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Von Klaus Meyer.

Der Uhrenhersteller Nomos macht von sich reden – mit ausgezeichneten Produkten, grandiosen Ingenieurleistungen, erstaunlichen Wachstumsraten und politischen Stellungnahmen. Wie prägen die beiden völlig gegensätzlichen Standorte des Unternehmens – im sächsischen Glashütte und in Berlin Kreuzberg – die angesagte Marke?

Es gibt zwei Wege zu Nomos. Der eine führt ins abenteuerliche Herz von Berlin-Kreuzberg, der andere ins sächsische Städtchen Glashütte, das eine halbe Autostunde südlich von Dresden im malerischen Müglitztal liegt und als Zentrum deutscher Uhrmacherkunst Weltruhm genießt. Wer sich für schön gestaltete Ziffernblätter interessiert, für Armbänder aus vegetabil gegerbtem Pferdeleder, für Autorendesign, Unternehmenskultur und Corporate Responsibility, wird sich in die Hauptstadt zum Paul-Lincke-Ufer am Landwehrkanal begeben und bei Berlinerblau anklingeln, der für Design und Markenführung zuständigen Tochterfirma von Nomos. Wer sich hingegen in Sachen Swing-System, Kaliber und Komplikationen schlaumachen will, wird eher Kurs auf Glashütte nehmen, wo der Hersteller mittlerweile drei Betriebsstätten unterhält.

Wohin nun sich wenden? Bei Nomos wirken Formgefühl und Rationalität, Design und Technik, Weltoffenheit und Traditionsbewusstsein, Berliner Hipness und sächsische Ingeniosität unheimlich gut zusammen. Es ist eine komplexe Marke, ein Sonntagskind aus Yin und Yang. Wer also das Unternehmen, seine Geschichte und seine Legende wirklich verstehen möchte, kommt nur auf beiden Wegen zum Ziel.

Berlinerblau, die Nomos-Tochteragentur für Marke und Design in Berlin. Copyright: NOMOS Glashütte
Berlinerblau, die Nomos-Tochteragentur für Marke und Design
in Berlin Kreuzberg. © NOMOS Glashütte

Es begann über einer Pommesbude

Beginnen wir in Glashütte: Die 1990 gegründete Uhrenmanufaktur Nomos Glashütte/ SA, die heute rund 300 Mitarbeiter beschäftigt und laut eigenem Bekunden den deutschen Markt mechanischer Uhren dominiert, begann ihren Produktionsbetrieb 1992 in »Heidi’s Imbiss« – genauer gesagt: in einem Zimmerchen über besagter Pommesbude. Drei ortsansässige Uhrmacher montierten dort die vier Ur-Modelle Tangente, Ludwig, Orion und Tetra, während Nomos-Gründer Roland Schwertner sich um den Vertrieb kümmerte (was er heute noch tut).

Der Düsseldorfer EDV-Experte und Modefotograf hätte sich wohl niemals aufs Uhrengeschäft verlegt, wäre nicht seine Großtante in Glashütte gewesen. Bei einem Besuch kurz nach der Wende erkannte Schwertner das enorme Potenzial, das in dem verträumten Ort im Osterzgebirge schlummerte. Der Schatz der 2.000-Seelen-Gemeinde waren seine Bewohner, größtenteils hochspezialisierte Feinstmechaniker, die oftmals bereits in der vierten Generation als Uhrmacher tätig waren.

Die erste Generation dieser Experten verdankt ihre Ausbildung dem Dresdner Uhrmacher Ferdinand Adolf Lange, der 1845 die Manufaktur A. Lange & Cie. in Glashütte gründete. Für diese Investition, die unter anderem die Ausbildung von 15 Lehrlingen einschloss, hatte Lange 7.800 Taler vom königlich sächsischen Innenministerium erhalten – eine Maßnahme zur Wirtschaftsförderung, die nicht sofort, aber nach und nach Früchte trug: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die seit dem Niedergang des Silberbergbaus verarmte Region zu einem Zentrum der Uhrenindustrie, deren Erzeugnisse den Vergleich mit Schweizer Spitzenprodukten nicht zu scheuen brauchten.

