Berlin wird derweil die Umsetzung eines langersehnten Projekts geplant: Die Radbahn unter der U1 in Kreuzberg. Unter und entlang des Bahnviadukts soll mittelfristig ein rund zwei Kilometer langer Radweg vom Kottbusser Tor bis zur Oberbaumbrücke verlaufen und später in Richtung Westen bis zum Bahnhof Zoo um noch einmal sechs Kilometer verlängert werden. Bisher wird der Raum auf dem ersten Teilstück zumeist als Parkfläche genutzt. Die freien Flächen neben dem Radweg sollen von den Bürgen mitgestaltet werden. Dazu soll zwischen den U-Bahnhöfen Kottbusser Tor und Görlitzer Bahnhof ein 200 Meter langes Testfeld entstehen, um diesen Stadtraum mit neuem Leben zu füllen.

Mobilität in der Stadt Radbahn Berlin
Projekt in Planung: Die Radbahn in Berlin, © fabulism

E-Mobilität in der Stadt steigert die Lebensqualität

Ebenfalls in der Hauptstadt hat sogar die Berliner Feuerwehr den Testbetrieb für Fahrzeuge mit  Wasserstoff- und E-Antrieb erfolgreich abgeschlossen. Während der Toyota Mirai im PKW-Bereich die Einsatzleitung immer noch schadstofffrei und geräuschlos an den Einsatzort bringt, setzt das Löschfahrzeug vom Hersteller Rodenbauer auf einen Allrad-E-Antrieb und wurde über ein Jahr lang auf drei Berliner Wachen in fast 1.400 Einsätzen erprobt. Ein bisschen kurios ist die News, dass der Logistikkonzern DHL überlegt, künftig Pakete mit einem solarbetriebenen Boot auf der Spree zu transportieren. Doch erst wenn Wasserstoff und Strom zum Antrieb der Fahrzeuge aus nachhaltig erzeugter Wind- und Sonnenenergie stammen, ist die Antriebsart wirklich umweltfreundlich und bestenfalls auch klimaneutral.

Mobilität Hyperloop
Mit dem Hyperloop der TU München könnten Waren- und Personen in einer nahezu luftleeren Röhre mit über 800 km/h Geschwindigkeit transportiert werden, © Futurium / berlin-event-foto.de

Eine weitere Neuigkeit ist, dass die Autobahn GmbH noch in diesem Jahr an der A81 in Süddeutschland ein Stück Fahrbahn mit Solarmodulen zu Testzwecken überdachen will. In mehr als fünf Metern Höhe sollen dann die Photovoltaik-Module mit einer Fläche von 10 × 17 Metern auf einer Stahlkonstruktion aufgestellt werden. Die Anlage wird über ein Jahr lang messtechnisch und wissenschaftlich begleitet und soll Erkenntnisse für einen möglichen Dauerbetrieb solcher Sonderbauwerke liefern. Darüber hinaus sei geplant nach einem Test an der A3 künftig auch Lärmschutzwände zunehmend mit Photovoltaik für die Energiegewinnung auszustatten. Und während in Niedersachsen die erste Wasserstoffzugflotte in den Regelbetrieb genommen wurde um Dieselloks zu ersetzen – in Deutschland sind rund 40 Prozent des Schienennetzes noch nicht elektrifiziert – hat die TU München Ende September die Nachricht verkündet, der Spatenstich für den Bau einer Hyperloop-Teststrecke sei erfolgt. Die Hyperloop-Idee von Elon Musk sieht vor, Waren- und Personentransporte in einer nahezu luftleeren Röhre mittels einer Kapsel mit über 800 km/h Geschwindigkeit durchzuführen. 

Während der chinesische Auto-Hersteller Niu für seine Fahrzeuge die ersten Batteriewechselstationen in München und Berlin plant, geht auch der langersehnte Wunsch der Berliner Firma Ubitricity nun schließlich doch in Erfüllung, nachdem das nicht mehr ganz so junge Start-up vom Energieriesen Shell übernommen wurde: Berlin bekommt 1.000 Straßenlaternen an denen E-Autos geladen werden können. In Großbritannien will der Anbieter 50.000 sogenannte on-street-Ladepunkte bis zum Jahr 2025 installieren, um E-Auto-Fahrenden ohne eigene Lade-Infrastuktur den Zugang ans Stromnetz im öffentlichen Raum anzubieten.

Das wäre auch in deutschen Städten dringend erforderlich. Denn die grundlegende Erneuerung des bisher vornehmlich auf Dieselfahrzeuge ausgerichteter Lieferverkehrs ist nicht nur die Lösung zur Einhaltung der CO2-Grenzwerte, sondern auch zur wesentlichen Geräuschreduktion. Auf der IAA Transportation in Hannover feierten gleich drei elektrische Leichtfahrzeug-Prototypen des deutschen Herstellers ElectricBrands ihre Weltpremieren. Der XBUS S soll die letzte Meile als Transporter, Kühlkoffer- oder Pritsche-Ausführung durch minimalen Verbrauch, wenig Raumanforderung und dafür viel Transportkapazität meistern. Das Modell Evetta Cargo zeichnet sich, ebenso wie die anderen Modelle Prima oder Openair, durch die markante Fronttür aus und ist zum Beispiel für stylishe Espresso-Verkaufswagen und andere städtische Liefer- und Geschäftsfahrten gedacht. Für den wachsenden europäischen Markt für elektrische Liefer- und Sharing-Roller wurde der NITO C+S konzipiert. Der solide Elektroroller mit niedrigem Schwerpunkt soll professionellen Anforderungen von z.B. Waren- und Lebensmittellieferung gerecht werden und eine lange Nutzungsdauer in Fahrzeugflotten garantieren. 

Mobilität in der Stadt XBUS
Der XBUS, ein elektrischer Leichtfahrzeug-Prototyp des deutschen Herstellers ElectricBrands, © ElectricBrands

„Wenn wir die Natur, unsere Ressourcen und unseren Planeten schonen wollen, scheint die Zeit für immer schwerere, größere und unnötig schnellere Fahrzeuge vorbei zu sein. Unsere Philosophie ist es, das Bestehende infrage zu stellen und die Elektromobilität neu zu denken. Dabei entdecken wir ständig neue Dinge die dazu beitragen können, das ökologische Gleichgewicht der Mobilität für zukünftige Generationen wiederherzustellen.“ erklärt ElectricBrands Gründer und CEO Ralf Haller.


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