11 Min Lesezeit

Der Niedergang innerstädtischer Kaufhäuser ist kein städtebaulicher Verlust – im Gegenteil: Er schafft Raum für neue architektonische Konzepte und innovative Stadtentwicklung. Bundesweit entstehen derzeit spannende Projekte – von kreativen Mischnutzungen bis hin zu umfassenden Eingriffen in die bestehende Bausubstanz.

von Florian Heilmeyer

In Herne wurde ein ehemaliges Kaufhaus von Emil Fahrenkamp nach Plänen von HPP Architekten in die „Neuen Höfe“ transformiert – Supermarkt, Fitnessstudio, Gastronomie und Wohnen unter einem Dach | Foto: Andreas Horsky
Das Althoff-Warenhaus von 1929 wurde zum „MarktQuartier“ Recklinghausen | Foto: Marcel Kusch

Was heute wie ein Strukturwandel erscheint, ist in Wirklichkeit ein langfristiger Transformationsprozess: Bereits seit den 1990er-Jahren verlieren klassische Kaufhausformate an Bedeutung. Der Handel und das Einkaufsverhalten der Menschen haben sich grundlegend verändert, wobei sich Outlet-Center an Autobahnen ebenso als „natürliche Konkurrenz“ für Kaufhäuser erwiesen haben wie Online-Shopping mit seinem immer perfekteren System aus Lieferung und Umtausch direkt an der Haustür. Noch in den 1990er-Jahren gab es in jeder mittelgroßen Stadt ein oder zwei dieser typischen Kaufhaus-Kolosse, oft so groß wie ein ganzer Häuserblock. Als sie zunehmend überflüssig wurden, passten einige ihre innere Struktur an und vermieteten immer mehr Flächen an Untermieter wie Drogerien, Supermärkte, Fitnessstudios, beliebte Boutiquen oder Restaurants. Andere schlossen hingegen vollständig. Eine empirica-Studie aus dem Jahr 2024 listet 131 Warenhäuser auf, die seit 1999 in Deutschland geschlossen wurden.

Neue Chancen für die Innenstädte?

Damit entstand auch eine paradoxe Sorge – die Angst vor einem „Aussterben“ der Innenstädte durch den Niedergang der Warenhäuser. Dabei waren es genau diese Kaufhäuser, die vor rund 100 Jahren selbst noch den Vorwurf erhielten, als große Staubsauger alles Leben aus den vielfältigen Innenstädten in ihr unendliches Inneres zu ziehen. Ist das Aussterben der Kaufhaus-Dinosaurier also wirklich ein schlechtes Zeichen für die Innenstädte? Oder steckt in ihrer klugen Umnutzung vielmehr eine enorme Chance zur Neugestaltung? Statt von einer Krise ist heute zunehmend von einem Wandel die Rede. Denn von den 131 geschlossenen Kaufhäusern, so zeigt die empirica-Studie ebenfalls, wurden lediglich 24 abgerissen. Der Vorteil liegt oft in ihrer zentralen Lage sowie der robusten, äußerst flexiblen Stahlbetonkonstruktion mit tiefen, offenen Etagen. Kein Wunder also, dass es mittlerweile zahlreiche gelungene und höchst unterschiedliche Beispiele für eine erfolgreiche Umnutzung gibt.

Hinter der Fassade des „MarktQuartier“ entstand eine vielfältig genutzte Immobilie mit Supermarkt, Hotel, betreutem Wohnen und einer Kita auf dem Dach | Foto: Marcel Kusch

Ein Projekt, viele Strategien: Das MarktQuartier in Recklinghausen

Gleich mehrere aktuelle Umbaustrategien lassen sich exemplarisch an einem einzigen Projekt in Recklingshausen beobachten. Dort stand das ehemalige Althoff-Warenhaus leer – ein monumentaler Bau von 1929, entworfen vom renommierten Kaufhausarchitekten Philipp Schaefer. Zuletzt gehörte es zur Karstadt-Gruppe und wurde im Zuge der ersten Insolvenz des Unternehmens im Jahr 2016 aufgegeben. Bereits 2017 begannen die Projektentwickler von AIP mit einer Umnutzungsstudie. Sie analysierten das Angebot und die Bedarfe im Umfeld und entwickelten für das neue „MarktQuartier Recklinghausen“ eine vielfältige und resiliente Nutzungsmischung: Im tiefen Erdgeschoss zogen ein Supermarkt, eine Bankfiliale, eine Apotheke und ein Restaurant ein. In den Obergeschossen wurden – hinter der historischen Fassade und vor allem in den rückwärtigen, später ergänzten Anbauten – Teile der Rohbaustruktur entfernt. So entstand ein großzügiger, begrünter Lichthof, der nun Licht und Luft für die Zimmer eines Hotels sowie für 87 betreute Wohnungen bietet. Diese kombinieren Angebote der Tages- und Kurzzeitpflege und richten sich insbesondere an ältere Menschen aus der Umgebung. Auf dem Dach des rückwärtigen Bettenhauses wurde zusätzlich eine Kindertagesstätte mit Spielplatz eingerichtet – aus den gesicherten Fensteröffnungen genießen die Kinder heute einen spektakulären Ausblick über die Stadt.

