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Der Küchenrevolutionär Gerd Bulthaup ist am 1. August 2019 nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Mit der Wiederveröffentlichung eines Beitrags von Andrej Kupetz aus dem Jahr 2014 blicken wir auf das Wirken des eindrucksvollen Unternehmers zurück.

Gerd Bulthaup – Unternehmer und Küchenrevolutionär

Von Andrej Kupetz.

In der deutschen Industriekultur gibt es eine Besonderheit, die langsam, aber immer vehementer in das Licht der Öffentlichkeit rückt. Ein Phänomen, das für die wirtschaftliche Stärke des Landes genauso verantwortlich ist wie für den sozialen Zusammenhalt, für die treibende Kraft der Innovation und die Qualität seiner Produkte. Ein USP, um den immer mehr Nationen Deutschland beneiden. Es ist der „German Mittelstand“.

Zehntausende Unternehmen, oft noch von Unternehmerpersönlichkeiten quasi dynastisch geführt, in regionalen Zentren oder branchenthematischen Clustern gut im Land verteilt. Nicht wenige sind in ihrem jeweiligen Industriesektor Weltmarktführer. Viele zählen zu den so genannten hidden champions. Es sind Unternehmen, die man in der internationalen Geschäftswelt kennt, als Zulieferer oder als Maschinenbauer, aber die in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung treten.

Und dann gibt es einige – es sind beileibe nicht die größten – die ihr Können und Schaffen sichtbar machen, jene, die sich bewusst dafür entscheiden, das Bestehende auf den Kopf zu stellen, alles anders zu machen, als es in der Branche comme il faut ist. Jene, die sich differenzieren und mit ihren Ideen ihre Märkte erschaffen oder bestehende zumindest revolutionieren. Es sind die Markenunternehmer in diesem Land – jene Persönlichkeiten, denen es gelingt, mit ihren Produkten für die Menschen nicht nur hier, sondern weit über Deutschland hinaus Relevanz zu erzeugen und wahre Begehrlichkeiten zu wecken.

Gerd Bulthaup ist ein solcher Markenunternehmer. Er steht in seinem Schauraum in der Münchener Herrnstraße – schwarzes Jackett, weißes Hemd, krawattenlos, die Haare jungenhaft ins Gesicht gekämmt – und präsentiert seine Welt: An der Wand eine Serie grobkörniger Schwarzweiß-Fotografien der Werke seiner Helden – die kaiserliche Villa Katsura in der Nähe von Kyoto, Donald Judds Farm in Marfa, Claus Hermans Haus in Arhus, John Pawsons Kirche St. Moritz in Augsburg oder das Haus der Familie Maack in Lüdenscheid. „Wenn ich mit einem Besucher die Wand abgeschritten habe, sollte ich schon eine Küche verkauft haben“, sagt Bulthaup selbstbewusst und lächelt zugleich, so, als sei er über die Konsequenz seiner Worte überrascht. Gerd Bulthaup hat Recht. Was da an der Wand hängt, ist die Quintessenz der Marke. Die Klarheit der Ästhetik, das Mystische, ja, Religiöse der Inszenierung, die Perfektion im Detail. Hier kommt es für den Besucher zum Schwur – Affinität zur Marke oder auf der Hacke kehrt. Letzteres ist eher selten. Wer hierher kommt, in die Kirche bulthaup, hat sich entschieden. Wie kam Gerd Bulthaup dazu, die Küche zur Kirche zu machen?

Gerd Bulthaup im Gespräch mit Andrej Kupetz. Foto: Ulrike Myrzik

Von Anfang an

Die Geschichte ist rasch erzählt. Der Vater Martin Bulthaup kauft 1949 ein Sägewerk im niederbayerischen Bodenkirchen und gründet eine Möbelfabrik. Zwei Jahre später baut das Unternehmen die ersten Küchenbüffets – damals, in der jungen Bundesrepublik, eine populäre Produktkategorie. Sie ermöglicht dem Unternehmen überregionales Wachstum. Die Marke bulthaup entsteht. Das Unternehmen entwickelt sich zu einer Größe im Küchenmarkt – noch mit gebührendem Abstand zu beispielsweise Poggenpohl oder SieMatic. Der Sohn des Gründers, Gerd Bulthaup, Jahrgang 1944, möchte nach dem Abitur Architektur studieren. Ihn interessieren moderne Kunst, Architektur und Design, es gibt diese Hochschule im nahen Ulm, die zu dieser Zeit bereits ein Nimbus umgibt, nämlich die Zukunft zu gestalten. Da erkrankt der Vater. Martin Bulthaup bittet seinen Sohn, seine Pläne zu überdenken und Betriebswirtschaft zu studieren.

