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Die Architektur lernt von Las Vegas, Medien übertragen in Echtzeit, Hochhäuser sehen aus wie Mokkakännchen, und im Design folgt die Form nun dem Spaß. „Alles auf einmal – Die Postmoderne 1967 – 1992“ heißt eine großangelegte Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle. Hat unser Heute mit der Postmoderne begonnen?

Von Thomas Wagner

Wunderkammer mit Karin: Trevor Fiore, Citroën, Modell Karin (1980), © Foto: Fonds de Dotation Peugeot pour la memoire de l’histoire industrielle

Alles so schön bunt hier! – Willkommen in der Postmoderne! Das Design befreit sich vom Funktionalismus und agiert fortan nach dem Motto „form follows fun“. Architekt*innen lernen von Las Vegas, üben sich in Ironie und zitieren ungeniert Formen aus der Baugeschichte. Hochhäuser sehen aus wie Mokkakännchen, Mokkakännchen wie Türmchen und Museen wie Tortenstücke. In der Folge der Mondlandung etabliert sich in den Medien nach und nach eine Kommunikation in Echtzeit. Selbst zementiert scheinende politische Blöcke bröckeln. In Kunst, Mode, Literatur, Musik, Tanz, Philosophie und Film wird lustvoll experimentiert und virtuos mit den Erbschaften der Moderne gespielt. Als visuelle Echos von allerlei Welträumen wandern Blasen und Sphären durch Architektur und Film: Coop Himmelb(l)au laufen in einem aufblasbaren Ball durch Basel, Jane Fonda räkelt sich im schrägen Science-Fiction-Streifen „Barbarella“ als kosmisches Sexsymbol in Plastikkugeln. Der Architekt Hans Hollein schlägt sein Büro in einer transparenten aufblasbaren Zelle samt Telefon und Schreibmaschine auf, und Haus-Rucker-Co hängen bei der documenta 5 ihre „Oase No. 7“ an die Fassade des Kasseler Fridericianums.

Welt im Kopf: Hans Hollein, Architekturpille mit Bleistiftschrift,Non-physical environment, 1967, © Privatarchiv Hollein
Die etwas andere Datenbrille: Walter Pichler, TV-Helm (Tragbares Wohnzimmer) 1967© GeneraliFoundation, Foto: Werner Kaligofsk

Kein Ende der Geschichte, aber der Beginn einer endlosen Gegenwart?

Wer in der Bonner Bundeskunsthalle die Zeitreise in die Postmoderne antreten will, muss durch eine Leinwand gehen, auf der verschiedene Musik-Videos von Annie Lennox, Madonna und anderen Popikonen laufen. Die Geburt der Postmoderne aus dem Geist von MTV? – Sind, was auf die Moderne folgt, nichts als „Sweet Dreams“? Ist man durch die Leinwand hindurchgetaucht, hängt im dunklen Transit zur prall gefüllten Ausstellungshöhle eine kleine Pille. Hans Hollein hat die zweifarbige Kapsel 1967 auf ein Blatt Papier geklebt und mit Bleistift daruntergeschrieben: „Architekturpille mit Bleistiftschrift, non-physical environment“. Die Geburt der Postmoderne aus dem Geist der (pharmazeutisch assistierten) Phantasmagorie? Am Ende wird man im Umkreis von Aids einer weiteren Pille begegnen. Man könnte, Nietzsche als Säulenheiligen der Postmoderne im Kopf, noch eine Weile so weiterfragen: Die Geburt der Postmoderne aus dem Geist der Medien, der Virtualität, des explodierenden Finanzmarkts …?

Die Fantasie ergreift die Macht, die Zeichen tanzen

Tatsache ist: Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre blüht (im Westen) jede Menge Neues, Buntes und Vielfältiges auf. An Aufbruchsphantasien herrscht so wenig Mangel wie an No Future-Bewusstsein und dystopischen Zukunftsszenarien, an Erlebnisökonomien und Kapitalismuskritik. Das Ende des Goldstandards entfesselt einen neoliberalen Finanzkapitalismus, Stuart Brand gibt seinen „Whole Earth Catalogue“ heraus und präformiert auf Papier eine Suchmaschine. Ant Farm steuern einen Cadillac in eine Wand brennender Fernseher – und Ettore Sottsass zeichnet den Planeten als ein permanentes Festival aus psychedelischen Vergnügungsarchitekturen. In einer Welt, die mehr und mehr aus frei flotierenden Zeichen und ohne reale Deckung zirkulierendem Kapital besteht, fallen Original und Kopie in eins. Die Künstlerin Sturtevant setzt Kopien von Werken Andy Warhols und Roy Lichtensteins auf ein Blatt, das in der Wanderausstellung „Art in the Mirror“ im MoMA gezeigt wird. Roland Barthes verkündet den „Tod des Autors“, Marshall McLuhan untersucht, wie Medien den Geist massieren. Von nun an triumphieren Künstlichkeit und Ironie; nichts ist wirklich, aber alles gleichzeitig da.

Elaine Sturtevant, Warhol Flowers, 1969, © Sturtevant Estate, Paris, Foto: Charles Duprat, Courtesy of Galerie Thaddaeus Ropac, London·Paris·Salzburg·Seoul

Nichts ist erledigt, alles gestaltbar

Studio 65 schaffen aber nicht nur einen schaumgeborenen Sessel in Form eines Säulenkapitells, Memphis bricht nicht nur mit seinen exzentrischen Regalen, Tischen, Stühlen und Betten alle Regeln und huldigt dem Kult gemusterten Laminats – es wird zunehmend flexibel und projektorientiert gearbeitet, es entsteht eine Kreativwirtschaft, die auf vermarktbare Unterschiede setzt. Kurzum, die Welt wird in einem umfassenden Sinn (symbolisch und real) zu einem Fall für Gestaltung. Fortan ist alles im Fluss: AIDS beendet die Epoche freier Liebe und verändert die Geschlechterverhältnisse, Jean Baudrillards Simulakren und Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“ machen das Delirium der Zeichen komplett. Die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen, der bunte Reigen nimmt kein Ende.

