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Werner Sobek non nobis Ressourcenverbrauch
© avedition

Es besteht dringend Handlungsbedarf in Richtung Kreislaufwirtschaft: Werner Sobek zählt weltweit zu den renommiertesten Ingenieurwissenschaftlern und Bauforschern. Mit dem ersten Band von „non nobis – über das Bauen in der Zukunft“ legt er eine alarmierende Bestandsaufnahme der umweltpolitischen Defizite des Bausektors vor.

Rezension von Thomas Wagner

„Die Industrielle Moderne“, schreibt der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber in einem Vorwort zu Werner Sobeks Buch, „hat – ebenso ungewollt wie bedenkenlos – ein neues Erdzeitalter hervorgebracht: Im ,Anthropozän‘ (nach Paul Crutzen) ist die Menschheit zu einer geologischen Kraft geworden, welche beginnt, die planetaren Grenzen auf höchste eigene Gefahr zu durchbrechen. Die seit Mitte des 20. Jahrhunderts exponentiell zunehmende Ausbeutung mineralischer Ressourcen (fossile Energieträger, Metallerze, Steine, Erden usw.) ist akut für zwei zivilisationsbedrohende Krisen verantwortlich, nämlich die abrupte Veränderung des Klimas und die radikale Umgestaltung der Lebenswelt.“ Der Schluss, den Schellnhuber daraus zieht, ist eindeutig: „Nur wenn wir in den nächsten zwei Dekaden die letzte Ausfahrt in eine biobasierte und weitgehend regionalisierte Kreislaufwirtschaft nehmen, können die genannten Krisen noch bewältigt werden. Der bisher kaum beachtete Schlüsselbereich dafür ist die gebaute Umwelt.“

Unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden

Keiner ist eine Insel. In Zeiten von Globalisierung, Vernetzung und Klimakrise hat das Sprichwort einen düster-melancholischen Klang bekommen. Was jeder einzelne tut, mag wichtig sein; am Ende aber ist entscheidend, was wir als Gesellschaft tun – und wie wir damit aus der Gegenwart in die Zukunft hineinwirken. „Um unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht zu werden“, so Werner Sobek, „benötigen wir sauber recherchierte Fakten und eine präzise Darstellung der Zusammenhänge zwischen diesen Fakten. Nur so kann Erkenntnis entstehen!“


„Wir fragen uns, warum der Mensch nach einer mehr als 300.000 Jahre währenden Entwicklungsgeschichte immer noch und immer mehr Kriege führt, mehr Geld für Waffen und Militär ausgibt als für Bildung oder für die Beseitigung der weltweiten Armut, warum er Folter und Vertreibung Tausender mit Achselzucken quittiert, die Natur immer intensiver und radikaler ausbeutet, das Weltklima hemmungslos weiter anheizt, die lebenswichtigen Meere mit Müll in ihrer Funktionalität zerstört – und all das trotz einer in der Geschichte der Menschheit nie zuvor dagewesenen Zugänglichkeit zu Informationen. Wir fragen uns, warum die Politik, die Wissenschaft und andere sogenannte Eliten so lange beharrlich darüber geschwiegen haben, dass die Jahre bis 2050 die wahrscheinlich größten und tiefgreifendsten Veränderungen in der Geschichte der Menschheit hervorbringen werden.“

— Werner Sobek über den Stand der Dinge


Mit Band 1 seiner Trilogie „non nobis“ legt Sobek die erste umfassende und aktuelle Analyse der Baubranche vor. Der Titel „non nobis“ spielt auf ein (vielfach variiertes) lateinisches, auf Cicero zurückgehendes Motto an: „non nobis solum nati sumus ortusque nostri partem patria vindicat, partem amici“ – Nicht nur für uns sind wir geboren; unser Land, unsere Freunde, haben einen Anteil an uns. Sobek verweist also bereits im Titel auf die Verantwortung für das Ganze, darauf, dass die Menschen nicht nur ihre eigenen Interessen verfolgen, sondern zum allgemeinen Wohl der Menschheit beitragen sollten.

Umfassende Bestandsaufnahme

„Ausgehen muss man von dem, was ist“: Was Sobek im ersten Band unternimmt, ist nicht weniger als der Versuch einer umfassenden Bestandsaufnahme von aktuellen Trends und Entwicklungen. Diese betreffen die natürliche und gebaute Umwelt unmittelbar und werden von der Art, wie heute gebaut wird, massiv beeinflusst: Ressourcenverbrauch und -verfügbarkeit, Baustoffe, Emissionen, Energie, Erderwärmung, Klimaziele, Bevölkerungsentwicklung und einiges mehr. Sobek setzt auf Objektivität, liefert Zahlen und Daten, und vertraut (im ersten Band will er noch keine Schlüsse ziehen) auf die Wirkung grafisch ansprechend aufbereiteter Diagramme.

