Wie wollen wir miteinander leben? Eine Frage, die junge Gestaltende an deutschen Hochschulen umtreibt. Sie versuchen Antworten zu finden, indem sie unterschiedliche Projekte im Bereich Social Design ausarbeiten und dabei sehr genau erkennen, woran es in unserer Gesellschaft fehlt.
Von Ulla Weismüller
Die Frage, wie wir miteinander leben wollen, stellt sich nicht nur in Zeiten von Krieg und Pandemie, sondern beschäftigt Gestaltende schon seit Jahrzehnten. Schon vor über 50 Jahren stellte Viktor Papanek fest, dass wir damit aufhören müssten, „schlecht designte Objekte“ zu verbreiten, sondern damit beginnen müssten, ökologisch und sozial verantwortlich mit den Menschen zusammen nach Lösungen suchen.
Ist nicht jedes Design sozial, da Gestaltung doch immer innerhalb unserer Gesellschaft und auch für die Gesellschaft geschieht? Soziales Design geschieht immer im Dialog, hat sich Partizipation und Emanzipation zum Credo gemacht. An den Gestaltungshochschulen nehmen sich Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen dieses Themas an. Hierbei entstehen Konzepte, die sich mit der Nutzung des öffentlichen Raums, seiner partizipativen Erschließung und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Demokratie beschäftigen. Drei exemplarische Projekte für die Auseinandersetzung mit Social Design liefert die German Design Graduates-Plattform.
„Wir müssen unseren Großeltern zuhören, um etwas über uns selbst zu erfahren.“
„Zuhören“, sagt Jasmin Schauer im Gespräch, sei eine wichtige Grundlage bei der Realisierung ihres Projekts „Denk-mal“ gewesen. Man müsse sich mit den Menschen, die es betrifft, auseinandersetzen, damit Ideen der Gestalterinnen und Gestalter von ihnen umgesetzt werden. Die Industriedesignerin entwickelte eine Designstrategie für eine zeitgemäße Erinnerungskultur zur Wiedervereinigung 1989: Für ihre Masterarbeit wurde exemplarisch am Bürgerdenkmal der Montagsdemonstrationen in Magdeburg ein Spanngurt angebracht. Die darauf zu lesende Website www.bei-anruf-einheit.de und der QR-Code münden in einem offenen auditiven Archiv, einem partizipativen Podcast, der auf der Seite angehört werden kann. Persönliche Erinnerungen oder Fragestellungen rund um diese Zeit können per Anrufbeantworter dem Archiv beigesteuert werden. Durch das wandern der Spanngurte durch ganz Deutschland, füllt sich das Archiv aus den verschiedensten Blickwinkeln.
Die Absolventin der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle setzte im Entwicklungsprozess ihrer Arbeit bereits partizipative Ansätze um: „Ich kann als Gestalterin allein nicht entscheiden, was im gemeinsamen Interesse ist und wie wir öffentlichen Raum nutzen, den wir alle zur Verfügung haben.“ Schauer erklärt, die Aufgabe der Gestaltenden liege dann darin zu moderieren und sich unterschiedliche Expertisen heranzuholen. Social Design müsse versuchen, bereits in der Entwicklung einer Erinnerungskultur alle Menschen zu inkludieren, die Schwarmintelligenz zu nutzen. Eine Erfahrung, die auch die Designerin im Arbeitsprozess machte. In Workshops mit unterschiedlichen Menschen entwickelte sie Ideeansätze zur Wiedervereinigung – und stellte fest, dass das Gut des Zuhörens ganz am Anfang steht. „Wir müssen die Menschen fragen, was passiert ist, wie ihre Perspektive auf die Deutsche Einheit und ihre Gefühle sind. Wir müssen unseren Großeltern zuhören, um überhaupt etwas über uns selbst zu erfahren.“
Spielend Demokratie begreifen
Auf dem Mitgestalten liegt im Projekt von Ezra Dilger und Kollektiv Plus X der Fokus. „Theater on Tour“ ist ein mobiles Amphitheater, das ähnlich einem Wanderzirkus von Juli bis September 2021 im ländlichen Raum Ostdeutschlands auf Reisen ging. Vor Ort arbeiteten die Mitglieder von Kollektiv Plus X mit lokalen Akteurinnen und Akteuren zusammen – Schauspieler/-innen, Musiker/-innen, Regisseur-innen. An fünf Orten fand so jeweils ein einwöchiges, breit gefächerten Theaterprogramm statt. Thema der Stücke: Freiheit, Demokratie, Teilhabe. Die Stücke luden zur Partizipation ein, Social Design auf der Bühne sozusagen, erzählen Ezra Dilger und Marvin Schwark. „Der Fokus der Theaterstücke lag auf Teilhabe, auf Aushandlungsprozessen. Es sollte aktiv abgestimmt werden, wie das Stück weitergeht, es konnte mitgespielt werden. Dieses Einbeziehen der Besucherinnen und Besucher, das ist eine Besonderheit bei unserem Projekt.“ Ezra Dilger, ebenso Absolvent der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, sieht vor allem den partizipativen Aspekt und das Empowerment der Zuschauenden als Akt des Sozialen Designs.
