6 min read

Zirkuläre Produkte schonen Ressourcen und reduzieren Emissionen. Gerade junge Designerinnen und Designer begegnen den Herausforderungen unserer Gegenwart mit Entwürfen, die lineares Wirtschaften hinter sich lassen und den Fokus auf Kreislaufwirtschaft legen. 

Von Jasmin Jouhar

Zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 war oft vom „neuen Normal“ die Rede, um zu beschreiben, wie unser Alltag sich durch Covid verändert hatte. Mittlerweile wissen wir, eine Rückkehr zum „alten Normal“ wird es nicht geben. Denn die Pandemie, aber auch der Krieg in Europa, die Energieknappheit, die Inflation, die Klimakatastrophe mit Überschwemmungen, Dürren und Waldbränden haben unseren Alltag in einen andauernden Krisenmodus versetzt. Viele junge Designerinnen und Designer waren da weitsichtiger: Ihr Blick auf die Welt war schon länger im Krisenmodus, ihre Perspektive auf die Zukunft oft düster. Umso wichtiger, dass sie mit ihren Arbeiten Antworten suchen auf die vielfachen Herausforderungen der Gegenwart. Oft entwickeln sie dabei Projekte nach den Prinzipien des zirkulären Designs, wie eine Reihe aktueller Absolvent/-innen-Arbeiten von deutschen Hochschulen zeigen.

Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie

Die Bauindustrie ist einer der größten Umweltsünder überhaupt, so bestehen 55 Prozent des gesamten deutschen Abfallvolumens aus Bau- und Abbruchabfällen. Die Herstellung von Zement für Beton setzt weltweit immense Mengen CO2 frei. Aber im Vergleich etwa zur Energiewirtschaft oder zum Verkehr wurden die Belastungen lange kaum thematisiert. Maren Klamser zielt mit ihrer Masterarbeit „5Tons“ darauf ab, in der Bauindustrie Materialkreisläufe zu schaffen und so Ressourcen zu schonen und Emissionen zu verringern. Bisher bedeutet Recycling von Bauschutt faktisch ein Downcycling, wenn etwa Abbruchmaterial im Straßenbau verwendet wird. Für ihren Abschluss an der Bauhaus-Universität Weimar entwickelte Klamser deshalb das Material „5Tons“, einen recyclingfähigen, mineralischen Feststoff, hergestellt aus Ziegelmehl von Mauerwerksbruch und rezyklierter Gesteinskörnung aus mineralischem Bauschutt. Damit schafft sie es, sowohl Zement als auch als Sand zumindest in Teilen zu ersetzen. Zusätzlich gestaltete sie noch ein Trockenstapelsystem für das Material, um auch Mörtel einzusparen. Maren Klamser sieht allerdings noch Entwicklungsbedarf für „5 Tons“. „Derzeit sind die meisten Baustoffe in Deutschland Klassifizierungen zugeordnet, um eine gleichbleibende Qualität und damit verbundene Sicherheitsstandards zu gewährleisten“, erklärt sie. „Sofern zukünftig ein qualitativ hochwertiges Bauschuttrecycling zur Option steht, müssen Wege gefunden werden, um mit der schwankenden Qualität des Bauschutts umzugehen.“

Kreislaufwirtschaft German Design Graduates
5Tons ist ein recyclingfähiger, mineralischen Feststoff, hergestellt aus Ziegelmehl von Mauerwerksbruch und rezyklierter Gesteinskörnung aus mineralischem Bauschutt, © Maren Klamser

Durch die Form des Steins kann auf Mörtel verzichtet werden, © Maren Klamser

Während sich Schuttberge vor unser alle Augen sichtbar auftürmen, ist das Thema von Sophia Reißenwebers Bachelorarbeit an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle praktisch unsichtbar, aber nicht weniger dringlich: Mikroverunreinigungen im Abwasser. Laut Umweltbundesamt können allein in Deutschland 414 unterschiedliche Arzneimittelrückstände im Boden, in den Flüssen und in unserem Trinkwasser nachgewiesen werden. Die Anlagen der Klärwerke schaffen es oft nicht, die Rückstände herauszufiltern, sie gelangen ins Trinkwasser. Reißenweber schlägt mit ihrer Arbeit Flushed. Digest the Rest“ vor, die Verunreinigungen dort zu bekämpfen, wo sie anfallen: in der Toilette. Sie hat ein mit Mycel angereichertes Klopapier entwickelt. Durch die Spülung aktiviert, kann das Mycel die im Wasser gelösten Mikroverunreinigungen in der Kanalisation verstoffwechseln und so unschädlich machen. Für „Flushed“ hat sie mit verschiedenen Pilzarten experimentiert, hat Materialien erprobt und getestet, wie sich eine Myzelschicht trocknen und später wieder reaktivieren lässt. „Fungi können extremen Bedingungen standhalten, benötigen kein Licht und passen sich den Schwankungen in der Kanalisation an“, sagt Reißenweber. „Die Integration von lebendigen Organismen in industrielle Kreisläufe wird immer wichtiger, um innovative und umweltschonende wirtschaftliche Prozesse zu generieren.“

