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Anlässlich der Online-Preisverleihung der 3D Pioneers Challenge sprachen Industriedesigner Ross Lovegrove und Lin Kayser, CEO Hyperganic, über aktuelle Prozesse und bisherige Entwicklungen im Bereich der additiven Fertigung. Ross Lovegrove ist Designer und Visionär, dessen Arbeiten als Start eines grundlegenden Paradigmenwechsels in Formensprache und Ausdruck unserer dreidimensionalen Welt anzusehen sind.

„In der Vergangenheit waren Designer immer durch den Produktionsprozess eingeschränkt“, begann Lin Kayser das Gespräch. Nun könne mittels additiver Fertigung buchstäblich jedes Molekül eines Objekts definiert werden. Dies bedeutet allerdings einen enormen Druck für den Designer, etwas zu entwickeln, das diesen neuen Möglichkeiten gerecht wird. „Dies wird im nächsten Jahrzehnt die Herausforderung für Designer und Ingenieure sein.“

Ross Lovegrove wies darauf hin, dass er immer versucht abzuwägen, was als nächstes kommen wird. Denn früher habe sich das Design dem jeweiligen Zeitalter angepasst. Die Frage sei also, was ein Designer heutzutage ist: „Ist er ein Ingenieur, ein Biologe?“ Auf jeden Fall muss man sich ein breites Wissen aneignen, für unterschiedliche Einflüsse offen sein und für Inspirationen sorgen. Er sagt: „Wenn man im 21. Jahrhundert, insbesondere im Jahr 2020 lebt – Virus hin oder her – muss man die modernsten Tools nutzen, die zur Verfügung stehen. Dadurch kann man eine neue Ästhetik erschaffen.“

Was kann ich eigentlich bauen?

Kayser spürt gerade jetzt die Herausforderungen für die meisten Kreativen. Wenn man über Technik und Design nachdenkt, werde immer die Frage gestellt „Was kann ich eigentlich bauen?“ Und was man in der Vergangenheit bauen konnte, unterscheidet sich erheblich von dem, was man heute mit Additiver Fertigung kreieren kann.

„Wir stoßen also an die Grenzen der Vorstellungskraft und nicht so sehr an die Grenzen dessen, was man heute tatsächlich fertigen kann. Und deshalb brauchen wir diese neuen Tools, bei denen Algorithmen helfen, Bereiche zu erforschen, die sich niemand vorstellen kann. Die Menschen müssen aber diejenigen sein, die das große Ganze vor Augen haben.“

Paradigmenwechsel im Design

Für Lovegrove geht es um das Grundprinzip der Logik, das die Folge innovativen Denkens ist – dies sei der eigentliche Paradigmenwechsel, „the Paradigm Shift in Design“. Was er an der Welt der additiven Technologie liebt, ist der starke Wille und das Interesse, Dinge zu kombinieren. Dies sei die Fähigkeit, die Pioniere wie beispielsweise Hyperganic haben. Die wichtigsten Werkzeuge sind für sie das Netzwerken und die Offenheit gegenüber allen kreativen Advanced Technology-Bereichen, den anderen innovativen Querdenkern.

„Wir als Designer, Ingenieure und Visionäre sollten von einer passiven Haltung, in der wir auf Anfragen von Kunden reagieren, die das Potenzial der Additiven Technologien nicht verstehen, zu einer aktiven übergehen, in der wir die fortschrittliche Software und die Technologien unserer Zeit ausschöpfen. Zudem geht es darum, in einem Netzwerk voneinander zu profitieren, wenn man mit motivierten Leuten zusammenarbeitet, die nicht umsatzgetrieben sind, sondern erkennen, dass sich Arbeit am Ende auszahlen wird.“

Kayser ist sich sicher, dass Designer bisher nur an der Oberfläche dessen kratzen, was mit generativer Fertigung und 3D gedruckten Objekten möglich ist. Sie gingen noch auf Nummer sicher, doch Ross Lovegrove ist überzeugt: „Ich habe das Gefühl, dass etwas passieren wird und dass etwas entstehen wird, das es mir erlaubt, Dinge zu artikulieren, die ich bisher nicht in Worte fassen konnte – It´s a brave new world”.

Das Gespräch:


Ausgewählte Gewinner der 3D Pioneers Challenge

3DPC – der internationale Design-Wettbewerb für Additive Fertigungsverfahren ist Schnittstelle für alle Pioniere, die sich mit neuen Technologien befassen und sich dabei dem 3D-Druck bedienen, um ihre Projekte voranzutreiben. Einzigartig in ihrer Struktur richtet sich die 3D Pioneers Challenge seit 2015 in gleich mehreren Disziplinen an Gestalter, die mit 3D-Druck Neuland beschreiten.

Der Wettbewerb ist mittlerweile zu einer internationalen Plattform geworden, auf der sich Kreative von Advanced Technologies und die Industrie treffen. „3DPC & Friends“ ist die logische Schlussfolgerung daraus, die Akteure dieses Netzwerks miteinander zu verbinden und damit aktiv den „Paradigmenwechsel im Design“ gemeinsam zu leben.

