Physisch auf Distanz bleiben oder, wie es neudeutsch heißt, Social Distancing, ist nicht nur ein Phänomen unserer Gegenwart. Was dahinter steckt, wenn im Umgang miteinander auf den korrekten Abstand, auf Sitte und Höflichkeit geachtet wird, hat sich seit Jahrtausenden in unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturellen Praktiken niedergeschlagen. Der Philosoph Arthur Schopenhauer hat das Dilemma des Menschen als eines sozialen Wesens treffend schon vor 170 Jahren im Bild frierender Stachelschweine, die Nähe suchen, aber Abstand halten, auf den Punkt gebracht. Eine Infektion zu vermeiden und die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern, mag sich besonders stark ins kulturelle Gedächtnis eingeprägt haben, bei verordneter Distanz geht es, wie eine aktuelle Ausstellung der deutschen digitalen Bibliothek unter dem Titel „Rühr mich nicht an!“ aufzeigt, neben der Gesundheit aber auch um Machterhalt oder Mysterien.
Kein Wunder also, dass solche Praktiken schon immer von Verschwörungstheorien begleitet wurden. Dabei haben sie auch das Potenzial, Neues hervorzubringen: Einerseits, so eine These, „entstehen neue Formate und Instrumente der Kommunikation, die überraschende Akzeptanz erleben; andererseits kann die Leere, die durch radikale soziale Abstinenz entsteht, Raum für ein neues Bewusstsein für ethische und moralische Prioritäten schaffen“. Das Panorama reicht vom „Noli me tangere“ des Evangeliums über Zeremonien bis zur Botanik und zu Pflanzen wie dem Großen Springkraut oder der Schamhaften Sinnpflanze oder Mimosa pudica, deren englischer Name keine Zweifel lässt: Touch-me-not.