Er willigt ein und steht kurze Zeit später in der Verantwortung, ein Unternehmen zu führen. „Zu dieser Zeit hatten wir zwei Linien etabliert. Ein Thema, noch aus der Vergangenheit, waren die Küchenbuffets, die im Werk in Bodenkirchen hergestellt wurden. Parallel dazu war vier Jahre vorher mit dem Thema Anbauküche begonnen worden. Doch ich muss ehrlich sagen, für mich war sie relativ gesichtslos. Sie war eben eine Anbauküche wie viele andere.“

Stil 75 (1969)

Jetzt in verantwortlicher Position, sucht Gerd Bulthaup nach neuen Verbindungen. Der Vater ist noch da, aber schon weit genug weg, sodass der Sohn machen kann, was er für richtig hält. Das Interesse an der Moderne, der Architektur und dem Design lässt ihn nicht los. Er sucht Kontakte zu Designern. In Ulm trifft er auf den zehn Jahre älteren Gui Bonsiepe, damals schon Lehrender an der Hochschule. Er vermittelt ihn an zwei Absolventen der Schule, Franco Clivio und Dieter Raffler. „Zusammen mit Clivio und Raffler habe ich versucht, das Küchenbuffet zeitgemäß zu formen. Das Ergebnis hieß Stil 75 – modern und zeitlos. Damals waren wir auch in Köln auf der Messe, haben dort aber immer nur die hinteren Plätze bekommen, hinter Poggenpohl, SieMatic und wie sie alle hießen. Es war für uns kein großer Erfolg – ein Küchenbuffet hatte eine andere Fokussierung. Wir haben damals zwar ordentlich Aufträge geschrieben, doch dann gab es Lieferprobleme mit Materialien und andere Herausforderungen.“

Aber Bulthaup lässt sich nicht entmutigen. Er möchte die Küche revolutionieren und sucht Vorbilder in anderen Branchen. Für ein familiengeführtes Unternehmen ungewohnt, installiert er zu Beginn der 70er-Jahre einen Aufsichtsrat. Zu seiner großen Freude kann er den ERCO-Chef Klaus-Jürgen Maack dafür gewinnen. „Klaus Maack war fast 20 Jahre bei uns im Aufsichtsrat tätig. Für mich war er auch persönlich wichtig, ein Vorbild. Ich habe seine Bücher gesehen, die Typografie, seine Fotografien. Das hat mich so positiv nervös gemacht, dass ich gesagt habe, in diese Liga willst du auch rein, du musst aus der Küchenbranche ausbrechen.“

