3D-Druck verspricht, das Bauen neu zu denken – schneller, präziser und ressourcenschonender. Doch noch immer prägen manuelle Arbeitsschritte, analoge Abläufe und Baustellenlogik den Hochbau. Das soll sich ändern: automatisiert, digital gesteuert und mit neuer gestalterischer Freiheit. Was kann die Technologie heute wirklich leisten – und wo stößt sie an ihre Grenzen?
von Benjamin Pfeifer

Häuser so zu bauen, wie man Autos oder Schiffe produziert – davon träumen Architekten seit über hundert Jahren. Doch die Realität des heutigen Bauens könnte von Le Corbusiers Idee der „Wohnmaschine“, basierend auf Typisierung und Serienproduktion, nicht weiter entfernt sein. Noch immer wird Beton auf der Baustelle in hölzerne Schalungen gegossen, noch immer werden Pläne auf Papier gedruckt, und noch immer kommt der Trockenbauer, wenn der Elektriker fertig ist. Von der Effizienz und der Rationalisierung, die mit dem industriellen Bauen einst verbunden waren, ist nicht viel zu sehen. Nun scheint sich die alte Idee unter digitalen Vorzeichen neu zu formieren – automatisiert, zentral gesteuert und mit ungeahnter gestalterischer Freiheit. So lauten zumindest die Versprechen, die aktuell mit dem 3D-Druck verbunden sind: „Europas größtes 3D-Haus, gebaut in nur 140 Stunden“ titelte etwa die tagesschau (20.7.2023), „Ein Haus, sechs Wohnungen und 118 Stunden Druckzeit“ das Handelsblatt (28.12.2024). Wer dem Versprechen des 3D-Drucks in der Architektur glaubt, braucht für den Hausbau nicht mehr Monate oder gar Jahre, sondern nur noch wenige Tage. Doch wie funktioniert 3D-Druck eigentlich?
Additiv statt konventionell
Während in der Industrie bereits seit den 1980er-Jahren erste Verfahren wie Stereolithografie im Einsatz waren, entwickelte sich der 3D-Druck im Bauwesen erst deutlich später. Prinzipiell zählt 3D-Druck zu den „additiven Produktionsverfahren“, bei denen Bauteile oder ganze Bauwerke schichtweise aus einem zähflüssigen Material direkt vor Ort gefertigt werden. Dieses kann je nach Verfahren und Anwendung aus unterschiedlichen Grundstoffen bestehen – etwa aus Beton, Sand, Kunststoff, Metall oder recycelten Materialien wie Papierresten.

Im Bereich des 3D-Drucks von Häusern wird dabei häufig speziell entwickelter Flüssigbeton verwendet, der aus einer Düse präzise über einen Druckerarm auf die Bodenplatte aufgebracht wird. Eine computergesteuerte Düse trägt das Material entlang einer vorher digital geplanten Bahn auf und formt so Wände, Trennungen oder Bauteile – ganz ohne Schalung. Die Planung erfolgt auf Basis eines 3D-Modells, das den gesamten Druckprozess vorgibt. Anders als beim konventionellen Bauen sind keine aufwendigen Schalungsarbeiten oder manuellen Zwischenschritte nötig. Der Prozess läuft automatisiert, präzise und vergleichsweise schnell ab.
Mehr Form, weniger Material
Durch diese technologiegestützte Fertigung entstehen Bauteile mit hoher Maßgenauigkeit und komplexen Geometrien, die mit herkömmlichen Mitteln nur schwer oder gar nicht umsetzbar wären. Zugleich wird Material eingespart, da nur dort gedruckt wird, wo es statisch oder funktional notwendig ist. Im Kontext der Kreislaufwirtschaft kommt dem 3D-Druck eine Schlüsselrolle zu – denn additive Fertigung bedeutet auch hier, dass nur so viel Material verwendet wird, wie für das Bauteil nötig ist. Es gibt keinen Verschnitt, keinen Schalungsabfall. Die Formgebung ist flexibel, die Abläufe sind effizient, und der Druck kann bei Bedarf rund um die Uhr erfolgen. So lassen sich auch komplexe Geometrien wie Rippenstrukturen oder Wabenmuster materialoptimiert herstellen, was bei herkömmlichen Bauweisen kaum realisierbar ist. Damit bringt der 3D-Druck nicht nur die Prinzipien des industriellen Bauens – Automatisierung, Rationalisierung, Vorfertigung – auf ein neues technisches Niveau, sondern erweitert sie um digitale Steuerung und neue gestalterische Freiheiten. Zwei aktuelle Projekte zeigen die Potenziale, aber auch die Grenzen von 3D-Drucktechnik im Bauwesen auf.
„Im Kontext der Kreislaufwirtschaft kommt dem 3D-Druck eine Schlüsselrolle zu – denn additive Fertigung bedeutet auch hier, dass nur so viel Material verwendet wird, wie für das Bauteil nötig ist.“
Europas größte Druckprojekte
Das 3D-gedruckte Rechenzentrum für die Heidelberg iT Management GmbH (2023) gilt als eines der größten 3D-gedruckten Gebäude Europas: Der Rohbau des rund 50 Meter langen, eingeschossigen Gebäudes entstand in nur 170 Stunden. Durch die digitale Steuerung und die direkte Vor-Ort-Fertigung entfielen viele klassische Baustellenschritte wie Schalungsbau oder aufwendige manuelle Tätigkeiten. Gleichzeitig wurde weniger Material benötigt, da der Beton passgenau Schicht für Schicht extrudiert wurde. Das Projekt demonstriert das Potenzial des 3D-Drucks für funktionale, mittelgroße Gebäude mit individueller Formensprache – zeigt jedoch auch aktuelle Grenzen auf: Die Wellenstruktur des Baukörpers stellte hohe Anforderungen an die Dachkonstruktion, zugelassene Fenster für den neuartigen Druckbeton fehlten, und die Gesamtfertigstellung zog sich trotz schnellem Rohbau über zehn Monate hin. Auch die großen Dimensionen der Druckanlagen erschweren bisher den innerstädtischen Einsatz.




