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Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz. Foto: Gerd Altmann/Pixabay

Kann künstliche Intelligenz Funktion und Ästhetik generieren oder gar beides miteinander verbinden? Und wenn ja, was bedeutet das für die Qualität der gestalterischen Resultate und für die Arbeit von Designerinnen und Designern? Eine Reflektion.

Von Lutz Dietzold.

Die KI ist das Ende der Kreativität. So lautet zumindest eine häufig formulierte Sorge. Designerinnen und Designer sorgen sich, dass der Kern ihrer Arbeit, der eigentliche kreative Schöpfungsprozess, verloren gehen könnte. Nutzerinnen und Nutzer hingegen sorgen sich, dass sie von Maschinen gestaltete, gleichförmige und seelenlose Produkte vorgesetzt bekommen; deren Vertrieb womöglich ebenfalls von einer KI gesteuert ist. Das hört sich nach wenig Freude auf beiden Seiten an. Doch sind die Sorgen berechtigt? Generell ist Kreativität die Rekombination bestehenden Wissens zu neuen, noch nicht dagewesenen Resultaten. Demnach ist das Prinzip, wie Mensch oder Maschine vorgehen, um etwas Neues zu erschaffen, im Kern also gleich. Einer von beiden ist in der Rekombination und deren Visualisierung allerdings deutlich schneller – und das ist nicht der Mensch.

Smarte Co-Designer

Gute Produkte, Interfaces oder grafische Arbeiten zu gestalten, ist ein aufwändiger Prozess, der viel Zeit und Know-how benötigt. In den letzten Jahrzehnten ist durch Software, schnelle Rechenleistung und technologische Möglichkeiten wie etwa 3D-Druck einiges geschehen, was den Gestaltungsprozess deutlich geändert und beschleunigt hat. Doch die nächste große Veränderungswelle rollt schon: Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz versprechen einen noch grundlegenderen Wandel, als wir ihn in den vergangenen Jahren erlebt haben. Während aktuelle Hard- und Software für Gestalter lediglich ausgefeilte und gut funktionierende Werkzeuge sind, schickt sich die KI an, zum Co-Designer, zum Assistenten zu werden.

Das neuronales Netzwerk DALL-E von OpenAI erzeugt Bilder aus Text. © OpenAI

KI-Unterstützung bei der Bildbearbeitung oder im Layout hält heute schon sehr praktische Beschleunigungen und Vereinfachungen bereit. Das spannendste Charakteristikum der KI in der Gestaltung ist jedoch das generative Design, also das Erzeugen von Varianten anhand anpassbarer Parameter. Deren Grundlagen liegen mit Georg Nees´ Arbeiten bereits in den 1960er Jahren, doch erst in den letzten Jahren waren durch immer komplexere Algorithmen und höhere Rechenleistung große Sprünge dieses Ansatzes möglich. Neu ist, dass mit dem Begriff generatives Design heute nicht nur das Erzeugen von Varianten durch vorgegebene Parameter gemeint ist, sondern die quasi eigenständige Entwicklung von Varianten. Insbesondere bei konstruktiven Fragestellungen wie Kräftefluss, Aerodynamik, Strömung von Flüssigkeiten etc. bringt die KI echte Verbesserungen ein.

Interessant dabei ist, dass besonders im generativen 3D-Design die Ergebnisse durch Versuchsreihen entstehen, quasi durch Versuch und Irrtum – nur in viel schnellerem Tempo, als ein Designer die Varianten entstehen lassen könnte.

Die schnelle Erzeugung von Varianten kann somit die Ideationsphase beschleunigen,

Simulation integrieren und das Ergebnis hinsichtlich Festigkeit, Materialverbrauch und Gewicht optimieren. Letztendlich lassen sich so also auch nachhaltigere Ergebnisse erzielen.

Corporate Design Intelligence?

Da wir uns beim Rat für Formgebung viel mit großen Marken, ganz gleich ob Hidden Champions oder internationale Blue Chips, beschäftigen, ist der folgende Gedankengang naheliegend: Taugt künstliche Intelligenz für die Führung und Pflege komplexer Markenarchitekturen? Die Möglichkeiten klingen ideal: Designerinnen und Designer geben Parameter vor, beschreiben den Charakter, die Wesenszüge der Marke. Und in den alltäglichen Gestaltungsaufgaben kommt kein Corporate Design-Manual mehr zum Einsatz, in dem die Gestalterin oder der der Gestalter Schriften, Farben und Bildsprache nachschlägt und händisch umsetzt. Nein, bei jeder neuen Gestaltung wendet die KI den zuvor definierten Charakter an. Layouts werden immer neu, aber doch im Gleichklang mit der Familie, Bilder werden nicht nur passend zusammengestellt, sondern speziell generiert. Hohe Exklusivität, keine Duplikate und auch keine Lizenzen. Die Marke wächst beständig und entwickelt sich weiter, Stillstand war gestern. Das wäre einiges mehr als ein automatisch generiertes Logo.

