Scheitern ist die Grundvoraussetzung für Innovation, sagt Moritz Marder, Chief Home Officer von Rakete aus Knete. Denn der Weg hin zur Glanzstory einer Innovation ist oft steinig. Scheiterbereitschaft, so Marder, fehle vielen Unternehmen. Ein Blick auf die Keynote, die er zum German Innovation Award 2022 hielt.
Von Moritz Marder
Dass die Entscheidung zu dieser Überschrift für einige mit dem Eingeständnis vollumfänglicher, wirtschaftlicher Untauglichkeit gleichzusetzen ist, lernte ich nach meinem Vortrag mit genau diesem Titel auf dem German Innovation Award 2022, verliehen durch den Rat für Formgebung im Futurium in Berlin: „Offen gestanden ziemlich realitätsfern“ fand es eine der teilnehmenden Personen, dass ich so „freimütig“ darüber spräche, wie „cool“ es wäre „locker flockig“ zu scheitern und anschließend „einfach“ etwas Neues zu probieren. „Einige können sich Scheitern absolut nicht leisten!“
Keynote von Moritz Marder auf der Preisverleihung des German Innovation Award 2022
Freut mich ja immer, wenn Kommunikation etwas auslöst… Ja, Scheitern ist nicht cool oder gar erstrebenswert. Ja, scheitern muss man sich leisten können – finanziell, lebenszeitlich und emotional. Weshalb es mir dennoch ein Anliegen ist, Scheitern als normale und notwendige Dimension zu thematisieren ist, weil ich einerseits in all den Top-Performer-LinkedIn-Beiträgen zu wenig darüber lese und andererseits, weil ich es so offensichtlich finde: Es ist eine Kernfähigkeit erfolgreichen Unternehmerinnentums Neuem eine Chance zu geben, Gescheitertsein rechtzeitig zu erkennen, einzugestehen und anschließend energisiert und dankbar für das Gelernte den Fokus zu verändern. Die Alternative zu Scheiterbereitschaft kann nur Mittelmaß auf ausgetretenen Wegen sein oder teures Festhalten an Entscheidungen, die eben leider nicht zum Erfolg führen. Wer noch letzte Überzeugung braucht – hier eine uralte Landweisheit aus meiner Heimat: „Wenn dein Pferd tot ist, hast du zwei Optionen. Steig ab. Oder mach’s dir so bequem wie möglich, denn der Ritt wird lang.“ (Quelle: evtl. frei erfunden)
Trend Scheitern?
Irgendwie liegt Scheitern ja vielleicht doch im Trend. Elon fackelt eine nach der anderen Rakete ab, bis er den Milliardenkonzern aus der Taufe hebt. In der Fuck-Up Night schwärmen die säsonierten Partner (leider ohne *innen) von alten Tagen, in denen Media-Budgets ohne irgendeinen messbaren Nadelausschlag durch den Schornstein geraucht sind. Es geht mir aber weder um „Burn money, to earn money!“ noch um „Scheitern gehört zum Erwachsenwerden.“. Scheitern gehört zum beruflichen Alltag und sollte fürs Leadership nicht nur als okay begriffen sein, sondern als inkrementell relevant für Fortschritt. Vielleicht ist sogar die Anzahl gescheiterter Versuche auf dem Weg einer Entwicklung viel geeigneter als Projekt-KPI der oft zu definieren versuchten „Produktivität“ als die Menge erstellter E-Mails und Excel-Tabellen.
Fischen wir zum Warmwerden drei Beispiele aus meinem Scheiter-Archiv: ein serienproduktionsfertig entwickelter Hocker nach Stehauffräuleinprinzip als ergonomische Sitzalternative zum Schreibtischstuhl. Ein Kinderbuch mit weiblicher Heldin, die durch ihre Neugier und Faszination für die Natur ihre Träume wahr werden lässt. Ein Leichtbau e-Downhill-Fahrzeug mit der Sitz- und Lenkfreiheit eines Paragliding-Schirms. Beim Hocker war ich so fasziniert und getrieben von der Organisation des Fertigungsprozesses, dass ich kritische Stimmen zur Sitzqualität ignoriert habe, die dann verspätet unserem Vertrieb bei Markteinführung das Genick gebrochen haben. Das Downhill-Fahrzeug war bis ins kleinste Detail mein in Skizzen und CAD entwickelter Liebling, den ich viel früher als 1:1 Modell hätte aufbauen sollen, um relevanteres Feedback zu bekommen als von meiner geduldigen Kieler Puppe im 3D Modell. Dem Kinderbuch fehlte bei aller Hingabe für meine insbesondere meinen Nachwuchs meinende Leserschaft wohl schlichtweg der USP.
Wir halten fest:
- Teste so früh wie möglich und höre ehrlich zu.
- Denke und baue 1:1.
- Fälle alle Entscheidungen mit dem Ziel einen USP zu schaffen.