Klaus-Jürgen Maack ist es auch, der den Kontakt zu Otl Aicher herstellt. Der Gründer der Ulmer Hochschule ist zu dem Zeitpunkt bereits eine Legende – moralische Instanz durch seine persönliche Verbindung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus und Erneuerer des visuellen Erscheinungsbildes der jungen Republik. „Ich war damals mehrmals bei Otl Aicher, um ihn für bulthaup zu gewinnen – was sich aber sehr schwierig gestaltete. Es war keineswegs selbstverständlich, dass er noch zusätzliche Arbeiten annehmen würde. Doch ich hatte das Glück, dass Otl Aicher gerne gegessen und getrunken hat – so kamen wir zusammen. Angefangen haben wir mit der Corporate Identity. Aicher hatte in München kurz zuvor das ganze Erscheinungsbild der Olympiade entwickelt und so bat ich ihn darum, dass er bei uns zunächst ebenfalls die CI überarbeitet – unser Schriftzeichen stammt zum Beispiel aus dieser Zeit. Ich muss sagen, die Zusammenarbeit hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Gleichzeitig hat Otl Aicher immer auch über das Produkt gesprochen. Und er hat mir erst einmal klargemacht, dass man zum guten Kochen nicht nur die Küchen braucht, die wir produzieren, sondern auch gutes Werkzeug: gute Messer, gute Töpfe und gute Pfannen. So haben wir eine Tochterfirma gegründet, die bulthaup Küchenwerkzeug GmbH, mit der wir ein semiprofessionelles Sortiment an Tools aufgebaut haben. Etwas, was WMF und andere nicht hatten. Diese Firma hat dann meine Schwester gemanagt und ich habe mich auf das Thema Anbau konzentriert. Das Küchenbuffet haben wir schließlich auslaufen lassen. Es war hinsichtlich des Profits noch immer erfolgreich, aber ich spürte, dass wir uns auf etwas anderes konzentrieren mussten.“

Nicht gegen die Wand oder die Revolution in der Küche

Im Austausch mit Otl Aicher entsteht neues Denken. Beide verfolgen enthusiastisch die Idee, dass die Frankfurter Küche nicht die „letzte Weisheit“ sein kann. Kochen sei kein isolierter Akt, der effizient und linear auf wenigen laufenden Metern bewerkstelligt werden könne. Vielmehr reift das Sujet in der Vorstellung der Pioniere zu einem sozialen und kulturellen Ereignis, das schließlich, als Ausdruck der Freiheit, im wahrsten Sinne Raum ergreift. Die Küche wird Teil der Wohnung, das Kochen Teil des Wohnens. „Otl Aicher hat klargemacht, dass man nicht gegen die Wand kocht, sondern frei arbeitet, gemeinschaftlich, im Dialog. So entstand das Thema der frei stehenden Kücheninsel. In diesem Prozess haben wir damals als Ergebnis die Küchenwerkbank erfunden – ein entscheidender Schritt. Ich möchte fast sagen, so wie die Frankfurter Küche es in den 1920er-Jahren war, war unsere Küchenwerk bank eine zweite Revolution.“

Auch im Design gibt es Revolutionen. Wieder sind es Ideen aus anderen Branchen und Unternehmen, die Bulthaup faszinieren und die er sich zu eigen machen versteht. „Ich habe damals Interlübke gut beobachtet, bei dem alles plan gestaltet war – kilometerweise Schränke, alles plan. Inspiriert davon habe ich Kontakt mit der Teamform AG in der Schweiz aufgenommen, die sehr schnell zur Zusammenarbeit bereit war. Entstanden ist dann unser Concept 12, mit dem für Deutschland ungewöhnlichen 12er-Raster, das aber in der Schweiz typisch war. Wir hatten ein Ingenieurprodukt geschaffen, unabhängig vom Land.“

Eher unbewusst denn durchdacht erscheint dieser Schritt zur Emanzipation der Marke aus der Branche, aus dem Umfeld des engen, nationalen Wettbewerbs, in dem er sich nicht wohlfühlt. Vielleicht ist das „Ingenieurprodukt“ Concept 12 (C12) deshalb auch eine intuitive Entscheidung für die Internationalisierung des Unternehmens. Bulthaup sagt: „Deutsch ist unsere Marke nicht. Auch wenn wir alles bis heute zu 100 % in Deutschland, in Aich, produzieren, Made in Germany hat für uns keine Rolle gespielt. Ich sage lieber Made by bulthaup, denn es ist die Marke bulthaup, die zählt.“

C12 verändert diese Marke. Sie wird für Bulthaup zum Durchbruch in eine andere Welt. Er präsentiert die Küche nicht im Werk, sondern im Hilton Hotel in München. Die Resonanz ist überwältigend. Architekten, Innenarchitekten, Designer fühlen sich angesprochen und sind begeistert. Das Unternehmen expandiert – Praxiseinrichtungen und Bäder sind neue Themen, fast 1.000 Mitarbeiter in drei Werken sind zu dieser Zeit beschäftigt. „Damals haben wir praktisch den Wettbewerb auf der Autobahn rechts überholt, ganz leise. Die Branche hat erst gar nichts bemerkt und uns mit C12 zunächst nicht ernst genommen. Zu dieser Zeit war ich schon häufig in Mailand unterwegs. Ganz eifersüchtig stand ich dann immer in der Via Durini vor dem Fenster von Cassina und habe gesagt, irgendwann brauchen wir hier auch einen eigenen Laden – und genau so kam es später dann auch.“

