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Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth hat die „Donut-Ökonomie“ erfunden. Für das weltweit erfolgreiche Konzept wurden sie und das Doughnut Economics Action Lab (DEAL) im Rahmen der Verleihung des German Design Award 2025 als „Personality of the Year“ ausgezeichnet. Wir haben am Rande der Award Show mit ihr gesprochen.

Interview von Ulrich Hoffmann

Kate Raworth und das Doughnut Economics Action Lab (DEAL) erhielten die Auszeichnung „Personality of the Year“ 2025 | Foto: Johannes Frandsen

Herzlichen Glückwunsch! Sie und Ihr DEAL-Team erhalten den German Design Award 2025 als „Personality of the Year”. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Kate Raworth: Es ist eine riesige Ehre. Und zwar ganz besonders, weil sie von der Design-Community kommt. Ich habe während des Schreibens meines Buches erkannt, dass Ökonomie eigentlich eine Designaufgabe ist. Aber diese Auszeichnung ist nicht nur für mich – sie gehört allen, die die Donut-Ökonomie in die Praxis umsetzen.

Bitte erklären Sie kurz die wichtigsten Prinzipien der Donut-Ökonomie.

Die Grundidee ist, dass wir die Bedürfnisse aller Menschen innerhalb der ökologischen Grenzen unseres Planeten erfüllen müssen. Ich habe ein Diagramm erstellt, das die Mindestbedürfnisse der Menschen als inneren Kreis und den maximalen Druck, den die Erde von der Menschheit ertragen kann, als äußeren Kreis darstellt. So entsteht ein Doppelkreis: der Donut. 

Wir müssen weg vom Fokus auf unendliches ökonomisches Wachstum und das Bruttoinlandsprodukt. Wir dürfen die Wirtschaft nicht isoliert sehen, sondern müssen sie verstehen als eingebettet in die Gesellschaft und die Umwelt. Wir dürfen nicht länger an das klassische Modell des „homo oeconomicus“ glauben, den rational handelnden, eigennützigen Wirtschaftsmenschen. Stattdessen müssen wir anerkennen, dass Menschen sozial und kooperativ sind. Wir müssen aktiv dafür sorgen, dass Wertschöpfung gerecht verteilt wird. Und wir müssen von einem ausbeuterischen, zerstörerischen Wirtschaftssystem zu einem regenerativen System übergehen, das Ressourcen wiederherstellt, anstatt sie zu verbrauchen.

Welche Rolle spielt Design bei der praktischen Umsetzung der Donut-Ökonomie?

Design ist das Allerwichtigste! Ökonom*innen sollten anfangen, sich selbst als Designer*innen zu verstehen, denn alles in der Wirtschaft ist gestaltet. Sie ist immerhin ein reines menschliches Konstrukt – wir haben sie erschaffen, und daher können wir sie auch umgestalten.

Wenn Sie von „Design“ sprechen, dann meinen Sie nicht nur, wie Dinge aussehen, sondern auch die Regeln, nach denen sie funktionieren?

Genau. Natürlich gibt es das visuelle Design – also das äußere Erscheinungsbild von Objekten oder Räumen. Aber darunter liegen tiefere Gestaltungsebenen. Beispielsweise Regeln wie: Was darf besessen werden? Was kann bepreist werden? Wie werden Verträge gestaltet? Welche Institutionen existieren? Wer wird als wirtschaftlicher Akteur anerkannt? Wie verlaufen Austauschprozesse? All diese Regeln bestimmen Beziehungen – und oft sind diese Beziehungen durch extreme Machtungleichgewichte geprägt. Aber wir können sie neu gestalten, sodass sie für alle Menschen gerechter und nachhaltiger werden.

Das ist die große Chance: Wenn wir verstehen, dass Prozesse und Systeme designt wurden, dann erkennen wir auch, dass wir sie umgestalten können.

Donut-Diagram | © Donut Economics Action Lab

„Wenn wir verstehen, dass Prozesse und Systeme designt wurden, dann erkennen wir auch, dass wir sie umgestalten können.”


