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Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber. Bild: PIK/Karkow
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber. Bild: PIK/Karkow

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber ist einer der renommiertesten Klimaforscher der Welt. Er setzt sich für eine Begrenzung der globalen Erderwärmung ein. Speziell dem Bau- und Designsektor käme dabei eine besondere Bedeutung zu. Ein Interview über Siedlungen aus Holz, kyborganisches Bauen und weshalb „Wicked Problems“ gar nicht so komplex sind. 

Interview: Martina Metzner.

Wir wissen so viel, weshalb tun wir immer noch so wenig, um das Klima zu retten? Wenn wir nach Horst Rittels „Wicked Problems“ gehen – komplexen, miteinander verzahnten Problem-Komplexen – könnte man sagen, dies sei ein vermeintlich unlösbares Problem, weil es von so vielen Faktoren abhängt …

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber: Wir steuern in der Tat auf den Untergang der uns vertrauten Welt zu. Das ist zwar blumig ausgedrückt, aber leider eine Realität. Jetzt durch den Ukraine-Krieg wird wahrscheinlich die Emissionsdynamik sogar noch beschleunigt. Wir wissen seit langer Zeit, dass wir auf diese Wand zurasen. Warum geschieht nichts? Nun, weil wir eben als Menschen fast perfekt in der Verdrängung von langfristigen Problemen sind. Und wenn etwas kurzfristig auf uns zukommt, dann können wir sehr schnell und sehr gut reagieren. Aber, es fällt uns extrem schwer, weit vorausschauend zu planen und ganze Systeme zu betrachten. Weil uns das individuell überfordert. Und auch gesellschaftlich. Aber nur gesellschaftlich kann ich auf Herausforderungen wie die selbstverschuldete Erderwärmung reagieren. Insofern haben wir sowohl ein politisches als auch ein psychologisches Dilemma. 

Zweiter Punkt: Wicked Problems. Wir managen Komplexität jeden Tag. Wenn Sie Ihr Haus verlassen und versuchen, irgendwo einzukaufen, müssen Sie unglaublich komplexe Probleme lösen, wie z.B. sich durch eine hektische Menschenmenge manövrieren. Diese Fähigkeit erlernen wir im Laufe des Lebens. Außerdem haben komplexe Probleme, wo viele Faktoren miteinander verflochten sind, oft sogenannte Tipping Points. Wenn wir an der richtigen Stelle intervenieren, eine Art Systemakkupunkturstelle finden, dann können wir das ganze System in die richtige Bewegung bringen. Wir glauben, dass der Baubereich bei der Lösung des Klimaproblems genau so eine Stelle ist. 

Dann schauen wir mal auch gleich auf das Bauen. Sie fordern ja mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine große Transformation hin zur kohlenstofffreien Welt. Was muss im Bereich Bau und im Design passieren? 

Meine Freundin und Kollegin Anette Hillebrandt von der Uni Wuppertal, die sich für zirkuläres Bauen im Bestand einsetzt, sagt immer diesen schönen Satz: „Abfall ist ein Designfehler.“ Das stimmt zwar nicht komplett, aber doch weitgehend. Es ist etwa völlig klar, dass gutes Design viel besser mit Ressourcen umgehen kann. Und sie sagt auch, ein Haus sollte eigentlich ein gebautes Wertstofflager sein. Und diese Wertstoffe sollte man immer wieder verwenden können. Entweder sehr lange im Gebäude oder in der Infrastruktur. Oder eben oftmals überführen in neue Gebäude, neue Infrastrukturen. Da sind wir jetzt nicht nur bei der Thematik der Zirkularität. Wenn wir über die Große Transformation reden, dann müssen wir die verschiedenen Wirtschaftssektoren durchkonjugieren, also Mobilität, Stromerzeugung, Landwirtschaft, Schwerindustrie usw. Kann ich die dekarbonisieren? Also klimaneutral machen? Und ja, das kann man. Langsam, oft mit großen Kosten verbunden. Es gibt aber einen einzigen Sektor, der anders ist, und das ist der größte Klimasünder von allen, nämlich das Bau- und Designgewerbe. Sozusagen die gebaute Umwelt. Und das ist der einzige Sektor, der vom Saulus zum Paulus werden kann! Vom Klimasünder zum Klimaheiligen. Der nicht nur klimaneutral werden kann, sondernsogar klimapositiv. Wenn wir etwa ähnlich bauen wie vor 1.000 Jahren: Fachwerkbau mit Holz und Lehm. Dann können Sie den Kohlenstoff, der im Bauholz gespeichert ist, für viele Jahrhunderte konservieren. Genauso können wir in langlebigen Produkten – Häusern, Möbeln, was auch immer – den atmosphärischen Kohlenstoff speichern. Das heißt, der Baubereich hat die einmalige Chance, klimasystemrelevant zu werden und das Ganze ins Positive zu kippen. 