Werner Sobek non nobis Emissionen
© avedition

Farbenfroh dem Hässlichen begegnen

Im Design kann als selbstverständlich gelten: Die Form, in der etwas präsentiert wird, ist alles andere als gleichgültig. Natürlich kann sich der erste Eindruck als falsch erweisen; was auf den ersten Blick aber sympathisch, spannend, aufregend anders oder schlicht einladend erscheint, hat gute Chancen, genauer wahrgenommen zu werden. Der Status Quo, den Werner Sobek beschreibt, mag jede Menge Defizite auflisten – visuell verströmt das vom Büro Uebele gestaltete Buch eine solche Frische und Fröhlichkeit, dass sich skeptische Blicke aufhellen und man bereit ist, an eine positive Zukunft zu glauben. Andreas Uebele und sein Team haben das ähnlich gesehen, wenn sie feststellen: „Die von Werner Sobek zusammengetragenen bestürzenden und leider auch komplexen Fakten des Klimawandels haben wir so schön wie möglich dargestellt, damit sie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Zuvor uneinheitliche und unverständliche Grafiken haben wir neu gezeichnet, um die darin abgebildeten Fakten zugänglich und verständlich zu machen – schließlich ist die Anerkennung von Fakten der Ausgang jeder Erkenntnis. Die schöne Form ist unser Beitrag, wenn es darum geht, dem Hässlichen zu begegnen.“

Werner Sobek Grafik non nobis
Entwicklung der Nachfrage nach raffiniertem Kupfer, © avedition

Alarmierende Kernaussagen

Die aus Sobecks Analyse resultierenden Kernausaussagen, sollen aufklären, aber auch aufrütteln: (1) Das Bauwesen ist zu einem großen Teil für den weltweiten Ausstoß klimaschädlicher Gase und den Raubbau an Natur und Ressourcen verantwortlich. (2) Das Bauschaffen steht für mehr als 50 % des weltweiten Materialverbrauchs. (3) In der Liste der materialverbrauchenden Industrien rangiert die Baubranche weltweit an erster Stelle; und der Bedarf an Baustoffen steigt weiterhin dramatisch. (4)Zu den rund 400 Millionen Tonnen Abfall, die allein in Deutschland pro Jahr anfallen, trägt das Bauwesens mehr als 50 % bei. (5) Die Nutzung von Gebäuden verursacht etwa 30 % des weltweiten, hauptsächlich aus fossilen Quellen und Holz gedeckten Endenergieverbrauchs. Herstellung und der Abbruch von Gebäuden verursachen (mindestens) einen ebenso großen Anteil, was bisher jedoch kaum Beachtung finde. (6) Obwohl die wesentlichen Verursacher und möglichen Absorber bekannt sind, nimmt der Ausstoß von CO2 weiterhin kontinuierlich zu. (7) Ein großer Teil des Energieverbrauchs und der Emissionen im Mobilitätssektor entstehen durch Transporte im Bauwesen, werden aber häufig anderen Sektoren zugeschrieben.

Werner Sobek non nobis Transport
© avedition

Werner Sobek geht mit Zahlen und Fakten gegen die Verschleierung der wahren Zusammenhänge vor. Und so lautet denn sein nüchternes Fazit: Da das Bauschaffen maßgeblich für den Ausstoß klimaschädlicher Gase, den Verbrauch von kostbaren Materialen aus der Natur und giftige Abfälle verantwortlich ist, muss es endlich verantwortlich handeln. Eine Voraussetzung dafür ist: Statt so weiterzumachen wie bisher, muss das Bauwesen mit all seinen Belangen und seinen Auswirkungen auf die Erderwärmung und die Destabilisierung unserer natürlichen Umwelt überhaupt als eigenständiger Sektor begriffen werden.


„Das Bauschaffen steht in Bezug auf die nicht getroffenen Vorbereitungen für unsere Zukunft weder besser noch schlechter da als andere wesentliche Bereiche unserer Gesellschaften. Da das Bauwesen derzeit aber für rund 60 % des weltweiten Ressourcenverbrauches, für rund 50 % des weltweiten Abfallaufkommens, für mehr als 50 % der weltweiten Emissionen von klimaschädlichen Gasen und für mehr als 35 % des weltweiten Energieverbrauches verantwortlich ist, kommt ihm in der vor uns stehenden Phase der großen Transformation eine wesentliche Bedeutung zu.“

— Werner Sobek über das Bauschaffen


An Informationen herrscht kein Mangel. Die Fakten, soweit sie verfügbar sind, liegen auf dem Tisch. Welche Handlungs- und Gestaltungsspielräume einem Bauen noch bleiben, das heute verantwortungsvoll die Weichen für eine bessere Zukunft stellt, sollen die folgenden Bände ausloten. Man darf – das Erscheinen des 2. Bandes ist für August angekündigt – gespannt sein.


@ avedition

Werner Sobek

non nobis – über das Bauen in der Zukunft

Band 1: Ausgehen muss man von dem, was ist

geb., 292 S., 114 Abb.,

Gestaltung: Andreas Uebele

avedition, Stuttgart 2022

ISBN 978-3-89986-369-7

49 Euro



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