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Der Möbelhersteller COR feiert in diesem Jahr sein 70-jähriges Bestehen. Leo Lübke, geschäftsführender Gesellschafter und selbst Möbeldesigner, erklärt im Gespräch, wie Qualität und Kontinuität über die Jahre gesichert werden konnten, weshalb es Freude macht, nachhaltig zu gestalten, und wie das Reparieren bei CORever funktioniert.

Interview: Thomas Wagner


Leo Lübke, geschäftsführender Gesellschafter von COR | © COR Sitzmöbel

Herr Lübke, COR feiert in diesem Jahr sein 70-jähriges Bestehen. Wie schafft man es, ein Unternehmen durch schwierige Zeiten zu führen?

Leo Lübke: Ich glaube, man muss einfach seinen Weg weitergehen. Klar, man muss sich immer in Frage stellen: Geht das Geschäftsmodell, wie die Banker sagen, noch auf, trägt es noch? Wenn man, wie wir, in Deutschland produziert, muss man schauen, was die richtige Nische ist – und die haben wir gefunden. Im Grunde musste ich an dem, was ich von meinem Vater übernommen habe, nicht viel ändern. Ich habe es weitergeführt, möglichst konsequent, hier und da mit Umwegen, manchmal vielleicht sogar mit Abwegen. Im Kern ist die Entwicklung von COR seit 1954 aber kontinuierlich und stabil verlaufen. Wir stehen weiterhin für zeitgenössisches Design, für hohe Qualität – und dazu gehört auch die Einhaltung von Umweltschutzzielen. Wir waren ja schon immer recht umweltbewegt – meine Generation noch stärker als die meines Vaters, wobei er sehr offen dafür war. Er war bei COR der erste Öko-Manager. Wir haben nicht zufällig als erstes Unternehmen der Möbelbranche das Öko-Audit implementiert. Auch heute tun wir viel für die Umwelt, wir haben für alles einen „blauen Engel“ und viele Zertifikate – und wir sind CO2-neutral, wobei man ehrlicherweise hinzufügen muss: durch Hinzukaufen von Zertifikaten.

Verspürt man als Familienunternehmer eine besondere Verantwortung? 

Leo Lübke: Ich persönlich empfinde das so, nicht nur für die Firma, sondern auch als Mensch. Ich denke immer: Was kannst du tun, um deinen persönlichen Fußabdruck zu verringern? Ich bin kein Engel, aber ich bemühe mich. Es gibt freilich auch Dinge, wo ich sage – mein Gott, wofür lebst du eigentlich? Wer auf diesem Planeten lebt, hinterlässt einen Abdruck, allein schon durch die Nahrungsaufnahme, durch Bekleidung und, und, und. Dessen muss man sich bewusst sein, ohne sich selbst zu kasteien. Ich glaube, es hilft, wenn man mit Frohsinn und Freude sagt: Okay, wir haben ein Ziel, wir haben Herausforderungen, wir können sie aber meistern, wir können unseren kleinen Beitrag leisten, nicht mehr, nicht weniger – und das versuchen wir bei COR sehr ganzheitlich und unabhängig von Moden. 

Ansprechendes und langlebiges Design und handwerkliche Qualität – folgt daraus nicht logisch, dass man nachhaltig produzieren und hohe Umweltstandards erfüllen muss? 

Leo Lübke: Wir tragen Nachhaltigkeit nicht wie eine Monstranz vor uns her, wir wollen den Leuten schöne Möbel verkaufen, mit denen sie sich gemäß ihrer Persönlichkeit einrichten können. Dafür wollen wir das Werkzeug sein, mehr nicht. Wir haben also eher einen bescheidenen, integrativen Ansatz. Das unterscheidet uns von einigen Herstellern im Luxussegment, die sagen: Wir wollen eine Marke sein, die alles überstrahlt. 


Im Herbst 1954 gründeten Leo Lübke im Namen seines Sohnes Helmut Lübke und Fürst zu Bentheim Tecklenburg die Fabrik zur Herstellung von Polstermöbeln | © COR Sitzmöbel

Was hat sich in Sachen Nachhaltigkeit in den letzten Jahrzehnten verändert? 

Leo Lübke: Das läuft leider immer in Wellenbewegungen. Es ist keine kontinuierliche Entwicklung, dass man sagt, Nachhaltigkeit wird immer bedeutsamer. Als ich 1994 zu COR kam, gab es bei Wilkhahn im Vorstand einen Umweltmanager und es wurde damit geworben, Fußgestelle nicht mehr zu verchromen. Wie ökologisch das war, weiß ich nicht. Aber es war ein Ansatz, der bewundert und mit großem Interesse wahrgenommen wurde. Ende der 1990er Jahre verschwand vieles, was schon erreicht worden war, wieder. Man dachte: Jetzt haben alle ihre Lektionen gelernt, das Problem ist gelöst. Auch Kunden haben uns gesagt: Ihr macht ja langlebige Produkte, das ist so umweltfreundlich, der Rest interessiert uns gar nicht. Erst über den Klimawandel ist eine neue Dynamik entstanden. Auch bei der jungen Generation ist etwas in Gang gekommen – ich hoffe, das bleibt – einschließlich einer selbstkritischen und ehrlichen Analyse. Wir bei COR haben für uns entschieden: Wir hinterfragen uns selbst, sind auf der Suche nach einem möglichst guten Weg – unabhängig davon, ob das gerade en vogue ist oder nicht. Ich finde, das ist eine Frage der Unternehmenskultur, der Haltung, der Werte.