Kate Raworth, Wirtschaftswissenschaftlerin und „Personality of the Year“ 2025

Kate Raworth und das Doughnut Economics Action Lab (DEAL) wurden im Rahmen der Award Show des German Design Award 2025 als „Personality of the Year“ ausgezeichnet | Foto: Salar Baygan

Nun gibt es ja sehr reiche und mächtige Player … Wir sehen es gerade in den USA, die mit dem bestehenden System sehr gut fahren. Wie treten Sie denen entgegen?

Ich verbringe keine Zeit damit, diese Menschen zu überzeugen. Ich versuche nicht, Donald Trump oder Elon Musk umzustimmen – denn es gibt Weltbilder, die nicht offen für Veränderung sind. Manche Menschen sind so in ihren egoistischen Interessen verankert, dass sie gar nicht zuhören können oder wollen. Wir haben bei DEAL einen klaren Grundsatz: Wir arbeiten mit denen, die den Wunsch haben, Dinge zu verändern

Wie kann Design ein Katalysator für die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft sein?

Design kann auf vielen Ebenen ansetzen. Wenn jemand ein Produkt entwickelt, kann er oder sie überlegen: Wie kann dieses Produkt regenerativ gestaltet werden? Ein Produkt kann beispielsweise so gestaltet sein, dass es sich in natürliche Kreisläufe einfügt – etwa durch natürliche oder wiederverwendbare Materialien.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die gerechte Verteilung: Kann ein Produkt so entworfen werden, dass es für mehr Menschen zugänglich ist? Kann es preiswerter sein, oder langlebiger, sodass es weitergegeben werden kann?

Übrigens nutzen auch viele Städte weltweit – darunter Amsterdam, Barcelona und Bad Nauheim – die Donut-Ökonomie als Leitbild verwenden. Allerdings haben sie nicht die volle Kontrolle über ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie werden durch nationale und internationale Gesetzgebung eingeschränkt.

Teilnehmer an einer Veranstaltung von Doughnut Economics, Birmingham, Großbritannien | Foto: Veranstalter
Teilnehmer des Donut Day 2023 in Amsterdam der Amsterdam Doughnut Coalition, Niederlande | Foto: Leo Veger

Sie können also gar nicht wirklich viel erreichen?

Die Beteiligten wissen, dass sie das System nicht über Nacht verändern können. Aber sie machen erste Schritte und beweisen damit, dass Alternativen möglich sind. Mich inspiriert es, dass sie trotz aller Hindernisse trotzdem einfach anfangen. 

Digitalisierung und Globalisierung haben uns in eine Richtung gedrängt, in der Effizienz und Bequemlichkeit oberste Priorität haben. Aber irgendwann erkennen Menschen, dass sie etwas vermissen … Es gibt keine kleinen Läden mehr, weil alle im Internet bestellen. Dadurch, dass die lokale Wirtschaft stirbt, geht auch die persönliche Interaktion vor Ort verloren. Die Konsequenz: Menschen fühlen sich zunehmend entfremdet. Und allein.

Ich glaube, dass wir beginnen, eine Gegenbewegung zu sehen. Menschen stellen fest, dass sie sich nach echter Verbindung und Gemeinschaft sehnen. Wir brauchen Alternativen, die so attraktiv sind, dass sie Menschen freiwillig zum Umdenken bewegen, und städtische Legislatur, die das unterstützt.

Können auch visuelle Designer*innen einen Beitrag zur Donut-Ökonomie leisten?

Wenn Sie Designer*in sind, dann haben Sie die Möglichkeit, mitzugestalten, wie Menschen die Welt wahrnehmen. Stellen Sie sich dabei die folgenden Fragen: Was mache ich attraktiv? Worauf lenke ich die Aufmerksamkeit? Welche Werte unterstütze ich?

Nehmen wir an, Sie entwerfen eine ganz einfache Verpackung: Sie können sie trotzdem so gestalten, dass sie umweltfreundlich ist. Oder Sie können sie so gestalten, dass sie Menschen dazu motiviert, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Design ist machtvoller, als viele glauben.

„Visuelle Darstellungen formen unser Denken. Deshalb ist Design ein Schlüsselinstrument für den Wandel.“


Kate Raworth, Wirtschaftswissenschaftlerin

Wie wichtig ist die grafische Umsetzung der „Donut-Ökonomie“ als Donut?

