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Von Benjamin Vogt.

Designer sind keine Superhelden. Auch wenn manche von ihnen glauben, sie können die Welt retten. Benjamin Vogt, Doktorand und Designwissenschaftler an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, sieht trotzdem einige Parallelen, vor allem zum Superhelden Spiderman. Dessen übernatürlicher Sinn für Zukünftiges lässt sich durchaus mit dem sogenannten „Designer-Sense“ vergleichen.


Wenn mich als Kind jemand fragte, was ich später gern werden würde, war die Antwort klar: Spiderman. Wände hochklettern, Spinnennetze verschießen und sich in luftiger Höhe durch das riesige Labyrinth von New York schwingen. Beim Klettern versuche ich, diesem Ideal immer noch nachzueifern. Und auch meine Berufswahl – der Beruf des Designers – hat so viel mit Spiderman gemeinsam, dass ich behaupten kann, mir meinen Kindheitstraum erfüllt zu haben.

Vom Zusammenhalten der richtigen Fäden

Als DesignerInnen tun wir es Peter Parker gleich und hängen, in voller Absicht, immer etwas zwischen den Dingen. Im Design geht es dabei weniger um das Schwingen von Hochhaus zu Hochhaus, als um die Verbindung der Themenfelder und Wissensbereiche, die für den Entwurf relevant sind. Um das Spektrum von Technologie, Ästhetik, Philosophie, Marktforschung, Soziologie etc. zu überblicken, zu verbinden und sinnvoll zu einem Entwurf zu verknüpfen, braucht es Überblick – etwas Abstand vom Netz, um zu sehen, wo die Fäden zusammenlaufen. An diesen Verbindungen hangeln wir uns durch den Entwurfsprozess, von einer Quelle und Inspiration zur anderen, stürzen uns in die Straßenschluchten der Internetrecherche und Entwurf-Iteration.

Dabei ist die Auswahl der Wissensbereiche relevant. Zu früh zu viele Verbindungen einzugehen, das blockiert das Vorankommen, sowohl durch den Entwurfsprozess als auch hangelnd von Fassade zu Fassade. Es gilt eine Balance zu halten, zwischen zu viel und zu wenig Kontakt. Einige stabile Quellen lassen als Stütze viel Flexibilität und Bewegungsfreiraum zu, wohingegen ein ganzes Netz oft lediglich zur Fixierung benötigt wird, sei dies, um Bösewichte an die Hauswand zu kleben oder um entwurfsrelevante Gestaltungsgrundlagen und Interaktionskonzepte zu fixieren.

Eine Flexibilisierung der Perspektive

Es ist hohe Flexibilität gefordert, um die Dinge auch anders zu betrachten und uns oder unsere Perspektive versuchsweise auf den Kopf zu stellen. Erst dann gewinnt man den richtigen Blickwinkel. Wie Spiderman folgen wir einem grundlegenden Briefing, welches uns auf den Plan ruft: Was bei der Spinne die Polizeisirenen sind, die durch die Stadt schallen, das ist im Design der nächste Auftrag, das nächste reizvolle Projekt. Und ebenso sind wir nie fertig mit unserer Arbeit – dieselben Schufte brechen wieder aus, dieselben Themen müssen durch gesellschaftliche oder technologische Veränderungen neu angegangen und gestaltet werden. So wie das Verbrechen nie schläft, ist auch der Entwurf nie fertig.

Es ist Flexibilität gefordert, um die Dinge anders zu betrachten und unsere Perspektive versuchsweise auf den Kopf zu stellen … So wie das Verbrechen nie schläft, ist auch der Entwurf nie fertig.

Kleine Probleme als Teile des großen Ganzen

Leider hat Spiderman als Figur für mich mittlerweile einen leicht schalen Beigeschmack bekommen, da er – wenn man es genau nimmt – nur kleine Probleme löst. Natürlich kommt ab und zu ein besonders fieser Bösewicht vorbei, dem es das Handwerk zu legen gilt, so wie es im Design immer mal wieder einen großen Auftrag gibt, bei dem man mit viel kreativem Freiraum Neues schaffen kann. Aber wie der Designer versucht sich auch Spiderman nicht daran, die ganz großen Themen anzugehen.

Ich rede davon, das Ozonloch mit Spinnenseide zu verschließen oder CO2 ins Gefängnis zu stecken. Damit möchte ich Peter Parker keinen Vorwurf machen, denn offensichtlich stoßen die Fähigkeiten der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft hier leider an ihre Grenzen. Spidermans Fähigkeiten brauchen die Infrastruktur unserer industrialisierten Gesellschaft, denn ohne die Hochhäuser und Gebäude ist er sehr stark eingeschränkt in seinem Handlungsfreiraum.

Probleme im Kontext der Infrastruktur

Aktuell gilt für den Designer dasselbe: Ohne die Infrastruktur der Industrie, der Fertigung und des kapitalistischen Konsumverhaltens wäre die Fähigkeit, kreative, ästhetische und insbesondere massentaugliche Lösungen zu finden, überflüssig. Bringt man beide Umfelder und Tätigkeiten zusammen, lösen sowohl Spiderman als auch der Designer nur sogenannte First World Problems. Denn weder zählt NYC zu den wirklich hilfsbedürftigen Orten dieser Erde, noch finden Designer Antworten für die wirklich großen Probleme.

