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Lion Sanguinette und Jonathan Stein wurden während der Milan Design Week beim Nachwuchswettbewerb „one&twenty” als „Best-of-Best“ ausgezeichnet. Sie überzeugten die Jury mit „Opencyclone”, einem Produktionssystem für Open-Source-Hardware. Wir sprachen mit dem Duo von der Burg Giebichenstein in Halle über ihr Projekt und ihre Pläne.

Interview: Markus Hieke

Lion Sanguinette und Jonathan Stein von Opencyclone | Foto: Giovanni Emilio Galanello

Ihr kommt beide von der Burg Giebichenstein in Halle und aus dem Industriedesign. Was begeistert euch am Studium?

Jonathan Stein: Ich studiere im achten Semester und werde noch ein Austauschsemester einfügen, bevor ich im nächsten Jahr meinen Abschluss mache. An unserer Hochschule werden uns eine Menge an Tools und Strategien an die Hand gegeben, ohne jedoch vorzugeben, welche davon auf diese und jene Problematik anzuwenden sind. Damit sind wir relativ frei darin, bestimmte Themen individuell anzugehen – das kann eine sehr künstlerische Herangehensweise mit sich bringen, eine eher strategische oder eine politische. Es gibt viele Wege, die eigenen Kernkompetenzen herauszufinden.

Lion, worin siehst du deine Kernkompetenzen?

Lion Sanguinette: Für mich ist es einfach, sie zu benennen – schließlich habe ich vor zwei Wochen meinen Bachelor-Abschluss gemacht. Generell geht es in Richtung Rapid Prototyping, 3D-Druck, Open Source und Circularity. Ich bin aber auch offen gegenüber anderen Dingen.

Euer Projekt „Opencyclone“ habt ihr jahrgangsübergreifend realisiert. Wie habt ihr zusammengefunden?

Stein: An der Burg Giebichenstein lernt man in den ersten beiden Semestern die Grundlagen, dabei sind alle Design-Studiengänge durcheinandergewürfelt: Kommunikationsdesign, Spiel- und Lerndesign, Porzellan, Keramik, Glas und so weiter. Im zweiten Studienjahr folgen methodische Gestaltungsübungen im jeweiligen Jahrgang und Fachgebiet. Ab dem dritten Jahr wird wieder durchmischt – dann geht es um komplexere Gestaltungsaufgaben, an denen alle höheren Semester teilnehmen können.


Sanguinette: Bei Christian Zöllner, unserem Professor, der das Semesterprojekt leitete, gibt es immer eine Ideationsphase, die beansprucht etwa ein Drittel des Semesters. Während dieser Zeit schaut man, was man vorhat und wo sich Überschneidungen mit den Überlegungen anderer Studierender ergeben. Und weil Jona und ich beide in Richtung „Open Source“ gingen, haben wir uns zusammengetan.

Foto: Giovanni Emilio Galanello

Was genau habt ihr gemeinsam entwickelt – und mit welcher Absicht?

Sanguinette: Das Ausgangsthema unseres Projekts lief unter dem Titel „SLOC“, was für „small, local, open, connected“ steht und auf einem Wirtschaftsprinzip des italienischen Designwissenschaftlers Ezio Manzini basiert. Kurz ausgedrückt, zielt es auf eine lokale Produktion von Gebrauchsgegenständen ab. Darauf aufbauend haben wir untersucht, wie sich Lieferketten und global vernetzte Liefersysteme mithilfe von Open Source verbessern lassen. Unter anderem, weil es aufgrund diverser Krisen immer wieder zu Problemen und Lieferengpässen kommt. Während der Corona-Pandemie hat man das ja an vielen Stellen gemerkt. Unsere Frage lautete deshalb: Wie schafft man es, die Produktion unterschiedlichster Dinge auf einen lokalen Umkreis zu beschränken? Uns kam dabei die Idee eines Systems – einer Plattform, auf der sich Leute anmelden, ihre Dienstleistungen wie 3D-Druck anbieten und sich im direkten Umkreis mit Interessent*innen connecten können.