„Flushed“ ist ein mit Mycel angereichertes Toilettenpapier, © Sophia Reißenweber

Open Source-Plattform zur Bewältigung von Krisen

Logo des Whole Earth Project, © Louis Bindernagel

Auf einer ganz anderen, übergreifenden Ebene setzt Louis Bindernagel mit „Whole Earth Project“ an, seiner Bachelorarbeit im Studiengang Produktdesign an der Universität der Künste Berlin. Bindernagel konzipierte eine digitale Plattform, die Gestalterinnen und Gestalter, lokale Produzentinnen und Produzenten und Initiativen weltweit vernetzen soll. Im Sinne des Open-Source-Gedanken können auf der Plattform Fragestellungen lanciert und Entwürfe und Baupläne geteilt werden. Die Produkte können dann jeweils lokal mit vorhandenen Mitteln und Ressourcen hergestellt werden. Bindernagel sieht „Whole Earth Project“ als Werkzeug, um besser und schneller auf humanitäre und ökologische Krisen reagieren zu können. Zu dem Konzept angeregt hat ihn ein Phänomen aus der Frühphase der Covid-Pandemie: Überall auf der Welt entwickelten Menschen DIY-Gesichtsschilde und Visiere zum Schutz vor Aerosolen. Sie stellten ihre Entwürfe online und verbesserten sie mit dem Feedback aus der digitalen Community. Die Bachelorarbeit basiert auch auf den Erfahrungen Bindernagels als Social Designer in verschiedenen humanitären und nachhaltigen Projekten. Noch ist die Plattform „Whole Earth Project“ ein hypothetisches Konzept. Der Designer hat aber mit anderen Personen einen Verein gegründet, um gemeinsam an der Idee eines offenen, dezentralen und weltweiten vernetzten Designprozesses weiterzuarbeiten. 

Screenshot der Plattform, © Louis Bindernagel

In vielen Unternehmen und Privathaushalten ist es längst gang und gäbe, gebrauchte Versandkartons und Polsterumschläge aufzubewahren – für die nächste Sendung. Das spart Geld und Verpackungsmaterial. Milena Huber hat für ihre Masterarbeit diese Praxis in ein Produktkonzept überführt. reLoopbox“ heißt die alternative Mehrweg-Versandverpackung, die sie als Abschlussprojekt an der Bauhaus-Universität Weimar entwickelt hat. Die „reLoopbox“ besteht aus drei Teilen: einer Hülle und einer Schiebeschachtel aus stabiler Wellpappe und einer Banderole aus Papier. Der zweiteilige Pappschuber kann zusammengefaltet und entsprechend platzsparend aufbewahrt werden, bis zum nächsten Einsatz. Die Banderole wiederum erfüllt gleich mehrere Funktionen: Sie bietet Platz für Adressfeld, Frankierung, Logos und andere individualisierte grafische Elementen. Sie garantiert die Versiegelung der Box während des Versands und schützt sensible Daten. Als standardisiertes Produkt könnte „reLoopbox“ auch in größerem Maßstab von Unternehmen und Händlern eingesetzt werden. Und je mehr der Boxen im Umlauf wären, desto selbstverständlich würden sie aufbewahrt und immer wieder verwendet. 

reLoopbox, © Milena Huber
Kreislaufwirtschaft German Design Graduates
Ablauf reLoopbox, © Milena Huber

German Design Graduates
Die genannten Designerinnen und Designer sind Teil der diesjährigen German Design Graduates. GDG ist eine Initiative mit dem Zweck der Nachwuchsförderung von Produktdesignabsolventinnen und -absolventen sowie der Präsentation von staatlich anerkannten Universitäten, Kunsthochschulen und Fachhochschulen. 2019 von Prof. Ineke Hans, Prof. Hermann Weizenegger, Prof. Mark Braun und Katrin Krupka initiiert, hat seit 2022 der Rat für Formgebung die Projektträgerschaft. Die Leistungen und Lösungen von Absolvent*innen in ihrer Qualität und Vielfältigkeit auszuzeichnen, zu präsentieren und zu fördern ist der wichtigste Baustein der GDG Initiative.
Am 2. Oktober 2022 wurden die Awards in den Bereichen Circular Design, Social Design, Design Research und Design Culture verliehen, worunter das „Whole Earth Project“ von Louis Bindernagel mit dem Circular Design Award ausgezeichnet wurde. Die German Design Graduates Show 2022 im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit dem Schwerpunkt „Perspectives for Graduates in Product Design“ widmet sich unter dem Einfluss der gravierenden Veränderungen und Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Umwelt den zentralen Themen unserer Zeit und zeigt die interessantesten Ideen und Lösungsansätze von 40 jungen Designerinnen und Designern aus über 20 deutschen Hochschulen des Produktdesigns. Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Oktober in Dresden zu sehen.


Mehr auf ndion

Weitere Artikel zum Thema Design.

Mehr zu den German Design Graduates



Diese Seite auf Social Media teilen:

Print Friendly, PDF & Email