Er schuf eine eigene Wagenklasse, gehört zu den deutschen Design-Ikonen – und läuft und läuft und läuft: Mit über 35 Millionen produzierten Exemplaren ist der Volkswagen Golf ohne Zweifel eine große automobile Erfolgsgeschichte. Aber wohin geht die Reise, vor allem: gestalterisch?
Von Gerrit Terstiege
Sagt Ihnen das Kürzel EA 266 etwas? Nein? Dahinter verbirgt sich die spannende und formal durchaus gelungene Studie für einen Kompaktwagen, die Porsche-Designer unter der Leitung von Ferdinand Piëch in den 1960er Jahren für Volkswagen erdachten – und vielleicht ist das 50-jährige Golf-Jubiläum ein Anlass, diesem fast vergessenen Konzept mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Denn der „Entwicklungs-Auftrag 266” hat nicht nur in seinem Gesamtaufbau und seinen Proportionen einiges gemein mit dem Golf I von 1974, sondern – fast noch mehr – mit den gefälligen, weichen Formübergängen, die die jüngeren Baureihen des Golf auszeichnen. Vielleicht war er aber einfach seiner Zeit zu weit voraus – und wurde daher für Volkswagen in den sechziger Jahren nicht zum Hoffnungsträger, sondern zum Millionengrab. Mit Panzern, so die Legende, ließ man Vormodelle und Probemotoren auf dem Werksgelände von Porsche überrollen. Offenbar wollte man ganz sicher gehen, dass das darin gespeicherte Wissen nicht in fremde Hände gerät. Nur noch zwei Exemplare des EA 266 mit seinem ambitionierten Mittelmotor-Konzept sind heute erhalten, eines davon steht im AutoMuseum Volkswagen in Wolfsburg.
Die wirtschaftliche Situation um das Jahr 1970 war für den Hersteller durchaus belastend, denn in den sechziger Jahren waren die Verkaufszahlen des ästhetisch und technisch als veraltet geltenden VW Käfer drastisch gefallen – zahlreiche Versuche, ein vielversprechendes Nachfolgemodell zu ersinnen, waren gescheitert. Nur, dass man sich vom Konzept des luftgekühlten Heckmotors verabschieden wollte, zugunsten eines wassergekühlten Motors in der Front, das schien irgendwann in den frühen Siebzigern klar. Bei der Rettung, so wissen wir heute, spielte die Gestaltung des Wagens, innen wie außen, eine tragende Rolle. Und diese Rettung kam aus Italien.
Gegenentwurf zum Käfer
Der bis heute aktive italienische Automobildesigner Giorgetto Giugiaro entwarf das Blechkleid für den Golf I ganz klar auf Basis der Grundidee des EA 266, aber formal als Gegenentwurf zum Käfer, an dem bekanntlich alles rund ist. Giugiaro, heute stolze 85, verlieh dem Wagen eine ganz eigene, innovative Kantigkeit – und prägte damit eine automobile Formensprache, die zukunftsweisend war. Denn erst die 1980er Jahre standen ganz im Zeichen klarer Flächen, spitzer Winkel und scharfer Silhouetten. „Der Grund, warum der Golf so einen Erfolg hatte: weil das Ganze stimmte”, so Giugiaro kürzlich in einem Interview für die Website Volkswagen Classic.
In der Tat: Betrachtet man den Golf I mit heutigen Augen, scheint alles an ihm völlig selbstverständlich und nachvollziehbar. Das Ergebnis ist eine komplett durchgestaltete, kompakte Form, die nicht polarisiert, sondern möglichst große Käufergruppen, wie auch unterschiedliche soziale Schichten und Altersgruppen für sich einnimmt. Das, so weiß jede Designerin und jeder Designer, ist eine große Herausforderung, nicht nur im Automobilbereich; den Massengeschmack zu treffen, gleichzeitig ästhetisch zu überzeugen und ein Produkt zu schaffen, das nicht nach kurzer Zeit obsolet wirkt. Wie leicht ist es dagegen, wild-expressive, utopische Showcars mit exzentrischen Detaillösungen zu konzipieren – also Haute Couture, an deren Alltagstauglichkeit praktisch keine Anforderungen gestellt werden.
