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Der moderne Holzbau erfindet sich neu und setzt dabei auf Innovation und Nachhaltigkeit. Besonders die Kombination von Holz mit Materialien wie Beton eröffnet neue Möglichkeiten. Zwei preisgekrönte Projekte der ICONIC AWARDS: Innovative Architecture zeigen eindrucksvoll, wie experimentelle Bauweisen die Branche prägen.

von Sofia Wrede

Beham Architekten: Hotel Bergeblick | Foto: © Michael Stephan

Der Holzbau erlebt aktuell eine Renaissance und einen Wandel, angetrieben durch technische Innovationen und einen verstärkten Fokus auf Nachhaltigkeit in der Baubranche. Holz als Baumaterial wird zunehmend in hybriden Konstruktionen mit Beton und anderen Materialien eingesetzt, um die Vorteile beider Baustoffe zu kombinieren. Auch der Mut zur Nutzung von lokal vorhandenen Holzarten, die früher als ungeeignet für den Außenbereich galten, ist ein Zeichen der Zeit. Architekt*innen zeigen, wie der nachwachsende Baustoff in Neubau- und Umbauprojekten klug eingesetzt werden kann. Egal ob mit Hochhausbau, bei großen Bildungsbauten oder Hospitality-Projekten im ländlichen Raum — überall stellt der Baustoff seine zahlreichen Qualitäten unter Beweis. 

Zwei Projekte, die mit dem diesjährigen ICONIC AWARDS: Innovative Architecture ausgezeichnet wurden, laden dazu ein, spannende Parallelen in ihrer ungewöhnlichen Bauweise zu entdecken und entscheidende Unterschiede zu diskutieren. Einen besonderen Fokus verdienen Materialinnovationen, die immer öfter aus dem kreativen Dialog zwischen Architekt*innen und Bauherren resultieren.

Holzskelett inspiriert vom Stadtwald

Eingebettet in die malerische Landschaft der Voralpen und in direkter Nachbarschaft zu einem Stadtwald, hat das Architekturstudio Beham in Bad Tölz in enger Zusammenarbeit mit dem Bauherrn ein experimentelles Holzgebäude geschaffen. Das Hotel Bergeblick besteht aus einer Matrix aus vertikalen und horizontalen Holzstreben, die das offene Gefüge des Gebäudes prägen. Die Inspiration für dieses Design entstammt dem dahinterliegenden Wald, dessen Struktur die Architekten auf das Gebäude übertragen und in eine offene Holzskelettbauweise überführt haben. 

„Jedes Material hat seine Stärken und Schwächen – und ich bin kein Fan von rein ideologisch getriebenen Extremlösungen“, so Sebastian Beham. Bei dem Projekt haben sich Beham Architekten und der Bauherr für eine Hybridbauweise entschieden, die Holz und Beton kombiniert. Sie vereinen die Vorteile dieser Materialien, nicht zuletzt zugunsten des Brand- und Schallschutzes. So sorgen die Betondecken im Inneren des Gebäudes für einen niedrigen Geräuschpegel – unerlässlich für ein Erholungshotel. Der Gästetrakt besteht aus maximal vorfabrizierten Holzrahmenbauelementen mit integrierten Fenstern und bauteilaktiven Fertigbetondecken, was eine kurze Bauzeit ermöglicht. Im öffentlichen Bereich wird eine Holzskelettbauweise mit Brettsperrholzdecken verwendet, da dort der Schall- und Brandschutz weniger kritisch ist. Die thermisch und konstruktiv getrennte Skelettkonstruktion ermöglicht eine spätere Revision der äußeren Elemente ohne Wärmebrücken.

Beham Architekten: Hotel Bergeblick | Foto: © Jonathan Sage

Regionale Holzarten im Fokus

Die Frage nach dem richtigen Holz war für Sebastian Beham entscheidend. Auswahlkriterien waren – neben den Kosten und dem Transport des Materials – vor allem dessen Nachhaltigkeit. Die Holzfassaden wurden in Zusammenarbeit mit einem regionalen Holzbauer aus lokalem Holz gefertigt. Das Architekturstudio ging mit der Wahl einen unerwarteten Weg: „Wir dachten: Es wäre doch interessant, ein günstiges und regionales Holz zu nutzen, und dieses so zu verbessern, dass es die gleichen Qualitäten wie die höchste Gebrauchsklasse hat“, so Beham. Sie entschieden sich für Fichtenholz, eine weiche Holzart, die nicht für ihre Langlebigkeit bekannt ist. Dieses ließ das Architekturbüro in Scheiben schneiden, Schwachstellen im Holz wurden entfernt und die Balken so zusammengeleimt, dass die entstehenden Holzbalken formstabil wurden.

