Für manche war er ein Bad Boy, für Steve Jobs aber genau der Designer, den Apple brauchte. Hartmut Esslinger und frog design haben in den 1980er Jahren nicht nur die Designsprache von Apple geprägt, sondern der Marke auch das ästhetische Profil gegeben, um langfristig auf der Erfolgsspur zu bleiben.
Von Thomas Wagner
Käfer, Ferrari oder Porsche? Walter Isaacson berichtet in seiner Biografie über Steve Jobs von einer Diskussion im Jahr 1981 zwischen Jobs und James Ferris, damals Leiter der Designabteilung bei Apple. Es ging um die Frage, wie der in Entwicklung befindliche Macintosh aussehen sollte. Jobs war der Meinung: klassisch, wie ein VW-Käfer. Ferris hingegen meinte, er müsse ausladende Formen bekommen, wie ein Ferrari. Jobs antwortete: Eher wie ein Porsche. Niemand in der Computerbranche legte damals mehr Wert auf das Design eines Produkts als Steve Jobs, der selbst einen Porsche 928 fuhr. Apple-Rechner sollten sich auf den ersten Blick von den langweiligen Business-Kisten unterscheiden, wie sie IBM bevorzugte, aber auch von dem, was Apple mit den Modellen II und III bis dahin erreicht hatte. Auch wenn die Geschichte von Schneewittchen, dem Apfel und einem Design-Prinzen aus dem Schwarzwald schon oft erzählt wurde, lohnt es sich, sie noch einmal in Erinnerung zu rufen.
Codename Schneewittchen
Obwohl Jobs sich auf den Macintosh konzentrieren wollte, schwebte ihm eine gemeinsame Designsprache bzw. ein einheitliches Designprofil für alle künftigen Apple-Produkte vor. Mit Hilfe eines Wettbewerbs sollte, so Isaacson, „ein Weltklasse-Designer“ gefunden werden. Dieser sollte für Apple dieselbe Rolle spielen wie Dieter Rams für Braun. Das Projekt trug den Codenamen „Snow White“ (Schneewittchen), was nach Meinung vieler eine Anspielung auf den Klassiker SK 4 von Braun, den sogenannten „Schneewittchensarg“, war.
Sieger des Wettbewerbs wurde Hartmut Esslinger. Der Industriedesigner hatte 1969 seine Firma Esslinger Design (ab 1982 frog design) in Altensteig im Schwarzwald gegründet und war vor allem durch seine Entwürfe für den Elektronikhersteller WEGA und ab 1974 für den japanischen Konzern Sony bekannt geworden. Als Steve Jobs den deutschen Designer im Schwarzwald besuchte, soll er der Legende nach nicht nur von Esslingers Leidenschaft für seinen Beruf beeindruckt gewesen sein, sondern auch von dessen Fahrstil, als er seinen Mercedes mit hoher Geschwindigkeit über die Straßen jagte.
Apple sollte die großartigste Marke der Welt werden
Mit der ihm eigenen Selbstgewissheit schilderte Esslinger Jahrzehnte später seine erste Begegnung mit Steve Jobs: „Er war offen genug, um zuzugeben, dass auch Apple sich nicht ausreichend von der Konkurrenz abhob, doch er sagte auch, dass er dies ändern wolle und genau aus diesem Grund nach einem Spitzendesigner suche. Als ich ihn nach seinen größeren Ambitionen fragte, lächelte er nur und sagte: ,Zunächst einmal möchte ich eine Million Macs verkaufen, und dann möchte ich, dass Apple die großartigste Marke der Welt wird.’ Aus irgendeinem unerklärlichen Grund waren wir beide uns einig, dass diese Ziele absolut erreichbar seien.“
Der kalifornische Global Look
Man könnte lange darüber diskutieren, wie genau es Esslinger gelang, Form und Funktion im Industriedesign für emotionale Elemente und kulturelle Signale zu öffnen (damals auch angeregt durch die Debatten um die Postmoderne und das Verhältnis von High- und Low-Culture). Tatsache ist, dass er zu Recht auf den „West-Coast-Spirit“ und einen „California Global Look“ setzte, der die kulturellen Energien von Hollywood-Filmen, Popmusik, sanftem Rebellentum und Sex-Appeal anzapfte. Die Impulse, die er damit setzte, ebneten schon früh den Weg für den späteren Erfolg von Apple. Esslinger entwarf nicht weniger als 40 verschiedene Produktmodelle, um sein Konzept zu präsentieren, und als Jobs sie sah, rief er sofort: „That’s it!“ Der Schneewittchen-Look, der sofort für den Apple Ilc übernommen wurde, bestand aus weißen Gehäusen mit schmalen, abgerundeten Kanten und filigranen, in Reihen angeordneten Lüftungsschlitzen, die den Oberflächen Struktur gaben und aus ihrer Funktion ein grafisches Element machten. Jobs bot Esslinger einen Vertrag an, wenn dieser bereit sei, nach Kalifornien umzuziehen. Den Handschlag zwischen den beiden bezeichnete Esslinger später bescheiden, aber treffend als „den Beginn einer der folgenreichsten Kooperationen in der Geschichte des Industriedesigns“. Mitte 1982 eröffnete Esslinger seine Firma frog design in Palo Alto. Der Vertrag mit Apple umfasste ein jährliches Auftragsvolumen von 1,2 Millionen Dollar. Um die Marke zu stärken, trug fortan jedes Apple-Produkt den Schriftzug „Designed in California“. Der Frosch, der nun auf dem Apfel saß, hatte einen großen Sprung nach vorn gemacht.