Wir haben momentan schon den weltweiten Holzmangel. Ist das also die richtige Lösung?

Bild: Hanno Mackowitz
Lehm als organische Alternative zu Beton. Bild: Hanno Mackowitz

Wir haben keinen weltweiten Holzmangel. Es gibt nur einen Bottleneck: Es sind nicht genügend Sägeproduktionsstätten da. Weil zum Beispiel die USA in der Finanzkrise die Kapazitäten zurückgefahren haben. Das Holz kriege ich einfach nicht verarbeitet. Ja, die Wälder kranken derzeit wegen des Klimawandels. Da braucht es einen Waldumbau, der gesunde Mischwälder mit vielen Altersklassen hervorbringt. Die Idee ist natürlich, dass wir Wälder so anlegen, bewirtschaften, pflegen, hegen, schützen, dass sie quasi permanent Biomasse anbieten, die zum Teil eben auch geerntet werden kann. Wir haben auf der Nordhalbkugel seit Jahrzehnten Waldzuwachs. Aber auf der Südhalbkugel gibt es ein dramatisches Problem. Nicht, weil die Wälder nicht wachsen würden, sondern, weil wir sie zerstören, für Sojabohnen, Palmöl, Rindfleisch etc. Mit anderen Worten, wenn wir nur ein bisschen vernünftiger mit unseren Ressourcen umgehen würden, dann hätten wir Bauholz im Überfluss. Oder Bambus. Was sowieso auf der Südhalbkugel besser wäre, weil der sehr schnell wächst. Das alles würde sich vollziehen in den nächsten 100, vielleicht sogar 200 Jahren. Aber genauso lange werden wir brauchen, um die Atmosphäre wieder vom CO2 zu reinigen.

Gestalter, also Designer/innen und Architekt/innen sind ja maßgeblich am Energieverbrauch der von ihnen produzierten Güter beteiligt. 80 Prozent der Umwelteinwirkung wird im Design festgelegt. Was muss sich ändern, dass Gestalter dies internalisieren und auch umsetzen können? 

Ich glaube, die Designerinnen und Designer sollten überhaupt erst mal erkennen, dass sie selbst ein Problem darstellen. Dass sie aber auch die Lösung sein können. Sie haben sich meiner Ansicht nach noch nicht wirklich, jedenfalls in der Breite, mit Nachhaltigkeit auseinandergesetzt. Natürlich oft beim einzelnen Produkt. Aber beim Klima hat sich die gesamte Bau- und Entwurfwelt im Wesentlichen darin erschöpft, die Fassadendämmung zu optimieren. Und wie man für “Energieeffizienz”möglichst viel Haustechnik in ein Gebäude hineinstopft. Das ist der falsche Weg. Wir müssen uns wieder daran erinnern, was uns die Natur anbietet und wie wir zu einfachen, robusten Lösungen kommen. 

Das meinen Sie ja auch mit kyborganischem Bauen …

Ganz genau. Das ist eben die Kombination von High-Tech mit Low-Tech, ja No-Tech. Etwa fantastische Fachwerkstrukturen aus Brettsperrholz zusammen mit künstlicher Intelligenz. Das heißt, da kommen Naturstoffe aus der Region mit den besten kognitiven Werkzeugen zusammen, die wir in der Menschheitsgeschichte produziert haben. Das nenne ich kyborganische Wertschöpfung.

Was empfehlen Sie Unternehmen, die konkret nachhaltiger werden wollen? Wie kann zum Beispiel das New-European Bauhaus dabei helfen? Welche Fördermöglichkeiten gibt es? 

