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Als Partner der Initiative „New European Bauhaus“ der Europäischen Kommission erforschen Unternehmen aus dem Netzwerk des Rat für Formgebung, wie Industrie und Wirtschaft dazu beitragen können, Europa bis 2050 klimaneutral zu gestalten.

Mitte Mai fand aus diesem Anlass das Online-Event »Shaping a sustainable world by design« als erstes einer Reihe von Kongressen statt. Geladene Speaker waren Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber, Direktor Emeritus des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Alessandro Rancati, Policy Analyst am JRC, dem Wissenschafts-Service der EU-Kommission, dem Planungsbüro des New European Bauhaus. Björn Asmussen vom Architektur- und Designbüro 3deluxe und Maria-Liisa Bruckert von der Siemens AG stellten beispielhafte Projekte ihrer Unternehmen vor.

1,5 Grad Celsius

Kippelemente im Erdystem
Kippelemente im Erdystem können große Auswirkungen auf die ganze Umwelt haben. © PIK

Das Übereinkommen von Paris, das 2015 von den 195 Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Anschluss an das Kyoto-Protokoll vereinbart wurde, legt das Ziel fest, den menschlichen Beitrag zur Klimaerwärmung auf weniger als 1,5 °C im Vergleich zu vorindustriellen Werten zu begrenzen. Der „Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung“ bekräftigte 2018 erneut den akuten Handlungsbedarf und untersuchte die Möglichkeiten, das Klimaziel erfolgreich zu erreichen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber ist ein international renommierter Klimaforscher, der bereits die Bundesregierung und den Vatikan in Klimafragen beraten hat und jetzt eng mit der Europäischen Kommission zusammenarbeitet. Er hat sich intensiv mit den wissenschaftlichen Hintergründen des Themas auseinandergesetzt. Der Wissenschaftler erklärt den Zielwert von 1,5 – 2 Grad „mit einer Theorie, die ich vor längerer Zeit gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vorgestellt habe über disruptive Ereignisse in der planetaren Maschinerie, wie etwa das Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes oder das Absterben des Amazonas-Regenwaldes. Wir können zu einem gewissen Maß berechnen, wo das passiert und welches Maß an Erwärmung diese Elemente typischerweise zerstören kann.“ Schellnhuber betont die Dringlichkeit schnellen Handelns. „Wir müssen in die Gänge kommen!“ Denn der Aufwand wird gewaltig: eine Studie des „Intergovernmental Panel on Climate Change” (IPCC) hat sich 2018 mit möglichen Lösungen auseinandergesetzt. Sie zeigt, dass es nicht mehr bloß ausreicht, die Treibhausgasemissionen auf null zu senken. „Nach 2025-2040 müssen wir aktiv CO2 aus der Atmosphäre extrahieren“, so Schellnhuber.

CO2-Emissionen müssen aktiv aus der Atmosphäre entzogen werden
CO2-Emissionen müssen aktiv aus der Atmosphäre entzogen werden. © PIK

Die Trumpfkarte für das New European Bauhaus

Der Elefant im Raum: Gebaute Umwelt
Die Bebauung der Umwelt ist einer der größte Verursacher von Treibhausgasen und Abfall in Industriestaaten. © PIK

Durch Aufforstung und sinnvolles Management ließe sich laut IPCC beispielsweise Biomasse generieren, die Kohlenstoff aus der Atmosphäre durch Fotosynthese absorbiert. Diese Biomasse kann dann als Energieträger genutzt und verbrannt werden, wobei das CO2 aufgefangen und gespeichert wird (BECCS). Die übrigbleibende Biomasse müsse dann aber „irgendwo versteckt werden“, so Schellnhuber. „Diese gewaltige Menge lässt sich jedoch nicht auf die Weise bewältigen, die der IPCC erdacht hat“ erklärt er. Im IPCC Bericht werden technische Lösungen der Kohlenstoffbindung eingepreist, die es zurzeit noch nicht im benötigten Ausmaß gibt oder mit ausreichender Effizienz zur Verfügung stehen.  „Aber was getan werden kann, ist in der Tat eine viel bessere Lösung – und zwar etwas, das in Hinblick auf die Wertschöpfung nicht konterintuitiv ist: eine ‚Trumpfkarte‘ sozusagen. Der Unterschied liegt also in der Nutzung der Biomasse, energetische Nutzung vs. stoffliche Dauernutzung.“

