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Portrait Peter Ghyczy
© Peter Ghyczy

Bis heute ist der Name Peter Ghyczy untrennbar mit seinem „Gartenei“ von 1968 verbunden. In dem Möbel der Pop-Ära verbirgt sich freilich mehr als der Geist einer Zeit, in der eine totale Plastikwohnwelt greifbar nah schien. Nun ist Peter Ghyczy im Alter von 81 Jahren gestorben.

Von Thomas Wagner.

Wer den Namen Peter Ghyczy hört, denkt unweigerlich an das legendäre „Gartenei“, das viele auch als „Senftenberger Ei“ kennen. Das Frühwerk von 1968 ist zweifellos der berühmteste Entwurf des Designers und darf in keinem designhistorischen Überblick fehlen, zumal es in Form, Farbe, Material, Funktion und Haltung deutlich erkennbar dem ebenso zukunftsoffenen wie hedonistischen Zeitgeist der Pop-Ära huldigt. Darüber hinaus zeigt die Geschichte des schicken Sitz-Eis mit seinen frischen Farbkontrasten, wie verschlungen Gestaltung und Produktion in Deutschland West und Deutschland Ost während der Zeit des Kalten Krieges waren, wird das aufklappbare Sitzmöbel doch noch immer fälschlicherweise als DDR-Design angesehen. Tatsache ist, dass Ghyczy das Gartenei für den Polyurethan-Hersteller Elastogran/Reuter im niedersächsischen Lemförde entwickelt hat, das Unternehmen die Serienproduktion 1971 aber in die DDR verlagerte, wo die wasserdicht verschließbaren Kunststoff-Eier mit herausnehmbaren Polstern vom VEB Synthesewerk Schwarzheide nahe Senftenberg hergestellt wurden. Der Großteil der Produktion ging, da die Sitz-Eier für den Osten zu teuer waren, zwar in den Westen, fanden aber auch dort nicht den erhofften Absatz. Die Ölkrise, die Kunststoffe verteuerte, tat ein Übriges – die Produktion wurde eingestellt. Erst nachdem das Ei in den 1990er-Jahren antiquarisch als Vintage-Objekt Kultstatus erlangte, legte Peter Ghyczy den Entwurf als Teil seiner eigenen Kollektion in den Niederlanden neu auf.

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Farbenfrohe Garten(-Ei-)stühle. Foto: Ghyczyselection. Veröffentlicht von Wikimedia Commons. Lizenziert unter einer „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported“-Lizenz.
Das Senftenberger Ei auf einem Messestand in der DDR
Das Senftenberger Ei auf einem Messestand in der DDR. Foto: Bundesarchiv. Veröffentlicht von Wikimedia Commons. Lizenziert unter einer „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported“-Lizenz.

Ein zurückhaltender Einzelgänger

Chair S02
Stuhl S02. © GHYCZY

Trotz der Bekanntheit des Garteneis ist Peter Ghyczy als Designer bis heute vor allem Eingeweihten bekannt. Glaubt man der Monografie „Der Evolutionär“ von Bernd Polster, so ist das nicht nur ein Ergebnis einer Gedächtnisschwäche der historischen Designforschung. Die Gründe dafür, so Polster, lägen auch in seiner zurückhaltenden Art. Ghyczy sei stets ein Einzelgänger geblieben, der Abstand zum Designbetrieb hielt. Auch habe es zu seiner Haltung als Designer gehört, sich nicht zuständig für spektakuläre Effekte zu halten. Hinzu kam: Als mittelständischer Produzent hat er besonders mit seinen Glastischen und -regalen kein breites Publikum angesprochen. Kulturelle Offenheit, gestalterische Vielseitigkeit und physische Beweglichkeit taten ein Übriges und verhinderten, dass Ghyczys Schaffen entsprechend sichtbar wurde. „Ghyczy“, so Polster, „der gebürtige Ungar, hat einen deutschen Pass, ein Haus in Holland und eine große, grenzübergreifende Familie. Weil auch sein Leben niemals eindimensional und statisch verlief, hat er die Verbesserung der Dinge – sprich Evolution – zu seiner Richtlinie gemacht.“

Nachdem Ghyczy über den Begriff des Designs und das problematische Schöpfertum der Designenden räsoniert hat, bekannte er in seinen „Gedanken über Design“: „Obwohl es mir durchaus guttut, ein bisschen an der Schöpfung drehen zu dürfen und vielleicht sogar das eine oder andere Schräubchen optimiert zu haben, liegt die Wahrheit natürlich wie immer irgendwo dazwischen. Das zeigt schon, mit welchen unterschiedlichen Titeln Designer in letzter Zeit überhäuft werden: Da gibt es Stardesigner, Topdesigner und Designer des Jahres. Wäre es nicht schön, wenn irgendwo der Titel des intelligenten Designers vergeben würde?“

Wanderer zwischen Ost und West

Peter Ghyczy wurde am 1. Dezember 1940 geboren und wuchs als Kind einer weit verzweigten, adligen Familie im Stadtteil Buda der ungarischen Hauptstadt auf. 1945, nach dem Einmarsch der Roten Armee, bei dem der Vater getötet wurde, kam er auf das Familiengut Vásárosnamény in der Puszta, wo er die Dorfschule besucht. 1947 wurde er vom Roten Kreuz für ein Jahr nach Belgien verschickt und lernte Französisch. 1952 wurde das Gut enteignet und er kehrte zur Mutter nach Budapest zurück. 1956, nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes gegen das kommunistische Regime, flüchtete er mit Mutter und Bruder über Wien nach Bonn, wo er 1960 Abitur machte. Anschließend studierte er Architektur mit Schwerpunkt Bautechnik an der RWTH Aachen, wo er 1961 Assistent von Rudolf Steinbach, einem namhaften Architekten, wurde und auch im Kunststoffinstitut der Fakultät arbeitete. Nachdem er an einem Unesco-Projekt zur Rettung von Altertümern vor einem Staudamm in Ägypten mitgearbeitet hatte, machte er 1967 sein Diplom mit einer Arbeit über eine neuartige Schularchitektur.