Während das Objektgeschäft für Bulthaup konkrete Formen annimmt, stößt C12 beim traditionellen Handel auf Schwierigkeiten. „Was wir nicht berücksichtigt hatten, war die Akzeptanz bei unseren Handelspartnern. Damals waren viele Möbelgroßhändler von der Formensprache her noch nicht so weit.“

Internationalisierung der Marke

Zu Beginn der 80er-Jahre steckt die Marke bulthaup in einer Absatzkrise. Der deutsche Markt schwächelt. Wie für die meisten Kastenmöbelunternehmen dieser Zeit ist auch für bulthaup der Export noch kein Thema, aber positive Erfahrungen in Holland veranlassen Gerd Bulthaup, die Internationalisierung der Marke voranzutreiben – verbunden mit neuen Konsequenzen im Sortiment. „Wir standen vor der Entscheidung, mindestens ein Werk ruhig stellen zu müssen. Neben einem Werk für die C12 hatten wir die Produktion der normalen Anbauküche in Aich. Darüber hinaus gab es in Bodenkirchen ein Werk für die reine Holzverarbeitung, in dem wir in den ersten Jahren noch sehr viele so genannte Stilküchen produziert haben – zum Beispiel Burgund und Normandie. Diese liefen unverschämt gut und haben die C12 finanziert. Trotzdem wollte ich die Linie der Rustikalküchen aufgeben und habe schließlich konsequent gesagt: Wir haben eine Linie – nicht zwei oder drei. Wir müssen für die Architekten und Einrichter erkennbar sein. Diese Reduktion haben wir dann auch umgesetzt und hatten zum Schluss nur noch ein Werk, unser Hauptwerk.“

Mitte der 80er-Jahre beginnt Bulthaup, den Export strategisch zu planen, zunächst in Europa, dann wagt er 1990 den Schritt in die USA. „Wir haben nicht in New York gestartet, sondern in Los Angeles. Das war die Zeit der allgemeinen amerikanischen Rezession, hinzu kam auch noch der Zusammenbruch der Militärindustrie nach dem Ende des Kalten Krieges – und in diesem Umfeld haben wir den Laden eröffnet.“

Gegen den Trend entwickelt sich der Markt in den USA jedoch positiv für Bulthaup. Er wendet sich neuen Zielen zu. „Ich habe versucht, aus unserem system b Lizenzen zu erwirtschaften und bin sehr viel gereist, zum Beispiel nach Australien, Amerika und Japan. Beim zweiten oder dritten Besuch in Japan habe ich einen Kontakt zu Toto Sanitär be kommen, die im Küchenbereich schließlich die bulthaup Lizenz für Japan erwarben und ein eigenes Werk in der Nähe von Tokio gebaut haben. Sieben Jahre später hat Toto dann Interesse an einer Beteiligung bekundet. Zu dieser Zeit wurde Poggenpohl an die Schweden verkauft und wir fragten uns, wie sich der Markt entwickeln würde, wenn dieser Riesenkonzern aus Schweden richtig Gas gibt. Nach langen Überlegungen verkauften wir schließlich 35% von bulthaup an Toto. Die Phase mit den Japanern dauerte einige Jahre. Als sich aber der chinesische Markt öffnete, beschloss Toto, sich aus Europa zurückzuziehen. Und so haben wir unsere Anteile wieder zurückerworben.“