Eine explodierende Wundertüte

Der Vielfalt postmoderner Phänomene, das wird schnell klar, ist in einer Ausstellung nur schwer beizukommen. Wo Vielfalt mit Asynchronität und Fantasie gemischt und mit Ironie und einem Schuss Anarchie gewürzt wird, verfängt keine simple Definition. Also übersetzt die Ausstellung, was sie unter Postmoderne versteht, in ihrem Titel wie folgt: „Alles auf einmal – Die Postmoderne 1967 – 1992“. Nigel Coates inszeniert die Schau über die Postmoderne als übervolle Wundertüte und Ergebnis einer atemlos-zersplitterten, schweifenden Einbildungskraft und permanent abschweifenden Aufmerksamkeit. War sie eine Epoche, ein Stil oder doch nur eine Mode? Gleichviel. Die These der von Eva Kraus und Kolja Reichert kuratierten Schau ist simpel, hat aber Potenzial, um weiter zu fragen: „Mit der Postmoderne begann unsere Gegenwart. Aus den Ruinen der Moderne, die glaubte alles sortieren und regulieren zu können, entstand eine bizarre, exzentrische Welt der visuellen Oberflächen und der Widersprüchlichkeiten, die uns bis heute prägt.“  Erzählt werden soll „aus einer frenetischen Zeit zwischen Dauerwelle und dem Beginn der Informationsgesellschaft, zwischen Kulturkapitalismus und Schulterpolstern, Memphis-Möbeln und Identitätspolitik“. Damals, so heißt es, „synchronisierten neue Medien den Globus, die Welt wurde zur großen Bühne der Selbstverwirklichung“.

Gaetano Pesce, UP5_6, 1969, 92 × 117 × 137 cm, Kugel Ø 60 cm, © B&B Italia, Vitra Design Museum

Mehr als ein Wiedersehen mit einer bizarren Welt bunter visueller Oberflächen

Dass das 30jährige Bestehen des Baus der Bundeskunsthalle von Gustav Peichl (selbst ein Ergebnis der Postmoderne und Teil des von ihr beförderten Museums- und Kultur-Booms) zum Anlass genommen wird, den Blick darauf zu lenken, dass postmoderne Denkmuster unsere Gegenwart mehr geprägt haben, als unsere Abwehrreaktionen uns einreden mögen, mag zunächst überraschen. Umso wichtiger ist es, die aktuellen Umbrüche und anstehenden Transformationen auf ihre historischen Wurzeln hin zu untersuchen. Wahr ist aber auch: Dabei geht es um mehr als um das Wiedersehen mit einer bizarren Welt bunter visueller Oberflächen. Schließlich lehrt der abermalige Blick auf die tektonischen Verschiebungen, die von den ästhetischen Seismographen der Postmoderne aufgezeichnet wurden: In einer pluralen Welt kommt es darauf an, bestehende Widersprüche auszuhalten, ohne auf ihre Vermittlung in einer Metasprache zu hoffen. Wenn angesichts von Trump, Putin, Fake News und postfaktischem Denken, der neuen geopolitischen Unordnung und der Ich-Manie der sozialen Medien davon die Rede ist, unsere Gegenwart sei so postmodern wie nicht einmal die Postmoderne selbst es gewesen sei, so ignoriert solches Geschichtsdenken, wie sehr sich die Ausgansbedingungen unterscheiden. Energie und Frische eines Aufbruchs treffen aktuell auf eine fundamentale Skepsis gegenüber der Zukunft. Mit der falschen Sehnsucht nach einer alten Ordnung, einem „retour à l’ordre“, war schon damals nichts zu gewinnen. Vielmehr wurde durch die Heraufkunft der Postmoderne deutlich, zu welchen klima- und umweltpolitischen, sozialen und ökonomischen Folgen die Moderne in ihrem lange ungebrochenen Fortschrittsglauben geführt hatte. In den  stählernen und gläsernen Ruinen einer im instrumentellen Denken erstarrten Moderne, die glaubte, alles sei machbar und Ressourcen ließen sich folgenlos ausbeuten, mobilisierte die Postmoderne lustvoll Fantasie und Pluralität als Gegengifte. Niemand vermochte in den 1980er Jahren zu ahnen, wie gründlich Klimakrise, Internet, Big Data, Social Media und KI eine Umwertung der Werte bewirken und die Fantasie kolonisieren würden.

Auf der Suche nach der verlorenen Moderne: Alessando Mendini, Interno di un interno (Sofa), 1990, © Collection Groninger Museum, Photo Heinz Aebi

Alles auf einmal. Die Postmoderne, 1967 – 1992

Bundeskunsthalle Bonn, bis 28. Januar 2024
Der von Studio Yukiko originell, aber   wenig lesefreundlich gestaltete Katalog in deutscher und englischer Sprache mit Essays u. a. von Nikita Dhawan, Diedrich Diederichsen, Oliver Elser, Gertrud Koch, Eva Kraus, Sylvia Lavin, Kolja Reichert und Lea-Catherine Szacka sowie mit Gesprächen u.a. mit AA Bronson, Joseph Vogl und Moritz Schularick, Neville Brody und Eva Kraus, Denise Scott Brown und Kolja Reichert und New Models mit Kevin Driscoll ist im Hirmer Verlag München erschienen und kostet im Museum 39 und im Buchhandel 49 Euro.

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