Metamorphose in Neuss: Umbau des ehemaligen Kaufhauses „Horten“ in Kreisverwaltung, Rheinisches Landestheater und das Arthouse-Kino Hitch (1998 – 2000) | Fotos: Holger Knauf

Von Chemnitz bis Oldenburg: Erfolgreiche Umnutzungen im ganzen Land

Das Beispiel aus Recklinghausen ist besonders vielfältig, steht jedoch stellvertretend für zahlreiche vergleichbare Projekte. Überall stellen sich ähnliche Fragen – vor allem: Wie lässt sich mehr Tageslicht in die meist sehr tiefen Geschosse bringen? Und: Welche Nutzungsmischung ist für den jeweiligen Standort langfristig tragfähig? Denn eines ist klar: Eine 1:1-Übertragung eines erfolgreichen Konzepts funktioniert selten. Jede Stadt, jede Immobilie braucht eine eigene Lösung.

Dennoch lassen sich Parallelen erkennen – etwa bei den „Neuen Höfen Herne“. Dort wurde ein ehemaliges Kaufhaus von Emil Fahrenkamp nach Plänen von HPP Architekten in ein Nutzungsgemisch aus Supermarkt, Fitnessstudio, Gastronomie und Wohnnutzung auf dem Dach umgewandelt. Ein weiteres Beispiel ist das deutlich kleinere Projekt „CORE“ in Oldenburg. Hier wurde ein Teil der ehemaligen Hertie-Filiale von engagierten lokalen Geschäftsleuten, die den Leerstand nicht länger hinnehmen wollten, in einen lebendigen Ort der Begegnung verwandelt. Im Erdgeschoss entstand ein Food Court, der nicht nur gutes Mittagessen bietet, sondern auch Raum für Veranstaltungen schafft. Darüber befindet sich ein offener Co-Working-Space mit 150 Arbeitsplätzen. Ergänzt wird das Angebot durch ein Fitnessstudio, eine kleine Bankfiliale und einen Fachhändler.

Auch in Düsseldorf setzt man auf kreative Nachnutzung: Das Architekturbüro RKW verwandelte einen ehemaligen Kaufhof kurzerhand in einen großflächigen Feinkost-Supermarkt mit einem Hotelaufbau. Und selbst in den Großstädten sind diese Strategien längst angekommen – etwa beim „NEO“ in Leipzig, am „Stachus“ in München oder beim Projekt „Kalle Neukölln“ an der Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln.

Projekt „Kalle Neukölln“ von Max Dudler in Berlin-Neukölln | Foto: Markus Loeffelhardt
Bestand in der Karl-Marx-Straße
Bestand an der Ganghofer Donaustraße
Zur Straßenseite hin zeigt sich das „Kalle Neukölln“ mit einer weißen Kunststeinfassade, während auf der Rückseite eine bronzefarbene Metallfassade mit großen Fensterflächen den neuen Charakter betont. | Foto: Stefan Müller

Spektakel statt Schnäppchenjagd: Das „Kalle Neukölln“ in Berlin

Das Projekt „Kalle Neukölln“ wurde ab Frühjahr 2024 sukzessive eröffnet. Auch hier zeigt sich der Trend zur vielfältigen Mischnutzung: Ursprünglich wurde das Gebäude als Quelle-Kaufhaus mit einem rückwärtigen Parkhaus errichtet, das sich quer durch den gesamten Block zog. Zuletzt diente es kaum mehr als Resterampe für Karstadt-Sonderangebote – ein Symbol für den Niedergang der klassischen Warenhausstruktur.

2017 hat der Investor MREI das Areal übernommen. Nach Entwürfen von Max Dudler wurde es seither umfassend transformiert. Die alten Fassaden wurden entfernt, ebenso die massive Betonspirale in der Blockmitte, über die früher Autos durchs Parkhaus fuhren. Dadurch gelangt nun deutlich mehr Tageslicht in die tiefen Geschosse. Zusätzlich wurde ein neues Atrium in den Rohbau geschnitten, das für Helligkeit und Großzügigkeit sorgt.

