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Die Einschätzung fällt nicht leicht: Welche Produkte und Dienstleistungen sind tatsächlich nachhaltig, woran sind sie zu erkennen und was sind sie wert? Die Auswahl, Beurteilung und Wertschätzung nachhaltiger Angebote erfordert Wissen und Vorbildung aufseiten von Kundinnen und Kunden. Doch wer kann diesen Bildungsauftrag für nachhaltige Produkte übernehmen? Die EU, Bundesministerien oder gar die Markenunternehmen selbst? Und kann in diesem Zusammenhang Designbildung auch Bildung zur Nachhaltigkeit sein?

Von Lutz Dietzold.

Wenn Unternehmen nachhaltige Produkte anbieten – welches Wissen müssen Kundinnen und Kunden mitbringen, um das Angebot einordnen, verstehen und wertschätzen zu können? Es gibt zahlreiche Initiativen, um den Aufbau des notwendigen Wissens zu fördern: Der Begriff Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist durch die UNESCO in einem Programm festgelegt, dessen Umsetzung in Deutschland durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung koordiniert wird. BNE steht für eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigen soll und deren Ansätze in verschiedenen Kontexten und durch unterschiedliche Träger vermittelt werden.

Ein verwandter, dem Design noch näherer Ansatz ist die Initiative „New European Bauhaus“, mit der die Europäische Union ein Forum für neue, nachhaltige und inklusive Räume und Projekte schaffen will: „Mit dem neuen Europäischen Bauhaus möchte die Kommission den Grünen Deal zu einer konkreten, positiven Kulturerfahrung machen, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt.“

Die Rolle der Unternehmen

Und dann gibt es natürlich noch die Markenunternehmen selbst, die zu ihren Produkten kommunizieren. Aber kann es tatsächlich deren Aufgabe sein, Kundinnen und Kunden, Konsumentinnen und Konsumenten Nachhaltigkeit zu bilden? Müssen sie im Rahmen von Werbung und Unternehmenskommunikation nun auch noch erklären, warum nachhaltige Produkte besser sind und was sie können? Und wie glaubwürdig kann diese Kommunikation letztendlich sein, wenn sie nicht von einer neutralen Instanz, sondern von den Anbietenden selbst kommt? Da taucht schnell der Begriff „Greenwashing“ auf – er steht für mehr Reden als Tun in Sachen Nachhaltigkeit, für Unternehmen, die experimentelle Kleinserien im grünen Gewand ins Rampenlicht schicken, während die restlichen 98% der Produkte sich nach dem Weiter-so-Prinzip hinter dem großen Auftritt des grünen Schwesterprodukts verstecken und nicht weiter ändern.

Sneature ist ein 100% kompostierbarer Sneaker aus 3D-gestrickten Hundehaaren und einer Pilzsohle. Bild: Emelie Burfeind

Aber kann man dieses Vorgehen verurteilen? Ist es nicht auch logisch, dass Unternehmen über die spannenden Neuentwicklungen berichten, die zumindest eine Perspektive aufzeigen? Nachvollziehbar ist dieser Impuls, zu rechtfertigen allerdings nicht. Es sollte ein Prinzip der Verhältnismäßigkeit greifen, das eine authentische Markenkommunikation anstrebt und den Empfängern der Botschaft keine falschen Schwerpunkte vorgaukelt. Glaubwürdigkeit ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die Kundinnen und Kunden von der Unternehmenskommunikation fordern – und die auch ganz neue Chancen und Interaktionsmöglichkeiten mit sich bringt. Markenunternehmen, die es mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ernst meinen, sind glaubhafte Überbringer von Inhalten, die nicht nur eine Forderung aufstellen, sondern gleichzeitig schon die Lösung anbieten.

Die Gestaltung von Produkten verweist auch immer auf einen kulturellen Kontext und kann eine deutlich tiefere und weitreichendere Botschaft implementieren als nur die Erscheinung auf Objektebene. Bei der Vermittlung dieses kulturellen Kontextes kommt eine gute Markenkommunikation ins Spiel, die einen wertebasierten Kontakt zum Kundinnen und Kunden herstellen kann. Findet er sich bei einem Unternehmen in einem Wertegerüst wieder, mit dem er sich identifizieren kann oder das seines gar positiv erweitert, ist die Basis für eine Kommunikation geschaffen, die auch auf inhaltlicher Ebene eine andere Tiefe erreichen kann. Denn andersherum gefragt: Was sollte ein werte- und inhaltsgetriebenes Unternehmen davon abhalten, diesen Antrieb zu kommunizieren?

17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN
Die 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen ist ein globaler Plan zur Förderung nachhaltigen Friedens und Wohlstands und zum Schutz unseres Planeten. © Vereinte Nationen.