Beinahe märchenhaft klingt diese Geschichte. Im Zenit der Globalisierung kauft bulthaup die Anteile zurück, die ihm einst weiteres internationales Wachstum ermöglichen sollten. Heute ist bulthaup wieder ein Familienunternehmen. Wie geht das? „Letzten Endes konnten wir das alles nur leisten, weil wir ein kerngesundes Unternehmen sind. Wir sind bankfrei, was ein enormer Vorteil ist. Die Banken klopfen bei uns an und nicht umgekehrt. Wir haben eine sehr hohe Eigenkapitalquote. In puncto Bonität würden wir also auch einen Preis kriegen.“

Gerd Bulthaup lacht. Die Marke bulthaup hat heute einen Exportanteil von ca. 80%. Ergebnis von 30 Jahren Arbeit und eines, das eher dem deutschen Maschinenbau nahe ist als der deutschen Möbelindustrie, die durchschnittlich nur ca. 20% im Ausland erwirtschaftet. Nach den Abenteuern in den USA, in Japan, dem Selbermachen und der Erfahrung mit Partnern – wie ist der Vertrieb heute organisiert? Bulthaup überlegt kurz. „Das entscheidende Stichwort lautet ‚selektiver Vertrieb‘. Wir haben damals beschlossen, unseren Vertrieb umzustellen, raus aus der Branche, hin zu exklusiven Partnern. Das war sehr mutig, denn wir haben uns von allen Einkaufsverbänden getrennt. Heute haben wir weltweit 400 Partner, die nur bulthaup vertreten. Am Anfang war mir nicht sofort klar, welche Verantwortung wir für diese Partner tragen – denn wenn wir einmal husten, bekommen die einen Keuchhusten. Heute weiß ich, das ist ein Riesenthema. 400 Partner mit jeweils 3-4 Mitarbeitern – das bedeutet eine Verantwortung für weit über 1.000 Personen plus die 600 Mitarbeiter bei uns in der Company. Trotzdem ist dieser selektive Vertrieb für uns der richtige Weg. Er hat uns vom Auftritt her nochmals einen richtigen Schub gegeben und verdeutlicht den Anspruch des Produktes im Premium-Bereich.“

Bulthaup nimmt sich Zeit, den Rauch seiner Zigarette in die Luft zu blasen, gerade so, als ob sich ein Resümee ankündigen würde. Schließlich fährt er fort. „Ja, das waren die sehr aktiven Zeiten. Mit Austritt aus der operativen Verantwortung wurde ich dann zum Flüsterer, wenn ich es mal so formulieren darf. Trotzdem bin ich natürlich nach wie vor mit vollem Einsatz dabei – das heißt, auf der einen Seite zum Unternehmen hin und auf der anderen Seite Flagge zu zeigen und nicht abzuweichen, konsequent zu sagen: Wir sind zuständig für das Thema zeitlos, für das Auge, für die Hand, für die Funktion.“

Der Markenkern. „Vergesst Design und andere Mythen“

Erstmals wählt Bulthaup im Gespräch den Terminus des Flüsterers, der danach noch öfter fällt. Vermutlich beschreibt er damit seine aktuelle Position im Unternehmen. Der Flüsterer ist ein Mensch, der vorsichtig und sensibel mit seinen Anvertrauten umgeht, der ihnen nichts durch Zwang und Härte aufdrängt. Grundlage seiner Arbeit ist das absolute Vertrauen zueinander. Leise und still sind weitere Attribute, mit denen Gerd Bulthaup die Marke bulthaup und die Marke Gerd Bulthaup im Gespräch gerne schmückt. Er freue sich über eine Auszeichnung, über Öffentlichkeit, aber seine Sache sei es eigentlich nicht. Was also ist der Kern der Marke bulthaup? „Wir versuchen, den Sinn für Stil zu prägen. Wir weichen nicht ab vom dem, was wir für richtig erachten. Ich habe dafür immer ein Beispiel, das war damals bei der Eröffnung in Aich. Mein Vater hatte in der Vergangenheit 100 Container bestellt, denn wir hatten noch einen eigenen Fuhrpark. Und da standen sie nun, diese 100 Container in Weiß-Blau, Blau-Weiß. Ich habe klar gesagt, das passt nicht zu uns. Es wurde eine weitere Tat mit Otl Aicher. Wir entschieden, unsere Container müssen weiß sein, es darf nur ganz zart und klein bulthaup draufstehen – unser Markenzeichen.“