So wie Spiderman die Reichen davor rettet, etwas ärmer zu werden, so entwerfen Designer hauptsächlich Produkte für Menschen, die sich diese auch leisten können. Anstatt Antworten für Umstände zu entwickeln, die nicht mehr tragbar sind. Aber wie in jedem guten Superheldenfilm muss sich der Protagonist nur auf seine Stärke besinnen, um dem Bösewicht am Ende doch das Handwerk zu legen.

Der Spider-Sense – ein Sinn für Zukünftiges

Ich spiele an dieser Stelle auf eine oft unterschätzte Fähigkeit Spidermans an, die im aktuellen Kinofilm “Spider-Man Homecoming” der Schlüssel zum Sieg ist. Der Spider-Sense –  oder “Peter-Tingle”, wie er liebevoll im Film genannt wird – ist eine Art des intuitiven Vorhersehens bzw. Erspürens des Kommenden. Im neuesten Fall der Spinne sind die vorher zu sehenden Gegner ein Schwarm Drohnen, deren Bewegungen zu komplex für das menschliche Auge sind und denen Peter Parker nur durch seinen zusätzlichen Sinn entgegentreten kann.

Auch beim Spider-Sense ist es möglich, die Brücke zum Design zu schlagen. Denn meiner Meinung nach haben auch Designer einen Sinn für das Zukünftige. Damit ist nicht, wie vielleicht vermutet, die Intuition gemeint, sondern das methodische und wissenschaftliche Fundament des Designs. Designer antizipieren, entwerfen für die Zukunft und ihre Probleme. Ausbildung und Studium bilden die Basis dafür, methodisch und reflektiert zu erarbeiten, welche Technologien und Innovationen, welche Neuentwicklungen und gesellschaftlichen Themen für die Zukunft relevant werden.

Meiner Meinung nach haben auch Designer einen Sinn für das Zukünftige. Damit ist nicht die Intuition gemeint, sondern das methodische und wissenschaftliche Fundament des Designs.

Mit vielen Schritten Anlauf zum großen Sprung

Dabei soll Designern keine Unfehlbarkeit oder Allwissenheit zugeschrieben werden. Wie man unschwer an Konzepten wie dem Design Thinking sehen kann, basieren kreative Entwicklungen auf Iterationsprozessen. So kann mit vielen kleinen Schritten der Anlauf für große Sprünge genommen werden. Das Fundament für diese Arbeit kann wie bei unserem Superhelden als eine Art weiterer Sinn bezeichnet werden, ein „Designer-Sense“ sozusagen. Im Gegensatz zum „Peter Tingle“ wird dieser meiner Meinung nach erlernt, trainiert und ausgebildet.

Das ist jedenfalls aus Sicht des Designs nichts Neues. In den breitgefächerten Designstudiengängen an Universitäten und Hochschulen werden verschiedenste Konzepte verfolgt, um Kreativität und antizipatorisches Denken auszubilden und zu schulen. Natürlich wird nicht in jedem Studium der gleiche Fokus auf konzeptionelles Arbeiten und das dafür unerlässliche designwissenschaftliche Wissen gelegt. Erst dieses Wissen erzeugt aber das erforderliche Know-How, um die großen Innovationen anzugehen. Es braucht den Abstand, die philosophische, analytisch betrachtende Sicht, den Blick auf das Ganze und die kreativ gestalterische Fähigkeit, um zu sehen, wo Innovationen die meisten Veränderungen werden hervorrufen können. Wobei natürlich Kontextwissen unersetzlich ist.

Die Ausbildung der Antizipation

Es ist offensichtlich schlecht möglich, einen Appell an eine Comicfigur zu richten. Stattdessen richtet er sich an die DesignerInnen mit dem Anliegen, diese mögen sich auf die obigen Fähigkeiten konzentrieren, um damit Probleme zu antizipieren. Dabei muss man wohl zugeben, dass die Filme aus dem Marvel Universum stark an Spannung und Aktion verlieren und etwas abstrakt würden, wenn sie nach diesem Prinzip funktionierten. So sei denn Spiderman weiterhin seine heroische Rettung in letzter Sekunde gegönnt.

Aber ich habe die Hoffnung, dass auf der anderen Seite die DesignerInnen, die als Fachkräfte für kreatives Denken und als die AntizipatorInnen der Zukunft ausgebildet werden, ihr Potential erkennen und nutzen. Dass diese innovativen Köpfe für sich größer denken und für ihre Ideen eine große Bühne suchen. Dieser Weg mag von der praktischen Arbeit hin zu mehr Theorie und Konzeption führen. Auf jeden Fall führt er aber zu einer Mitgestaltung der Zukunft durch kreative und innovative Menschen, die weit und tief genug denken, ohne dabei den Überblick zu verlieren.

Ich hoffe, dass die DesignerInnen, die als Fachkräfte für kreatives Denken und als AntizipatorInnen der Zukunft ausgebildet werden, ihr Potential erkennen und nutzen.

Das soll nicht bedeuten, dass DesignerInnen sich als jene Weltverbesserer und Retter sehen sollen, die sie vielleicht gerne wären, jedoch als diejenigen, die wichtige Impulse in die richtige Richtung setzen können. Ich bin der Meinung, dass der „Designer-Sense“ eine enorme Tragweite entwickeln kann. Und deshalb stehen am Ende dieselben Worte, die Spidermans Onkel Ben ihm mit seinem letzten Atemzug mit auf den Weg gibt: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“.

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