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Künstliche Intelligenz verschiebt die Grenzen kreativer Arbeit. Und zeigt, wie entscheidend strategisches Denken und Haltung im Design geworden sind. Denn echte Gestaltung beginnt dort, wo Entscheidungen getroffen werden. Designer*innen müssen raus aus der Dienstleistungsrolle – und rein in die Führungsetagen, um gesellschaftliche Entwicklung aktiv mitzugestalten.

Von Oliver Herwig

Der Wert des neuen Designs liegt weniger im Machen als im Denken, Konzipieren und Entscheiden. Unser Autor Dr. Oliver Herwig plädiert: Design muss Chefsache werden | Illustration: KI-generiert mit DALL·E

Von Kopf bis Fuß auf Gestaltung eingestellt. Das ist unsere Welt. Waren es früher nur Produkte und Services, sind es heute soziale Netzwerke und menschliche Interaktion generell. Schwer vorstellbar, dass wir morgen auf die professionelle Gestaltung einer vernetzten Erde verzichten. Wollen Designer*innen aber Schlagworte wie inklusiv, kollaborativ, nachhaltig, menschenzentriert und partizipativ leben, müssen sie sich mehr zutrauen. Bewährte „Erfolgsrezepte sind gefährlich und Dogmen schlicht unwahr“, warnt Andreas Diefenbach, Managing Director von Phoenix. „Vor allem im Design neigen wir leider zur Selbstgerechtigkeit und Arroganz. Da lohnt sich der Twist im Kopf, Hand und Herz.“ Statt sich in der Rolle als Dienstleister vom Alltag auffressen zu lassen oder sich als Weltenretter zu überheben, muss Design seine Fähigkeit als vernetzende Disziplin in Politik und Unternehmen ernst nehmen und selbst CEO-Entscheidungen anstreben, also selbstbewusst die gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben. Design muss Chefsache werden.

Designer*innen bringen die Fähigkeit mit, verschiedenste Gruppen zu vernetzen. Warum sollten sie nicht gleich Führungsaufgaben übernehmen? | Illustration: KI-generiert mit DALL·E

Die Dienstleistungs-Illusion

KI zeigt, wie dünn das Fundament vieler Designerinnen und Designer wirklich ist. Wer nur von handwerklicher Raffinesse lebte, muss feststellen: Maschinen können das auch. „Ich glaube, dass der Designberuf durch Cloudcomputing, KI-Agenten  und die neuen Möglichkeiten der Visualisierung und Datennutzung jetzt vor der größten Veränderung der letzten 100 Jahre steht“, sagt Designer und VDID Delegierter Andreas Enslin. „Jetzt wird das Design-Doing – und nicht mehr nur die Werkzeuge – im Workflow automatisiert. Und Achtung: Kreativität kann durch brutale Rechenpower und kluge Workflows durchaus simuliert werden!“ Es lohnt sich daher, KI als Werkzeug anzunehmen und sich als Dirigent eines eigenen KI-Orchesters zu positionieren. Können, Geschmack und Erfahrung allein reichen nicht mehr.

An KI zerschellt die von zwei Seiten gepflegte Dienstleister-Illusion. Erster Fehler: Noch immer wissen viele Auftraggeberinnen und Auftraggeber die eigentliche Leistung von Design nicht zu fassen. Für sie ist das Ganze eher Styling. Die Kunst, einer fertig entwickelten Sache (Produkt, Dienstleistung, Service) ein schönes Gewand zu verpassen. Zweiter Fehler: Lassen sich Designerinnen und Designer auf das Spiel ein, werden sie zu „Kreativ-Butlern“, professionell, aber austauschbar. Sobald die Kundenseite Verpackung, nicht Haltung bestellt, erhält sie am Ende genau das: Durchschnittsware. Paradoxerweise nehmen Gestalterinnen und Gestalter damit die Funktion der KI schon vorweg. Geschwindigkeit schlägt Analyse und Nachdenken. Was sagt es über eine Zeit aus, in der Tools auf Knopfdruck Folien, Logos und halbe Kampagnen ausspucken? Vor allem das: Vermeintliche Designleistung scheint mühelos und verfügbar, darf also nichts mehr kosten. Dabei liegt das Problem noch tiefer, denn KI spuckt nicht nur blendende Ergebnisse aus, sondern verursacht verborgene Kosten. Das Phänomen heißt „Workslop“: KI-Inhalte, die auf den ersten Blick nach etwas aussehen, tatsächlich aber nicht die Bits und Bytes wert sind, mit denen sie generiert wurden.