Die Marke im Fokus – wie aber hält man den Markenkern aktuell? „Ich glaube, es ist eine Mischung aus Inspiration, Kreativität und Kontinuität. Offen sein für Ideen, lernen voneinander und dennoch die Marke nicht verbiegen. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Mitte der 80er-Jahre habe ich über meinen Münchener Bekanntenkreis Herbert Schultes kennengelernt. Dabei ist es ganz wesentlich, zu verstehen, dass wir ein System-Produkt haben – wir können und wollen nicht jedes halbe Jahr einen neuen Designer nehmen, eine gewisse Kontinuität ist unerlässlich. Mit Schultes war das so eine lang anhaltende, kreative Zusammenarbeit – es hat immer viel Spaß gemacht, er berät uns auch heute noch ab und zu. Ein Resultat dieser fruchtbaren Kooperation ist das Küchensystem b3, das vor acht Jahren aus dem system b entstanden ist. Doch es ist unheimlich schwer, die Küche neu zu erfinden, das sage ich immer wieder. Sie können Kosmetik machen, aber das sind wir nicht.“

Das Produkt aber ist nur ein Teil der Marke. Der Systemspieler Bulthaup beobachtet genau und weiß um die Kraft der Bilder. „Ich war immer akribisch hinterher, dass wir unseren extrem hohen Anspruch auch an Fotografie und an Grafik stellen. Für mich gilt: Begleitend zum Produkt muss der ganze Auftritt stimmen. Das geht hin bis zu den Ausstellungen bei unseren Handelspartnern: zeitlos für das Auge, für die Hand, für die Funktion. In diesem Zusammenhang möchte ich einen weiteren wichtigen Wegbegleiter in Bezug auf die Marke nicht vergessen, nämlich Claus Froh. Mit ihm habe ich 15 Jahre zusammengearbeitet. Ursprünglich ist er mir im Spiegel durch einige Anzeigenmotive für Gaggenau, Lorenzini und Aida Barni aufgefallen. Zunächst hat es mich überrascht, dass diese Unternehmen im Spiegel sind. Später waren wir selbst dann der erste Möbelhersteller, der diesen Weg gegangen ist. Besonders gut kann ich mich an ein bestimmtes Anzeigen-Motiv und seine Geschichte erinnern. Als damals der erste Flieger von Frankfurt nach Tokio über Russland ging, hatte ich einen Freiflug, weil ich so oft in Japan war. Während des Fluges ging ich ins Cockpit und fragte den Kapitän, was eigentlich diese endlos weiße Fläche unter uns sei – Schnee konnte es mitten im Sommer kaum sein. Er erklärte mir, dass es Birken sind. Stellen Sie sich das einmal vor, tausende Kilometer nur weiße Birken. Was für eine Inspiration! Da habe ich zu Claus gesagt – wir müssen etwas zum Thema ‚Kompetenz Holz‘ machen, und unser Motiv haben wir soeben gefunden. So haben wir es dann gemacht und für die Anzeige ein Foto von einem Birkenwald genommen. Eine Seite, nur Birkenwald, Thema: Kompetenz Holzmanufaktur, Holzverarbeitung. Das sind Momente der Inspiration, die unheimlich wichtig sind. Aber es funktioniert nur, wenn Sie Menschen dabei haben mit der gleichen Denke – dann entsteht ein Freiraum, der neue Türen zur Stärkung des Markenauftritts öffnet.“

In Anbetracht des Portfolios der Marke bulthaup: Welche Bedeutung haben Projekte wie die mobile Küche bulthaup b2, die das Wiener Büro EOOS entwickelt hat? Line Extension? Markenaktualisierungsinstrument oder doch Umsatzbringer? „Es ist ein kleiner Teil des Umsatzes, aber es ist unsere Antwort auf die Mobilisierung. Zugegeben, es ist Marketing, aber es rechnet sich. Und es bringt die Marke voran.“

Apropos, wie schätzt Gerd Bulthaup den Markenwert des Unternehmens ein – im Vergleich zum Umsatz? „Wir liegen bei 135 Millionen. Aber die Marke hat einen vielfachen Wert.“