Schellnhuber sieht in der gebauten Umwelt das eigentliche Problem. „Über 40 Prozent der weltweiten Emissionen werden durch Bebauung verursacht, durch das Errichten, Betreiben und Abreißen von Bauwerken. Auch werden 55 Prozent der Abfälle dadurch verursacht“, so Schellnhuber. Er sieht darin allerdings auch die mögliche Lösung des Problems: „Man kann die größte Quelle von Emissionen nehmen und sie in einen ‚Abfluss‘ für Emissionen verwandeln. Und das hat mit Fotosynthese zu tun. Die Grundidee ist, wenn man genug Wald bereitstellt – und das schließt eine massive Aufforstung ein – kann das gewonnene Holz als Baumaterial verwendet werden.“ So ließen sich nicht nur die Emissionen von Zement, Beton und Stahl vermeiden, sondern das Holz würde selbst Emissionen aus der Atmosphäre aufnehmen und langfristig speichern. „Ich sehe darin die bestmögliche Lösung, die tatsächlich nur Vorteile hat; wenn auch vielleicht nicht für die Betonindustrie“ so Schellnhuber.

Forward to Nature!

Forstwirtschaft als Trumpfkarte des New European Bauhaus
Holz kann Emissionen aufnehmen, speichern und als Baumaterial dienen.

Nicht nur hinsichtlich der Vorteile für das Klima, sondern auch für die Art, wie wir Städte planen und errichten und uns an die globale Erwärmung anpassen, schwebt Schellnhuber ein „Bauhaus für die Erde“ vor. Strebte Walter Gropius ursprüngliches Bauhaus „die Sammlung allen künstlerischen Schaffens zur Einheit, die Wiedervereinigung aller werk-künstlerischen Disziplinen zu einer neuen Baukunst“ an, so möchte Schellnhuber nun führende Expertinnen und Experten vereinen, um ein derartiges interdisziplinäres Gesamtkunstwerk für den harmonischen Umgang mit der Umwelt zu erschaffen.

Jüngste technische Entwicklungen machen es beispielsweise möglich ganze Wolkenkratzer aus Holz zu errichten. So sei es möglich, Holz zu verdichten und zu einem Material zu verarbeiten, das stärker ist als Stahl. Auch böten beispielsweise Termitenhügel oder die Oasenstädte der Sahara interessante Designkonzepte für neue Dimensionen im Siedlungsbau. Insbesondere die Nutzung von Holz ist für Schellnhuber dabei keine romantische Vorstellung. Ihm gehe es nicht darum, technisch in die Zeit vor der Industrialisierung zurückzukehren, sondern Naturmaterialien, organische Architektur und künstliche Intelligenz miteinander zu verbinden: „Die Städte der Nachkriegszeit wurden als Imitation von Maschinerien konzipiert und die Menschen fühlen sich darin auch nur so wohl, als würden sie in einer Maschine leben. Die Natur bahnt sich nun aber ihren Weg zurück in die graue und hässliche gebaute Umwelt“, so der Klimaforscher, „Biologie, nicht Physik wird die führende wissenschaftliche Disziplin des 21. Jahrhunderts sein.“ Schellnhuber fast eine klare Vision zusammen: „Wir stehen in der Tat am Fuß einer zivilisatorischen Steilstufe, die sich nur noch mit der Neolithischen und der Industriellen Revolution vergleichen lässt. Aufbruch ins cyber-organische Zeitalter, High-Tech trifft No-Tech: Vorwärts in die Natur!”


New European Bauhaus: Beautiful, sustainable, together

Alessandro Rancati ist Policy Analyst am Joint Research Centre (JRC), dem Wissenschafts-Service der EU-Kommission und Planungsbüro des New European Bauhaus. Er beschreibt das „Solar Punk“-Genre der Science-Fiction als eine seiner Inspirationsquellen für die Arbeit am New European Bauhaus: Wie sähe die Welt aus, wenn alle Umweltprobleme gelöst würden?

