Die Ausstellung ‚The Magic Touch: Designing Togetherness‘, zu sehen ab 19. Oktober 2024 auf der Dutch Design Week, vereint Projekte der German Design Graduates rund um Berührung, Inklusion und Zusammenarbeit. Im Interview verraten die Kurator*innen Nina Sieverding und Anton Rahlwes, wie haptische Erlebnisse Design neu erfahrbar machen.
Interview: Katharina de Silva
In eurer Ausstellung dreht sich alles um „Togetherness“: Wie habt ihr aus über 200 Arbeiten die Projekte ausgewählt, die diese Idee widerspiegeln?
Nina Sieverding: Wir machen schon seit ein paar Jahren Juryarbeit und waren bereits in verschiedene Auswahlprozesse involviert, Übung hatten wir also schon. Irgendwann hat man einfach einen inneren Fragenkatalog im Kopf: Ist die Arbeit gut recherchiert? Ist sie durchdacht? Ist sie zeitgemäß? Wie wurde sie umgesetzt und dokumentiert? Passt sie zum Thema? Man merkt ziemlich schnell, ob eine Arbeit passt oder nicht.
Anton Rahlwes: Idealerweise hilft das kuratorische Thema bei der Auswahl. In diesem Fall hatten es Projekte, die interdisziplinär gedacht waren und die eine haptische Komponente boten, leichter als andere.
Nina Sieverding: Erstaunlicherweise waren wir uns auch schnell einig. Es gab wenig Arbeiten, bei denen wir diskutieren oder den anderen überzeugen mussten. Und dann schauen wir natürlich, dass es ein gewisses Gleichgewicht gibt: zum Beispiel, dass viele verschiedene Hochschulen dabei sind und dass möglichst viele Themenbereiche abgedeckt sind. Wir wollten einfach verschiedene Facetten von „Togetherness“ zeigen.
Was beeindruckt euch am meisten an den Abschlussarbeiten der Graduates? Was ist Euch besonders aufgefallen?
Anton Rahlwes: Ich finde, dass gerade die Arbeiten der German Design Graduates immer einen ernsthaften Kern in sich tragen und in den allermeisten Fällen mit viel Leidenschaft behandelt werden.
Nina Sieverding: An den Graduates finde ich besonders interessant, dass man sehr gut Einblick in die eigentliche Arbeit der Absolvent*innen bekommt – von der Recherche zum finalen Produkt. Teilweise liegt uns ja die gesamte Dokumentation vor, manchmal sind das über 100 Seiten Text. So zeichnet sich ein interessanter Querschnitt der deutschen Hochschullandschaft ab, mit den verschiedenen Herangehensweisen und Prägungen der Schulen und Absolvent*innen. Uns ist aufgefallen, dass einige Arbeiten thematisch ins Häusliche zurückkehren – ob das daran liegt, dass viele der Absolvent*innen während der Pandemie studiert haben, kann ich an dieser Stelle nur spekulieren.
Die Dutch Design Week erwartet in einer Woche weit über 300.000 Besucher*innen. Wie schafft man es, mit einer Ausstellung die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Nina Sieverding: Mit einer gesunden Mischung aus Optik, Klarheit und Ort. Der Ort muss gut zugänglich sein, die Ausstellung muss sich selbst schnell erklären können. Ich glaube, wir haben da eine gute Balance geschaffen.
Anton Rahlwes: Ich würde schon sagen, dass wir mit dem diesjährigen Konzept einen klaren „Wettbewerbsvorteil“ haben – das erhoffe ich mir zumindest. Wir präsentieren die Arbeiten der Graduates nicht didaktisch, sondern eher erfahrungsbasiert. Und ist das nicht, worum es im Design gehen sollte: Den Alltag konkret erlebbar zu machen? Wer also Design nicht nur angucken will, sondern auf verschiedene Weisen ästhetisch erfahren möchte, ist in der Ausstellung genau richtig.
Wie ist das Ausstellungsdesign mit Raw Color entstanden?
Anton Rahlwes: Ich beschäftige mich bereits seit einiger Zeit mit Design und Inklusion. Eines der Konzepte, das ich besonders bereichernd finde, ist „Aesthetics of Access“ und kommt ursprünglich aus der Theaterwissenschaft. Kurz zusammengefasst geht es darum, Inklusion nicht als nachträgliche Aufgabe der Vermittlung zu verstehen, sondern als ideengebende, inspirierende Quelle. Ich versuche diesen Ansatz in all meinen Arbeiten zu integrieren, was nicht immer einfach ist. Die Arbeit mit Raw Color war insofern schön, weil wir uns zugehört und ergänzt haben. Wir wollten mehr als nur „Objekte zum Angucken“. Dieser Diskurs führte wiederum dazu, dass auch Raw Color inspiriert wurde. Das Resultat ist überhaupt nicht das, was ich ursprünglich erwartet habe – aber das im besten Sinne.
Nina Sieverding: Wir hatten das Glück, dass Raw Color sehr früh in den Ideenfindungsprozess der Ausstellung eingebunden war. Nachdem das kuratorische Konzept stand, haben sie uns drei Ideen präsentiert, die wir alle toll fanden – es war also eine absolute Win-Win-Entscheidung. Wir haben uns letztendlich alle zusammen für das entschieden, das wir passender und auch mutiger fanden.