Schon für Uhrendandys des Fin de Siècle hatte Glashütte einen ähnlich guten Klang wie Biel, La Chaux-de-Fonds oder Le Locle. Vor allem waren es Zeitmesser der Marke A. Lange & Söhne, denen der Ort seinen Weltruf verdankte. Ein Urenkel von Ferdinand Adolf war es denn auch, der 1990 aus dem Pforzheimer Exil nach Glashütte zurückkehrte, um das zwischenzeitlich etwas blass gewordene Image der Uhrenstadt aufzupolieren: Walter Lange gründete die Lange Uhren GmbH, erwarb von der Treuhandanstalt die Markenrechte für A. Lange & Söhne und nahm mit Exmitarbeitern des aufgelösten VEB GUB (Volkseigener Betrieb Glashütter Uhrenbetriebe) die Produktion auf.

Design entsteht: Tangente. Copyright: NOMOS Glashütte
Design entsteht: Tangente. © NOMOS Glashütte

Vornehm und funktional

Roland Schwertner machte derweil sein eigenes Ding, doch auch der allmähliche Aufstieg von Nomos in den 90ern fußt nicht zuletzt auf Leistungen der Glashütter Traditionsmarke: Ein Modell aus dem Vorkriegskatalog von A. Lange & Söhne hatte die Grafikerin Susanne Günther 1990 zu dem Entwurf der Tangente inspiriert, einer Uhr, die längst als Klassiker gilt und bis heute der wichtigste Umsatzträger von Nomos ist. Mit ihren schlanken Ziffern, den feinen Zeigern, den hauchdünnen Linien und dem schnörkellosen, von Michael Margos entwickelten Logo wirkt die Tangente so sachlich, vornehm und funktional, dass sie immer wieder mit dem Bauhaus in Verbindung gebracht wird. Die Markenchefin Judith Borowski freut sich drüber: »Wir fühlen uns als Marke beim Bauhaus, beim Deutschen Werkbund und der HfG Ulm zu Hause.«

Übrigens repräsentiert Judith Borowski wie niemand sonst den berlinischen Zweig des Nomos-Gewächses. Die gelernte Journalistin stieß Ende der 90er auf eher kuriose Weise zum Unternehmen. Sie rief bei Roland Schwertner an und fragte ganz direkt, ob er ihr eine Tetra zum Vorzugspreis überlassen könne, im Gegenzug würde sie gern ein paar Katalogtexte für Nomos verfassen. Tatsächlich kam der Deal zustande, und aus der Gelegenheitstexterei wurde rasch ein Vollzeitjob, den die gebürtige Konstanzerin so gut machte, dass sie 2001 zur Geschäftsführerin der Agentur Berlinerblau avancierte. 2003 übernahm sie die Hälfte der Anteile, die das Versandhaus Manufactum an Nomos gehalten hatte, und ist seither Mitgesellschafterin des Unternehmens.

Judith Borowski und Uwe Ahrendt. Copyright: NOMOS Glashütte
Geschäftsführer Judith Borowski und Uwe Ahrendt. © NOMOS Glashütte

Ihr Pendant in Sachsen ist Uwe Ahrendt. Der technische Vordenker von Nomos stammt aus einer Glashütter Uhrmacherfamilie. Nach einer Lehre beim VEB Glashütte studierte er Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften, startete seine Karriere bei IWC in der Schweiz, ging dann als Produktionsleiter zu A. Lange & Söhne und wechselte 2000 zu Nomos auf die andere Straßenseite. Nach drei Jahren als leitender Angestellter stieg er zum CEO auf und erwarb die andere Hälfte der Manufactum-Anteile. Borowski, Ahrendt und Schwertner bilden seither das Triumvirat, das die Geschicke der Firma bestimmt.

Deren Entwicklung verläuft von nun an rasant. Seit April 2005 verbaut Nomos nur noch selbst gefertigte Uhrwerke, wobei das Spektrum der Komplikationen, also Zusatzfunktionen, mittlerweile von der Datumsanzeige über die Gangreserveanzeige und den Weltzeitmesser bis hin zum Automatikwerk mit Datumsanzeige reicht. Begleitet und gestützt wird die technische Offensive durch eine kontinuierliche Erweiterung der Modellpalette. Die wichtigsten Novitäten sind das Einsteigermodell Club (2007), die gediegene Zürich von Hannes Wettstein (2009), die wasserdichte Ahoi (2013), die Luxusmodelle Lambda und Lux von Simon Husslein (2013) – sowie Mark Brauns Modell Metro (2014).