Innovative Produkte aus Kunststoff

Seine Karriere als Designer begann, als er im Jahr 1968 eine leitende Funktion bei der Firma Elastogran in Lemförde im Landkreis Diepholz übernahm. Der Besitzer Gottfried Reuter, ursprünglich Chemiker bei Bayer in Leverkusen, war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Polyurethan-Technik und Inhaber zahlreicher Patente. Umtriebig, wie er war, baute Reuter für seine Firmengruppe eine eigene Designabteilung auf, für die Ghyczy zwischen 1968 und 1972 zahlreiche Entwürfe – darunter auch das Sitz-Ei – realisierte und zudem die Architektur des 1970 eröffneten Design-Centers entwarf, eines Gebäudes, das als „Kunststoffarchitektur“ selbst neue Wege einschlug.

GHYCZY showroom in Amsterdam
GHYCZY Showroom in Amsterdam. © GHYCZY

Unterwegs in eine Plastikwohnwelt

Über Details der Entwürfe Ghyczys aus jenen Jahren, die in enger Verzahnung von technischer Entwicklung und Produktgestaltung in einem der ersten deutschen Designstudios entstanden und in der Kunststoffbranche der Zeit singulär dastanden, ist noch immer wenig bekannt. Laut Polster entstanden neben neuartigen modularen Bauteilen wie etwa Notunterkünften und Fassadenelementen, vor allem Möbel verschiedenster Art, darunter Stühle, Schalensessel, Wohnlandschaften, Tische, Regale und plastische Türfronten für Büro und Küche. Auch Lizenzen an Firmen wie Drabert, die Vereinigten Werkstätten, Vitra (damals noch Fehlbaum GmbH) und Beylarian in den USA seien vergeben worden. Indes, der Aufbruch währt nicht lange: Bereits 1972 wurde das „Design-Center“ wieder geschlossen, das Gebäude später abgerissen. Reuter verkaufte seine Firma an BASF, die Polyurethan-Technik gleichzeitig auch an die DDR.

Im selben Jahr gründete der Designer die Firma Ghyczy + Co Design in Viersen und stellte seine erste eigene Möbelkollektion vor. Zu dieser gehörten auch Tische ohne Zarge, die auf einer von Ghyczy entwickelten Klemmtechnik basierten, die es ermöglicht, Glas und Metall miteinander zu verbinden. Das Prinzip der Klemmkonsole R 03 für ein Regal ist heute – als Plagiat – in jedem Baumarkt zu finden. Auch zahlreiche filigrane Lampenentwürfe entstanden. 1974 verlegte Ghyczy den Firmensitz in die Niederlande, wo die Firma unter dem Namen Ghyczy Selection firmierte. 1985 erfolgte der Umzug nach Swalmen, wo die Firma heute noch besteht.

Am Zweck orientiert

Für Peter Ghyczy bildeten Technik und Design immer eine Einheit. Dabei verbanden sich technische Konstruktion und kulturelle Gestalt stets mit einer Affinität zum Funktionalismus des frühen 20. Jahrhunderts, ohne freilich einem einheitlichen Stil zu huldigen und dogmatisch aufzutreten. „Der Konstrukteur und Schöngeist“, konstatiert Polster, scheute sich nicht „vor Anleihen aus anderen Epochen, sei es Art déco oder Antike“. Ob es sich dabei um einen „bewussten Eklektizismus“ handelt, sei dahingestellt. „Meine Entwürfe“, so drückte es Ghyczy selbst aus, „sind an ihrem Zweck orientiert. Ihnen liegen technische Lösungen zugrunde, die ich auf eine neue Art anwende. Immer wieder ist es die Technik, die bei meinen Produkten stark die Form bestimmt. Es ist also die Ratio, die den Entwurf durchdringt. Trotzdem kann Entwerfen eine Passion sein. Und darin ist der Designer – ich kann es nur wiederholen – wahrlich dem Göttlichen nah. Übt er doch einen Beruf aus, der ihm die Chance gibt, die Evolution voranzutreiben“. Am 10. März ist Peter Ghyczy in Venlo gestorben.


Mehr über Peter Ghyczy

Die Entwürfe von Peter Ghyczy sind nun in der Obhut der Stiftung seines Sohnes, der Felix Ghyczy Foundation, und können auf Anfrage bestellt werden. Die Foundation arbeitet wir weiter an seinen Ideen und entwickelt neue Produkte.

Besuchen Sie Ghyczy.com, die Website des Design- und Produktionsstudios von Peter Ghyczy und Felix Ghyczy.


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