Sympathisch entschleunigt, humorvoll und synergetisch: Im Chiemgau, der idyllischen Heimat von Nils Holger Moormann, ist ein winziges Designfestival aus der Pelle geschlüpft: der Salone di Aschau. Haus Otto hat das Ganze inszeniert, Marken, Designer*innen und Studierende haben sich originell präsentiert.
Von Markus Hieke

Die Idee zündete im April 2023 aus kaum mehr als einer Bierlaune heraus – ein Tisch, ein paar Objekte aus dem Fundus, drapiert vor einem alten Mercedes-Benz. Schon stand er, der „Salone di Aschau“, etwas trübselig in Anbetracht des spätwinterlich kargen Bergpanoramas im Rücken. Der ironisch gemeinte Instagram-Scherz aber saß. Zur selben Zeit rannte man in Mailand, gut 450 Kilometer entfernt, bereits kurzärmelig von Showroom zu Showroom, von Palazzo zu Palazzo, von Brera nach Rho zur Messe und wieder zurück. Man feierte, wie in jedem Jahr, Teil der aufregenden Designwelt zu sein. Doch genau das war der Punkt: Bei Nils Holger Moormann „rannte“ man schon lange nicht mehr – weder irgendwelchen Trends hinterher noch den Zyklen großer Möbelmessen, die alljährlich nach Neuheiten lechzen.


Es soll sich richtig anfühlen
„Slow Design“ nennt man, was man beim bayrischen Designverlag Moormann praktiziert. Den Prozess darf man sich in etwa so vorstellen: Hunderte Designideen erreichen das Unternehmen Jahr für Jahr. Anonymisiert wird jeder einzelne Entwurf gesichtet und bewertet. Im Falle einer positiven Entscheidung wird das Produkt gemeinsam mit dem Designteam von Moormann zur Serienreife entwickelt. Das kann Monate, aber auch Jahre dauern. Ins Programm aufgenommen wird am Ende nur, was sich richtig anfühlt und sich innerhalb eines 40-Kilometer-Radius produzieren lässt. Wenn es hochkommt, wandert auf diese Weise ein neues Produkt pro Jahr in die Kollektion; manchmal mehr, oft weniger. Wichtig: Alle Designer*innen erhalten pro verkauftem Exemplar den gleichen Anteil am Gewinn. Dass sich bekannte Namen wie Cecilie Manz und Konstantin Grcic im Programm wiederfinden, ist übrigens Zufall – oder der Beweis dafür, dass sich hervorragende Entwürfe auch inkognito zu behaupten wissen. So anerkannt wie heute waren beide damals jedenfalls noch nicht.
Zu einer konsequenten Entschleunigung gehört auch, dass Moormann bereits seit 2006 nicht mehr beim Salone del Mobile in Mailand ausstellt. Festhalten am Fernbleiben (zumindest als Aussteller) wird auch der neue Inhaber Christian Knorst. An ihn trat Nils Holger Moormann, Gründer und Namensgeber der Marke, sein Unternehmen 2020 altersbedingt ab. „Als ich das Unternehmen übernahm, war ich komplett neu in der Branche, kannte mich wenig aus“, erzählt der Jurist, der zuvor unter anderem in einer englischen Wirtschaftskanzlei arbeitete. „Also fuhr ich zum Salone nach Mailand, es war die coronabedingt kleine Ausgabe 2021, sah all die Menschen und dachte mir: Wie toll das doch alles ist. Bei meinem nächsten Besuch im Jahr darauf steckte ich da schon ein bisschen mehr drinnen. Noch immer war alles schön und gut, doch hinterher kam ich mit einem ganz anderen Gedanken nach Hause. Denn nur wenige Messestände hatten sich mir ins Gedächtnis eingebrannt. Je mehr ich sah, desto weniger erinnerte ich mich an das Gesehene. Ich verstand nun besser, was Nils damals dazu bewogen hatte, nicht mehr auf die Messe zu gehen. Zumindest für uns als winzige Firma aus dem Bergtal war dieses Format mit dem ganzen Drumherum in der Stadt nicht das Richtige.“ Was sich leicht als Antihaltung missverstehen lässt, ist hier eher ein gesundes Infragestellen des kontinuierlich wachsenden Mailänder Wahnsinns.
Fotos: Julia Sang Ngyuyen
Die Idee musste nur noch umgesetzt werden
Im Gespräch bleiben will man natürlich dennoch. Und so kam es gelegen, dass das Designerduo Patrick Henry Nagel und Nils Körner (alias Haus Otto) mit dem Vorschlag auf Moormann zukam, eine echte kleine Designmesse als Kontrastprogramm zum großen Pendant in Mailand auf die Beine zu stellen. Den passenden Namen gab es ja bereits. Mitte Juli war es nun soweit: Einen einzigen Nachmittag lang, bis tief in die Nacht hinein, wurde der Firmensitz von Moormann am Fuße der nun sattgrün gesäumten Kampenwand zum ersten echten „Salone di Aschau“. Moormann als Gastgeber und Haus Otto als Kuratoren hatten dazu eine überschaubare Anzahl an Ausstellenden eingeladen. Umso erstaunlicher war die Bandbreite der Marken, Institutionen und Designer*innen, die sich präsentierten. Angefangen beim Newcomer-Designlabel „Bottone“ aus Berlin, waren daneben etabliertere Marken wie „Loehr“ (ebenfalls aus Berlin) und „Dante – Goods & Bads“ aus dem Bayrischen Wald vertreten. Die bekanntesten waren die Möbelmarke Tecta aus Lauenförde und die Besteck- und Edelstahlmanufaktur Mono aus Mettmann.
Überschneidungen und Synergien
Inszeniert wurde der Salone di Aschau u. a. in atmosphärischen Pferdeboxen. Die dankbare Kulisse bot ein historischer Stall, der zum Firmensitz gehört. Für das Duo Haus Otto war es letztlich entscheidend, alle Beteiligten auf Augenhöhe zu präsentieren – unterschiedliche Positionen auf eine Weise aufzuzeigen, die existierende Überschneidungspunkte ebenso wie potenzielle Synergien offenlegt. Deshalb waren neben den genannten Marken auch Designer*innen und Kollektive am Designfest beteiligt, sowie Studierende der OpenDesign-Klasse der HfbK Hamburg (geleitet von Konstantin Grcic und Studio Œ). „Unsere Auswahl ist relativ organisch entstanden“, so die beiden Designer über ihre kuratorische Arbeit. Mit manchen Ausstellenden seien sie bereits durch andere Projekte verbunden gewesen – wie etwa mit der „Farm Group“, einer Initiative der beiden, aus der verschiedene experimentell geprägte Entwürfe der hier vertretenen Designer*innen Oliver-Selim Boualam und Lukas Marstaller (BNAG), Johanna Seelemann, Hannah Kuhlmann, Lisa Ertel und Anne-Sophie Oberkrome (Studio Œ) hervorgingen. Diese brachten zum Teil ihre Schnittmengen mit den ausstellenden Marken ins Spiel: BNAG etwa mit der Teekanneninstallation „Aqua Park“, die 2023 aus einer Kreativresidenz bei Mono entstand. Haus Otto selbst steuerte u. a. ein ungewöhnliches Sitz-Liege-Objekt namens „Zooom Rug“ bei, das zum Portfolio von „Bottone“ gehört. Ebenso wie den Armlehmstuhl „AL13“ aus lasergeschnittenem Aluminium, den es nebenan bei Dante zu sehen gab.