Der Weiße Turm von Mulegns
Einen anderen Ansatz verfolgt der an der ETH Zürich entwickelte „Weiße Turm“ von Mulegns (2024): Die 30 Meter hohe Raumskulptur besteht aus 32 individuell gestalteten, tragenden Säulen mit integrierter Stahlbewehrung – ein Novum im 3D-Druck. Der Einsatz von robotergestützter Betonextrusion ermöglicht filigrane Strukturen mit hoher statischer Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig minimalem Materialeinsatz. Im Vergleich zu konventionellen Betongussteilen konnte der Materialverbrauch um bis zu 40 Prozent reduziert werden. Die modulare Vorfertigung in einer nahen Produktionshalle erlaubt die präzise Herstellung, den Transport und eine demontierbare Montage vor Ort. Neben dem hohen gestalterischen Anspruch zeigt das Projekt vor allem, dass 3D-Druck auch neue Konstruktionsweisen ermöglicht – etwa die Verbindung von Ornament, Struktur und Tragwerk in einem einzigen digitalen Entwurfs- und Fertigungsprozess.
Grenzen der Technologie
Mehrgeschossige Gebäude galten bislang als große Herausforderung für den 3D-Druck – vor allem, weil sich die erforderliche Bewehrung nicht nahtlos in den Druckprozess integrieren ließ. Der Weiße Turm von Mulegns findet hierfür eine wegweisende Lösung: Während der Beton schichtweise aufgetragen wird, platziert ein zweiter Roboter parallel die horizontale Bewehrung. Vertikale Armierungen werden nachträglich in vorgesehene Hohlkanäle eingebracht und verfüllt. So gelingt es erstmals, tragende, mehrgeschossige Strukturen aus bewehrtem 3D-Druck-Beton zu realisieren – allerdings zum Preis konventioneller Vorfertigung. Die Stützen des Turms bestehen aus mehreren Komponenten: Basis und Kapitell aus Betonfertigteilen, die Mittelsäule aus der 3D-gedruckten Struktur, in deren Hohlräume die vertikale Bewehrung eingelegt und schließlich mit Mörtel verfüllt wird.





Zukunft im Hybriden
Die beiden Projekte zeigen beispielhaft die Potenziale 3D-gedruckter Architektur: Vor allem der Rohbau kann schneller und ressourcenschonend realisiert werden, Wände lassen sich in wenigen Tagen errichten. Doch die Technologie hat klare Grenzen. Gedruckt wird meist nur die Gebäudehülle – Haustechnik, Dämmung, Innenausbau erfolgen konventionell. Die Materialwahl ist begrenzt, der CO₂-Fußabdruck von Spezialbeton bleibt hoch. Das Beispiel des Weißen Turms zeigt, dass mehrgeschossige Bauten sich im engeren Sinne nicht im 3D-Druck realisieren lassen, dieser aber in der Vorfertigung der Bauteile eine Rolle spielen kann. Auch hohe Anschaffungskosten, fehlende Normen und regulatorische Unsicherheiten bremsen den Praxiseinsatz.
Die Zukunft des 3D-Drucks liegt daher weniger in der radikalen Neuerfindung des Bauens als in seiner klugen Einbindung in hybride Prozesse. Wo standardisierte Abläufe, hohe Präzision und individuelle Formen gefragt sind, spielt die Technologie ihre Stärken aus: Sie spart Material, beschleunigt Prozesse und eröffnet neue gestalterische Möglichkeiten. Insbesondere im Bereich der Vorfertigung, bei Spezialbauteilen oder der denkmalgerechten Sanierung kann der 3D-Druck das Bauen effizienter, ressourcenschonender und flexibler machen. Die industrielle Vision des Bauens rückt damit ein Stück näher – nicht als Utopie, sondern als Teil eines zunehmend digitalisierten Baualltags.




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