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Unsere neue Reihe widmet sich zeitlosen Klassikern, die das moderne Design nachhaltig geprägt haben. Ob Möbel, Technik oder Alltagsgegenstände – ihre visionäre Gestaltung wirkt bis heute. Den Anfang macht der Thonet Stuhl Nr. 14, dessen schlichte Eleganz und materialsparende Konstruktion ihn zu einem Vorbild für Zeitlosigkeit und und Zirkularität machen.


von Lara Lochmann

Der berühmte Bugholzstuhl Nr. 14 von Michael Thonet aus dem Jahre 1859 wird bis heute als das gelungenste Industrieprodukt der Welt bezeichnet. | © THONET

Mit dem Entwurf des Thonet-Stuhl Nr. 14 markierte das Jahr 1859 einen Wendepunkt in der Geschichte des Möbeldesigns: Denn damals hat Michael Thonet (1796–1871) die Art und Weise, wie Möbel hergestellt und vertrieben wurden, grundlegend verändert. Als gelernter Schreiner begann er in Boppard am Rhein mit der Herstellung kunstvoller Möbel in Handarbeit. Bereits in den 1830er-Jahren erkannte er das Potenzial, durch standardisierte Verfahren und innovative Materialien die Möbelfertigung zu revolutionieren.


Detailansicht des berühmten Bugholzstuhls mit Rohrgeflecht | © THONET

Das Bugholzverfahren – Materialverformung als Kunst

Thonets Innovation war das Bugholzverfahren: Er behandelte die Buchenholzstäbe mit Dampf, sodass er sie unter Druck biegen konnte. Gleichzeitig verstärkte er das Holz an der Außenseite der Biegung mit einem Metallband, um ein Reißen zu verhindern. Diese Technik, die die physikalischen Grenzen des Holzes überwindet, ermöglichte die Produktion von Möbelteilen, die gleichermaßen stabil, leicht und ästhetisch ansprechend waren. Die materialgerechte Verarbeitung und Gestaltung aus standardisierten Teilen resultierten in einer Effizienz, die traditionelle Herstellungsmethoden weit übertraf und wegweisend für die Zukunft der Möbelherstellung werden sollte.

Das Prinzip der Einfachheit

Der Nr. 14 ist ein Meisterwerk der Reduktion. Er besteht aus nur sechs Holzelementen und zehn Schrauben – ein Minimum, das dennoch maximale Stabilität gewährleistet. Die klaren Linien der Konstruktion setzen sich aus zwei vorderen Beinen, einem geschwungenen Element – das die hinteren Beine und die Rückenlehne bildet – einem inneren Rückenbogen, einem Sitz und einem Fußring zur Stabilisierung zusammen. Diese Elemente konnten leicht montiert, demontiert und ausgetauscht werden – ein Ansatz, der später als modularer Designstandard adaptiert wurde.

Die Möglichkeit, den Stuhl Nr. 14 in seine Einzelteile zu zerlegen, war ein zentraler Bestandteil seines Erfolgs. Bis zu 36 Stühle konnten in einer einzigen Kiste mit einem Volumen von einem Kubikmeter transportiert werden. Diese platzsparende Verpackung senkte die Transportkosten erheblich und ermöglichte einen globalen Vertrieb – was den Nr. 14 nicht nur wirtschaftlich attraktiv machte, sondern auch zu einem Symbol für Effizienz und Nachhaltigkeit. 

„Man kann einen Holzstuhl nicht moderner produzieren als diesen. (…) Der Thonet-Stuhl ist das Maß aller Dinge.” 


– Konstantin Grcic in Weltkunst, 2021

Bis zu 36 Stühle finden in einer Kiste mit einem mit einem Volumen von einem Kubikmeter | © THONET
Einzelteile des Thonet 214 | © THONET
Bugholzproduktion | © Philipp Thonet

Zeitlos und universell

Der Stuhl Nr. 14 verkörpert zentrale Prinzipien des modernen Designs: Funktionalität, Effizienz und Ästhetik. Dabei liegt die ästhetische Wirkung des Nr. 14 gerade in seiner Schlichtheit. Der Stuhl war nicht nur ein Verkaufsschlager, sondern auch Katalysator für die Industrialisierung der Möbelherstellung. Bis 1930 wurden über 50 Millionen Exemplare produziert und nach dem Auslaufen des Patents im Jahr 1869 wurde der Nr. 14 zu einem der meistkopierten Designs der Welt. Bis heute wird der ikonische Stuhl von der Firma Thonet geführt – inzwischen unter der Bezeichnung 214 und mit angepasster, trapezförmiger Sitzfläche. 

Ein Möbelstück aus einem nachwachsenden, regionalen und nicht gesundheitsschädlichen Werkstoff, das mit wenig Material auskommt. Einfach reparier- und recyclebar. Platzsparend im Versand. All diese Qualitäten machen den Thonet Nr. 14 auch aus heutiger Sicht zu einem absoluten Vorbild in Sachen Zirkularität und Nachhaltigkeit.

Traditionell wurde jeder Stuhl per Hand beflochten. Heute wird industriell gewebtes Geflecht im Sitzrahmen eingeschlagen und mit Holzleim fixiert. | © THONET


Quellen und weiterführende Literatur:

  • Bang, Ole. Thonet: Geschichte eines Stuhl. Verlag Gerd Hatje, 1979.
  • Gleiniger, Andrea. Design Klassiker: Der Kaffeehausstuhl Nr 14 von Michael Thonet. Verlag form, 1998.
  • Lichtenstein,Claude. Die Schwerkraft von Ideen: Eine Designgeschichte. Band 1. Bauverlag, 2022.
  • Selle, Gert. Design im Alltag: Vom Thonetstuhl zum Mikrochip. Campus Verlag, 2007.
  • Thonet: Biegen oder Brechen. Selbstverlag des Landesmuseums Koblenz, 1996.
  • Thonet & Design. Die Neue Sammlung – The Design Museum, 2019. 
  • Thonet: Pionier des Industriedesigns. 1830–1900. Vitra Design Museum, 1994.
  • arte Dokumentation: Change by design. Nachhaltig und schön: Möbel, 2024.

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