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Konsequenz, Transparenz, Haltung: Nils Holger Moormann gilt als sympathischer Sonderling, der gern aus der Reihe tanzt. Von Aschau im Chiemgau aus hat er mit Geschick und Humor im Möbeldesign der vergangenen Jahrzehnte Erstaunliches bewirkt.

Von Thomas Wagner

Nils Holger Moormann
Residieren auf dem Campingplatz: Moormanns Custombus, © We make them wonder

Seile haben bei Nils Holger Moormann immer eine Rolle gespielt: Zum darauf tanzen (wie im Zirkus) ebenso wie zum Absichern und unter Spannung halten. (Die Stichworte lauten: „Kampenwand“ und „Seiltänzer-Bett“). Nicht zu vergessen: Ob auf dem Seil oder auf festem bayrischem Boden, Moormann tanzt als Design-Unternehmer seit den 1980er-Jahren mit Lust, gut gelaunt und sehr erfolgreich aus der Reihe. Eines hat der eigensinnige Enthusiast dabei nie auch nur in Erwägung gezogen: Sich abzuseilen. Und vielleicht gehört es auch zu seinem Erfolgsrezept, dass sich Geschäftspartner, aber auch seine Kundinnen und Kunden, bei ihm wie Seilschaften beim Klettern fühlen können – verlässlich an langer, vom Möbel-Berg-Führer gehaltener Leine miteinander verbunden.

Nils Holger Moormann: Ein Metaphoriker erster Klasse

Irgendwie kommt man bei Moormanns Vergnügen am Tanz aus dem Metapherngestöber nicht heraus. Schließlich ist er nicht nur ein Leser, sondern auch ein Metaphoriker erster Güte. Deshalb haben auch die Namen seiner Möbel (und anderer Dinge) einen unverwechselbaren Charakter. Was er als Design-Möbel-Verleger auch entdeckt, entwickelt, im Umkreis von Aschau regional verankert produzieren lässt, vertreibt und, wenn es denn sein muss, auch mal selbst gestaltet, klingt immer nach Moormann. Hier findet sich so manch funkelndes Juwel, dessen poetisch-ironische Wirkkraft weit über die Kalauer ambitionierten Marketings hinausgeht. Mit dem Effekt, dass Moormann-Möbelnamen selbst dann im Gedächtnis haften bleiben, wenn man das entsprechende Möbelstück gar nicht sein Eigen nennt.

Kampenwand und Seiltänzer: Die Namen seiner Möbel (und anderer Dinge) haben einen unverwechselbaren Charakter, © Nils Holger Moormann

Siebenschläfer, Tagedieb und Kampenwand

Kann ein Bett, das erholsamen Schlaf verspricht anders heißen als „Siebenschläfer“ oder „Tagedieb“? Wie wunderbar irritierend ist es, wenn das Regalsystem, das Axel Kufus 1989 entwickelt hat (und verdientermaßen längst zum Klassiker geworden ist), auf den Namen FNP, sprich „Flächennutzungsplan“ getauft wurde. „Der Buchheimer“ (Design Martin Breuer Bono, 2014), ist so simpel und beweglich wie ein Wanderstock durchs Bücherland. Er passt ideal zum „Kleinen Lehner“ (Jörg Gätjens, 2003). Ein Schrank heißt „Dresscode“ (Jörg Boner, 2004), das Regalsystem von Axel Kufus von 2001 befreit sich vom „R“ und sonstigen Einschränkungen und heißt deshalb „Egal“. Ein Tischgestell samt Versteifungskreuz (Franz Volhard, 2010) kann bei Moormann nur „Egon“ heißen, ein flexibles Leselicht ist „La Funsel“, und Konstantin Grcics anthropomorpher Garderobenständer (1998) hat den „Hut ab“. Und wie könnten Tisch und Bank aus Aschau anders heißen als der Hausberg: „Kampenwand“ (Nil Holger Moormann, 2009). Man mag gar nicht aufhören, all die hintersinnig-anspielungsreichen Namen aufzuzählen.