Experimentierfreudig zeigten sich die Architekten auch an den Knotenpunkten, welche die vertikalen und horizontalen Balken verbinden. Diese sind aufgrund des offenen Hirnholzes besonders anfällig für Verrottung. Um die normalerweise notwendigen Metallabdeckungen zu vermeiden, begab sich das Architekturbüro auf die Suche nach unkonventionellen Alternativen. Nach einer zweijährigen Testphase entschied sich der Architekt für eine PU-Abdichtung der Hirnholzflächen, so konnten die Knotenpunkte vor Feuchtigkeit geschützt werden. Diese Technik verlängert die Lebensdauer des Holzes erheblich und ermöglichen den Verzicht auf energieintensive Metallabdeckungen.

Neue Wege für experimentelles Bauen

Möglich wurde dieses innovative Bauprojekt durch das besondere Vertrauen des Bauherrn in seine Architekten. Zahlreiche Haftungsfreizeichnungen musste dieser unterzeichnen, in denen er zur Kenntnis nahm, dass sein Gebäude einer Vielzahl der deutschen Baunormen nicht entspricht. Der moderne Holzbau ist geprägt von Brandschutzvorschriften, statischen Anforderungen, Schallschutznormen, bauaufsichtlichen Zulassungen, energetischen Anforderungen, Feuchtschutzmaßnahmen und Materialnormen, welche die Sicherheit und Nachhaltigkeit von Gebäuden gewährleisten sollen. Damit gehen jedoch zusätzliche technische und bürokratische Hürden einher.

Dass die großen Mengen dieser Normen heute das experimentelle und auch nachhaltigere Bauen – unter anderem im Holzbau – hindern, darüber spricht die Branche schon seit Jahren. Initiiert von der Bayerischen Architektenkammer soll im Freistaat seit 2023 mit dem Gebäudetyp-e der Bau solcher experimentellen Häuser erleichtert werden. Das „e“ im Gebäudetyp steht sowohl für experimentell wie auch für einfach. Er soll es Architekten wie Sebastian Beham und experimentierfreudigen Bauherren erlauben, neue Materialien und Bauweisen zu erproben, die noch nicht in den regulären Baunormen verankert sind. Dies fördert Innovation und Nachhaltigkeit im Bauwesen und ermöglicht Projekte, die mit herkömmlichen Bauvorschriften nicht realisierbar wären. Auch das Hotel Bergeblick entspricht dem Gebäudetyp-e. 

Nach Bayern sollte auch auf Bundesebene eine Empfehlung bezüglich des Gebäudetyps-e formuliert werden. Auf Anfrage im Juli 2024 antwortet das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), es handle sich dabei um einen vielversprechenden Ansatz: „Durch ein erleichtertes Abweichen von öffentlich-rechtlichen Vorgaben sowie von vertraglich regelmäßig vereinbarten Standards soll die Flexibilität und Freiheit der Vertragspartner gestärkt werden.“ In Kürze wird das BMWSB die ‚Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp-e‘ vorstellen, die anhand von ausgewählten Beispielen aufzeigen soll, wie einfaches und reduziertes Bauen zwischen Projektbeteiligten rechtssicher vereinbart werden kann. Experimentelle Projekte sind jedoch auch heute schon dank erfahrener oder gewillter Bauherren möglich, wie ein Projekt im Norden des Landes zeigt:

Beham Architekten: Hotel Bergeblick | Video: © 2024 BERGEBLICK 

Experimenteller Holzbau an der Nordsee: Pfahlbauweise 2.0

Näher an der Nordsee kann man kaum bauen: An der Küste von St. Peter-Ording stehen zahlreiche Holzgebäude, deren Bauherr die Tourismus-Zentrale des Ortes ist. Kaum jemand weiß besser, dass an diesem Ort alle Projekte und Vorhaben den Elementen direkt ausgesetzt sind – und dass Bauvorhaben, die versuchen, allen Normen zu entsprechen, hier nicht immer funktionieren. Das Wahrzeichen St. Peter-Ordings sind seine Pfahlbauten. Seit mehr als einem Jahrhundert trotzen diese Bauten, die in der Regel als Strandbistros fungieren, den Elementen. Nur wenige Hundert Meter entfernt an der Erlebnis-Promenade sollten Holzer Kobler Architekturen ein Mixed-Purpose-Gebäude errichten. 2023 wurde das Erlebnis-Hus fertiggestellt. Vertikale und horizontale Holzbalken ragen aus drei bis fünf Etagen in die Luft, auf unterschiedlichen Ebenen befinden sich Aussichtsplattformen und Glasfronten, die den Blick auf die nahgelegenen Salzwiesen (Unesco Weltnaturerbe) ermöglichen. Aus der höchsten Ebene windet sich eine metallene Rutsche durch die offene Holzfassade des Gebäudes. Das sogenannte „Erlebnis-Hus“ integriert unter anderem einen Indoor-Spielplatz, ein Restaurant und eine Touristen-Information.

