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In Kunst und Design vollzieht sich die Produktion mehr und mehr im Kontext einer allumfassenden Technisierung. Wer kreativ arbeitet, sieht sich auf Apparate, Schnittstellen und Programme verwiesen. Technische, insbesondere digitale Werkzeuge können inspirieren, setzen dem schöpferischen Prozess aber auch Grenzen. Der Sammelband „Kunst, Design und die „Technisierte Ästhetik““ greift verschiedene Facetten des Themas auf.

Rezension von Thomas Wagner.

Kunst, Design und technisierte Ästhetik? Das klingt verlockend  und bedrohlich zugleich. Ist unsere Wahrnehmung und unser Geschmacksempfinden womöglich stärker von Vernetzung, Hyperlokalität, Hybridisierung, Cyborgisierung und Multimedialität geprägt, als wir uns bewusst sind? „Technisierte Ästhetik“, das verspricht Umbruch, Zeitenwende, Revolution gar – und sollte deshalb Gestalterinnen und Gestalter gleich welcher Couleur interessieren. Erzeugt digitale Technik heute bei jedem Einsatz und bei jeder Bildschirmnutzung eine Ästhetik nach ihren eigenen Vorgaben? Triumphiert sie erst im Spukschloss einer bald schon allgegenwärtigen KI – oder sind ihre Auswirkungen längst real?

Entscheidend ist eine im Grunde simple Beobachtung: Jede ästhetische Erfahrung (sprich: jede sinnliche, bevorzugt optische Wahrnehmung, aber auch das Repertoire formaler Gestaltungsmöglichkeiten) ist, wie es in der Einleitung des Aufsatzbandes „Kunst, Design und die ,Technisierte Ästhetik‘“ heißt, „durch medien-ökologische Interdependenzen und eine stetig weiterentwickelte Digitalisierung und Technisierung massiv in der öffentlichen Kultur verankert“. Das heißt: Nahezu jede  ästhetische Erfahrung, die wir machen, ist inzwischen vielfach technisch bzw. medial vermittelt. Technisierte Gestaltung und Ästhetik finden dabei netzwerkartig, hyperlokal, hybrid und vermittelt über gestaltete Schnittstellen sowie Hard- und Software statt. Woraus ersichtlich ist: Es empfiehlt sich, darüber nachzudenken, wie und mit welchen Folgen sich künstliche und physikalische Realität bedingen, überlagern, beeinflussen – oder ob die eine gar die andere dominiert. Anders ausgedrückt: Hier entscheidet sich, wer im Haus der Kreativität am Ende das Sagen hat.

Viele Themen, unterschiedliche Perspektiven

Die Perspektiven, die der Sammelband auffächert, sind ebenso vielfältig wie in Sprache und Duktus akademisch geprägt. Das macht die Lektüre nicht immer einfach. Oft wird zunächst der vermeintliche Stand der Forschung referiert, um den historischen Faden, den man sich so zurechtgelegt hat, anschließend diskursiv weiterspinnen zu können. Dass der komplexe Zusammenhang von Ästhetik und Technik unterschiedliche Disziplinen involviert, zeigt sich auch an der Spannbreite der Themen: Diese reichen von „Immersionsphantasmen“ über „Arten der Präsenz“, die „Relevanz der technischen Entwicklung in den Debatten über Design in den 1920er Jahren“ und Bildkulturen des Weltentwerfens bis zum Einfluss von Interface-Design auf eine post-digitale Ästhetik, zu Glitch-Art, KI und Ko-Kreativität. Am Ende wird sogar darüber spekuliert, ob es eine „Quantenästhetik“ geben und wie sie aussehen könnte – wobei Kunst allerdings recht holzschnittartig auf die Illustration von Theorien reduziert wird, die sich einer Visualisierung weitgehend entziehen.

Wie bei einer solch großen Themenbreite kaum anders zu erwarten, bleibt vieles angedeutet, manches disparat. (Einigen Beiträgen hätte eine Peer Review ebenso gutgetan wie ein Lektorat, das sprachliche Nebelschwaden hätte auflösen können.) Dass die Einleitung, nachdem sie thematische Ein- und Abgrenzungen skizziert hat, eine Synopse der einzelnen Beiträge anbietet, ist hilfreich, um eigene Interessengebiete identifizieren zu können. Überhaupt ist der Band bemüht, das ausgebreitete Vielerlei durch Zusammenfassungen leichter zugänglicher zu machen.