Zur Karl-Marx-Straße hin zeigt sich das Gebäude mit einer klaren, weißen Kunststeinfassade, während auf der Rückseite – am einstigen Parkhaus – eine bronzefarbene Metallfassade mit großen Fensterflächen den neuen Charakter betont. Künftig sollen hier Büros entstehen – flexibel zugeschnitten auf die Bedürfnisse der internationalen Start-up-Szene im aufstrebenden Nord-Neukölln. Entsprechend gibt es Büroflächen in unterschiedlichsten Größen.

Im Erdgeschoss befinden sich ein Plattenladen und ein Food Court, im Untergeschoss ein Supermarkt. Zu den Mietern der Obergeschosse zählen ein Start-up-Hub, „Smartvillage“ als Veranstaltungsfläche, die Code Universität und ein Co-Working-Anbieter. Die Dachterrasse mit Infinity Pool erstreckt sich auf über 4.000 Quadratmeter und wird noch im Sommer 2025 eröffnet. Man setzt also auf Spektakel statt auf Schnäppchenjagd.

Projekt UP! Berlin: Jasper Architects und Gewers Pudewil haben das Gebäude nach Innen hin geöffnet. Die sogenannten „Voids“ bringen viel Licht für die Arbeitsplätze im Inneren | Foto: © HG Esch

Licht als Schlüsselfaktor für die Umnutzung

Das „UP!“ in Berlin zeigt eine andere Taktik: Am Ostbahnhof hatte die Rene Benkos Signa Holding noch kurz vor der eigenen Insolvenz das ehemalige Centrum Warenhaus aus DDR-Zeiten – später Hertie, dann Kaufhof – erworben. Im Erdgeschoss wollte man Gastronomie, Supermarkt und Fitness-Studio ansiedeln, was bisher nur mäßigen Erfolg hatte. Aber die Obergeschosse sind hinter einer neuen Glasfassade zu hellen Büros geworden. Dafür hat die Arbeitsgemeinschaft aus Jasper Architects und Gewers Pudewil keine Innenhöfe in die Stahlbetonstruktur geschnitten, sondern gebäudehohe Kerben in die vier Seiten geschlagen, als hätte man einen Stahlbetonrohling mit der Axt behauen wie ein Bildhauer. Die sogenannten „Voids“ bringen Licht und neue Sichtbeziehungen für die Arbeitsplätze im Inneren. Eingezogen ist auf allen Etagen ausgerechnet der Online-Händler Zalando, der ja selbst als eine der Ursachen für das Kaufhaussterben gelten darf. Es klingt eher wie eine Geschichte aus dem Tierreich: Der Jäger nistet sich in der leeren Höhle des erlegten Beutetieres ein.

UP! Berlin“ von Jasper Architects und Gewers Pudewil | Foto: © Jasper Architects

Kommunale Pioniere: Chemnitz und Neuss

Dass Nachnutzungen nicht nur kommerziell gedacht sein müssen, zeigen Beispiele aus Chemnitz und Neuss – zwei sehr unterschiedliche Städte mit bemerkenswert ähnlichen Strategien. In Chemnitz hatte Kaufhof das denkmalgeschützte Kaufhaus „Schocken“ – ein ikonischer Bau des Architekten Erich Mendelsohn von 1930 – bald wieder aufgegeben. Zu aufwendig, zu pflegeintensiv. Stattdessen plante der Konzern einen Neubau und erhielt von der Stadt ein Grundstück im Tausch. Die Kommune übernahm das historische Gebäude und entwickelte es bis 2014 zum Sächsischen Landesmuseum für Archäologie (smac). Seither verzeichnet das Museum außergewöhnlich gute Besucherzahlen – in bester Innenstadtlage.

Auch in Neuss wurde früh umgedacht. Hier waren es die Architekten Oliver und Robert Ingenhoven, die das Potenzial des leerstehenden Horten-Kaufhauses erkannten und die Stadtverwaltung überzeugten. Anstatt das Gebäude abzureißen, übernahm es die Stadt selbst und ließ es für die kommunale Verwaltung und das Sadttheater umbauen. Platz für Gastronomie, eine öffentliche Passage und ein Kino war auch noch. Der einzige Wermutstropfen: Die markante Wabenfassade des Gebäudes wurde im Zuge der Belichtung optimierenden Sanierung entfernt – ein Verlust, der bei vielen Umnutzungen zugunsten größerer Lichtflächen in Kauf genommen wird.

