Gute Stimmung, internationale Besucher*innen: Die Möbel- und Einrichtungswelt feiert zum Salone del Mobile in Mailand eine große Party. Luxus geht immer, Nachhaltigkeit nicht unbedingt, und ohne QR-Codes geht gar nichts mehr. Ob aus der Messe die erhofften wirtschaftlichen Impulse erwachsen werden, lässt sich noch nicht sagen.
Von Jasmin Jouhar
Schlangen, überall Schlangen. Vor den Messeständen der Hersteller standen gleich am ersten Tag des Salone del Mobile die Besucherinnen und Besucher in langen Reihen an. In der Innenstadt von Mailand dasselbe Bild: Vor den Palazzi und Showrooms wanden sich Menschenschlangen durch die Straßen. Auch nördlich der Stadt, in Varedo, wo die Plattform Alcova zwei Villen bespielte, nahmen die Menschen lange Wartezeiten in Kauf, um Installationen und Designobjekte bestaunen zu können. Die Messe vermeldet mit mehr als 360.000 Besucher*innen einen Rekord, dabei fahren viele Mailand-Gäste gar nicht auf das Messegelände. In der Stadt sollen es über 1.000 Ausstellungen und Präsentationen gewesen sein. Also tutto bene a Milano, alles gut beim Salone, dem weltweit größten Treffen der Möbel- und Einrichtungsbranche?
Die Welt zu Gast in Mailand
Die Stimmung jedenfalls war gut. Lächelnde Gesichter überall. Man freute sich unter anderem über die Rückkehr vieler internationaler Gäste nach dem Ende der Pandemie, vor allem aus Asien. Das bestätigt etwa Christian Drescher, Geschäftsführer des deutschen Möbelherstellers Tecta. „Der Salone del Mobile bot dieses Jahr die Möglichkeit, uns wieder international zu präsentieren“, so Drescher. Mit dieser Internationalität setzten sich die Mailänder deutlich von der Messekonkurrenz in Stockholm oder Köln ab, die in diesem Jahr eher regionalen Charakter hatte. Einzig die deutlich kleineren „3 Days of Design“ im Juni in Kopenhagen versprechen, ähnlich international zu werden. Der Trubel auf dem Mailänder Messegelände ließ allerdings vergessen, dass nach Fläche gerechnet der Salone del Mobile dieses Jahr kleiner ausfiel. Gerade große italienische Marken haben sich einstweilen aus Rho verabschiedet und beschränken sich auf Showrooms in der Stadt. Für Floor van Ast vom niederländischen Hersteller Arco bleibt der Salone dagegen der Place to be: „Für uns als kleine Marke ist die Messe der richtige Ort, hier kommen viele unserer Kund*innen und Kontakte ohnehin zusammen.“ Die Messe habe ihnen neue Kund*innen gebracht, es sei ein gute Entscheidung gewesen, teilzunehmen.
Nicht nur eine Frage des Gefühls
Aber woher kam eigentlich die gute Stimmung? Gibt es angesichts der globalen Krisen und Kriege überhaupt Grund zum Feiern? Angesicht einer Welt, die sich so falsch anfühlt, wie es der Geschäftsführer eines deutschen Küchenherstellers formulierte. Es ist ja nicht nur eine Frage des Gefühls, ob die große Möbelparty angemessen ist – angesichts der Horrornachrichten aus Charkiw oder Gaza. Die unsichere politische und wirtschaftliche Lage hat schließlich reale Konsequenzen: Viele europäische Unternehmen mussten im vergangenen Jahr massive, teilweise deutlich zweistellige Umsatzeinbrüche verkraften. In den ersten Monaten dieses Jahres hat sich die Situation bislang nicht verbessert: In Deutschland müssen stationäre Möbelgeschäfte Insolvenz anmelden, der Onlinehändler Ikarus ist ebenfalls pleite und wird abgewickelt. Im Moment sei, so Floor van Ast, der Markt noch „langsam“, auch infolge einer Korrektur nach der Pandemie. Ob die Mailänder Möbelmesse die erhofften wirtschaftlichen Impulse bringen wird, lässt sich jetzt, direkt nach ihrem Ende, noch nicht sagen. „Der kommerzielle Erfolg wird sich vor allem in der Nachbereitung der Messe ergeben“, sagt Christian Drescher von Tecta.
Ohne QR-Codes läuft nichts
Auch die langen Schlangen sind nicht unbedingt eine gute Nachricht. An vielen Eingängen stehen nämlich freundliche junge Menschen mit Tablets und fragen, ob man schon registriert sei. Ohne vorab erstellten QR-Code kommt man oft gar nicht mehr hinein. Die Marken wollen Daten sammeln, das verzögert die Abläufe – mal davon abgesehen, dass man seine Daten vielleicht gar nicht teilen möchte. Der Unmut in der Designcommunity darüber war in diesem Jahr deutlich zu spüren. Zumal sich die Frage stellt, wofür die vielen Menschen überhaupt anstehen.
Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage hat sich eine Entwicklung der vergangenen Jahre fortgesetzt: Branchenfremde Unternehmen, häufig aus dem Luxussegment, nutzen den Salone als Plattform für Marketing und Markenbildung. Gucci beispielsweise zeigte italienische Designklassiker wie Mario Bellinis „Le Mura“-Sofa oder Nanda Vigos Kommode „Storet“ in der neuen Hausfarbe Weinrot („Rosso Ancora“) vor giftgrünem Hintergrund – very instagramable! Saint Laurent wiederum stellte in einer raumgreifenden Installation zwölf handbemalte Porzellanteller nach Entwürfen von Gio Ponti vor. So viele Modemarken waren da, dass das Magazin „Wallpaper“ vorab die besten „Fashion Moments“ des Salone auflisten konnte.
Konkurrenz belebt das Geschäft nicht
Die Autokonzerne (Kia, Lexus, Porsche, Bentley usw.) verschonten Mailand in diesem Jahr ebenfalls nicht; auch Google und Amazon waren wieder dabei. Mit satten Budgets besetzen die Konzerne die besten Plätze, ziehen Aufmerksamkeit auf sich und verderben die Preise. Angesichts horrender Kosten für Ausstellungsräume und Hotels sieht manch jüngeres, kleineres Möbelunternehmen von einem Auftritt beim Salone lieber ab. Konkurrenz belebt das Geschäft hier nicht. Wie absurd das ist, offenbart ein Gedankenspiel. Demnach müsste bei den Modewochen in Paris oder Mailand Poltrona Frau demnächst eine Kollektion eleganter Abendmode zeigen und Magis raffinierte Streetwear über den Laufsteg schicken. Oder Boffi enthüllt bei der IAA einen elektrischen Stadtflitzer in High-End-Design.
Die Schere geht weiter auf
Apropos Luxus: In Mailand offenbarte sich auch ein anderes Phänomen. Während hoch- bis höchstpreisige Produkte immer noch ihre Abnehmer*innen zu finden scheinen, ist es in der Mittelklasse oft schwieriger. Hier spüren die Käufer die Inflation und verschieben die Anschaffung eines neuen Sofas – oder orientieren sich auf dem Markt preislich nach unten, Richtung Ikea (natürlich auch beim Salone mit dabei). Mit Ländern wie China und Indien brauchen die mitteleuropäischen Hersteller aber gar nicht erst zu konkurrieren, das Rennen um Preis und Geschwindigkeit können sie nur verlieren. Sie müssen ihre Kundinnen und Kunden mit regionaler Produktion und Identität, mit verlässlicher Qualität und Service überzeugen. Darin liegt vielleicht auch eine Chance für angeschlagene Messeformate wie etwa die „imm cologne“. Statt auf schiere Größe und ein möglichst breites Angebot zu setzen, könnten sie sich stattdessen auf einheimische Marken konzentrieren. Zumal viele Hersteller dem Trubel in Mailand ohnehin lieber fernbleiben (siehe oben) und nach anderen Plattformen suchen.
Partycrasher gesucht
Die große Salone-Party warf aber noch eine andere, mindestens ebenso drängende Frage auf: Wo sind eigentlich die Antworten auf die große Nachhaltigkeitsherausforderung unserer Zeit? Riesige, mit Trockenbauwänden abgeschottete Messestände und aufwendige Installationen, die nach sechs Tagen wieder abgerissen werden: Häufig fühlte sich der Salone an, als wären Klimawandel, Umweltverschmutzung und Artensterben nur Nischenprobleme. Es gab sie natürlich, die Hersteller, die versuchten, ressourcenschonender aufzutreten und beispielsweise Stände aus Baugerüsten errichteten und mit leichten Vorhängen gestalteten, zum Beispiel Arper, Arco oder Sancal. Aber in der Masse der Mailänder Auftritte musste man die alternativen Ansätze wirklich suchen – und wurde eher bei Hochschulpräsentationen, jungen Designern oder kleinen Unternehmen fündig. Dabei wäre das nachhaltige Wirtschaften doch eine große Chance für Europas Hersteller: Sie sind nah dran an den Kund*innen und damit glaubwüridiger, können Produkte bei Bedarf reparieren oder nach Gebrauch zurücknehmen. Im nächsten Jahr möchten wir dringend ein paar mehr Partycrasher unter den großen kommerziellen Playern sehen. Dann könnten wir uns möglicherweise auch mit den langen Schlangen abfinden.
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