Das flexible Einsetzen des Amphitheaters, auch an entlegenen Orten im ländlichen Raum, wird durch seine Architektur ermöglicht: Das Theater ist mobil, bestehend aus einem Baugerüst und Siebdruckplatten. Schon sein Vorgängerprojekt – das Fliegende Forum in Leipzig, in dem Diskussionsformate stattfanden – profitierte von seiner architektonischen Form und regte so zum Miteinanderreden an. Denn wo sonst ist man so stark seinem Gegenüber ausgesetzt, wie in einem Kreis? Für das Theater on Tour wurde die Architektur vergrößert. Bühne und Zuschauerrang sollen auf eine Ebene kommen und miteinander agieren.
Das Projekt von Kollektiv Plus X soll fortgeführt werden, um neue Konzepte zu suchen, wie hochwertige Kultur in kleine Orte gebracht werden kann.
Social Design als soziale Frage
Mit dem Thema Teilhabe beschäftigt sich auch Antonia Ney in ihrer Bachelorarbeit „Frei_Park_Raum“ an der Bauhaus Universität Weimar, wenn auch auf etwas andere Weise. Ney stellt die Frage nach der Teilhabe an öffentlichem Raum: „Wie kann ich im öffentlichen Raum einen konsumzwangfreien Ort schaffen, wenn ein Treffen außerhalb der Wohnung zum Privileg wird?“ Frei_Park_Raum soll konkret vor allem Jugendliche ansprechen, eine Art „Safe Space“ bieten, nicht nur für junge Frauen. Ney möchte einen öffentlichen Ort schaffen für alle, niedrigschwellig, überall und für jeden einsetzbar: „Kulturell, sozial und auch räumlich gesehen ist es ein kleiner, abgeschlossener Raum, in dem ich nicht direkt gehört werde von außen, ein eigener, geschützter Raum, in dem ich mich eins zu eins unterhalten kann.“
Der öffentliche Ort in diesem Fall ist ein Parkplatz, der Safe Space ein Fahrradanhänger, gebaut aus wiederverwendeten Materialien. Denn: „Alles, was im Straßenverkehr fahren darf, darf auch parken.“ Damit entzieht sich das Projekt jeglicher Regulation und wird flexibel und an jedem Ort einsetzbar. Zwei Personen können bequem darin sitzen, auch bei Regen. Alternativnutzung als Bar wurden auch schon beobachtet. „Frei_Park-Raum“ wurde als Prototyp gebaut und soll andere zum Selbstbau inspirieren, um noch mehr Orte für alle zu schaffen.
Antonia Ney stellt mit ihren Projekten die soziale Frage, sie arbeite im Bereich „Design Activism“, erklärt sie: „Mich begleitet die Frage, inwiefern Design sich von der kapitalistischen Herkunftsgeschichte emanzipieren kann und inwiefern ich mit Design in der Disziplin etwas meinen moralischen und ethischen Wertvorstellungen Entsprechendes machen kann.“
German Design Graduates
Die genannten Designerinnen und Designer sind Teil der diesjährigen German Design Graduates. GDG ist eine Initiative mit dem Zweck der Nachwuchsförderung von Produktdesignabsolventinnen und -absolventen sowie der Präsentation von staatlich anerkannten Universitäten, Kunsthochschulen und Fachhochschulen. 2019 von Prof. Ineke Hans, Prof. Hermann Weizenegger, Prof. Mark Braun und Katrin Krupka initiiert, hat seit 2022 der Rat für Formgebung die Projektträgerschaft. Die Leistungen und Lösungen von Absolventinnen und Absolventen in ihrer Qualität und Vielfältigkeit auszuzeichnen, zu präsentieren und zu fördern ist der wichtigste Baustein der GDG Initiative.
Am 2. Oktober 2022 wurden die Awards in den Bereichen Circular Design, Social Design, Design Research und Design Culture verliehen, worunter das „Theater on Tour“ von Ezra Dilger und dem Kollektiv Plus X mit dem Social Design Award ausgezeichnet wurde. Die German Design Graduates Show 2022 im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit dem Schwerpunkt „Perspectives for Graduates in Product Design“ widmet sich unter dem Einfluss der gravierenden Veränderungen und Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Umwelt den zentralen Themen unserer Zeit und zeigt die interessantesten Ideen und Lösungsansätze von 40 jungen Designerinnen und Designern aus über 20 deutschen Hochschulen des Produktdesigns. Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Oktober in Dresden zu sehen.
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