Ist es die Technik, die kreativ macht?

Was Umfang und Grenzen des Feldes einer „Technisierten Ästhetik“ angeht, das bestellt werden soll, so wird in der Einleitung festgehalten: „Die gestalterische Produktion – vornehmlich der letzten Jahrzehnte – vollzieht sich im Kontext einer alles umfassenden ,Technisierung‘, welche gleichermaßen analoge wie digitale Aspekte artikuliert und integriert, die ihrerseits wieder die Grundbedingung für quantenbasierte Entwicklungen zu bilden scheinen.“ Ist dem so, zeige sich „das Kreative“ somit „auch schlechthin in der schöpferischen Unvorhersehbarkeit der neuen Apparate und im Kontext einer bereits mannigfach in der Alltagskultur verankerten Maschinen-Ästhetik.“ Zugespitzt gesagt: Nicht Künstler*innen und Designer*innen sind kreativ, sie werden es erst durch den Input, den ihnen avancierte Technik liefert. Sind es also digitale Programme, Produktionstechniken und -prozesse, sind es Mensch-Maschine-Schnittstellen und Apparate, die eine neue Dynamik in Kunst und Design befördern?

Einer veränderten Logik des Ästhetischen auf die Spur kommen

Die Beiträge, es wurde schon erwähnt, sind zu unterschiedlich, die Themen zu vielfältig, als dass hier auf einzelne Thesen und Argumente eingegangen werden könnte. Nicht immer kommen die Versuche, der durch Technik veränderten „Logik des Ästhetischen“ auf die Spur zu kommen, zu befriedigenden Ergebnissen. (Kulturwissenschaftliche Analysen, die den Horizont weiten hätten können, bleiben ebenso ausgespart wie präzise Begriffsbestimmungen. Was die 1920er Jahr angeht, hätte etwa Helmut Lethens Darstellung von „Verhaltenslehren der Kälte“ in der Zwischenkriegszeit dazu beitragen können, das Verhältnis von technischer und neusachlicher Perspektive zu präzisieren. In der Diskussion über eine „digitale Ästhetik“, um ein weiteres Beispiel zu nennen, hätte es sich angeboten, deren Metaphorik eingehender zu untersuchen.)

Erster Blick auf weitreichende Konsequenzen

Bei aller Kritik, die sich an einzelnen Ansätzen üben lässt, und wie sehr der Begriff des Ästhetischen auch zwischen einer Lehre von Schönheit und Geschmack, einer Theorie der Wahrnehmung und formalen Gestaltungsoptionen changieren mag, eines wird im Blick auf das Ganze sehr deutlich: Wenn es stimmt, dass Wahrnehmung und Produktion zunehmend vermittelt über technisches Gerät stattfinden, dann hat das für Kunst und Design weitreichende Konsequenzen, besonders dort, wo diese praxisbasiert und -orientiert vorgehen. Das Technische bringt die Imagination offensichtlich nicht nur in Gang, es setzt dem kreativen Prozess auch Grenzen. Darüber nachzudenken, in welcher Weise die Grenzen meiner Kreativität mit den Grenzen der Apparate und Programme zusammenfallen, scheint unbedingt nötig. Hier wagt der Band erste Schritte. Dass dabei (wie auch bei der kritischen Perspektive von Kate Crawford auf die neusten Entwicklungen in  Sachen KI) auf Walter Benjamin und dessen Aufsatz über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ verwiesen wird, überrascht nur auf den ersten Blick. Wobei es aktuell weniger um „technische Reproduzierbarkeit“, sondern um technische Induzierbarkeit oder sogar (Stichwort KI) um vollständige technische Produzierbarkeit geht.


Kunst, Design und die „Technisierte Ästhetik“

Lars C. Grabbe, Tobias Held, Christiane Wagner (Hg.)

272 S., kartoniert
Büchner-Verlag, Marburg,2023
ISBN 978-3-96317-327-1 (Print)
30,00 Euro
ISBN 978-3-96317-884-9
24,00 Euro (ePDF)


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