„Was sagt es über eine Zeit aus, in der Tools auf Knopfdruck Folien, Logos und halbe Kampagnen ausspucken?“

Workslop: Wenn KI schönen Schrott produziert

Eine Studie der Betterup Lab in Zusammenarbeit mit dem Stanford Social Media Lab rechnet mit monatlichen „Produktivitätsverlusten von 186 Euro“ pro Workslop, also rund „zwei Stunden Nacharbeit für Entschlüsselung, Recherche und Klärungsgespräche.“ Schon heute sind rund 15,4 Prozent aller Arbeitsinhalte schönster Datenschrott. Die vermeintliche Hilfe von KI hat einen noch höheren Preis als den Verlust ganzer Berufsbilder und handwerklicher Fertigkeiten. „Künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz produziert hochwertigen Schrott in großen Mengen“, fasst Michael Linden bei „Golem“ die Studie zusammen. Was professionell klingt, ist womöglich reine Rhetorik, Blendung ohne Substanz und kostet viel Zeit und Nerven, die Inhalte geradezubiegen.

KI beschleunigt nur das, was die Entwicklung von (Software)-Produkten längst prägt: Halbfertiges prägt den Markt. Fehler werden durch Updates und Iterationen beseitigt, und Kosten auf die Schultern der Nutzenden abgewälzt, die noch dazu mit ihren Daten zahlen. KI ist nur der nächste Schritt, und alles, was sich standardisieren lässt, wird über kurz oder lang von Algorithmen erledigt. Wer KI heute verschmäht, kommt morgen unter ihre Räder (oder Schaltkreise, um im Bild zu bleiben). Klug eingesetzt, kann sie helfen, selbst nachzudenken und Sinnhaftes zu schaffen. Denn das Neue entsteht nicht daraus, dass wir endlos Bestehendes neu kombinieren. Alle wollen „jenseits der Box“ denken, aber den wenigsten gelingt es. Genau dafür sind gerade Vertreter*innen des Designs prädestiniert. Das Unkonventionelle, Unerwartete, Verstörende schlägt die tägliche Routinearbeit. Selbst Wirtschaftsnobelpreisträger Simon Johnson setzt auf Außenseiter, ja Häretiker: „Wenn Sie eine universelle Wahrheitsmaschine antreten lassen gegen eine vielfältige Gruppe von Menschen, dann werden die Menschen gewinnen.“ („FAS“, 28.9.2025) 

Wie ging doch noch mal der Prompt? Wenn heute alle „designen“, könnten Designer*innen zu Dirigent*innen eines kleinen KI-Hilfsorchesters werden, um sich auf das zu konzentrieren, was sie besser können als andere: Visionen zu formulieren, Ungedachtes zu erproben und Neues spielerisch in die Welt zu heben | Illustration: KI-generiert mit DALL·E

„Schon heute sind rund 15,4 Prozent aller Arbeitsinhalte schönster Datenschrott. Die vermeintliche Hilfe von KI hat einen noch höheren Preis als den Verlust ganzer Berufsbilder und handwerklicher Fertigkeiten.“

CEO-Design: Führung meint Menschen zusammenzubringen, zu begeistern und Möglichkeitsräume zu benennen | Illustration: KI-generiert mit DALL·E

Die Weltenrettungs-Illusion

Wie aber soll dieser Gewinn aussehen? Welche Welt wollen wir aufbauen oder erhalten? Und sind Designerinnen und Designer in dieser Schlüsselkompetenz nicht irgendwie verantwortlich für reibungslos ablaufende, funktionierende Systeme, womöglich gar für Gesundheit und Klima? Das ist natürlich Unsinn, der das schlechte Gewissen der Gesellschaft wegdesignen soll. Gute Entwürfe können den täglichen Konsum zwar kanalisieren, aber nicht ausschalten. Designer sind weder Gesetzgeber, CEOs oder Aktivisten mit Milliardenbudgets. Und sie müssen nicht jeden Tag die Welt retten. Aber sie können Einfluss nehmen: Materialien hinterfragen, Zirkularität in Produkte schreiben, Alternativen aufzeigen und positive Vorstellungen prägen.