Rancati erklärt, dass die Kommission besonders daran interessiert sei, herauszufinden, wie alle von uns beim New European Bauhaus involviert werden können: „Die Initiative soll dem Green Deal einen konkreten Touch verleihen. Das hat in gewisser Weise ein Branding-Element, einen narrativen Ansatz rund um die Kernthemen ‚beautiful, sustainable, together‘. Wie können wir Orte und Erfahrungen schaffen, die schön, nachhaltig und inklusiv sind? Dabei geht es nicht nur um Bauwerke, sondern um die Räume, die wir teilen. Wie interagieren wir mit Menschen, Tieren, Pflanzen?“

Dabei soll das Augenmerk nicht primär auf die Herausforderungen liegen, die uns noch bevorstehen, sondern Projekte ins Rampenlicht setzen, die bereits verwirklicht werden, betont Rancati. Er hebt ein Kenkonzept des New European Bauhaus hervor: „Es ist kein One-Size-Fits-All-Modell. Die EU-Kommission will zuhören und verstehen, welche Orte Bürgerinnen und Bürger, Expertinnen und Experten bereits als Erfolgsbeispiele dieses Konzepts betrachten und welche Vorstellungen sie für die Schaffung solcher Räume haben.“

Dafür lobt die Kommission Preise für Pilotprojekte aus, zu einen für bereits verwirklichte Projekte und für „Rising Stars“, Ideen von Personen unter 30.


Grüne Architekturräume

V-Plaza, Kaunas
V-Plaza, Kaunas. © 3deluxe

Björn Asmussen entwickelt mit dem Architektur- und Designbüro 3deluxe unterschiedliche Konzepte für umweltfreundliche und menschenwürdige Städte. 3deluxe nutzt innovative Materialien und Technologien für zukunftsweisende Architekturlösungen, die den Herausforderungen durch die Klimakrise und den resultierenden urbanen und sozialen Dilemmata begegnen.

Eines dieser Projekte ist der V-Plaza im Litauischen Kaunas. Dieser kraftwagenbefreite Raum kann vielseitig genutzt werden und lädt Menschen mit ausgedehnten Flächen, Wasserbecken und Fontänen dazu ein, hier gemeinsam zu Picknicken, Filme zu schauen oder zu skateboarden. Als „Urban Hub“ bietet der Plaza Raum für Mikromobilitätslösungen. Bei der Konzeption spielte die Frage eine Rolle, welche Geschäfte oder Infrastruktur in unmittelbarer Nähe gebraucht wird, welche weiter abseits liegen können.

Ein weiteres Beispiel für die Architekturlösungen des Studios ist das Projekt-Konzept „The Ark“ in Manhattan, New York. Es beruht auf der Grundidee der „Green Densification“, der grünen Verdichtung: Begrünte Dächer reduzieren die Hitzeeinwirkung des interaktiven Bauwerks, seine Bewohnerinnen und Bewohner können hier inmitten der Großstadt mit der Natur in Berührung bleiben. Das Konzept folgt der „50/50 Regel“ von 3deluxe: Mindestens die Hälfte dessen, das gebaut wird, sollte Natur sein.

Grüne Städte fürs New European Bauhaus: The Ark, New York.
The Ark, New York. © 3deluxe

Ökosysteme errichten

Maria-Liisa Bruckert von der Siemens AG stellt die smarten und energieeffizienten Infrastrukturprojekte des Technologiekonzerns vor: Siemens betrachtet Gebäude dabei als Ökosysteme, die sich beständig weiterentwickeln und an die Bedürfnisse der Menschen anpassen müssen. Dafür werden smarte Bauwerke mit intelligenten Energielösungen verbunden. Beispiele für diesen Ansatz sind das Projekt Wunsiedel und das Einkaufszentrum Sello in Finnland.

Im oberfränkischen Wunsiedel ist Wasserstoff eine entscheidende Energiequelle. Mit Sonnen -und Windenergie gewonnen dient das brennbare Gas als Ressource und Energiespeicher. Darüber hinaus werden die bei der Elektrolyse entstehende Wärme und der freigesetzte Sauerstoff ebenfalls in den Energiekreislauf von Wunsiedel integriert.

Das finnische Sello befindet sich seit 20 Jahren in belebter Entwicklung, indem es gemeinsam mit seinen Kundinnen und Kunden einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt und Antworten für die Frage finden möchte, wie deren Bedürfnisse verwirklicht werden können. Herausgekommen ist dabei ein interaktives und nachhaltiges Ökosystem, das sich auch weiterhin entwickelt. Das Bauwerk vereint Photovoltaik-, Wasserstoff- und Windenergie und unterstützt E-Mobilität.