Platz 1: Winner MedTech – ReverTome Handheld Bioprinter

Der „1st Prize Winner“ der 3DPC 2020 war der „ReverTome Handheld Bioprinter“ der Universität Toronto. Das Team um Richard Cheng erhielt die höchste mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung sowie – ein besonderes Highlight – die mit additiven Fertigungsverfahren produzierte ‚3DPC Trophy’. Diese entstand im Rahmen des Netzwerks ‚3DPC & Friends’. Der letztjährige Gewinner „Hyperganic“, der Stardesigner und Juror Ross Lovegrove sowie der Partner Materialise fanden sich zusammen, um die ‚3DPC Trophy’ zu entwickeln.

ReverTome ist ein mobiles chirurgisches Instrument, das Hautschichten bei großen Verbrennungen gleichmäßig abgibt, um die Wundheilung zu verbessern. Integrierte Motoren steuern individuell die Flussrate der mit Bioink und Vernetzer gefüllten Spritzen. Die flexible Rotation des Druckkopfes ermöglicht gleichmäßiges Drucken auf menschlichen Oberflächen. Komponenten in direktem Kontakt mit dem Patienten werden nach einmaliger Verwendung entsorgt.

Jury-Kommentar von Arno Held, AM ventures:

„Dieses ausgereifte funktionale Produkt, das an einem der wichtigsten Bereiche des Menschen eingesetzt wird, kombiniert innovative additive Technologien und revolutionäre neue Materialien.“


Winner Sustainability – Mud Frontiers

Das Team aus den USA von Emerging Objects wurde Gewinner in der Kategorie Nachhaltigkeit. Mit „Mud Frontiers“ erforschen sie die Verwendung von lokalen Materialien für 3D-gedruckte Architektur mit Hilfe von Robotik und Software vor Ort..

Emerging Objects erforscht die Grenzen von Technologie und Material unter Verwendung traditioneller Materialien (Lehm, Wasser und Weizenstroh). Die Intention ist es, zu zeigen, dass kostengünstiges und weniger arbeitsintensives, wirtschaftliches und sicheres Bauen möglich ist. Dafür konstruierten sie einen kostengünstigen und tragbaren Roboter, der vor Ort die lokalen Böden nutzen und direkt mit 3D-Druck großformatige Strukturen entstehen lassen konnte.

Jury-Kommentar von Janine Wunder, Rat für Formgebung:

„Die Jury zeichnet diese beispielhaft nachhaltige und zukunftsorientierte Idee aus, die traditionelles Handwerk, natürliche Materialien und 3D-Drucktechnologien kombiniert, um kostengünstige Architektur und andere Produkte entstehen zu lassen“.


Winner Mobility – Platzhirsch

Die URWAHN Engineering GmbH um Sebastian Meinecke punktete in der Kategorie Mobility mit ihrem „Platzhirsch“, dem ersten serienmäßig 3D gedruckten E-Bike, das dank der neuartigen Rahmenform mit seiner organischen Formensprache und technischen Integration überzeugte.

Es hebt die urbane Mobilität durch die Verschmelzung neuartiger Technologien mit durchdachtem Design auf eine neue Ebene. Anders als bei konventionellen Konstruktionen ist das Heck nach hinten geöffnet. Dadurch und durch den 3D-Druck kann das Hinterrad zugunsten des Fahrkomforts elastisch aufgehängt werden und Stöße und Unebenheiten kompensieren.

Jury-Kommentar von Stefanie Brickwede, Mobility goes additive e.V. Berlin; Deutsche Bahn:

„Die Jury zeichnet diese großartige Lösung für urbane Mobilität und für Trendsetter aus und gratuliert dem wunderbaren Team von Urwahn.“


Best Student Project: Winner FashionTech – ReTextiles 3D

Als beste studentische Arbeit wurde „Re-Textiles 3D“ von Ganit Goldstein vom Londoner Royal College of Art in der Kategorie FashionTech ausgezeichnet. Mit ihrem Beitrag des komplett individuell produzierten 3D gedruckten Kleids, aus 100% PET recyceltem Plastikflaschen Abfall- Filament, welches direkt auf natürliches Gewebe gedruckt wird, erhielt sie das Preisgeld in Höhe von 2.500 € und zusätzlich den 3D Drucker „MakerBot Replicator+“.

Das Projekt ‚Re-Textiles 3D‘ verfolgt das Ziel, ein neues Produktionssystem für die Modeindustrie zu entwickeln, das auf einem spezifischen Körperscan basiert. Bei diesem Konzept wird im ersten Schritt für die digitalen Daten des einzigartigen, maßgeschneiderten Kleidungsstücks ein vollständiger 3D-Bodyscan des Kunden angefertigt. Zweitens wird mit einer parametrischen Software das 3D-Software-Design gestaltet, bei dem ein einzigartiges Muster basierend den Kurven des Körperscans erzeugt wird. Schließlich wird aus dem 3D-Muster ein gedrucktes 3D-Modell erstellt, das mit FILAMENTIVE, einem Filament aus 100% recycelten Wasserflaschen, direkt auf komplett natürlichen Stoff gedruckt wird – zu Gunsten einer einzigartigen, nachhaltigen Bekleidungsproduktion.

Jury-Kommentar von Marco Kormann, Technology Innovation adidas AG

„Dieses Konzept vereint eine Reihe von Herausforderungen, mit denen die Modeindustrie derzeit konfrontiert ist, darunter die Recyclingfähigkeit und Lieferketten. Es verbindet diese Herausforderungen auf sehr intelligente Weise mit den Trends im selben Modebereich – wie z.B. Maßanfertigung und Kundenerlebnis.”

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