Die Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher. Wie können wir umsteuern? Helfen Innovationen, ist weniger Konsum die Lösung oder muss sich der Umgang mit Natur in Arbeit und Produktion ändern? Und wie können Unternehmen mehr über ihre Kund*innen erfahren? Drei Bücher diskutieren aktuelle Perspektiven.
Von Thomas Wagner
Für Marx ist Arbeit der Stoffwechsel jeder menschlichen Gesellschaft mit der nichtmenschlichen Natur. Im Arbeitsprozess wird Natur in Stoffe umgewandelt, die für den Menschen nützlich sind, etwa Nahrung oder Baumaterialien. Was durch Arbeit geschaffen wird, wirkt auf Natur und Umwelt zurück, z.B. in Form von Emissionen oder Abfällen. Arbeit ist also mehr als die Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Und genau hier setzt Simon Schaupp mit seinem Buch „Stoffwechselpolitik – Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten“ an. Klima- und Umweltzerstörung nur in Kategorien des Konsums zu denken, hält er für einen eklatanten Mangel. Und auch wenn er nicht explizit von Design spricht, wird in seinen Analysen deutlich, dass ohne einen kritischen Blick auf Arbeit als gestaltende Transformation von Natur keine adäquate politische Bearbeitung der Krise möglich ist.
Der Stoffwechsel mit der Natur wirkt auf die Arbeit zurück
Wie sich die Organisationsformen von Natur, Arbeit und Produktion gegenseitig beeinflussen und wie der Stoffwechsel mit der Natur auf die Arbeit zurückwirkt, zeigt sich an markanten historischen Formationen. So setzten die Sklaven die auf den Plantagen grassierenden Krankheiten gezielt gegen ihre Kolonialherren ein, und die erste Fließbandproduktion wurde nicht bei Ford, sondern in den Schlachthöfen von Chicago eingeführt, weil das schnell verderbliche Fleisch eine beschleunigte Produktion erforderte. Ein weiteres Beispiel ist der „fossile Klassenkompromiss“ der Nachkriegszeit aus billiger Energie und Massenkonsum.
Stoffwechselpolitik –Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten
Simon Schaupp
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024
ISBN 9783518029862
Gebunden
422 Seiten
Natur ist keine passive Umwelt
Damit wird deutlich: Industriepolitik ist immer auch Umweltpolitik. Die Natur ist kein passiver „Kontext“ der Stoffwechselpolitik. Sie hat eine relative Autonomie, wirkt über Rohstoffknappheit, Katastrophen und anderes auf die Produktionsbedingungen zurück. Widerspenstig wie sie ist, lässt sich Natur nie ganz dem Kapital unterordnen, beeinflusst die Geschichte der Arbeit und der Produktivkraftentwicklung. Am Ende diagnostiziert Schaupp als Schlüsselkategorie für das Verständnis der gesellschaftlichen Konflikte, die sich aus der Bearbeitung der ökologischen Krise ergeben, eine zunehmende Nutzlosigkeit. Dass weite Teile der Natur und der Menschheit im Zuge des Klimawandels ihre Nützlichkeit verlieren werden, sei eine Tatsache. Auch was eine „grüne“ Transformation angeht, bleibt Schaupp skeptisch: „Ob sich der konsumbasierte Klassenkompromiss auf einer grünen Basis erneuern lässt, ist bislang mehr als fraglich. In diesem Sinne erscheint eine harmonische Transformation zur Nachhaltigkeit sehr unwahrscheinlich. Wesentlich realistischer ist, dass die Politiken der Nutzlosigkeit – egal ob sie Politiken der Preisgabe oder Politiken der Transformation sind – auf weitreichende gesellschaftliche Konflikte hinauslaufen.“
Das Klima wandelt sich, mit immer dramatischeren Folgen. Um die Erderwärmung zu begrenzen, so das Fazit unzähliger Studien und kämpferischer Appelle, ist ein Umdenken notwendig – auch beim Konsum. Jeder könne seinen Beitrag leisten, indem er seinen persönlichen CO2-Fußabdruck reduziere. Ist das die richtige Perspektive? Haben wir, fragt der Soziologe Simon Schaupp, die Ursachen der Umweltzerstörung überhaupt ausreichend verstanden? In seinem Buch „Stoffwechselpolitik – Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten“ erweitert er die Perspektive – mit überraschendem Erkenntnisgewinn.