Beschäftigt man sich mit bulthaup-Literatur, dann stößt man unweigerlich auf die Aufforderung „Vergesst Design“. Die Designmarke bulthaup verschmäht offiziell den Begriff Design. „Es gibt bei uns zwei Dinge, die benutzen wir nicht in unserem Wortschatz. Zum einen sprechen wir nicht von Luxus, sondern von Qualität. Hermès macht es nicht anders. Und was das Thema Design anbelangt, habe ich das schon vor zehn Jahren bei uns aus dem Wortschatz gestrichen. Wir sprechen über Purismus mit Poesie.“

Doch woher kommt diese Abneigung gegen den Luxus? „Luxus ist für mich neureich. Wir haben eine andere Zielgruppe. Unsere Konsumenten sind primär Freiberufler, Ärzte, Anwälte, Unternehmer et cetera. Ich sage immer: unsere Qualität ist den Preis wert.“

Aber kann der Qualitätsbegriff die Welt der Marke bulthaup erfassen? „Wie gesagt, wir versuchen, unseren Purismus immer noch mit einer Prise Poesie anzureichern. Also nicht nur die formale Kälte vom Bauhaus zu zeigen, sondern auch die Sinnlichkeit dieser Ästhetik über die Materialität zu steuern. Das ist etwas, was uns begleitet. Wir sprechen wahnsinnig viel über Material und Qualität. Und wir stehen zur Zeitlosigkeit – aber nicht zum Design, denn es ist ein Modebegriff geworden.“

Die Küche der Zukunft

Bulthaup zieht sich 2002 aus der operativen Geschäftsführung zurück. Doch loslassen kann er nicht. Zumindest noch nicht. Die Geschäftsführer, die von außen kommen, passen nicht – irgendwie versagt sich die Chemie zwischen dem externen Management und der Marke (Gerd) Bulthaup. „Es hat nicht geklappt mit Außenstehenden. Mit Sicherheit lag das auch an uns, an unserer Struktur – denn unsere Unternehmenskultur lassen wir nicht verändern. Jeder Neue, der von extern kommt, will aber auch Zeichen setzen. Und da haben wir gesagt, nein. Wir haben unsere Kultur, unsere Unternehmenskultur, und …“

Bulthaup braucht den Satz nicht zu vollenden. Entweder es passt oder eben nicht. Am Ende ist Blut dicker als Wasser. Die gefühlte Verantwortung größer. Die Familie im Vorteil. „Nach drei externen Geschäftsführern haben wir wieder in Richtung Familie gedacht. Marc Eckert, der Sohn meiner Schwester, ein Jurist, hatte zwar eigentlich andere Pläne. Doch wir haben ihn überzeugen können, und er macht das jetzt seit vier Jahren mit hervorragendem Erfolg. Mich freut, dass er stets offen für Ratschläge ist. Er klopft immer wieder bei mir an und gemeinsam arbeiten wir an der Entwicklung der Marke. Er will mich nicht kopieren, das wäre auch schlecht. Aber von der grundlegenden Auffassung, von der Unternehmenskultur her, da bin ich sehr glücklich, wie schnell er das aufgenommen hat.“

Künstler und Unternehmer ähneln sich mehr, als man gemeinhin annimmt, hat der Kunstsammler Christian Boros einmal formuliert. Beide gehen Wagnisse ein, beide verfolgen einen Plan. Sie schaffen Werte, sie denken langfristig, ja, dynastisch. In der Unternehmerdynastie bulthaup hat die dritte Generation das Ruder übernommen. Die Nähe zur Kunst wird bleiben. Und wie sieht Gerd Bulthaup die Herausforderungen der Zukunft? „Wir haben vor einigen Jahren eine sehr interessante Analyse gemacht, auch wieder mit jemandem, zu dem ich immer ein bisschen hingeschaut habe – John Pawson. Meine Neigung zur Architektur lässt mich eben nicht los. Das Ergebnis dieser Analyse-Phase bedeutet für uns den nächsten evolutiven Schritt in der Küche.“

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