Stein: Uns ging es darum, Designer*innen, Konsument*innen und Produzent*innen an einen Tisch zu holen und einen Austausch zu gewährleisten. Dabei interessieren uns weniger die Profit-Chancen. Was wir beweisen oder bewirken wollen, ist, dass man mit dem Open-Source-Hardwareansatz potenziell durchaus Geld verdienen, in erster Linie aber Produkte lokal herstellen kann. Beispielhaft haben wir dafür einen Staubsauger entwickelt, das Konzept lässt sich aber auch auf viele andere Produkte erweitern.

Foto: Giovanni Emilio Galanello

Auf eurer Projekt-Website bietet ihr mehrere Handstaubsauger-Modelle für die Heimproduktion an. Warum ausgerechnet für Staubsauger?

Stein: Wir wollten uns auf ein Haushaltsprodukt wie den Staubsauger konzentrieren, weil er im Bereich Industriedesign das Objekt schlechthin ist. Offenbar müssen alle in ihren Grundlagenstudien Staubsauger zeichnen. Und wir wollten beweisen, dass sich mit unserer Plattformidee auch komplexere Produkte herstellen lassen. Nachdem kaum jemand wirklich weiß, wie Staubsauger technisch funktionieren, möchten wir Endnutzer*innen ermutigen, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Dabei spielt auch das Thema Reparierbarkeit eine Rolle: Statt zu sagen, okay, der Staubsauger funktioniert nicht mehr, wir schmeißen den einfach weg und kaufen einen neuen, könnte man sich genau das eine Ersatzteil oder Werkzeug beschaffen, um ihn zu fixen.

Sanguinette: Im Prinzip gibt es so etwas schon in Foren wie Reddit oder GitHub. Bloß lassen sich da grundsätzlich nur die Dateien herunterladen und man müsste sich dann über Kleinanzeigen jemanden suchen, um ein Ersatzteil per 3D-Drucker hergestellt zu bekommen. Das machen dann halt nur die Leute, die tiefer in der Thematik stecken.

Ließe sich mit der Plattform Geld verdienen?

Stein: Produzent*innen erhalten Geld für die gelieferten Dienstleistungen, Produkte oder Bauteile. Uns würden sie eine kleine Gebühr zahlen, um auf der Plattform vertreten zu sein.
Sanguinette: Zum Konzept gehört, dass wir die Lieferant*innen authentifizieren – um sicherzustellen, dass sie in der Lage sind, die gewünschte Ware in der vorgesehenen Lieferzeit und Qualität zu produzieren und keinen Schnickschnack verkaufen.

Was passiert, wenn die angebotenen Produkte, etwa die Staubsauger, zu komplex werden, um noch DIY-tauglich angeboten werden zu können?

Sanguinette: Für uns ist es natürlich schwer, mit Firmen wie Dyson zu konkurrieren. Aber es war auch nicht unser Fokus, den neuen Staubsauger mit laserintegrierter Technik und dreimal so viel Saugkraft zu entwickeln.

Stein: Es ist jederzeit möglich, dass Menschen, die sich der Sache annehmen wollen, diese auch weiterentwickeln und bei „OS Systems“ hochladen können. Genau dafür ist die Plattform ja da. 

Gewinner*innen-Ausstellung von „one&twenty“ in Mailand | Foto: Giovanni Emilio Galanello

Wie viel Vorwissen muss man mitbringen, um mit euren Bauplänen etwas herstellen zu können?

Stein: Es kommt darauf an, was man sich selbst zutraut. Deswegen haben wir einmal einen DIY-Staubsauger aus einer Persil-Flasche, einem Föhn und einer medizinischen Maske. Dafür sollte man nur mit einer Schere und einem Cutter umgehen können.


Sanguinette: Denkbar wäre es allerdings auch, dass man sich den etwas komplexeren Open-Source-Staubsauger komplett vormontiert bei uns bestellt. Oder man sucht sich jemanden im näheren Umfeld aus dem Netzwerk und lässt die Teile produzieren. Wir möchten, dass Open Source so zugänglich wie möglich wird und die Anwendung weniger von Zeitressourcen und Know-how abhängig ist. Das hätte das Potenzial für Leute, sich mehr mit Reparaturmöglichkeiten auseinanderzusetzen, wenn mal etwas kaputt geht.