Swing bricht das Monopol

Letztere sorgt bei der Präsentation auf der Leitmesse Baselworld nicht nur mit ihrem smarten Erscheinungsbild für Aufsehen, sondern auch wegen ihrer inneren Werte: In der Uhr tickt eine neue Baugruppe namens Swing-System, und diese Neuigkeit schlägt in der Branche ein wie eine Bombe. »Nomos Glashütte bricht das Swatch-Monopol«, titelt die F.A.Z., und Judith Borowski jubelt: »Für uns fühlte es sich an, als seien wir auf dem Mond gelandet.«

Copyright: NOMOS Glashütte
Feinstmechaniker am Werk: Die geschützte Herkunftsbezeichnung »Glashütte« ist Uhren vorbehalten, deren Werke mindestens zu 50% in Glashütte hergestellt wurden. © NOMOS Glashütte

Auf Wachstumskurs

Die Begeisterung wird verständlich, wenn man sich den Umstand vor Augen führt, dass bis dato fast alle Uhrenhersteller von einem einzigen Zulieferer abhängig sind: Allein das Swatch-Tochterunternehmen Nivarox versteht sich auf die Fertigung des sogenannten Assortiments, des winzigen, feinteiligen Taktgebers jeder mechanischen Uhr. Mit dem Swing-System, dem von Nomos in Kooperation mit der TU Dresden entwickelten Assortiment, erlangt die Glashütter Firma ihre Unabhängigkeit von dem Schweizer Monopolisten. Mehr noch: Sie schafft dadurch die Voraussetzung für weiteres Wachstum.

Dass Nomos in der Folgezeit mit jährlichen Wachstumsraten von jeweils rund 30% aufwarten kann, hat indes nicht nur technische, betriebswirtschaftliche und gestalterische Gründe. Der Zeitgeist hat mitgeholfen. Im Vergleich zu den allgegenwärtigen digitalen Geräten, die uns mit ihrer magischen Funktionalität geradezu überwältigen, vermittelt eine mechanische Uhr ihrem Träger das angenehme Gefühl des Durchblicks. Die äußerst komplizierte Wirkungsweise des Mechanismus nötigt uns Respekt ab, zugleich ist sie nachvollziehbar, und daher schmeichelt solch eine Uhr dem menschlichen Intellekt. Kein Wunder also, dass selbst die neuen Smartwatches den Markterfolg dieser eigentlich obsoleten Zeitmesser nicht beeinträchtigt haben. Im Gegenteil. »Die Apple Watch hat das Handgelenk als Sitz der Uhr wieder ins Blickfeld gerückt«, sagt Judith Borowski.

Unternehmen mit Haltung

Die Markenchefin schaut einigermaßen gelassen in die Zukunft. Mit der Autobahn von Werner Aisslinger hat man gerade die Produktpalette um ein sehr sportliches Modell erweitert, neue technische Entwicklungen stehen vor der Produktionsreife, ein Vertriebsbüro in New York wird den Umsatz in der Neuen Welt ankurbeln. Sorge bereitet Judith Borowski allein das Anwachsen rechtsradikaler Kräfte in Sachsen und speziell in Glashütte, wo die AfD bei der letzten Bundestagswahl 35,5 Prozent der Stimmen bekommen hat.

Um dem »Klima von Rassismus und Intoleranz« im Unternehmen zu begegnen, bietet Nomos seit Anfang des Jahres Workshops an. Die Mitarbeiter sollen fit gemacht werden für die Auseinandersetzung mit Antidemokraten. Ferner hat Judith Borowski nach den Ausschreitungen in Chemnitz mehrfach öffentlich Stellung bezogen gegen Rechts. Zu der klaren Positionierung sieht sie sich als Bürgerin herausgefordert – aber auch als Unternehmerin.

»Wir haben viele Zuschriften erhalten«, sagt sie. »Unsere Kunden wollen wissen, ob ein Nazi an ihrer Uhr gearbeitet hat.« Letztlich ist es ein Teil des Tragwerks von Nomos, um dessen statische Stabilität sich die Markenchefin sorgt. »Made in Germany« steht auf jeder Nomos- Uhr, und das bedeutet Präzision, Verlässlichkeit, Spitzenqualität, aber eben auch: faire Arbeitsbedingungen in einem demokratischen Land. Sollte dieses Versprechen schief klingen, würden womöglich auch Berliner Hipness und sächsische Ingeniosität nicht mehr reichen, um die Dinge wieder geradezubiegen.


Zuerst erschienen im designreport 06/2018. Bilder © NOMOS Glashütte

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