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Emil Schult Autobahn
Das Remake des Coverbildes des vierten Kraftwerk-Albums „Autobahn“ von 1974, von Grafiker Emil Schult. © Emil Schult.

Markus Weisbeck, Designer und Professor für Visuelle Kommunikation an der Bauhaus Universität Weimar, befasst sich seit langem mit der Entwicklung von animierten Visuals, die von digital generierten Sounds begleitet werden. An seiner Hochschule leitet er den Space for Visual Research, wo er gemeinsam mit Studierenden neue Verfahren zur Generierung innovativer Bildwelten erforscht.
Darüber hinaus entwirft er in Frankfurt mit seinem Studio Markus Weisbeck Brandings für Kulturinstitutionen, gestaltet Plattencover und verlegt Musik. Aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Gruppe Kraftwerk sprachen wir mit Weisbeck über Markenstrategien der legendären Düsseldorfer Band.

Interview von Gerrit Terstiege.


Markus Weisbeck
Professor für Visuelle Kommunikation und Designer Markus Weisbeck. Foto: © Thibaut Henz, Markus Weisbeck

Bei Live-Shows von Kraftwerk verschmelzen synthetische Klänge mit 3D-Animationen und retro-futuristischen Grafiken. Wie würden Sie den heutigen Markenkern von Kraftwerk beschreiben? 

Markus Weisbeck: Als eine sich ständig weiterentwickelnde Corporate Identity. Die Veränderung gehört bei Kraftwerk zum Markenkern. Auffällig ist hier, dass die Parameter der Marke immer mit den jeweiligen „state of the art“-Techniken in Beziehung stehen. Nach historischem Readymade-Material, etwa bei Trans Europa Express, wird mit den 3D-Welten nun die Brillanz der RGB-Technik zelebriert – mit ihren übertrieben positiven Farbspektren.

Gibt es eigentlich etwas, das Sie als Designer von Kraftwerk gelernt haben? 

Florian Schneider, einer der Gründer der Band, hat einmal gesagt, Kraftwerk entwerfe „akustische Poster“. Die Sounds verstärken gewissermaßen die  plakativen Botschaften und thematischen Spektren der Stücke: Autobahn, Tour de France oder Heimcomputer. So eine Zeitlosigkeit von Themen, Melodien und Arrangements muss man erst einmal hinbekommen! Beim Gestalten von Visuellem haben wir es mit ganz ähnlichen Parametern zu tun. Wir arrangieren Fläche, Linie, Wort und Bild zu grafischen Kompositionen. Diese entstehen individuell als Symbiose aus technischem und kulturellem Wissen, handwerklichem Geschick und dem Verständnis für unsere Gegenwart. Diesem meist mit dem Computer arrangiertem Zusammenspiel dann „Leben einzuhauchen“, ist eine Kunst, die die vier Düsseldorfer exzellent beherrschen.

Weltbekannt auch als Kraftwerk-Plattencover: das "Lübecker Hütchen"
Weltbekannt auch als Kraftwerk-Plattencover: das „Lübecker Hütchen“ oder Kongsbak Leitkegel. © Ewald Kongsbak GmbH & Co. K.

Mit dem Song „Mensch Natur Technik” für die Expo in Hannover wurden die Musiker vor 20 Jahren in gewisser Weise zu Markenbotschaftern für Deutschland. Kraftwerk ist heute sozusagen ein weltweit agierendes Unternehmen mit deutschen Wurzeln. Ist der internationale Erfolg der Band auch darauf zurückzuführen, dass die Band das „Made in Germany” ähnlich stark betont wie Audi oder Mercedes? 

Mit Sicherheit sind es viele Fragmente, die sich zu diesem Bild verdichten.

Zum einen wäre hier der Aspekt der kontinuierlichen Klangforschung zu nennen: ein eher wissenschaftlicher Ansatz, der zum künstlerischen Output führt. Als Zweites: das kontinuierliche Formulieren von Zukunftserwartungen als Markenbotschaft. Und in den letzten Jahren: die Modifikation der eigenen Topoi als Modellpflege. Audi wird sich in diesem Sinne auch wenig von seiner Marken-DNA entfernen, unabhängig ob fossiler Verbrenner oder als e-Tron. Und in der Tat könnte der Audi-Claim „Vorsprung durch Technik“ auch für Kraftwerk stehen. Innovationen und Relaunches gehören zum Markenkern der Band – nicht nur, was die Musik betrifft, sondern auch hinsichtlich der Schaffung und Pflege eines starken Brands.

Kraftwerk hat diese kühle, rationale, technische Aura und weckt gerade deshalb Emotionen. Ähnliches gilt zum Beispiel für das Braun-Design. Wie ist das möglich?

Albus Lichtstele A59
Autobahn-Flair im Wohnzimmer: Die „Albus Lichtstele“ A59 von Volker Albus. © Art Aurea, Reinhold Ludwig.