Bewusst evolutionärer Design-Ansatz
Der natürlich auch internationale Erfolg des Golf I in Zahlen: Zwischen 1974 und 1983 werden weltweit 6,9 Millionen produziert. Formal setzt der Golf II bis 1991 die Erfolgsgeschichte des Vorgängers fort – das aus heutiger Sicht frappierend behutsame Facelift respektierte das Ur-Konzept und stärkte so auf lange Sicht die Wagenklasse wie auch die Marke Golf. Dieser bewusst evolutionäre Design-Ansatz war für den Golf und für die mit den Jahren immer größer werdende Zahl seiner Ableger (Jetta, Polo, Caddy, Passat, Variant, Vento, Bora etc.) entscheidend: keine Experimente, keine Revolutionen. Sondern ein Feilen an Details, ohne das von Einfachheit, Klarheit und Praktikabilität geprägte Image zu gefährden. Das zeigt auch der bis 1997 produzierte Golf III. Mit seinen etwas weicheren Kanten blieb er wiedererkennbar ein Golf.
Volkswagen Golf – dritte Generation, Golf III: 1991 – 1997 | ©Volkswagen AG
Gestalterisch ein großer Wurf
Dann aber kommt 1997 mit der vierten Generation ein Update auf den Markt, von dem bis heute Automobil-Designerinnen und -Designer, Fachleute und Golf-Fans schwärmen. Bei seinem Anblick fühlt man sich an einen Claim des späteren „Auto-Kanzlers” Gerhard Schröder erinnert: „Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen”. Vor allem das Heck des Wagens und die hinteren Seitenansichten strahlen eine schlichte Eleganz aus, als hätten wir ein Gerät von Braun oder Apple vor uns. Frontscheinwerfer und Rücklichter sind sauber gezeichnet, ihre Konturen und Dimensionen fügen sich nahtlos ins Gesamtbild ein. Und wie die einzelnen Segmente der Außenhaut zusammentreffen, klare Linien ergeben und ruhige Flächen miteinander in Dialog treten lassen – das war schon eine gestalterische Meisterleistung und hob den Golf IV ästhetisch auf ein neues Niveau. Aber auch in Sachen Materialqualität, Verarbeitung und Motorisierung setzte der Vierer Maßstäbe.
Dynamisierung der Gesamtform
Im Jahr 2003 dann wird er abgelöst von der fünften Generation, bei der erstmals eine Entwicklung einsetzt, die bis heute anhält und – graduell in immer stärkerem Maße auch den Golf VI, VII und VIII, die neueste Generation, prägt. Die Dynamisierung – mithin: Emotionalisierung – von äußeren Bauteilen und Flächen. Man kann diesen Trend bei zahlreichen Herstellern in unterschiedlicher Ausprägung beobachten: die Gesamtform soll auch im Ruhezustand Geschwindigkeit und Dominanz ausstrahlen, Scheinwerfer verjüngen sich wie die verkniffenen Augen eines Raubtiers kurz vor dem Sprung, Kraft und Antriebstärke wird durch längliche Erhebungen im Blech veranschaulicht, die an gespannte Sehnen unter der Haut erinnern. Dieses semantische Kräftespiel ist durchaus bei den Golf-Modellreihen der letzten zwanzig Jahre ablesbar, wenn auch in moderaterer Form als bei der Konkurrenz. Gewiss, ein Teil der Golf-DNA war immer Fahrspaß, nicht erst seit dem GTI. Diese sportliche Seite wird nun beim aktuellen Golf betont, und zwar serienmäßig und sozusagen als Teil der Grundausstattung. Dramatische Gesten stehen zwar der Funktionalität des Wagens in keiner Weise im Weg, aber man muss sich als Fahrerin oder Fahrer eines Golf VIII schon im Klaren sein, welche Signale man an die Außenwelt, an die anderen Verkehrsteilnehmer sendet.
Zum Schluss sei eine Prognose gewagt: Diese Entwicklung noch zu steigern, würde den Wagen sehr weit von seinen Wurzeln entfernen. Es gibt Hoffnung auf eine Rückkehr zu größerer Einfachheit. Nicht zu alter, sondern zu neuer Einfachheit! Mit Michael Maurer ist seit letztem Jahr ein erfahrener Porsche-Designer gestalterisch für alle Marken des Volkswagen-Konzerns verantwortlich. Eines ist wohl sicher: Dem nächsten Golf gilt schon jetzt seine besondere Aufmerksamkeit.
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