Logoentwicklung des Rat für Formgebung
Die Logoentwicklung des Rat für Formgebung von Anton-Stankowski. © Rat für Formgebung

Die gute intelligente Form

Und noch ein kleiner Exkurs sei erlaubt vor dem designgeschichtlichen Hintergrund des Rat für Formgebung: Wie hätte wohl Max Bill künstliche Intelligenz eingesetzt, um die Gute Form zu erreichen? Hätte er die Algorithmen derart gefüttert und präpariert, dass Produkte nach den Prinzipien der Guten Form von der KI reihenweise entworfen würden? Sich immer weiter selbst optimierende Archetypen, die im finalen Stadium eine innige Symbiose von Funktion und Ästhetik erreichen, die allen Ulmer Kollegen die Tränen in die Augen getrieben hätten? Eine denkbare Option – aber würde sich eine künstliche Intelligenz damit zufriedengeben, dass eine Form irgendwann fertig und ausentwickelt ist? Würde sie nicht endlos weiter optimieren, in immer kleineren Schritten? Oder das Gegenteil würde eintreten: Im Sinne der unendlichen Variantenzahl des generativen Designs würde die KI durch immer neue Versionen beweisen, dass die Gute Form in ihrem finalen Stadium gar nicht existiert. Es gibt immer ein Ergebnis, das nicht besser oder schlechter, sondern anders ist als die Geschwister.

Die Nutzerinnen- und Nutzersicht

KI kann Design unterstützen
Foto: Pixabay

Doch zurück ins Hier und Jetzt. Was erwartet eigentlich die Nutzerinnen und Nutzer, profitieren sie von der KI? Sehen die mit KI-Unterstützung gestalteten Ergebnisse anders aus? Lassen sie sich besser bedienen, sind sie individueller? Oder interessiert es den Nutzer letztendlich überhaupt nicht, wer seinen Mixer, seine Fitness-App oder seinen Schreibtischstuhl entworfen hat – die KI, ein/e Disigner/in oder beide zusammen?

Manchen Resultaten mag man es ansehen, etwa weil das generative Design einem Möbelstück eine organische Anmutung mitgegeben hat, wie sie zuletzt in dieser Deutlichkeit im Jugendstil zu sehen war. Bei vielen Resultaten jedoch werkelt die KI einfach während des Entwurfsprozesses im Verborgenen und beschleunigt und vereinfacht die Abläufe und optimiert die Ergebnisse. Die Chance besteht, dass die Produkte besser werden – und auch individueller. Insbesondere bei digitalen Interfaces kann die KI unendlich viele individuelle Lösungen schaffen. Die ganz persönliche Nutzeroberfläche: Über die Zeit merkt die KI, was die Nutzerin oder der Nutzer macht, welche Funktionen er nutzt, welche Abläufe sie oder er bevorzugt – und passt die fluide Masse der Schaltflächen, Fenster und Menüs ganz auf das Individuum an. Schön, benutzbar, einzigartig wäre das Ergebnis.

Designende als Dirigentinnen und Dirgenten

Entwarnung: Der Designer, die Designerin und das Entwicklungsteam bleiben am Ruder. Die KI bietet wertvolle Unterstützung und Beschleunigung, kann aber immer nur in ihrem definierten Spezialgebiet gut sein. Sie kann dabei Arbeitsschritte übernehmen, Kapazitäten freimachen, Testreihen durchführen und ja: sogar neue Entwurfsvorschläge unterbreiten. Den Blick für das große Ganze jedoch muss der oder die Gestaltende behalten; das intuitive Erfahrungswissen wird durch komplexe Datenverarbeitung gestützt. Willkommen im Team, KI!


Der Autor: Lutz Dietzold

Geschäftsführer Rat für Formgebung

Lutz Dietzold, Geschäftsführer Rat für Formgebung © Lutz Sternstein
Lutz Dietzold © Lutz Sternstein

Lutz Dietzold (*1966) ist seit 2002 Geschäftsführer des Rat für Formgebung. Zuvor war er selbstständig in der Designkommunikation tätig und verantwortete als Geschäftsführer des hessischen Designzentrums die strategische Neuausrichtung der Designförderung.

Fundiert auf seinem Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Germanistik in Frankfurt hat Lutz Dietzold langjährige Expertise in den Bereichen Design, Marke und Innovation. Sein Augenmerk gilt zudem der Förderung von Design und Designnachwuchs. Seit 2011 ist er Beiratsmitglied der Mia-Seeger-Stiftung und Mitglied im Vorstand der Stiftung Deutsches Design Museum, dessen Vorsitz er 2020 übernahm. Im selben Jahr wurde er in den Beirat des Dieselkuratoriums berufen und setzt sich dafür ein, die Vorreiterrolle wirtschaftlich erfolgreicher Innovatoren zu stärken.

Zudem engagiert sich Lutz Dietzold für die verstärkt internationale Ausrichtung des Rat für Formgebung und seines weltweiten Netzwerks von führenden Unternehmen aus Industrie und Wirtschaft. Dazu zählt der Aufbau einer Tochtergesellschaft in China.

Lutz Dietzold veröffentlicht regelmäßig Beiträge und hält national und international Vorträge zu einer Vielzahl von Themen. Daneben ist er Mitglied in zahlreichen Gremien und Jurys sowie Projektbeirat des Bundespreis Ecodesign des Bundesumweltministeriums.


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