Kraftwerks Image ist das Resultat einer Haltung, die mit den Erwartungen an eine Band bricht. Ja, sie verhält sich genau konträr dazu. Die exaltierten Gesten von Rockbands,  die die Performance unterstreichen sollen, werden hier ins Gegenteil transformiert. Der Musiker wird zum Klang-Arbeiter, zum Technokraten. Ob nun auf der Bühne oder auf den Promotion-Fotografien – diese Haltung wird bei Kraftwerk zum Brand. Eine ähnliche Abgrenzung findet bei Braun ab Mitte der fünfziger Jahre statt. Steckten vor allem die US-Konsumprodukte der 60er Jahre noch im formal expressiven Space-Age-Design, finden wir bei den Entwürfen aus Kronberg keine Interpretation von Geschwindigkeit und Aerodynamik in der Produktsprache. Die Funktion eines Gerätes wird nicht überzeichnet – Küchengeräte benötigen keinen guten CW-Wert der aussagt, wie aerodynamisch sie sind. Genau diese konsequente Haltung weckt bei Braun-Fans heute einfach Gefühle von Respekt und Bewunderung. So wie auch zum Beispiel ein Werk der Minimal Art Menschen berühren kann, gerade durch seine Schlichtheit und formale Strenge.

Die Wortmarke „Kraftwerk“ gibt es in zahlreichen typografischen Varianten. Zur konstanten Bildmarke wurde allerdings die grafische Darstellung eines Verkehrsleitkegels. Wofür steht das Emblem in Ihren Augen? 

Die typografische Darstellung der Marke ordnete sich immer dem visuellen Thema der jeweiligen Album-Veröffentlichungen unter. Mit Sicherheit haben viele Artworks auch mit dem jeweiligen Zeitgeist zu tun. Der bei „Die Mensch-Maschine“ zitierte russische Suprematismus sowie Bauhaus-Grafiken waren im New Wave der 80er Jahre en vogue. Beim Leitkegel auf dem Cover der ersten Platte, erschienen 1970, kann man etwa Parallelen zu Andy Warhols Siebdruck-Grafiken ausmachen. Im Kontext des „Es wird immer weitergehen…“ kommen dann teils animierte 3D-Grafiken und Roboter-Dummies ins Spiel, die in Kollaboration mit der Künstlerin Rebecca Allen und dem New York Institute of Technology entstanden sind.

Ob mit dem Auto, mit dem Fahrrad, mit dem Zug oder im Spacelab – die Fortbewegung spielt im Werk der Düsseldorfer eine zentrale Rolle. In anderen Liedern werden technische Objekte wie Geigerzähler, Computer und natürlich Roboter besungen. Damit besetzte die Band ungewöhnliche Themen auf völlig eigene Weise. Aber warum gibt es seit Jahren keine neuen Kraftwerk-Songs über neue Transportmittel und aktuelle Technik? 

Es ist bestimmt gegenwärtig schwieriger eine Langlebigkeit der technischen Termini vorauszusagen als in den produktivsten Phasen der Formation. Hybrids, Segways & G5 sind beispielsweise Begriffe, deren Bedeutung wir vielleicht in zehn Jahren gar nicht mehr kennen. Also geht man besser den Umweg des „Resets“ und poliert das Repertoire – freuen würde ich mich dennoch über einen post-pandemischen Kraftwerk-Song zum Thema „Reisen im Hyperloop“.

Kraftwerk-Grafiker Emil Schult
Kraftwerk-Grafiker Emil Schult vor Gemälde eines Satelliten. © Emil Schult.

In gewisser Weise hat Kraftwerk auch manche Designbereiche beeinflusst. Von Volker Albus gibt es die Leuchte „A59“, die die Autobahn ins Wohnzimmer holt. Und die junge Modedesignerin Sophia Schneider-Esleben spielt bei ihrer jüngsten Kollektion mit dem Emblem von Trans Europa Express, die in Zusammenarbeit mit dem Kraftwerk-Grafiker Emil Schult entstanden ist. Kann man hier von einer Art Image Transfer sprechen? Oder sind das eher Zitate im Sinne einer Hommage?

Sophia machte bereits einen brillanten Transfer mit den Arbeiten ihres Großvaters Paul Schneider-Esleben, dem Vater von Florian Schneider, – eine Verneigung gegenüber der Architektur mit den Mitteln des Modedesigns. Auch ihre neue Hommage zum Thema Trans Europa Express zeigt auf, was diese visuellen Ideen außerhalb ihrer ursprünglichen Bestimmung noch alles können. Ohne Zweifel: Die Entwürfe haben es verdient, durch Sampling und Modifikation in einen neuen Kontext überführt zu werden. Auf diesem Weg begeistern sie auch jüngere Generationen. Gerne würde ich auch die A59-Leuchte von Albus als Re-Edition in einem neuen Kontext erleben. Vielleicht zur Markierung – wenn ein Teilstück der gleichnamigen Autobahn endlich nach Florian Schneider benannt wird.


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