Für die Profession Design bedeutet das: Weg von der täglichen Front (der Pixelschieberei), hin zu mehr Entscheidungskompetenz. Design hat die Chance, sich als Dirigent einer Hilfsarmee von KI zu positionieren und sich für die Leitungsebene fit zu machen: Einsätze zu geben, die Tonart zu bestimmen und den Takt vorzugeben, sich höher qualifizieren und Entscheidungen selbst treffen oder zumindest beratend herbeiführen. Diesen Weg haben schon einige eingeschlagen: „Bereits während meines Bachelor-Studiums in Kommunikationsgestaltung habe ich festgestellt, dass meine Stärken nicht nur im gestalterischen Bereich, sondern auch im Organisatorischen liegen“, sagt Designerin und Account Managerin Seraphina Schidlo, die einen zweiten Abschluss anstrebt. „Mit dem zunehmenden Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf die Branche habe ich mich bewusst für ein MBA-Studium mit Schwerpunkt Management und Business Strategy entschieden. Mein Ziel war es, mein Profil breiter aufzustellen und zusätzlich zu meiner gestalterischen Expertise fundierte Kompetenzen im Management nachweisen zu können.“ 

„Der Wert des neuen Designs liegt weniger im Machen, sondern in Konzeption und Entscheiden.“

Von der Gestaltung zur Sinnstiftung: Design als Führungsaufgabe

Höchste Zeit, an die Rolle von Peter Behrens bei der AEG anzuknüpfen und an die von Dieter Rams bei Braun, der mit im Vorstand des Unternehmens saß. Wenn schon Gesetze und Vorschriften, DIN-Normen und Exportvorgaben über die Gestaltung der Welt bestimmen, muss Design aktiver werden, vielleicht sogar aktivistisch. Designerin Claudia S. Friedrich sieht drei Entwicklungen, die auf die Profession zukommen, der Weg vom „Gestalter zum Sinnstifter“, die Positionierung als „Strategische Partner und Partnerinnen auf Augenhöhe“ und die Rolle als „Treiber von Nachhaltigkeit und Verantwortung.“ Auch hier klar erkennbar: Mehr Verantwortung im Design heißt mehr gesellschaftliche Beteiligung. Designer*innen stiften schließlich Werte für die Wirtschaft und Gesellschaft. Die neue Rolle des Designs kann nur heißen: CEO-Design, das über Hüllenkunst und Augenglitzer hinausgeht und idealerweise die Welt (neu) denkt. Die Kernkompetenz von Gestalter*innen besteht schließlich darin, vertraute Pfade zu verlassen und Unerwartetes zu erschließen. Was Maschinen nicht können: Fragen stellen, die jenseits der Daten liegen und die Wünsche von Menschen wahrnehmen. Der Wert des neuen Designs liegt weniger im Machen, sondern in Konzeption und Entscheiden. Die entscheidenden Kompetenzen dafür sind paradoxerweise ganz alte: Haltung und Persönlichkeit, da die Zukunft mehr Vermittlung und Austausch braucht denn je. Es bleibt dabei: Wenn schon Design die Welt nicht retten kann, so entscheidet es doch, in welcher Welt wir morgen leben.

Wer dennoch auf alten Mustern beharrt und das eigene Handwerk herausstellt, sollte das als künstlerische Tätigkeit begreifen, die menschliche Imperfektion als Qualitätsmerkmal schätzt. Einen Vorgeschmack darauf bot Hollywood bereits im Jahre 2013 im Film „Her“. Dort besteht der Broterwerb des tragischen Helden darin, handgeschriebene Liebesbriefe zu verfassen, um bestellte Gefühle authentischer erscheinen zu lassen. 

Design in Business

Neue Studie des German Design Council.

Mit mit wissenschaftlicher Unterstützung durch Prof. Philipp Thesen und das Institut für Designforschung der Hochschule Darmstadt.

Über den Autor

Dr. Oliver Herwig, Journalist und Moderator. Designexperte für AD, FR, FAZ QUARTERLY, nomad, ndion, NZZ und SZ; Designtheoretiker an der Kunstuniversität Linz sowie der HfG Karlsruhe. „Karl-Theodor-Vogel-Preis für herausragende Technik- Publizistik“, COR Preis „Wohnen und Design“. Arbeitsstipendien in England, USA und Norwegen. Wissenschaftsjournalist in Tübingen, Gastredakteur bei *wallpaper in London, Editor-at-Large von nomad. Autor von rund drei Dutzend Büchern zu Architektur und Design, darunter zu Michele De Lucchi, fliegenden Bauten und Entertainment-Architektur.

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