Wie geht ihr mit dem Thema Nachhaltigkeit beim 3D-Druck um?

Sanguinette: Eine Herausforderung ist, dass die Produkte wasserbeständig und möglichst lang haltbar sein sollen. Wenn dein Staubsauger biologisch abbaubar ist und nach zwei Monaten auseinanderfällt, ist das eher kontraproduktiv. Prinzipiell drucken wir unsere Objekte mit Filamenten aus PLA, das auf Milchsäure basiert und biologisch abbaubar ist – vorausgesetzt, es wird industriell kompostiert. Noch viel wichtiger ist es, Geräte so zu bauen, dass dabei keine Materialien vermischt oder untrennbar verklebt werden. Später würde das statt des gewünschten Recyclings doch nur eine thermische Verwertung mit sich bringen. 

Stein: PLA hat den Vorteil, dass es zu hundert Prozent recycelbar ist. Man kann es einfach schreddern und zu neuen Filamenten verarbeiten.

Gab es außer Ezio Manzini weitere Vorbilder oder etwas, woran ihr euch orientiert habt?

Sanguinette: Jona hatte zu Beginn unserer Inspirationsrunde einen Bauplan für eine Open-Source-Powerbank mitgebracht, die mal jemand auf eine Plattform hochgeladen hatte. Wir fanden das megacool, denn Powerbanks sind teuer und wir dachten uns: Warum also nicht einfach selbst bauen? Der Download für die 3D-Daten war leider mit einem Code verschlüsselt, so gestaltete es sich dann doch ziemlich kompliziert. Wir dachten uns, das muss einfacher gehen. 


Stein: Natürlich sind die Visionen von Ezio Manzini ein Ausgangspunkt für uns gewesen, uns dem Thema zu nähern. Außerdem ist das Prinzip Open Source über viele Seiten und Foren verteilt. Aber man muss sich dafür ziemlich tief rein hacken, sodass es einfach nicht massenkompatibel ist. Das wollten wir bündeln. Tatsächlich existieren bereits ähnliche Open-Source-Gedanken, allerdings verbergen die sich irgendwo hinter einer Paywall und man muss für Baupläne bezahlen. Damit wird das Verfahren weniger zugänglich als wir es uns vorstellen.

Wie tief steckt ihr selbst in der DIY- und Open-Source-Designszene?

Sanguinette: Ich bewege mich viel in Reddit-Foren zum Thema 3D-Druck und würde mich schon so als kleinen Nerd beschreiben, was das angeht. Zuhause habe ich zwei 3D-Drucker, poste hin und wieder in den Foren und bekomme Resonanz. Für mich gab es die Open-Source-Thematik also bereits als Grundstein für unser Projekt.


Stein: Mich treiben alle möglichen Themen an – immer mit dem Fokus darauf, welchen Beitrag Industriedesign leisten kann. Gerade beschäftige ich mich mit Pflanzen und dem Resilienz-Gedanken, was wir also von unserer pflanzlichen Umwelt so alles lernen können. Dabei geht es ähnlich wie im Projekt „Opencyclone“ um die Frage, wie sich CO2-Ausstoß und Materialverschwendung minimieren lassen.

„Opencyclone“ OS Systems

Wie entwickelt ihr euer Projekt jetzt weiter? Soll es weitere Produkte geben?

Sanguinette: Ich möchte die Website gern so weit bringen, dass sie funktionsfähig ist und nicht im Prototypenstatus bleibt. Und dann werde ich wahrscheinlich mein letztes Uniprojekt hochladen.


Stein: Für uns ist es eine super Basis, ein Projekt, an das wir anknüpfen können – auch wenn ich momentan noch sehr in Hochschulprojekte eingebunden bin. Aber mir fallen ständig Sachen ein, die man noch hochladen und zur Verfügung stellen könnte. Mit der Best-of-Best-Auszeichnung des Wettbewerbs „one&twenty“ haben wir auf jeden Fall eine tolle Bestätigung erhalten, die uns weiterhelfen wird.

In Mailand erhielten Lion Sanguinette und Jonathan Stein die „Best of Best“ Auszeichnung | Foto: Giovanni Emilio Galanello

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