Ein Schwabe mit norddeutschen Wurzeln

Wer nun glaubt, Nils Holger Moormann sei ein Spross eines der bayrischen Stämme, irrt. Moormann war 16, als seine Eltern mit ihm von Stuttgart in den Chiemgau zogen. Florian Hufnagel hat, als Moormann 2015 mit dem German Design Award in der Kategorie „Personality“ ausgezeichnet wurde, in seiner Laudatio (einem Lichtbildervortrag) beschrieben, wie sich die familiären Dinge verhalten: „Der Herr Papa war ein Westfale und die Frau Mama kam aus Hamburg – damit dürfte auch der Vorname „Nils“ abgeklopft sein. Und das Ganze belegt wieder einmal die Großzügigkeit des Freistaates Bayern, dass man Menschen mit einer derartigen Herkunft, die ein abgebrochenes Jurastudium miteinschließt, die Ansiedelung in Bayern gestattet.“

2015 wurde Moormann vom Rat für Formgebung als „Personality“ ausgezeichnet. Florian Hufnagel hielt die Laudatio (mit im Bild: der ehemalige Hauptgeschäftsführer des Rat für Formgebung, Andrej Kupetz), © Lutz Sternstein

Plötzlich Unternehmer

Der Schwabe mit norddeutschen Wurzeln und ohne Studienabschluss begann (inklusive Nebenjobs) als Möbelvertreter. Die Branche lernte er beim Tingeln von Händler zu Händler kennen – und nahm in den Achtzigern, es war die Zeit der Neuen Deutschen (Möbel)welle, nach und nach Fahrt auf. Wolfgang Laubersheimers „Gespanntes Regal“ aus unbehandeltem Stahl mit sichtbaren Schweißpunkten Anfang der 1980er-Jahre als Gegenentwurf zur Guten Form entstanden, und Hanspeter Weidmanns (ohne Ende plagiierte), ebenfalls aus Stahlblech gefertigte „Schuhkippe“, stehen für die Anfänge des Unternehmens. Mitte der Achtziger kam dann der Durchbruch auf der Kölner Möbelmesse: „Schulterklopfen bis zum Hämatom“. Aber eben auch: „Wir haben wie wahnsinnig verkauft. Wie nie in meinem Leben. Ich bin überhaupt nicht mehr nachgekommen, weil es auf einen Schlag entdeckt wurde.“ Aus dem Impuls des Aufbruchs und dem Geist der Rebellion entwickelte Moormann eine eigenständige Traditionslinie des Möbeldesigns. Der Aufstand des „Neuen Deutschen Designs“ wurde Geschichte, Moormann blieb – und steuerte sein Unternehmen mit großem Erfolg als geschickter Kapitän durch die Wellen der Möbelkonjunktur der vergangenen Jahrzehnte. (Nebenher schuf er mit „berge“ in Hohen-Aschau 2009 auch noch einen neuartigen Typus von Design-Herberge.)

Legendär ist Moormanns Auseinandersetzung mit dem Möbelgiganten Ikea. Die Sache begann, als er 1998 in einem Ikea-Produkt die Nachahmung seines Tischbocks „Taurus“ erkannte. Der Prozess ging durch sämtliche Instanzen, bis Moormann am Ende obsiegte.

Auch im Rat für Formgebung hat sich Moormann engagiert, als Stifter und von 2001 bis 2021 als Mitglied des Präsidiums. „Was mich am Rat für Formgebung interessiert“, sagte er im Rahmen eines Stifterporträts von Dieter Kretschmann und Stephan Ott, „ist die menschliche Ebene der Offenheit, dass du Leute kennenlernst, die du sonst nicht so einfach kennenlernst oder in einem anderen Kontext kennenlernst.“