Trotzdem gilt der Umbau von Neuss – eröffnet bereits im Jahr 2000 – als früher und erfolgreicher Vorreiter einer städtisch-kulturellen Transformation von Kaufhausimmobilien. Gemeinsam mit dem „Schocken“ in Chemnitz zeigen diese Beispiele, wie öffentliche Hand und kulturelle Nutzung zur Revitalisierung zentraler Lagen beitragen können.

In Stuttgart öffnen OLIV Architekten die geschlossenen Fassaden zur Stadt und zum Park hin. Auftraggeber ist die LBBW Immobilien Management GmbH. | Visualisierung: Oliv Architekten

Die nächste Generation der Kaufhäuser entsteht gerade

Angesichts dieser ausgewählten Beispiele lässt sich mit Recht von einer echten Welle des Kaufhausumbaus sprechen – und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Sobald ein Kaufhaus leer steht, wird heute immer schneller eine neue Nutzung gefunden. Die nächsten Projekte sind bereits in Planung oder kurz vor der Fertigstellung – und sie versprechen weitere wegweisende Beispiele für gelungene Transformationen:

In Mannheim steht das Projekt „New 7“ vor dem Abschluss. Die Architekten blocher partners erhalten Unter- und Erdgeschoss sowie Teile der ersten Etage der ehemaligen Galeria Kaufhof Filiale – was ein ökologischer Gewinn für die Stadt ist, die Bauzeit verkürzt und die für den Bau benötigte Energie optimiert. Darüber werden Praxen, Büros und Wohnungen in Holzbauweise errichtet – eine klassische Mischnutzung. Im Sockel entstehen Flächen für Gastronomie und Einzelhandel.

In Lübeck wird ein ehemaliger Karstadt Sport in ein Schul- und Bildungszentrum umgewandelt. In Stuttgart öffnen OLIV Architekten die geschlossenen Fassaden eines ehemaligen Karstadt-Sport-Hauses zur Innenstadt und zum angrenzenden Park hin: Eine raumhohe Glasfassade ersetzt das bisher hermetisch wirkende Äußere – eine neue Verbindung zur Stadt entsteht.

Auch in Braunschweig schreitet die Umnutzung voran: Hier wurde kürzlich ein Wettbewerb zur Nachnutzung eines 1978 errichteten Kaufhauses von Gottfried Böhm, dem deutschen Pritzker-Preisträger, entschieden. Zwar werden die markanten, geschwungenen Biberschwanz-Fassaden, die ursprünglich auf die Altbauten der Umgebung Bezug nahmen, nicht erhalten – doch der Entwurf des Wettbewerbssiegers, des Büros Adept aus Kopenhagen nimmt immerhin gestalterische Anleihen an Böhms Formsprache. Im Inneren entsteht mit dem „Haus der Musik“ ein neues kulturelles Zentrum: eine lebendige Mischung aus Konzertsaal, Kultur- und Musikzentrum der Stadt. Die Altstadt dürfte spürbar von dieser neuen Nutzung profitieren.

Die Vielzahl gelungener Nachnutzungen zeigt: Leerstand muss nicht das Ende bedeuten – sondern kann der Anfang einer neuen, besseren Idee sein. Es ist höchste Zeit, den Wert solcher Immobilien nicht nur funktional, sondern auch kulturell, städtebaulich und gesellschaftlich neu zu denken. Denn eines steht fest: Als Gesellschaft sollten wir durchaus in der Lage sein, uns etwas Besseres vorzustellen als  ein Kaufhaus alter Prägung.

In Braunschweig wird ein ehemaliges Kaufhaus von 1978 zum „Haus der Musik“ umgebaut. Die geschwungenen Biberschwanz-Fassaden von Gottfried Böhm müssen schwinden, doch das Büro Adept aus Kopenhagen nimmt gestalterisch Bezug auf Böhms Formsprache. | Visualisierung: © ADEPT

Foto: Lena Giovanazzi

Über den Autor

Florian Heilmeyer, geboren 1974, lebt und arbeitet mobil, aber überwiegend in Berlin. Er studierte Architektur in Berlin und Rotterdam, und veröffentlichte während des Studiums erste Texte. Er arbeitet seitdem als Kritiker, Journalist, Redakteur, Berater und Kurator am Forschungsfeld Architektur Gesellschaft und Stadt. Er schreibt für die Fach- und Tagespresse weltweit, ist Herausgeber und Mitherausgeber zahlreicher Fachbücher und war an zahlreichen Ausstellungen beteiligt, darunter zweimal am deutschen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig. Aktuell begleitet er die Ausstellung „Umbau“ von Gerkan Marg und Partner auf ihrer Welttournee.”

Auf Social Media teilen


Mehr auf ndion

Weitere Beiträge zum Thema Architektur.