Der COR-Showroom mit Objektmöbeln und der COR-Sammlung auf fast 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche | © COR Sitzmöbel

In welchen Maßnahmen zeigt sich die richtige Haltung? 

Leo Lübke: Oft ist es eine Frage des Abwägens: Investiert man in eine Photovoltaik-Anlage, in die weitere Dämmung der Dächer oder in eine neue Lackieranlage? Was ist wichtiger für die Existenz des Unternehmens? Man kann durchaus zu dem Schluss kommen, erst die Lackieranlage zu kaufen, weil sie die Produkte besser macht. Wenn wir das alles nicht machen, verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit – und dann ist die Existenz des Unternehmens gefährdet. Das abzuwägen, macht Freude – und die Freude am nachhaltigen Gestalten ist bei uns im Unternehmen verankert. Wir haben unter Beteiligung des Betriebsrats und großer Teile der Belegschaft eine Umweltstrategie erarbeitet – und wir haben jetzt eine Nachhaltigkeitsbeauftragte, wenn auch nur halbtags. Das aber zeigt: Wir haben jemanden, der sich ausschließlich mit dem Thema Umwelt beschäftigt. Eine weitere Person kümmert sich um Zertifizierungen. Was einen dabei natürlich sehr, sehr ärgert, ist die ganze Bürokratie.

Im Falle eines technischen Defekts an einem Möbelstück wird die Ursache ermittelt und der Mechanismus oder die Funktion wird in Stand gesetzt | © COR Sitzmöbel

Mit CORever haben Sie ein besonderes Projekt auf den Weg gebracht. Etwas zugespitzt gefragt: Ist Reparieren eine Innovation, die aus der Vergangenheit kommt, aber dringend gebraucht wird?

Leo Lübke: Wir haben schon immer repariert. Was am häufigsten vorkommt, ist ein Neubezug. Die Rahmenkonstruktion überdauert uns, der Schaum kann, wenn man als schwerer Mensch immer auf derselben Stelle sitzt, durchgesessen sein und muss erneuert werden. Das Anfälligste aber sind die Bezugsmaterialien. Leder braucht viel Pflege, Stoffe sind irgendwann verschlissen – oder das Glas Rotwein kippt um. Solche Reparaturen haben wir immer gemacht. Ich muss aber sagen: Neubeziehen ist relativ teuer. Wenn man die Handelsspanne dazu rechnet, kostet ein Neubezug zwischen 50 und 70 Prozent des Neupreises. Trotzdem wird das häufig gemacht. Wir haben schon in den 80er-Jahren einen Einschlagkeder entwickelt, damit wir die Bezüge schnell wechseln können, und wir liefern fertige Bezüge an den Handel, damit das Sofa gar nicht zu uns kommen muss. 


Möbel in gutem Zustand werden professionell gereinigt und aufgefrischt | © COR Sitzmöbel

Wie kam es zu CORever?

Leo Lübke: Wir sammeln unsere alten Modelle im COR-Haus. Also haben Endkunden gefragt: „Ich möchte mir ein neues Sofa kaufen, können Sie das alte nicht in die Sammlung stellen? Es ist totschick, uralt, toll gepflegt.“ Dann mussten wir zumeist sagen: Das Modell steht dort bereits. „Ach“, sagt der Kunde, „das ist aber schade, was mache ich denn jetzt damit?“ Das wissen wir leider auch nicht. Fragen Sie doch mal in der Familie nach, bei Nachbarn oder beim Roten Kreuz, ob die es gebrauchen können. Ja, und dann haben wir nie wieder was gehört. Das hat mich beschäftigt: Second-Hand ist momentan ja ein Trend, auch bei Jugendlichen, auch bei unseren Kindern. Es ist politisch gut, also auch cool und modern und optimistisch. Also habe ich gedacht: Wäre das nicht eine Möglichkeit? Wir nehmen die Sachen zurück und geben dem Handel damit die Chance, etwas Neues zu verkaufen. 

Und wie sieht das Konzept konkret aus? 