Vertikale Schichtung mit innovativer Holzmatrix

Das Architekturstudio entwickelte für das Erlebnis-Hus in St. Peter Ording die Pfahlbauweise 2.0, wie Architektin Andrea Zickhardt berichtet: „Es handelt sich dabei um eine vertikale Schichtung der Funktionen innerhalb einer Holzmatrix, in welche Kuben eingeschoben sind.“ Dafür nutzten Holzer Kobler Architekten wie auch Beham Architekten die Holzskelettbauweise in Kombination mit einem Fundament und einem Treppenhauskern aus Stahlbeton. Der Stahlbetonkern dient der Aussteifung des Gebäudes und beeinflusst die Holzkonstruktion, indem er zusätzliche Stabilität bietet. Bei Hochwasser kann das Fundament im Wasser stehen, das Gebäude mit seinen Aufenthaltsräumen und Restaurant beginnt im ersten Obergeschoss. Der Treppenhauskern aus Beton ermöglicht zudem einen Aufzugschacht, der das Erlebnis-Hus barrierefrei zugänglich macht. 

Ziel des Projekts: Das Gebäude soll Spaß machen und zum Erkunden einladen. Die Holzmatrix lässt das Gebäude in ständiger Bewegung erscheinen. Neben der Pfahlbauweise sind architektonische und kulturelle Einflüsse wie die metabolistische Architektur und Yona Friedmans „Spatial City“ in das Design eingeflossen: Die Holzstruktur mäandert in die Umgebung und vermittelt das Gefühl, dass sie mit dieser interagiert und sich das Gebäude auch weiter in ihr verändern und ausdehnen kann.

Unkonventionelle Entscheidungen für extreme Bedingungen

Eine der wichtigsten Entscheidungen beim Entwurf und im Bau war der Umgang mit DIN-Normen. Wie auch Beham beim Hotel Bergeblick hatten die Architekten von Holzer Kobler die Chance, diese in Absprache mit dem Bauherrn bedürfnisorientiert zu behandeln. „Unser Kunde, die Tourismus-Zentrale, hat sehr viel Erfahrung im freibewitterten Holzbau. An der Strandpromenade hat die Behörde bereits viele Pfahlbauten errichten lassen.“ Das erleichterte die Auseinandersetzung mit Normen deutlich und ermöglichte einen günstigeren und einfacheren Bau. Nach einer DIN-Norm sollten beispielsweise alle Verbindungelemente aus Voll- und Brettschichtholz mit Edelstahl verbunden werden. Die Tourismusbehörde, im Wissen, dass an einem so exponierten Standort Edelstahl ebenso schnell rostet wie andere Materialien, wählte stattdessen günstigeren feuerverzinkten Stahl. Außerdem müsste eine Abdeckung über dem Gebäude das Holz vor Regen schützen. „Aber hier kommt der Regen von allen Seiten. Mit einer Abdeckung sieht man schlechter, was am Gebäude passiert“, so Andrea Zickhardt. Auch Abschrägungen, welche den Wasserablauf vereinfachen, waren für das Projekt nicht nötig, so die Architektin: „Es gibt hier viel Wind, sodass das Gebäude ohne Abschrägungen schnell trocknet.“

Umgang mit Brandschutzvorschriften

Als Material wählte das Studio sibirische Lärche, weil dieses Holz durch seine Haltbarkeit überzeugt. Die Knotenpunkte wurden so gestaltet, dass sie Luftzug ermöglichen und trocknen können. Eine PU-Beschichtung wie beim Hotel Bergeblick war hier nicht möglich: Die Bedingungen vor Ort – Sand, Salz, Wind – ließen dies nicht zu. Mit unkonventionellen Methoden weitet das Erlebnis-Hus die Grenzen des traditionellen Holzbaus aus. „Wir haben viel bei diesem Projekt im experimentellen Holzbau gelernt,“ so Andrea Zickhardt. „Es ist sicherlich kein Standardprojekt, aber es zeigt, was möglich ist, wenn man bereit ist, neue Wege zu gehen.“ Zickhardt betont, dass eine sehr gute Fachplanung im Bereich Statik und Brandschutz essentiell bei solchen Experimenten ist. Wie es ihrer Meinung nach um den Holzbau in Deutschland steht? „Ich finde schade, dass wir uns gerade beim Thema Brandschutzrichtlinien in eine immer strengere Richtung entwickeln. Länder wie die Schweiz sind da viel lockerer und pragmatischer.“

Schweizer Projekte wie „Francesco“ von Marquez Architects (das ebenfalls mit den ICONIC AWARDS: Innovative Architecture ausgezeichnet wurde) oder das erste Holzbau-Hochhaus Suurstoffi 22 werden in der Eidgenossenschaft durch neue Brandschutzverordnungen ermöglicht. Weitere Holz-Hochhäuser werden in den nächsten Jahren fertiggestellt.  

Spannende Projekte im Bereich Holzbau, die von den ICONIC AWARDS 2024: Innovative Architecture ausgezeichnet wurden:

Marques Architekten: Francesco in Luzern | Foto: © Kuster Frey

Über die ICONIC AWARDS 2024: Innovative Architecture

ZUKUNFTSWEISEND, GANZHEITLICH, INNOVATIV – Der international angesehene Award prämiert ganzheitliche Projekte aus den Bereichen Stadt- und Architekturgestaltung, Innenarchitektur, Produktdesign und Markenkommunikation.

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