Normalerweise darf man in Ausstellungen nichts anfassen. Aber bei euch ist das anders: Wie habt ihr den Spagat zwischen „anfassbar“ und „schützenswert“ hinbekommen?
Nina Sieverding: Das klingt vielleicht banal: In enger Kommunikation mit allen Beteiligten. Manche Exponate sind sehr zerbrechlich und frühe Prototypen, da geht das nicht. Aber wir freuen uns, dass uns die Ausstellenden an dieser Stelle vertraut haben.
Anton Rahlwes: Das Dogma, dass Dinge in Ausstellungen nicht angefasst werden dürfen, ist nur bedingt auf den Schutz dieser Objekte zurückzuführen. Vor der Renaissance gab es Reliquien, die immer heiliger wurden und in ihrem künstlerischen Wert stiegen, je mehr sie angefasst wurden – sozusagen, je mehr sie „kaputt“ gingen. Erst mit der Renaissance wurde der Sehsinn zum höchsten Sinn der Erkenntnis auserkoren und mit ihm andere Erkenntnisformen verdrängt. Solche Konzepte zu hinterfragen, die oft einen ableistischen Kern haben, sehe ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben in einer so mächtigen Funktion wie der eines Kurators.
Zusammenarbeit ist ein zentrales Thema der Ausstellung. Gibt es spannende Beispiele, wie die Designer*innen mit anderen Bereichen oder Industrien zusammengearbeitet haben?
Nina Sieverding: Ja, beispielsweise die Arbeit „Crotto Collection“: Dafür hat die Absolventin Lara Landbrecht mit Geberit zusammengearbeitet. Eine der Kernfragen des Projekts war, wie sich Keramikabfälle wiederverwerten lassen.
Anton Rahlwes: Besonders vielschichtig finde ich zum Beispiel das Projekt „Touching Stories“ von Jana Katharina Lutat. Sie nutzt verschiedene Storytelling-, sowie Researchmethoden, um die Vielschichtigkeit von Textil, Haptik und Digitalität zu vermitteln. Dazu arbeitete sie zusätzlich mit dem Textilhersteller Aquafil und dem Smart Textiles Hub Dresden zusammen. Aber auch das Projekt „Layers of Value“ von Virginia Reil, das in Zusammenarbeit mit Zimmer und Rohde entstand und neue Wege für „Deadstock“-Textilien sucht, finde ich spannend.
Ihr beschreibt den Tastsinn als eine Kraft, die Dinge verändern kann – besonders im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Wie vermitteln die ausgestellten Projekte diesen Zusammenhang?
Anton Rahlwes: Das Tasten ist eine unmittelbare Sinneserfahrung. Wir müssen mit unserer Umwelt direkt in körperlichen Kontakt treten, um Erfahrungen zu machen oder Schönheitsempfindungen zu erleben. Ich glaube, wenn wir diese Erfahrungen häufiger und intensiver machen würden, dann blieben viele Dinge nicht so abstrakt. Was wir anfassen können, ist da. Das ist mit Bildern, gerade in Zeiten von KI, nicht so eindeutig. Ich glaube, dass der Tastsinn dabei helfen kann, abstrakte Themen – wie zum Beispiel Nachhaltigkeit – im wahrsten Sinne des Wortes „begreifbarer“ zu machen. Unter den Sinnen ist er meiner Meinung nach derjenige, der dabei helfen kann, dass wir Menschen empathischer werden – mit uns, aber auch mit unserer Umwelt. Konkret heißt das: Es ist viel vergänglicher, sich eine Ausstellung nur anzusehen, als – kleiner Spoiler für die Ausstellung – Dinge zu sehen, anzufassen und vielleicht sogar noch zu hören. Ich würde fast garantieren, dass multisensorische Erfahrungen immer zu mehr Erkenntnis führen.
Was möchtet ihr, dass die Besucher*innen aus den interaktiven und taktilen Erlebnissen der Ausstellung mitnehmen?
Nina Sieverding: Einen neuen Blick auf Ausstellungen, Museen und museale Konzepte. Und vielleicht auch eine neue Herangehensweise an Designobjekte und -konzepte.
Anton Rahlwes: Dass Objekte in Ausstellungen nicht nur betrachtet werden können und dass das Design auch Haptik und Klang, vielleicht sogar Geschmack mitdenken kann. Außerdem finde ich es wichtig zu betonen, dass das, was hier erarbeitet wurde, eine Form von Inklusion ist. Es ist ein falscher und ableistischer Gedanke, anzunehmen, dass Inklusion nicht poetisch, magisch oder eben viel mehr sein kann als das, was wir bereits zu wissen glauben.
German Design Graduates
Ausstellung auf der Dutch Design Week 2024
The Magic Touch: Designing Togetherness
19.10.–27.10.2024, Eindhoven
Über German Design Gratuates
German Design Graduates (GDG), gefördert von der Stiftung Rat für Formgebung, ist die einzige bundesweite Initiative mit dem Zweck der Nachwuchsförderung von Absolvent*innen aus Produkt- und Industriedesign sowie der Präsentation von renommierten deutschen Universitäten, Kunsthochschulen und Fachhochschulen.
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