Leo Lübke: Anfangs habe ich mir überlegt: Wir nehmen Möbel zurück, arbeiten sie auf – und geben es dann zurück in den Markt. Aber so einfach ist es nicht. Wir haben etwa keinen teuren Online-Shop gemacht, weil wir gar nicht wissen, wie groß der Markt eigentlich ist. Vielleicht ist das ein Rohrkrepierer – oder die Nachfrage ist so groß, dass wir die Sachen gar nicht so schnell aufarbeiten können. Nun gehen wir vor wie die Japaner, fangen klein an und verbessern uns Schritt für Schritt. Wir haben dem Handel gesagt: Wenn ihr neue Möbel ausliefert, nehmt die alten mit zurück, lagert sie bei euch ein, wir holen sie ab. Dafür bekommt ihr eine Logistikpauschale. Wenn die Endkunden sagen: Das Sofa ist doch so toll, ihr gebt mir gar nichts dafür, dann sagen wir: Geht zu Ebay oder vergleichbaren Plattformen. Wir sind sozusagen nur die Sperrmüllretter.

Möbel mit abgenutzten Bezügen bekommen einen neuen Stoffbezug aus dem Lager | © COR Sitzmöbel

Das Aufarbeiten sorgt ja auch für Kosten …

Leo Lübke: So ist es. Deswegen können wir auch nichts für die zurückgegebenen Stücke bezahlen. Eine Grundreinigung kriegen alle Möbel, das dauert schon ein paar Stunden. Das Zweite ist: Der Stoff oder das Leder ist kaputt, wir brauchen einen Neubezug. Der nächste Schritt ist: Auch ein Neubezug reicht nicht, wir brauchen neue Schäume. Oder wir sagen: Da ist alles kaputt – weg damit! Dann müssen wir die Materialien sortenrein trennen. Das ist alles mit Arbeit verbunden. Müssen Dinge immer makellos sein? Oder kann man etwas einfach nur reinigen und es hat dann einen kleinen Makel – ist dadurch aber günstiger für eine junge Zielgruppe. 

Auch beschädigte Polsterungen werden ausgetauscht und Sitzpolsterungen erneuert | © COR Sitzmöbel

Und wie erfahre ich, was bei CORever gerade im Angebot ist?

Leo Lübke: Das sieht man nur bei unseren Verkäufen. Wir machen viermal im Jahr Sonderverkäufe, mit Messemöbeln, Möbeln, die wir fotografiert haben, Rückläufern vom Handel. Da gibt es nun auch den Bereich CORever. Die Termine findet man auf unserer Website. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Menschen hochwertige Möbel ausprobieren wollen – wie bequem sitzt man, passt das in meinen Raum, wie fühlt es sich an? Mal sehen, wie es sich entwickelt. Noch ist das wie eine Expedition in ein unbekanntes Terrain …

Sie kennen die Branche: Erkennen Sie eine Entwicklung hin zu einem werterhaltenden Umgang mit Möbeln?

Leo Lübke: Das ist bei hochpreisigen Markenanbietern einfacher als bei No-Names. CORever lebt natürlich davon, dass die Leute sagen, oh wow, das ist ja ein Markenmöbel von COR, das bekomme ich jetzt so günstig, super. Das kommt an. Bei vielen Anbietern weiß man ja gar nicht, wo kommt das her. Deswegen glaube ich, ist das im ersten Schritt ein Hochwert-Konzept. Aber die Erfahrungen, die wir sammeln, können ja auch andere nutzen. Wir wollen Vorreiter sein und hoffen, dass es viele Nachahmer gibt.

Reparieren, Kreisläufe schaffen, wie kann Design das bei neuen Produkten stärker fördern?

Leo Lübke: Das Design spielt nach wie vor eine herausragende Rolle. Man geht durch ein Möbelhaus und da steht irgendwo etwas, das mir gefällt. Ich weiß gar nicht genau: Ist es die Form, ist es die Farbe oder das Material? Ich bin fasziniert, als wäre ich verliebt. Dann der nächste Schritt: Sitzt man auch gut? Dann kommt noch hinzu: Die sind total nachhaltig, super, das kann ich mit gutem Gewissen kaufen, alles Made in Germany. Und dann bekomme ich auch noch Sofabeine, die sind zwei Zentimeter länger, dann sitze ich als langer Lulatsch besser. (lacht) Das ist die komplette Story, die immer wichtiger wird.

Möbel, sagen Sie, sind Kulturgut. Deshalb CORever, deshalb langlebiges Design und nachhaltige Produktion?

Leo Lübke: Genau. Wir pflegen die Dinge, wir entwickeln sie weiter, wir fühlen uns für sie verantwortlich, wir nehmen sie zurück. 


© COR Sitzmöbel

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Über den Autor

Thomas Wagner, geb.1955, hat in Heidelberg und Brighton (Sussex) Germanistik und Philosophie studiert. Bereits während des Studiums arbeitet er als Kunstkritiker und freier Journalist. Ab 1986 schreibt er für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1991 bis 2007 als leitender Redakteur für Bildende Kunst und Design zuständig ist. Anschließend freier Autor, Kunstkritiker und Kolumnist. Für Stylepark baut er ein Online-Magazin auf. Er war Redakteur des Magazins designreport des Rat für Formgebung und ist derzeit Online-Redakteur bei ndion. Thomas Wagner hat als Vertretungs-, Gast- und Honorarprofessor gelehrt und war Gründungsmitglied der DGTF. Er war und ist Mitglied zahlreicher Jurys.


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