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Schlechte Welt, schöne Zahlen? Mit seinem neuen Buch „Heute ist besser” stellt sich Stefan Sagmeister gegen den Zeitgeist. Denn gerade weil vielfach ein verzerrtes und unreflektiertes Bild der globalen Entwicklungen gezeichnet wird, plädiert der österreichische Grafiker für ein Studium langfristig erhobener Daten – und findet zu ihrer Visualisierung frappierende Formen.

Rezension von Gerrit Terstiege

„Heute ist besser", Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2023
„Heute ist besser“, Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2023

„Design ist eine optimistische Aktivität”, konstatierte einmal der Designtheoretiker Michael Erlhoff. In der Tat erfordert das Streben nach Verbesserung durch Gestaltung, nach größerer Klarheit und mehr Benutzerfreundlichkeit, durchaus ein sonniges Gemüt. Man könnte sogar soweit gehen zu sagen: keine Optimierungen (im Design und durch Design) ohne Optimismus! Zugegeben: Sagmeisters neue Publikation kommt nicht unbedingt zu einer Zeit, in der viele Menschen frohgemut in die Zukunft blicken – wohl aber genau deswegen fordert der bekannte österreichische Grafiker jetzt dazu auf, sich mit komplexen gesellschaftlichen Themen und historischen Entwicklungen zu befassen. Denn mit dem Blick auf größere Zeitabschnitte entsteht ein besseres Verständnis für die Errungenschaften der Gegenwart. Nicht nur in Design und Architektur – nein, Sagmeister weitet den Blick und führt die Leser*innen hier mit belastbaren Zahlen auch an belastende Themen heran: unter anderem mit Mord- und Pandemie-Statistiken oder mit Parametern zur Kindersterblichkeit. Warum tut er sich das an? Allein die Recherche der Daten für dieses Projekt dürfte aufwendig gewesen sein – und eigentlich müsste Sagmeister gar kein Buch mehr machen. Die Steigerung von Ruhm und Reichweite war sicher nicht sein Beweggrund. Über Instagram erreicht er aktuell 545.000 Follower, seit seinem „Happy Film” ist er weit über die Designszene hinaus bekannt – und das letzte große Projekt zum Thema Schönheit, das er zusammen mit Jessica Walsh realisierte, wurde von Hamburg über Frankfurt bis Wien zum Blockbuster in renommierten Museen.

Ermutigende Entwicklungen

Ganz so monothematisch wie in seinem Film und den Ausstellungen geht es in „Heute ist besser” nicht zu. Sagmeister setzt hier mit Interviews und Recherchen in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen verbreiteten Schwarzmalereien und Menetekeln positive Fakten entgegen. Beim ersten Blättern mag diese Packung geballter Optimismus bei manchen vielleicht eine Abwehrhaltung hervorrufen, scheint doch die derzeitige Welt- und Wirtschaftslage, geprägt durch Klimawandel und Kriege, nicht eben geeignet, ein Gefühl davon zu vermitteln, wie gut es heute vielen Menschen geht – zumindest in den Teilen der westlichen Welt, in denen momentan keine Kriege wüten. Doch ist die positive Grundhaltung, die Sagmeister vertritt, eine Medizin, die ihre Wirkung langsam entfaltet, beim Lesen und Studieren seiner „beautiful numbers”. Prozentzahlen und Sachverhalte jenseits von Kuchendiagrammen anschaulich zu visualisieren, ja sogar Lust auf Details zu machen, gehört fraglos zu den Basics im Grafikdesign. Nicht nur in Geschäftsberichten. Innovative Formen der Informationsvermittlung haben seit Jahren Konjunktur. Sagmeisters vielgestaltige Wege, Fakten und Zusammenhänge räumlich, spielerisch und oft poetisch zu animieren, haben ihn für einige sozusagen zur „Nummer 1” im internationalen Vergleich werden lassen.

Bereits zum Thema „Glück“ inszenierte er die Ergebnisse von Umfragen so schematisch wie plakativ auf Wänden oder forderte Besucherinnen und Besucher dazu auf, durch den Einwurf gelber Bälle in transparente Röhren zu signalisieren, wie glücklich sie sich gerade fühlten. „Beautiful Numbers” hieß denn auch eine Ausstellung in der Thomas Erben Gallery in New York, die Sagmeister in seinem neuen Buch dokumentiert. Der Zufall und ein Heimatbesuch waren hier wohl die Auslöser: In Bregenz, wo der Name Sagmeister seit Generationen für Mode- und Likör-Kaufhäuser steht und manche seiner fünf Geschwister sehr erfolgreiche Geschäfte betreiben, gibt es noch einen familieneigenen Dachboden, wo der Designer Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert entdeckte. Seine Ur-Großeltern waren Antiquitäten-Händler gewesen – und diese Bilder waren unverkauft geblieben. Sie zeigen meist Landschaften und Porträts von streng blickenden Damen und von ihrer Wichtigkeit überzeugten Herren, die heute niemand mehr kennt. Jeder vernünftige Galerist würde diese Restbestände als schwer verkäuflich einstufen und abwinken.