Design zum Anfassen und Mitmachen
Für Gesprächsstoff und Unterhaltung sorgten alle Beteiligten gemeinsam. Die Studierenden der HfbK Hamburg ihrerseits mit einer Pop-up-Wanderstockwerkstatt. In Vorbereitung auf die am nächsten Tag geplante Wanderung Richtung Kampenwand konnten hierbei individuelle Steighilfen im Rundholzbiegeverfahren und weiteren Techniken, inklusive Stocknagel angefertigt werden. „Mono“ bot gratis Softeis und einen Löffel aus der Klassikerserie „Mono Clip“ in einer exklusiven Salone di Aschau-Edition an. Und bei Oliver-Selim Boualam und Lukas Marstaller konnte man mithilfe eigens entwickelter Lochbleche kreative Hocker mit Typografie-Botschaften bauen. Auf dem Hof vor dem historischen Firmengebäude von Moormann waren Prototypen und Einzelexemplare verschiedener Designer*innen versammelt, und ein paar Schritte entfernt, im Garten von „Berge“, dem Gästehaus von Nils Holger Moormann, fand sich die Gemeinschaft schließlich zur Teezeremonie ein, mit Mono-Nachfahre und Managing Partner Johannes Seibel, begleitet von einer Sound-Performance von Lukas Marstaller.
Gelungene Premiere mit Potenzial
Wer wurde erwartet und wer nahm letztendlich den weiten Weg auf sich? Die Antwort ist schlicht: Man wusste es nicht. Umso überwältigender war der Zuspruch – von Moormann-Fans, von Handelspartner*innen, aus dem Designnetzwerk in München und von der lokalen Gemeinde. Ergo: Der Salone di Aschau geriet kurzweilig und sympathisch, nicht vom Erfolgszwang, sondern von einem Augenzwinkern bestimmt – wie es für die Marke Nils Holger Moormann typisch ist und auch den anderen Firmen und Kreativen gut zu Gesicht stand. Design nahbar, erfahrbar, seinen Wert – finanziell wie kulturell – verständlich machen, darum ging es. Wird es eine Wiederholung geben? „Für uns sollte das Ganze möglichst ergebnisoffen sein“, sagt Patrick Henry Nagel. Entscheidender für sie sei es, ob sich nun weitere Synergien, Produktionsnetzwerke, logistische, kreative oder kommunikative Kollaborationen ergeben würden. Natürlich ist eine Fortsetzung wünschenswert. „Die Truppe fühlt sich toll an“, schließt Christian Knorst. „Wir würden uns freuen, im kommenden Jahr bei einer der anderen Marken zu Gast zu sein.“ In der Zwischenzeit lohnt ein Blick auf die Onlineplattform des „Salone di Aschau“, wo Einzelstücke und Pre-loved-Möbel aus dem neuen Designnetzwerk angeboten werden.

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