Turbulente Zeiten
Überraschend war auch, dass Esslinger, nach Jobs‘ Rauswurf bei Apple, für dessen neue Firma NeXT arbeitete – oder besser: arbeiten durfte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Apple dem zustimmen würde, war äußerst gering, schließlich prozessierte man gegeneinander. „Das hielt“, so ist bei Isaacson zu lesen, „Jobs aber nicht davon ab, es zu versuchen. Anfang November 1985, genau fünf Wochen, nachdem Apple Klage gegen ihn eingereicht hatte, schrieb Jobs an Eisenstat und bat um Freigabe. ,Ich habe am Wochenende mit Hartmut Esslinger gesprochen, der mir empfohlen hat, Ihnen schriftlich mitzuteilen, weshalb ich mit ihm und frog design an den neuen Produkten für NeXT arbeiten möchte.‘“ Überraschenderweise lautete Jobs‘ Argument, dass er nicht wisse, woran Apple gerade arbeite, Esslinger aber schon: NeXT habe „keinerlei Kenntnis von der aktuellen oder zukünftigen Richtung des Produktdesigns von Apple, dies trifft auch auf andere Designfirmen zu, mit denen wir eventuell arbeiten werden. Daher ist es möglich, dass ungewollt ähnlich aussehende Produkte entwickelt werden. Es ist in dem besten Interesse von Apple und NeXT, sich auf Hartmuts professionelle Einstellung zu verlassen, dass dieser Fall nicht eintritt.“
NeXT und der perfekte Würfel
Jobs Dreistigkeit war erfolgreich. Im Januar 1986 einigten sich Apple und Jobs außergerichtlich und ohne finanzielle Schadensersatzleistungen. Als Gegenleistung dafür, dass Apple die Klage zurückzog, stimmte NeXT einigen Beschränkungen zu. Nun, da die Voraussetzungen geklärt waren, umwarb Jobs Esslinger so lange, bis dieser seinen Vertrag mit Apple auflöste; Ende 1986 war der Weg für eine Zusammenarbeit von frog design und NeXT frei. Esslinger, so heißt es, habe darauf bestanden, freie Hand zu haben: „Manchmal muss man“, so zitiert ihn Isaacson, „bei Steve den Rohrstock schwingen“. Die Aufgabe bei NeXT erwies sich als recht kompliziert. Laut Jobs‘ Vorgabe für das Gehäuse sollte der Computer ein absolut perfekter Würfel sein, jede Seite exakt 30,48 Zentimeter lang – und alles in präzisen 90-Grad-Winkeln, nicht mit der leichten Abweichung einer „Aushebeschräge“, damit man die gegossenen Teile leichter aus der Form entfernen kann. Statt „snow white“ war das Gehäuse nun mattschwarz. Und es wies jene unverkennbaren dünnen Fugen auf, die längst zu Esslingers Markenzeichen geworden waren.
Keep It Simple
Die Zusammenarbeit mit Jobs und die Entwicklung eines eigenständigen und in vielen Elementen (und Gerätetypen) zukunftsweisenden Apple-Designprofils war und ist ein Meilenstein des Industriedesigns und ein Höhepunkt in der Karriere von Hartmut Esslinger. Er selbst hat 2014 seine Sicht der Dinge unter dem Titel „Genial Einfach. Die frühen Designjahre von Apple“ dargelegt und dabei detaillierte Hinweise auf den Designprozess („Keep it simple“) gegeben, der Apple zu einer erfolgreichen Designstrategie und Produktsprache verholfen hat. Ob es tatsächlich die griechische Tragödie ist, die ein Modell für den Designprozess darstellt, wie Esslinger meint – mit einem Helden, einem Gegenspieler und einer ausweglosen Situation – oder ob nicht alle, die an so einem Projekt mitwirken, eher in einer Komödie mitspielen, wer weiß das schon. Unabhängig von all den mehr oder weniger tragischen Heldensagen, belegen die Ergebnisse des Schneewittchen-Prozesses eindrucksvoll, wie zentral die Begeisterung für Design, eine stringente Produktsprache und deren Platzierung im Zentrum der Marke für innovative Unternehmen waren und sind. Nicht nur in den Gründungsjahren einer Industrie und eines Unternehmens, die unsere Welt seither von Grund auf verändert haben.
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