Klimaneutral! – So gelingt der Umbau von Wirtschaft und Technologie. Klima-Innovation für eine sichere Zukunft
L. Abicht / C.Stöttner
Hardcover, gebunden
ISBN 9783593518589
219 Seiten
Fünfte industrielle Revolution als Klimaschlüssel
Ganz vom Glauben an die heilende Kraft innovativer technischer Lösungen getragen ist dagegen das Buch „Klimaneutral! – So gelingt der Umbau von Wirtschaft und Technologie“ von Lothar Abicht und Carina Stöttner. Um die komplette Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis zum Jahr 2050 zu erreichen, plädieren die Autor*innen vom Berliner Thinktank „Themis Foresight“ für nicht weniger als eine fünfte industrielle Revolution. Um zu zeigen, wie diese umgesetzt werden kann, nehmen Abicht und Stöttner alle wichtigen Technologiefelder in den Blick – von Energie und Transport über „stoffwandelnde Unternehmen“ wie die Chemie, Bauen und Wohnen bis hin zu Ernährung, Kommunikation und Bergbau. Im Bausektor sehen sie Chancen zur Dekarbonisierung zum Beispiel durch modulare und serielle Bauweisen, den Einsatz von Robotern auf Baustellen, den zunehmenden Einsatz von 3D-Druckverfahren, die Umnutzung bestehender Gebäude, weniger klimaschädliche Heiz- und Kühlsysteme und vieles mehr. Am Ende der informativen „Wissenssammlung von Chancen“ steht die optimistische Prognose, dass die Antwort auf den Klimawandel nicht im Verzicht auf Wohlstand, sondern im konsequenten klimaneutralen Wirtschaften liegt. Dabei sei klar: „Wir brauchen positive Zukunftsbilder, die uns eine realistische Richtung vorgeben.“ Ein solches Zukunftsbild will auch das Buch sein – „ein Polarstern für unterschiedliche Sektoren, der es möglich macht, unser Schiff auf den richtigen Kurs zu bringen“.
Der Kunde, das unbekannte Wesen?
Um Transformation und ihre Hindernisse geht es auch in „Die 7 Ausreden der Unternehmen – Kunden wirklich verstehen und erfolgreich bleiben“ von Ingrid Gerstbach. Die Autorin schildert aus ihrer Beratungspraxis und der Perspektive des Design Thinking, was aus Unternehmenssicht im Verhältnis zu den Kund*innen ignoriert, verdrängt oder schlicht übersehen wird. Mal wird behauptet, man kenne seine Kund*innen in- und auswendig oder es fehle die Zeit, sie zu befragen. Mal wurde bereits eine Marktforschungsstudie in Auftrag gegeben oder Veränderungen werden auf später verschoben. Außerdem habe man ja bereits ein funktionierendes Produkt, warum also etwas ändern? Und: Wenn man erfolgreich sein wolle, müsse man sich auf interne Ziele konzentrieren oder sowieso das tun, was von oben verlangt werde. Um derartige Blockaden aufzubrechen, hat es sich Ingrid Gerstbach zum Ziel gesetzt, in Unternehmen eine Begeisterung für die Welt ihrer Kund*innen zu wecken. Wie das geht? „Wenn Sie beginnen, Fragen zu stellen, haben Sie den Schlüssel zur Erfüllung der Kundenbedürfnisse in Ihren Händen. Fragen sind mächtiger als Antworten und erfordern oft mehr Mut als das Festhalten an vertrauten Vorstellungen.
Die 7 Ausreden der Unternehmen – Kunden wirklich verstehen und erfolgreich bleiben
Ingrid Gerstbach
Hardcover, gebunden
ISBN 9783593518602
287 Seiten
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Über den Autor
Thomas Wagner, geb.1955, hat in Heidelberg und Brighton (Sussex) Germanistik und Philosophie studiert. Bereits während des Studiums arbeitet er als Kunstkritiker und freier Journalist. Ab 1986 schreibt er für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1991 bis 2007 als leitender Redakteur für Bildende Kunst und Design zuständig ist. Anschließend freier Autor, Kunstkritiker und Kolumnist. Für Stylepark baut er ein Online-Magazin auf. Er war Redakteur des Magazins designreport des Rat für Formgebung und ist derzeit Online-Redakteur bei ndion. Thomas Wagner hat als Vertretungs-, Gast- und Honorarprofessor gelehrt und war Gründungsmitglied der DGTF. Er war und ist Mitglied zahlreicher Jurys.