Gebäude als Ökosystem: Sello in Finnland
© Siemens

Mehr über das New European Bauhaus

Hans Joachim Schellnhuber

Visionär des New European Bauhaus, Prof. John Schellnhuber
© PIK/Karkow, 2020

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim „John“ Schellnhuber ist u. a. Mitglied der Deutschen Nationalakademie Leopoldina und der US National Academy of Sciences. Als Gründungsdirektor leitete er das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) von 1992 bis 2018. Er arbeitete als wissenschaftlicher Berater u. a. für Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. 2011 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 2021 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Seit 2019 beschäftigt sich Schellnhuber intensiv mit der Schaffung eines „Bauhauses der Erde“.

New European Bauhaus

© New Europan Bauhaus

Das New European Bauhaus wurde von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, im September 2020 initiiert. Das New European Bauhaus folgt den Grundwerten »sustainability, aesthetics and inclusiveness« (Nachhaltigkeit, Ästhetik, Inklusivität). Am Berührungspunkt von Kunst, Kultur, sozialer Inklusion, Wissenschaft und Technologie soll die Initiative untersuchen, wie unsere Lebensweisen zukünftig gestaltet werden können, um Europa im Rahmen des European Green Deal bis 2050 erfolgreich klimaneutral zu machen.

Als offizieller Partner des New European Bauhaus unterstützt der Rat für Formgebung die Initiative mit seinem ausgedehnten Netzwerk innovativer Designunternehmen. Unternehmen und Forschungsinstitute der Stiftung aus dem Kreis seiner Mitglieder setzen sich aktiv mit der Frage auseinander, wie die Industrie sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen muss und welche Veränderungen Unternehmen umsetzen müssen, um eine grüne Wirtschaft und nachhaltige Produktion zu erreichen. Wichtig ist dabei auch der Beitrag zum öffentlichen Verständnis der Thematik durch positive Kommunikation als Branding.

Homepage der Initiative.

Der European Green Deal

Der europäische Grüne Deal beinhaltet einen Aktionsplan, der durch eine effizientere Nutzung von Rohstoffen in einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft die natürliche Vielfalt wiederherstellen und die Umweltverschmutzung bekämpfen will. Das Ziel ist es, die EU bis 2050 klimaneutral umzugestalten. Dazu sind alle Bereiche der Wirtschaft eingeladen, sich in unterschiedlichen Themenfeldern für umweltfreundliche und klimaeffiziente Methoden und Technologien stark zu machen. Zwischen 2021 und 2027 stellt die EU 100 Milliarden Euro für die am stärksten betroffenen Regionen zur Umsetzung bereit.


Sustainable Branding: Panel-Diskussion auf der „Fashionsustain“ zur Frankfurt Fashion Week

Fashionsustain
© Messe Frankfurt Exhibition GmbH

Der Rat für Formgebung veranstaltet im Rahmen der Frankfurt Fashion Week eine Panel Diskussion auf der Konferenz Fashionsustain zum Thema „Sustainable Branding“.

Genau hier sind Design und Marke gefragt. Design und Marke geben Orientierung und Identifikation, verkörpern Werte, sind sinnlich und emotional und können Entscheidungen beeinflussen. Aber was genau bedeutet nachhaltige Markenführung? Wie kann eine entsprechende Markenstrategie aufgebaut werden? Und was heißt Glaubwürdigkeit in diesem Zusammenhang? Wie sieht gute Kommunikation von Nachhaltigkeit aus? Wie kann Design und Markenführung die nachhaltige Transformation eines Unternehmens unterstützen? Darum geht es bei der Panel Discussion „Sustainable Branding“ auf der Fashionsustain 2021.

Zu den Speakern gehören Matthias Mey (Managing Partner at Mey GmbH & Co KG), Heidrun Angerer (Executive Creative Director at Peter Schmidt Group), Bernd Draser (Lecturer at ecosign / Akademie für Gestaltung) und Lutz Dietzold (CEO German Design Council).

Termin: Do. 8. Juli, ca. 14:20 bis 14:50 Uhr
Moderator: Siems Luckwaldt, Journalist für Mode, Lifestyle, Beauty, Uhren, Mindfulness


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