Viele Neuheiten, wenige Antworten: Die diesjährige Ausgabe der Büromöbelmesse Orgatec in Köln bot zwar zahlreiche innovative Konzepte, ließ jedoch auch zentrale Fragen zur Zukunft der Büroarbeit offen.
von Jasmin Jouhar
Schon seit Urzeiten versammeln sich Menschen um das Lagerfeuer, angezogen von Wärme und Licht. Am offenen Feuer bildet sich eine Gemeinschaft, und das gilt bis heute, wie sich bei Oster-, Sonnenwend- oder Martinsfeuern jedes Jahr aufs Neue zeigt. Der Leuchtenhersteller Grau hat der archaischen Energiequelle jetzt eine bürotaugliche Form gegeben: Zur Messe Orgatec in Köln präsentierte das Hamburger Unternehmen „Campfire“. Die 1,60 Meter hohe Leuchte besteht aus sechs Aluminium-Vierkantrohren, die wie Scheite gegeneinander gelehnt sind. Die Lichtquelle befindet sich jeweils in einem abgerundeten Glaskörper am oberen Ende, so dass „Campfire“ an ein überdimensionales Bündel Streichhölzer erinnert. Ein stromgespeistes Lagerfeuer fürs Büro – natürlich auch fürs Zuhause – ist die passende Neuheit für eine Zeit, in der Menschen sich eher voneinander entfernen und vor ihren Screens vereinsamen. Da mag gemeinschaftliches In-die-Flammen-Schauen gut tun. Und vielleicht kommen die Menschen auch lieber wieder ins Büro, wenn sie sich dort um ein Lagerfeuer versammeln können.
Wenn die Büros leer bleiben
Denn diese Frage schwebte natürlich über der diesjährigen Ausgabe der Orgatec in Köln: Wozu braucht man mehrere Messehallen voller Büromöbel-Neuheiten, wenn in den Büroetagen die Plätze leer bleiben? Tageweise Heimarbeit ist die Realität in wissensbasierten Unternehmen, da helfen auch brachiale Rückholaktionen nicht viel. Der Markt für Büro- und Geschäftsimmobilien schrumpft in Deutschland, weil Firmen sich verkleinern. Aber auch die Krise der Bauwirtschaft, das Zinsniveau und die miese konjunkturelle Lage schlagen auf die Stimmung. Lediglich Gebäude von hoher Qualität in zentralen Lagen sind nach wie vor gefragt, denn Arbeitgeber:innen müssen etwas bieten, um ihre Teams ins Büro zu locken, etwa gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und ein attraktives Umfeld. Die Krise ist nach einer Phase der Stagnation mittlerweile auch bei den deutschen Büromöbelherstellern angekommen, die kürzlich einen Umsatzrückgang von rund 3 Prozent für die erste Hälfte dieses Jahres vermeldeten. Das ist allerdings immer noch weniger als in der Wohnmöbelindustrie, deren Umsätze im selben Zeitraum im Durchschnitt um 10 Prozent schrumpften.
Zukunft des Formats Messe
So kurz nach der schockartigen Absage der für kommenden Januar angesetzten Möbelmesse Imm Cologne war es das beherrschende Small-Talk-Thema: Hat Köln als Messestandort überhaupt eine Zukunft? Und welche Veranstaltungsformen könnten das klassische, ressourcenfressende Format Messe ersetzen? Definitive Antworten konnte naturgemäß niemand geben, es wurde viel spekuliert, und Gerüchte über Fusionen oder neue Messen in anderen Städten machten die Runde. Auf dem Gelände in Köln-Deutz allerdings ging der Betrieb relativ ungerührt über die Bühne. In den Hallen mit großen Herstellern wie Haworth, Interstuhl, König + Neurath, Sedus oder Wilkhahn waren die gewohnt ausufernden Stände zu finden, auf denen sich die Besucher:innen um Bürostühle, Konferenztische und Regalsysteme drängten. Dem Anschein nach Business as usual.
Weniger geschäftig ging es jedoch in anderen Hallen zu, wo Hersteller von Wohnmöbeln, Leuchten oder Outdoor ihre Produkte präsentierten. Denn die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen verschwimmen ja schon länger: Wer traditionell eigentlich Wohn- oder Outdoormöbel herstellt, versucht sein Glück auch im Contract- oder Objektbereich, der neben Büros und Verwaltungen auch Hotels, Kreuzfahrtschiffe, Restaurants, öffentliche Gebäude oder ähnliches ausstattet. Und auch die vielen Arbeitsplätze zuhause wollen ja wohnlich möbliert werden. Die Messe antwortete darauf mit einer Mischung von Marken und Herstellern wie COR, E15, de Sede, Walter Knoll, Muuto, Freifrau oder eben Grau. Doch das Konzept ging nicht auf, es waren in diesem Jahr schlicht nicht genug entsprechende Aussteller nach Köln gekommen, und auch die kritische Masse an Publikum für dieses Segment fehlte. So blieb die Orgatec vorerst den Beweis schuldig, dass sie als Alternative für die Imm funktionieren kann.