Blick ins Buch „Früher war Heute ist besser“, S. 28

Schwierige Themen, schöne Motive

Es sei denn, ein Stefan Sagmeister nimmt sich der alten Schinken an und verwandelt sie in etwas denkbar Neues und Kluges: in die dunkel bemalten Leinwände schnitt er Löcher, nicht willkürlich, sondern wohlüberlegt und auf das jeweilige Sujet und die Dargestellten reagierend. Die geometrisch geformten Aussparungen füllte er mit eigens auf sie abgestimmten, hellen und monochromen Farbflächen auf bespannten Form-Keilrahmen, die im Zusammenspiel jeweils eine Information oder Botschaft tragen: etwa zum Verhältnis des CO2-Ausstoßes in China, Europa und den USA oder zur Entwicklung und Verbreitung des Frauenwahlrechts. Indem er sich in den Dienst eruierter Datenmengen und deren vergleichender Visualisierung stellt, entgeht Sagmeister der Falle, in die zahlreiche sehr gute Grafikerinnen und Grafiker jenseits der 60 vor ihm getappt sind: sich plötzlich als Künstlerinnen und Künstler zu versuchen. Dabei sind seine starkfarbigen, geometrischen Interventionen derart schön, dass man sich sofort und mit einem Lächeln zum Beispiel seine Statistik zu Selbstmordraten im Wandel der Zeiten ins Wohnzimmer hängen würde. Einmal mehr beweist hier auch Sagmeisters Ausflug in die Mode, dass auch bedrückenden Zahlenkolonnen „schön” umgesetzt werden können: sein „Murderous Coat” zeigt außen über frei platzierte Messer-Silhouetten und im Innenfutter mit gestaffelten Messern in verschiedenen Größen, wie sich Mordraten über lange Zeiträume zueinander verhalten. Der Mantel ist sogar auf seiner Website vorbestellbar.

Blick ins Buch Früher war Heute ist besser“, S. 153

Sagmeister zieht alle Register

Dass „Heute ist besser” auch als Buch und Objekt reizvoll geworden ist, geht nicht zuletzt auf seine üppige Ausstattung zurück: glänzender Silberschnitt, perforierter Schuber samt Prägungen einer Schrift, die wirkt, als sei sie aus frei geschüttetem Zinn oder Blei entstanden. Diese ebenfalls silbern glänzende Schrift auf dem Schuber wiederum weist mit Steven Heller und Hans Ulrich Obrist auf zwei glänzende Autoren hin, die am Buch mit einem Essay beziehungsweise einem Interview beteiligt sind. Aber die meisten Texte stammen von Sagmeister selbst, der seine persönlichen Erkenntnisse und Wertungen weitergibt. Etwa nennt er ein Beispiel für einen berühmten Künstler, der aus Sagmeisters Sicht ein wenig überzeugendes Kinderbett entworfen habe (Donald Judd) und für einen legendären Grafiker, der sich mit der Gestaltung einer Kitsch-Skulptur keinen Gefallen getan habe (Lucian Bernhard). Doch bei aller Unterschiedlichkeit hinsichtlich Inhalt und Form der seit 2001 erschienenen fünf Sagmeister-Bücher, gibt es doch auch Konstanten: Das sind die in etwa ähnlichen Umfänge, aber vor allem ist es das Format von circa 17 mal 24 Zentimetern, an dem der Grafiker seit fast einem Vierteljahrhundert festhält. Andere Designer mögen sich mit kiloschweren, großformatigen Bildbänden ein Denkmal setzen – Sagmeister zieht es vor, handliche Werke hervorzubringen, die man auch im Liegen lesen kann oder gerne auf eine Reise mitnimmt. Eine letzte gute Nachricht: Einer Teilauflage des Buches liegt ein von Sagmeister handsignierter Lentikulardruck bei – eine Neuerung, die zur Wertsteigerung dieser Erstauflage beitragen dürfte. Zumindest langfristig betrachtet.

„Heute ist besser", Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2023

Sagmeister, Stefan

Früher war Heute ist besser

Mainz, Verlag Hermann Schmidt, 2023

264 S., Illustrationen

ISBN 978-3-87439-925-8

35 Euro


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