Material und Systeme radikal kreislauffähig zu gestalten, benötigt digitale Anwendungen, fordert der Innovationsexperte Karel Golta im Gespräch mit Spiriant-Chefdesigner Daniel Knies beim zweiten Design Talk des Jahres zum Thema Circular Design.
Von Martina Metzner.
In den letzten 200 Jahren hat die Menschheit enorm viel geschaffen: Der Wohlstand und die Lebenserwartung sind gestiegen, technische und digitale Innovationen erleichtern das Leben, Demokratie und Menschenrechte haben sich verbreitet. Doch auf der Negativseite steht der Klimawandel, Rohstoffknappheit, die Auslöschung von Arten, der Plastikmüll in unseren Weltmeeren. Was tun? Um Gesellschaft und Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren, spielt Kreislaufwirtschaft und das damit verbundene Circular Design eine entscheidende Rolle. Das Konzept ist seit den 1970er-Jahren, als der Club of Rome die „Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte, bekannt. Und seit 2015 ist es nicht nur eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der United Nations, sondern zunehmend Teil des Lebensstils von Menschen im Westen – wenn man etwa die Zero Waste-Bewegung und die Unverpackt-Läden anschaut.
Wie wichtig Digitalisierung bei der Implementierung von Kreislaufsystemen ist, war Thema des zweiten Design Talks des Rat für Formgebung. Unter dem Titel „Circular Design: Zeit für Innovations-Rebellen“ diskutierten am 27. November 2019 der Innovationsexperte Karel Golta von Indeed und Daniel Knies, Chefdesigner des Inflight Equipment-Spezialisten Spiriant zusammen mit Moderatorin Martina Metzner. Rund 30 Gäste kamen zu der Abendveranstaltung, die passenderweise bei Spiriant in Neu-Isenburg stattfand.
Das Konzept Innovationsrebell
Der aus der Schweiz stammende Karel Golta ist Inhaber dreier Firmen: Ob bei Indeed, TOI – Tools of Innovators oder Simplexion: Der studierte Designer hilft Kunden, Innovationen zu entwickeln und zu realisieren. In jüngster Zeit beschäftigen ihn allerdings grundlegendere Fragen über unsere Existenz hier auf der Erde, er proklamiert daher radikal: „Wir müssen gegen das Establishment rebellieren.“ Sein Konzept heißt Innovationsrebell. Und das bedeutet: „Ich breche Regeln. Ich löse Probleme grundsätzlich mit anderen Methoden als mit denen, die sie verursacht haben.“
Wir müssen alles an dem System ändern, sonst haben wir keine Chance.
Karel Golta
In puncto Nachhaltigkeit fordert Golta ein Umdenken, eine Wirtschaftsform, die Wachstum ganzheitlich und vor allem sozial-ökologisch begreift. „Wir müssen alles an dem System ändern, sonst haben wir keine Chance.“ Alles müsse gleichzeitig diskutiert werden: Konsum, Mobilität, Kommunikation und vieles mehr. „Es reicht nicht, wenn ich da und dort eine Ausnahme mache. Wir müssen an allen Stellschrauben drehen.“ Veränderung sei notwendig. Auch wenn er sich damit anhört wie die Protestler von Fridays for Future, zieht Golta klare Grenzen: „Greta redet, Innovationsrebellen handeln.“
Nachhaltigkeit auf der Agenda
Für Spiriant, einer der führenden Anbieter für die Entwicklung von Bord-, Equipment- und Logistikprodukten für Airlines, wird Nachhaltigkeit immer wichtiger – denn die Luftfahrt steht insbesondere im Hinblick auf ihren CO2-Ausstoß und dem damit verbundenen Klimawandel unter Druck. Aber auch durch Ocean Plastic, das EU-Verbot von Einwegplastikgeschirr und -besteck ab 2021 und nicht zuletzt die Nachfrage der Passagiere und der Airlines selbst, habe man das Thema Nachhaltigkeit vor zwei Jahren konsequent auf die Unternehmens-Agenda gesetzt. Chefdesigner Knies sagt: „Wir müssen nachhaltige Produkte mit Transparenz schaffen.“ Weshalb man sich erst jetzt darauf besinnt, wird mit Realismus beantwortet. „Es ging jahrelang nur um Konsum. Was dahinter passiert, wurde nicht thematisiert“, so Knies. „Wir müssen es erst sehen, damit wir es glauben. Den Plastikmüll in den Ozeanen etwa.“
Ein Beispiel veranschaulicht die Situation: Jeder Passagier eines Langstreckenfluges produziert 1,4 Kilogramm Müll im Schnitt. Dies seien nicht nur die Produkte, die der Gast vorgesetzt bekäme, sondern auch die Verpackungen dahinter. Die Anforderungen an Convenience und Hygiene seien gestiegen, jetzt müsse man umdenken, andere Standards setzen, so Knies. „Gerade junge Designer hinterfragen das. Und mittlerweile belächeln wir das nicht mehr.“ Der Designer spielt den Ball zurück: Auch der Konsument müsse sich ändern. Golta geht noch weiter: Digitalisierung kann da helfen, wenn man etwa das belegte Brötchen vorbestellen kann oder gar beim Betreten des Flugzeuges mitnehmen könne. Mut sei gefragt, den Konsumenten stärker in die Eigenverantwortung zu nehmen, sind sich Knies und Golta einig.