„USP“ übersetze ich mit müdem Augenzwinkern für alle Business-Kenner gern als „USer exPerience“, denn die einzige „Unique Selling Proposition“, die ich kenne, ist irgendeine Form der verbesserten Nutzererfahrung mit dem Produkt gegenüber der des Wettbewerbs. Am schwierigsten ist dies bei einem Massenartikel und Trendprodukt – wie der kosmetischen Tuchmaske. Die Belohnung dafür ist, dass Markteinführung und Vertriebswege um ein Vielfaches leichter aufgebaut sind als bei einem weniger etablierten Produkt. Unser Produkt hieß Instant Urlaub und bot in einer Kombination aus Tuchmaske, Badekristallen und atmosphärischen Sounds per QR-Code eine 20-minütige, multisensuale Reise mit Abflughafen Badewanne. Gescheitert sind wir erst an der Beschaffung, dann an den Kosten.
Unser erster, China-basierter Lieferant war superschnell, flexibel und schien alles beschaffen zu können. Kalte Füße haben wir bekommen als erforderliche, dermatologische Zertifikate Rechtschreibfehler und Photoshop-Artefakte enthielten. Unser dann aufgetanes, deutsches Unternehmen war hochprofessionell und genauso schnell. Nur sechs Mal so teuer. Nach einer Runde über Reiseanbieter als Partner, Kampagnen in einschlägigen Crowdfunding-Portalen u.a.m. sowie ernüchternder Resonanz haben wir schließlich von der Investition abgesehen und die Gründung aufgelöst.
Wir lernen:
- Produktionsdreieck-Klassiker: „Gut, schnell & günstig“ kommen nie zu dritt.
- „Schnell und gut“ als auch „schnell und günstig“ sind de facto teuer. Das eine zu Beginn, das andere auf dem Weg der Markteinführung, Produkthaftung etc.
Mein letztes gescheitertes Projektbeispiel begann als DIY-Produkt für Farbverläufe mit Wandfarbe. Mit Hilfe einer selbstklebenden, gestanzten Schablone in Bahnen, deren Aufbringung zusätzliches Abkleben überflüssig macht, streichst du ein kleiner werdendes Punktraster auf die Wand, das nach Abziehen der Schablone den perfekten Verlauf ergibt. Diesmal habe ich viel richtig gemacht: Frühe Testings mit Endkunden liefen super. 1:1 Prototypen ließen sich prima verarbeiten. Im großen Test mit einem Partnerunternehmen haben Berufsmaler die Prototypen in unterschiedlichen Materialien verarbeitet und vernichtend kritisiert. Der Aufwand zur Vorbereitung ähnelt dem des Tapezierens. Die feingliedrige Schablone führt immer irgendwo zu verlaufenden Punkten und der Effekt ist eher ein Punktraster als ein Verlauf. Das Positive an diesem Beispiel ist, dass der gesamte Prozess von Idee bis zum Scheitern keine drei Monate gedauert hat, da ich alle Gates gewissenhaft durchlaufen habe.
Wir fassen zusammen:
- Scheitern lässt sich lernen, beschleunigen und macht Produkte stark.
- Der schnellste Weg zu belastbaren Entscheidungen ist breit aufgestelltes, sorgfältig bewertetes Feedback.
- Der schnellste Weg zu substantiellem Feedback sind Prototypen – egal wie einfach.
Ein Feedback zu meinem eingangs beschriebenen Vortrag bleibt mir bis heute im Ohr, nämlich: „Super, Moritz. Wenn Unternehmen mal jemanden zum Scheitern suchen, wissen sie jetzt, wen sie anrufen müssen.“ Könnt ihr gerne machen. Dann erzähle ich auch gern mal von den nicht gescheiterten Projekten.
Moritz Marder
Moritz Marder ist strategischer Marken- und Produktgestalter, der Unternehmen bei Markenauf- und -ausbau sowie Produktkonzeption und -entwicklung begleitet, deren Ergebnisse vielfach ausgezeichnet wurden (bsp. iF Gold). Zuvor war Moritz Design Lead Germany bei PwC Experience Consulting mit 50+ Design Team über vier Standorte (Berlin, München, Frankfurt, Düsseldorf). Bis dahin war er für +5 Jahre Vice President Design der Viessmann Group, baute die erste in-house Design-Abteilung auf und steuerte zentral alle Gestaltungserzeugnisse des 12k Mitarbeitende beschäftigende Familienunternehmen mit einem Jahresumsatz von zuletzt 3,4 Mrd.€ (2021). Von 2010-2014 gestaltete Moritz für Phoenix Design in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Gründer Andreas Haug für Marken wie Adidas, Fresenius Kabi, Hansgrohe, Vorwerk u.a. Moritz ist seit 2010 Diplom Industrie Designer und studierte an der HbK Braunschweig Produkt- und Transportation Design mit Hauptstudiumspartnerunternehmen Volkswagen AG und Bugatti S.E.
Moritz hat drei Töchter und lebt mit seiner Frau in Berlin.
Der German Innovation Award
Der German Innovation Award zeichnet branchenübergreifend Produkte und Lösungen aus, die sich vor allem durch Nutzerzentrierung und einen Mehrwert gegenüber bisherigen Lösungen unterscheiden. Mit dem Award würdigt der Rat für Formgebung Unternehmen, die in herausragender Weise mit neuen, zukunftsweisenden Technologien, Verfahren oder Dienstleistungen überzeugen.
Seit dem 4. Oktober ist eine Anmeldung zum German Innovation Award 2023 möglich.
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