Ich habe diese Grafik ursprünglich für mich selbst gezeichnet. Aber dann habe ich schnell gemerkt, wie stark sie auf andere Menschen anregt. Visuelle Darstellungen formen unser Denken. Deshalb ist Design ein echtes Schlüsselinstrument für den Wandel.

Wie sind Sie auf den Donut gekommen?

Ich habe bei der Arbeit an meinem Buch immer wieder Skizzen gemacht. Als ich 2010 zum ersten Mal die Grafik der planetaren Grenzen sah – einen Kreis, der die lebenserhaltenden Systeme der Erde schützt – hatte ich sofort das Gefühl, dass dies der Ausgangspunkt für die Ökonomie des 21. Jahrhunderts ist. Also zeichnete ich innerhalb dieses Kreises einen weiteren Kreis, um die Menschenrechte jedes Einzelnen zu schützen. Das Ergebnis sah aus wie ein Donut – und der Name blieb hängen.

Gab es Vorbilder für diese Visualisierung?

Als mir klar geworden war, welche Kraft Bilder haben, begann ich zu recherchieren, wie Gesundheit und Wohlbefinden in verschiedenen Kulturen dargestellt wird. Interessanterweise gibt es viele traditionelle Symbole, die eine ähnliche Kreisform haben: das Yin-Yang-Symbol in der chinesischen Philosophie, das Dharma-Rad im Buddhismus, die keltische Doppelspirale. Viele Kulturen stellen Gleichgewicht, Nachhaltigkeit und Wohlstand in kreisförmigen Mustern dar. Für Menschen im Westen, die sich von der Denkweise des unendlichen Wachstums lösen, brauchen wir ein neues Bild des Fortschritts – den Donut.

Mitglieder der Regen Sydney Community, Sydney, Australien, November 2023 | Foto: Regen Sydney

Was raten Sie jungen Menschen, die gerade ins Berufsleben starten?

Wenn ich mit jungen Menschen spreche, sage ich oft: ‘Stell dir vor, du bist 50 Jahre alt. Du hast Kinder. In welcher Welt möchtest du dann leben? Wie sieht deine Gemeinde oder Stadt aus? Wie fühlt sich dein Leben an? Womit verbringst du deine Zeit?’ Viele stellen dann fest, dass sie sich eine Zukunft wünschen, die nachhaltig, sozial und lebenswert ist. Das bedeutet aber, dass sie heute persönliche und gesellschaftliche Entscheidungen treffen müssen, die mit dieser Zukunft übereinstimmen. Zum Beispiel: Arbeiten Sie in Unternehmen, die sich verändern wollen. Schaffen Sie kreative Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Helfen Sie mit, bestehende Systeme umzubauen. Nicht jeder muss Aktivist*in werden. Es gibt viele Wege, etwas zu bewirken.

German Design Award – „Personality of the Year

Mit der Auszeichnung „Personality of the Year“ ehrt der German Design Award herausragende Persönlichkeiten, die durch innovative Ideen einen transformativen Wandel anstoßen. Die Auszeichnung wird an Persönlichkeiten verliehen, die einen bedeutenden Einfluss auf das Design und seinen positiven Einfluss auf die Gesellschaft und die Umwelt ausgeübt haben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Visionäre wie Paula Scher, Jil Sander, David Chipperfield und Hartmut Esslinger.

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Foto: Marianne Moosherr

Über den Autor

Ulrich Hoffmann ist mehrfacher Bestsellerautor (Sachbuch, Belletristik) und arbeitet als freier Journalist, Ressortleiter und Textchef für alle großen deutschen Verlage. U.a. war er tätig als Textchef für „AD ARchitectural Digest“, „Vanity Fair“, „Gala“ und „Living at Home“. Er ist Philosoph sowie zertifizierter Meditations- und Yogalehrer, verheiratet und hat drei Kinder. Hoffmann gleich seine CO2-Emissionen vollständig aus, beruflich durch atmosFair, privat via TeamClimate. www.ulrichhoffmann.de


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