Die Pässe des Kongeriket Norge, wie Norwegen offiziell in der Verwaltungssprache Bokmål genannt wird, haben seit kurzem ein frisches neues Design. Bis der Entwurf des Osloer Designstudios Neue umgesetzt war, hat es lange gedauert. Das Warten auf die norwegischen Pässe hat sich gelohnt.
Von Thomas Wagner.
Was die abwechslungsreiche Gestalt seiner Naturlandschaften angeht, ist Norwegen ohne Zweifel ein einzigartiges Land. Sofern man abgelegenen fiktiven Quellen wie Douglas Adams‘ Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ Glauben schenken mag, wurde der Planetengestalter Slartibartfaß dereinst sogar für das Design der Küste des nordischen Landes mit ihren tief eingeschnittenen und weit ins Landesinnere reichenden Fjorden ausgezeichnet. Wie dem auch sei, die Landschaften zwischen Nordkap und Skagerrak, mit ihren schroffen Bergen und blauschimmernden Gletschern, kargen Hochflächen, fruchtbaren Tälern und weitverzweigten Küstenfjorden, sind gleichwohl ein geografisches Markenzeichen.
Norwegische Pässe in Lachsrot, Türkis und Weiß
Betrachtet man die neuen norwegischen Pässe, die seit Mitte Oktober ausgegeben werden, so fallen zunächst die in frische Pastellfarben getauchten Umschläge ins Auge. Insgesamt sieben Varianten werden ausgestellt, die im Wesentlichen durch drei Farben gekennzeichnet sind: Der gewöhnliche Pass für norwegische Staatsbürger hat einen lachsroten Einband, Pässe für Diplomaten, Dienst- und Sonderpässe sind türkisfarben, Reisepässe für Notfälle weiß eingeschlagen. (Hinzu kommen Einwandererpässe in Grau und Flüchtlingsreiseausweise in Blau).
Die Beschriftung ist nach wie vor in Gold ausgeführt, allerdings sind die Angaben in Bokmål, Neunorwegisch, Nordsamisch und Englisch sowie das Landeswappen nicht mehr, wie bisher, zentriert, sondern linkbündig gesetzt. Das macht den Umschlagbogen im Auftreten weniger gravitätisch und lässt die alten Pässe in ihrem dunklen Weinrot tatsächlich wirken, als entstammten sie einer fernen, etwas verstaubten Vergangenheit. Eine Forderung des zweistufigen Designwettbewerbs von 2014 war es denn auch gewesen, ein Konzept mit einem erkennbaren Thema und einem funktionalen Design von hoher Qualität zu entwickeln. Ein weiterer Grund für die Neugestaltung bestand darin, dass die Sicherheit der norwegischen Pässe, Personalausweise und Reisedokumente verbessert werden sollte.
Identifikation durch Design
Ausweisdokumente haben eine offizielle hoheitliche Funktion, für ihre Besitzer aber auch eine private Bedeutung. Die Inhaber des Dokuments sollten sich deshalb als stolze Besitzer fühlen können und die Dokumente respektvoll behandeln. Deshalb war es den Gestaltern des Osloer Designstudios Neue von Beginn an wichtig, dass der Reisepass nicht nur als offizielles Dokument wahrgenommen werden sollte. Seine gesamte Anmutung oder ästhetische Ausstrahlung sollte bewusst zur Identifikation seines Inhabers mit seinem Land beitragen, das Design über Unterschiede wie Alter, Geschlecht und Regionen hinweg ein Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit mit Norwegen bezeugen.
Berge, Gletscher, Küstenfjorde
Gewonnen hat Neue den Wettbewerb seinerzeit mit dem Konzept, den tief in der Geschichte des Landes verankerten Bezug zur Natur und den verschiedenen Landschaften Norwegens ins Zentrum zu stellen: „Die Landschaften, die uns umgeben“, schreiben die Designer, „vermitteln ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Stolzes und erfüllen eine symbolische Funktion für die gesamte Nation. Landschafts- und Landschaftsbilder können leicht zu Klischees werden, aber dadurch, dass sie allgemein akzeptiert und tief in der norwegischen Kultur verwurzelt sind, kann man sich auch sehr leicht mit ihnen identifizieren. Darüber hinaus ist die Natur für Norweger mehr als nur eine schöne Landschaft. Sie versorgt uns mit reicher Fischerei, sauberer Wasserkraft und verschiedenen anderen Industrien“.
Spiel mit Punkten und Linien
Als außergewöhnlich am Grafikdesign der Pässe erweist sich aber nicht allein, dass es überhaupt die Natur und die ikonischen, spärlich bewohnten und oft erhaben wirkenden Landschaften Norwegens in einem breiten Panorama von Norden nach Süden ins Zentrum rückt. Erst durch die Art und Weise, wie bei der Darstellung auf touristische Abziehbilder verzichtet und konsequent von bloßen Postkartenidyllen abstrahiert wird, entsteht etwas Eigenes.
Da auf diese Seiten der Pässe Visa und andere Informationen gestempelt werden, die perfekt lesbar sein müssen, sind die bildhaften Darstellungen gleichsam durchsichtig in hellen Blautönen ausgeführt. Das erinnert einerseits an Wasserzeichen, andererseits an die subtile Zeichnung auf Geldscheinen. Wie hier beispielsweise die steil aus dem Meer ragenden Berge der Lofoten mittels zarter Lineamente, Kreuzschraffuren und Punkten als ebenso schroffe wie erhabene Naturpyramiden vergegenwärtigt werden, zeichnet ein Landschaftsbild ganz eigenen Reizes. Vollends magisch wirkt die Szenerie, wenn Details unter UV-Licht in lebhaften Tönen erstrahlen und so gleichsam zum Leben erwachen – etwa das sich schleierförmig über den Himmel ausbreitende Licht der Aurora Borealis oder Licht, das auf bestimmte Schichten der Küstenlinie fällt.
Bis ins Detail durchdacht und gekonnt ausgeführt, erweisen sich die typischen, wie Erinnerungen aus dem kollektiven Gedächtnis auftauchenden Landschaften als Musterbeispiele auf Nötige reduzierten skandinavischen Designs. Dass ein Reisepass die Zugehörigkeit zu einer Nation dokumentiert, versteht sich von selbst; dass dies auf überzeugende Weise auch ästhetisch zum Sprechen gebracht wird, keineswegs. Kein Wunder, dass schon vor sechs Jahren, als das Konzept vorgestellt wurde, vom „coolsten Reisepass auf diesem Planeten“ die Rede war und die britische Tageszeitung The Guardian fragte: „Ist Norwegens neuer Pass schon jetzt ein Designklassiker?“ Leicht vorstellbar, dass, selbst wer per Anhalten durch die Galaxis reiste, mit so einem Pass überall Staunen erregen würde.
Alle Bilder © Catharina Caprino
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