Die neue Einfachheit
Die passenden Neuheiten für das Crossover zwischen Arbeits- und Wohnwelten allerdings, die gab es reichlich zu sehen: So hat der deutsche Polstermöbelhersteller COR seine knautschige Sofafamilie „Jalis“ mit hohen Rücken, geringeren Sitztiefen und strafferer Polsterung objekttauglich gemacht. De Sede brachte mit dem „Flow“-Sofa sogar eine mäandernde Liegewiese mit nach Köln. E15 präsentierte die diskrete, hochwertige Verkabelungslösung des australischen Unternehmens Zetr. Die schmalen, bündigen Steckerleisten sehen auch in den massiven Eichenholzplatten von E15s Tischklassikern gut aus. Auffällig war auch, dass mehrere Hersteller ganz einfache Entwürfe zeigten. Wilkhahn stellte den Prototypen eines an einen Werkstattstuhl erinnernden Drehstuhl mit Formholzschale und Federung vor. Eine der Neuheiten von Thonet wiederum ist der vierbeinige Stahlrohrstuhl S 243, ebenfalls mit Formholzsitz. Möbelstücke wie diese kommen mit verhältnismäßig geringem Materialeinsatz aus, dazu ohne große Plastikteile. Dafür haben sie einen gewissen spartanischen Retro-Appeal, der sich auch im Preis ausdrückt. Thonets Stuhl wird für unter 300 Euro zu haben sein.
Arbeit am Produktportfolio
Vorbei sind glücklicherweise die Zeiten, als reihenweise Hersteller stolz verkündeten, ihre Neuheiten seien dank Materialien aus recycelten PET-Flaschen besonders umweltfreundlich. Nachhaltigkeit ist nicht mehr nur oberflächliches Marketinggerede, sondern wird mittlerweile auch in den Entwicklungsabteilungen zumindest einiger Unternehmen ernstgenommen. So werden bereits vorhandene Produkte überarbeitet, statt einfach neue rauszubringen. Kvadrat etwa stellt seinen Bestseller-Vorhangstoff „Time 300“ jetzt aus recyceltem Polyester her. Création Baumann nutzt nun für einige seiner Akustikpaneele Absorberplatten aus Resttextilien. Auch bei Object Carpet erneuert man das Portfolio schrittweise mit einem kreislauffähigen Rücken für Teppichböden. Walter Knoll wiederum hat die Bezüge und Polsterung seiner Büro- und Konferenzstühle neu konzipiert und bietet erste Modelle mit einfach abnehmbaren Bezügen und einer Polsterung ohne Polyurethanschaum an. Der spanische Hersteller Bõln macht mit Möbeln aus pflanzenbasiertem PU-Schaum auf sich aufmerksam, ein Material, an dem das Unternehmen viele Jahre geforscht hat.
Services statt Neuheiten
Angesichts der schieren Masse an konventionellen Neuheiten auf der Orgatec wirken solche an sich positiven Initiativen jedoch irgendwie hilflos. Denn das reicht alles bei weitem nicht aus, um die auf den Absatz von möglichst vielen neuen Produkten gepolte Branche Richtung Kreislaufwirtschaft umzubauen. In den Niederlanden ist man wie so oft schon weiter: Am Stand von Vepa konnten die Besucher:innen nicht nur Möbel aus recycelten oder biobasierten Materialien testen. Wie einige andere Unternehmen auch setzt Vepa darauf, bereits genutztes Mobiliar zu überarbeiten und wiederzuverwenden. Dabei beschränkt man sich aber nicht auf eigene Produkte, sondern setzt in der eigenen Fertigung auch Möbel anderer Hersteller instand. Laut Vepa sind die runderneuerten Stücke günstiger als Neuware, so dass die Wende zum kreislaufgerechten Wirtschaften von einem funktionierenden Geschäftsmodell getragen wird. Wenn man diesen Ansatz auf die ganze Branche skalierte, dann sähe eine Messe wie die Orgatec in einigen Jahren radikal anders aus. Es gäbe viel weniger Produktneuheiten, dafür würden viel mehr Dienstleistungen und Services rund um das vorhandene Mobiliar angeboten. Wenn es dafür überhaupt noch eine Messe dieser Größenordnung bräuchte.
Über die Autorin
Jasmin Jouhar arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Zu ihren Themen gehören Design und Marken, Architektur und Innenarchitektur. Sie schreibt für eine Vielzahl deutschsprachiger Fach- und Publikumsmedien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Online-Plattform Baunetz, die Magazine Schöner Wohnen und AD. Daneben moderiert sie Branchenevents und verantwortet Corporate Publishing-Projekte. Jasmin Jouhar engagiert sich mit Coachings, Workshops und Vorträgen in der Förderung des jungen Designs.
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