Die Position des Designs

Ob der Einfluss der Designdisziplin eher positiv zu bewerten ist, weil sie dazu beiträgt, hochwertige, langlebige und nachhaltige Produkte zu entwickeln, oder eher negativ, weil sie gekonnt den Absatz auch überflüssiger Erzeugnisse in die Höhe treibt, ist eine Diskussion, die uns schon lange begleitet und weiterhin begleiten wird. In die Diskussion dieser Fragestellung müssen wir letztendlich auch das konkrete Designverständnis einbeziehen. Ästhetische Bildung, die darauf abzielt, die Qualität in der Gestaltung und Realisierung von Produkten zu erkennen und zu schätzen, kann perspektivisch dazu führen, dass weniger, aber bessere Produkte gekauft werden, die dann auch für einen langen Zeitraum im Einsatz sind. Ein Designbewusstsein schärft die Empfindung für den Wert eines Objekts und befähigt dazu, Eigenschaften wie Langlebigkeit, Qualität und Zeitlosigkeit zu erkennen.

Eine Befähigung, die auch die Stiftung Deutsches Designmuseum mit der bundesweiten Bildungs- und Kulturinitiative für Kinder und Jugendliche „Entdecke Design“ intensiv fördert.

Wirtschaftlicher Druck

Nutzerinnen und Nutzer können ihr Shift Phone mithilfe von (Video-)Anleitungen selbst instandsetzen und ausbauen. Bild: SHIFT GmbH

Ein Markenerfolg ohne eine Einbeziehung von Nachhaltigkeit und Klimaschutz funktioniert nicht mehr, die Auseinandersetzung damit ist keine exotische und freiwillige Zusatzleistung, sondern wird immer mehr als grundsätzliches Fundament eines aktuellen und gesunden Unternehmens verstanden. Noch ist über den Faktor Nachhaltigkeit eine gewisse Differenzierung als Marke möglich, dieser Vorsprung wird aber schrumpfen, je mehr das Thema zu einer Selbstverständlichkeit wird, auch durch nationale und internationale Gesetzgebung getrieben. Doch der Druck auf Unternehmen zu nachhaltigem Handeln und Wirtschaften wächst, und das nicht nur durch gesetzliche Vorgaben und den lauter werdenden Anspruch von Kundinnen und Kunden an nachhaltige Produkte. Auch von Seiten der Banken und der Finanzmärkte ist Nachhaltigkeit als aktueller und vor allem zukünftiger Wirtschaftsfaktor erkannt. Der Zugang zu Krediten oder der Börsenkurs kann direkt von einem nachhaltigen Engagement abhängen.

Zurück zur neuen europäischen Kulturerfahrung: Wenn es gelingt, Europa zum Vorreiter eines nachhaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbaus zu machen, so haben die Firmen die Chance, in dieser Entwicklung vorne mit dabei zu sein. Und große Marken, die in diesem kulturellen Kontext den gesetzlichen Vorgaben schon einen Schritt voraus sind, können ihre Erfolge auch kommunizieren – es profitiert nicht nur der Nachhaltigkeitsgedanke, sondern es profitieren auch das Unternehmen und seine Kundinnen und Kunden.

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Naturmaterialien wie Hundehaare, Bananenblätter oder Seegras sind organisch und nachhaltig – und durch innovative Technologien schon heute hochfunktional und vielseitig einsetzbar: Naturmaterialien neu denken.

Als Partner des „New European Bauhaus“ erforschen Unternehmen aus dem Netzwerk des Rat für Formgebung, wie Europa bis 2050 klimaneutral werden kann. Mehr zum New European Bauhaus.

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Der Autor: Lutz Dietzold

Geschäftsführer Rat für Formgebung

Lutz Dietzold, Geschäftsführer Rat für Formgebung © Lutz Sternstein
Lutz Dietzold © Lutz Sternstein

Lutz Dietzold (*1966) ist seit 2002 Geschäftsführer des Rat für Formgebung. Zuvor war er selbstständig in der Designkommunikation tätig und verantwortete als Geschäftsführer des hessischen Designzentrums die strategische Neuausrichtung der Designförderung.

Fundiert auf seinem Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Germanistik in Frankfurt hat Lutz Dietzold langjährige Expertise in den Bereichen Design, Marke und Innovation. Sein Augenmerk gilt zudem der Förderung von Design und Designnachwuchs. Seit 2011 ist er Beiratsmitglied der Mia-Seeger-Stiftung und Mitglied im Vorstand der Stiftung Deutsches Design Museum, dessen Vorsitz er 2020 übernahm. Im selben Jahr wurde er in den Beirat des Dieselkuratoriums berufen und setzt sich dafür ein, die Vorreiterrolle wirtschaftlich erfolgreicher Innovatoren zu stärken.

Zudem engagiert sich Lutz Dietzold für die verstärkt internationale Ausrichtung des Rat für Formgebung und seines weltweiten Netzwerks von führenden Unternehmen aus Industrie und Wirtschaft. Dazu zählt der Aufbau einer Tochtergesellschaft in China.

Lutz Dietzold veröffentlicht regelmäßig Beiträge und hält national und international Vorträge zu einer Vielzahl von Themen. Daneben ist er Mitglied in zahlreichen Gremien und Jurys sowie Projektbeirat des Bundespreis Ecodesign des Bundesumweltministeriums.


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