Das New European Bauhaus als solches wird nicht viel direkt fördern können. Aber wir haben vor kurzem in einer Expertengruppe einen vermutlich wegweisenden Report für die Europäische Kommission geschrieben. Er heißt “Nexus Report”. Da geht es darum, wie die Ideen im Neuen Europäischen Bauhaus unterstützt werden durch Forschung im Rahmen von Horizon Europe. Und Horizon Europe ist ein 100-Milliarden-Euro-Programm! Das größte Forschungsprogramm der Welt in Sachen Nachhaltigkeit. 

Schellnhuber plädiert für Gebäude aus Holz. Bild: David Franck
Schellnhuber plädiert für Gebäude aus Holz. Bild: Hoffnungshaus Rohrackerweg, © David Franck

Und um auf die erste Frage zurückzukommen, Unternehmen können zwei Dinge tun: Sie können selbst Teil eines Leuchtturmprojektes werden. Die Firmenzentrale von wem auch immer, Bosch, BMW, Bayern München kann ein spektakuläres kyborganisches Gebäude werden, zum Beispiel. Also bauen Sie Repräsentativ- oder Funktionalgebäude, von mir aus aber auch die Kindergärten und Hospitäler, als Kohlenstoffsenken. Damit würde man nicht nur eine Architektur haben, die dem Menschen guttut und wohltut. Sondern eine, die ihm hilft, die planetaren Grenzen zu respektieren. Das zweite ist eine bessere Landnutzung, die dann wiederum auch Materialien generiert, die beim Bauen verwendet werden können. Ob jetzt als Kommune oder eben als Privatunternehmen. Das tut etwa REWE. Die fördern im Augenblick ein beispielhaftes Moorprojekt. Das heißt, es müsste einem Unternehmen etwas wert sein, nicht nur Green Washing zu betreiben, sondern echtes Green Investment.

Sind Sie angesichts vielzähliger Initiativen in Richtung Nachhaltigkeit, sei es in Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, wozu auch Ihr Bauhaus der Erde gehört oder das New European Bauhaus gehört, zuversichtlicher geworden, was das nachhaltige Leben auf der Erde angeht? 

Ja, schon ein wenig. Dass man als Außenseiter helfen kann, eine Szene in Bewegung zu bringen, die natürlich längst die entsprechenden Diskurse geführt hat, aber vielleicht noch kein überzeugendes Klimanarrativ hatte, ist schon ein extrem ermutigendes Erlebnis. Ist ja völlig klar, dass dann die Fachleute übernehmen müssen. Die Designer. Die Architekten. Die Stadtplaner. Ich gebe Ihnen eine Metapher dazu. Ich schätze, dass die Möglichkeit, das Klima, den Klimawandel, noch zu stoppen, bei einer Wahrscheinlichkeit von nur bei zehn bis zwanzig Prozent liegt. Das ist todtraurig. Aber nehmen Sie irgendeinen Menschen, den Sie gerne haben. Sie würden erfahren, dass der oder diejenige eine tödliche Krankheit hat. Und es gibt aber eine neue Therapie dafür, die mit zehn bis zwanzig Prozent anschlägt. Würden Sie dann sagen, das lohnt das Geld nicht? Ich versuche es erst gar nicht? Zehn oder zwanzig Prozent Wahrscheinlichkeit sind gut genug, alleszu tun, wenn wirklich alles auf dem Spiel steht. 


10 Jahre German Design Award, 10 Jahre Designgeschichte

Seit zehn Jahren zeichnet der Rat für Formgebung mit dem German Design Award herausragende Leistungen aus. In diesem Jahr steht der Award erstmals unter einem Fokusthema: Inspiriert von der Arbeit des visionären Designers und Designtheoretikers Horst Rittel steht er unter dem Motto „Wie Designer denken“: Wie können Lösungen gefunden werden für jene Herausforderungen, für die Rittel in den 1960er Jahren gemeinsam mit Melvin Webber den Begriff der „Wicked Problems“ prägte; Probleme, die unklar, widersprüchlich, volatil oder sogar unlösbar sind – oder nur erscheinen?

In unserer Beitragsreihe möchte wir Persönlichkeiten und Projekte vorstellen, die sich auf ihre Art mit dem Gedanken Rittels auseinandersetzen.


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