Wir müssen nachhaltige Produkte mit Transparenz schaffen.
Daniel Knies
Systeme zur Wiederaufbereitung
So kann Knies und sein Team keine neuen Produkte, darunter Pappbecher, Geschirr, Decken, Kissen, Pyjamas und Kulturbeutel, mehr ohne Nachhaltigkeitskonzept entwickeln. Materialien werden nun rezykliert, Closed Loop-Systeme entwickelt. Ein Beispiel: PET-Becher werden im Catering eingesammelt, sortiert, zerkleinert und dann wieder in einen neuen Becher überführt.
Zukunftsmusik wären Systeme, die direkt am Flughafen die Produkte wiederaufbereiten, so Knies. Aber nicht nur Wiederverwertung, auch Mehrweg-Produkte, die gereinigt werden können, werden von Spiriant in den Fokus gerückt. Systeme und Materialien müssen also gleichzeitig umgestellt werden. Allerdings müssen da die Caterer mitziehen. Breite Anwendung von Internet of Things-Systemen, alle Produkte mit RFID auszustatten und deren komplette Lifecycle transparent zu machen, sei allerdings noch Zukunftsmusik.
„Das ist nicht etwas, was von heute auf morgen geht, mit einem Schnipp. Das ist ein Prozess, der uns die nächsten Jahre begleiten wird“, sagt der Spiriant-Chefdesigner. „Wir wollen das auf solide Füße stellen.“ Golta befürwortet diese Entwicklung – insbesondere in Richtung Circular, weil die Luftfahrt an sich schon ein relativ geschlossenes System sei und man dort Kontrolle über den Müll habe. „Das kann Vorbildfunktion haben.“ Golta betont dabei, dass digitale Anwendungen die Waren- und Stoffkreisläufe überhaupt erst steuer- und optimierbar machen können. „Da wird das Thema Vernetzung und KI eine Rolle spielen, im Folgenden auch Quantencomputer, weil diese Systeme sehr komplex sind.“ Seine Losung lautet daher: Durch Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit.
Weg von der ökologischen Moralkeule
Auch wenn das Inflight Equipment nun ökologischer wird, am CO2-Ausstoss der Flugzeuge wird sich wenig ändern – im Gegenteil. Knapp über 4,5 Milliarden Passagiere pro Jahr verzeichne die gesamte Luftfahrtbranche aktuell. Bis 2035 geht man von einer Verdopplung aus. Trotz Flugscham-Bewegung werde Fliegen alternativlos bleiben, vor allem, um weite Distanzen zu überbrücken, so Knies. Beißt sich da die Katze nicht in den eigenen Schwanz?
Von der ökologischen Moralkeule und dem Verzicht hält Golta nicht viel. „Weniger von dem Bösen, dann ist man aber immer noch im Negativbereich. Wir müssen anfangen, positiv zu denken. ‚Mehr gut‘ und nicht ‚weniger schlecht‘“, so der Innovationsexperte und nennt Beispiele, die sowohl gut für den Planeten als auch für den Menschen seien. Etwa einen jungen Forschungsansatz, der aus CO2 Proteine machen will, die man dann essen kann. „Dann ist es vielleicht gar kein Problem, wenn wir 8 Milliarden Menschen pro Jahr durch die Luft schweben lassen“, sagt Golta. Und zeigt sich hoffungsvoll: „Wir müssen aus Giftstoffen Gutstoffe machen.“ Das sei richtige Kreislaufwirtschaft. Geht es dem Innovationsrebellen nach, werde man anders leben, aber im Gesamtkontext nicht schlechter als heute.
Bei den DESIGN TALKS, die der Rat für Formgebung zusammen mit dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen veranstaltet, kommen Kreative und Unternehmen in Hessen zusammen und stärken dadurch den Design-Diskurs. Der zweite Design Talk 2019 fand am 27. November bei Spiriant in Neu-Isenburg statt. Unter dem Titel „Circular Design: Zeit für Innovations-Rebellen“ diskutierte Karel Golta, Innovationsexperte und Inhaber der Beratungsfirmen Indeed, TOI – Tools of Innovators und Simplexion, mit Daniel Knies, Chefdesigner bei Spiriant für Inflight Equipment. Moderiert wurde die Runde von Designjournalistin Martina Metzner.
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