Entschleunigung und Orientierung

Ob er Fahrrad fährt oder wandert, in Mailand auf dem Campingplatz residiert („…in Mailand hat es mir nach wie vor der schaurige Campingplatz angetan mit kreischenden Pfauen und Nächte lang tanzenden Skandinavierinnen“), Moormann setzt in einer Branche, deren Protagonisten sich oft genug wie Hamster auf Speed abstrampeln, auf Entschleunigung, nicht zuletzt durch Humor. Die Möbel, die er anbietet, sind einfach, aber klar. Statt leicht verderblichen Schnickschnack, bieten sie langlebige Orientierung; als wäre es (materialistisch betrachtet) nie ein Problem gewesen, Theorie und Praxis zu vereinen. Um das zu erreichen, halfen Moormann seine Begeisterungsfähig und sein Sinn für Kommunikation. Ein (in diesem Zusammenhang wenig gebräuchliches) Wort, das in dem Stifterporträt Moormanns auftaucht, trifft sein unternehmerisches Geschick ganz gut: intertribal. Hat er es doch großartig hinbekommen, freundschaftlich zwischen den einzelnen Stämmen des Designs zu agieren, ohne dabei in Rivalitäten zerrieben zu werden. Zugleich hat er das Unwahrscheinliche geschafft, und seiner Kollektion einen eigenen Charakter gegeben. Man kann es auch so sagen: Nils Holger Moormann ist und bleibt eben sein eigener Stammesfürst. Ein Grund, weshalb ihn Trends nie interessiert haben („Ich wollte nie im Trend sein! Ich will einfach mein Zeugs machen. Gott sei Dank gibt es inzwischen so viele Turbotrends gleichzeitig, dass man gar nicht mehr mitkriegt, in welcher Trendphase wir gerade sind.“) Einen Riecher für Talente aber hat er. Und „Lotterie-Design“ nannte er es, wenn ihn Gestalter aus aller Welt mit Vorschlägen bombardierten.

Konsequenz, Transparenz, Haltung

Moormann wäre nicht Moormann, hätte er sich nicht gefragt, nach welchen Kriterien er „sein Geschäftsleben“ ausrichten will. Erst kam er auf 20, dann auf zehn Punkte, was ihm zu sehr nach den „Zehn Geboten“ klang. Am Ende sind drei Regeln geblieben. Erstens: Konsequenz. „Wirklich gelebt, ist das brutal anstrengend“, hält er fest. Konsequenz aber sei „die große Schwester von Qualität und Charakter“. Das Zweite ist eine höchstmögliche Transparenz. („Ich möchte eigentlich keine Kunden haben, ich möchte eher Partner haben.“). Und das Dritte ist: Haltung.

Nils Holger Moormann
Schichtwechsel auf der Kommandobrücke: 2020 übergab Moormann sein Unternehmen an Kristina Münnix und Christian Knorst, © Moormann

Nimmt man den Humor hinzu (ohne den es nicht geht, wenn man täglich zu Höchstleistungen verdammt ist), auch das Staunenkönnen und das Spielerische, dann kann ein Raum entstehen, in dem Freiheit gelebt werden kann: „Freiheit hat mir immer alles bedeutet. Das hat wohl auch dazu geführt, dass die Kollektion so geworden ist, wie sie ist. Selbst in den schlimmsten Zeiten, wo ich fast verhungert bin, habe ich mich nie dem merkantilen Erfolg gebeugt, nie.“ 2020 hat Nils Holger Moormann sein Unternehmen verkauft. Er wollte „kein abgehalfterter Kapitän“ werden. Seitdem schwimmt und fährt das Schiff in den Bergen ohne ihn. Er kultiviert, wenn man ihm glauben darf, seine Ecken und Kanten. Und so ist es alles andere als ein Zufall, dass an der Zufahrt zur „berge“ ein Schild hängt, auf dem die spielerisch, aber entscheidend gedrehte Aufforderung steht: Freiheit aushalten. Wir gratulieren zum siebzehnten! Oder war’s der siebzigste Geburtstag?

Nils Holger Moormann
Ein Schild an der Zufahrt zur Moormanns „berge“ fordert spielerisch auf: Freiheit aushalten, © Thomas Wagner

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