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Designklassiker altern nicht. Sie verlieren nicht an Relevanz, weil sie sich nicht dem Zeitgeist anbiedern müssen. Wilhelm Wagenfeld entwarf solche Klassiker. Geboren am 15. April 1900 in Bremen, hinterließ er ein Werk, das bis heute nachhallt: zurückhaltend in der Form, klar im Zweck, unaufgeregt modern.

von Katharina de Silva

Porträt von Wilhelm Wagenfeld | © TECNOLUMEN

Wilhelm Wagenfeld war kein Mann der großen Gesten. Ihn interessierte nicht das Außergewöhnliche, sondern das Selbstverständliche – und wie man es besser machen kann. Doch sein Weg dahin war kein Sprung, sondern eine Entwicklung. Bereits ab 1914 absolvierte er eine Lehre zum Industriezeichner bei der Bremer Silberwarenfabrik Koch & Bergfeld. Parallel dazu besuchte er ab 1916 die Staatliche Kunstgewerbeschule in Bremen. Weitere Stationen seiner frühen Ausbildung führten ihn an die Hanauer Zeichenakademie und für kurze Zeit in die Künstlerkolonie Worpswede. Ab 1923 besuchte er die Vorklasse am Bauhaus in Weimar und begann parallel ein Studium in der dortigen Metallwerkstatt – ein Umfeld, das seine Sensibilität für Form und Material schärfte.

Die originale Bauhaus-Tischleuchte WG24 von Wilhelm Wagenfeld | © TECNOLUMEN

Ikone des Alltags

Die berühmte Bauhaus-Leuchte WG24 ist das prominenteste Beispiel seines Denkens: eine Komposition aus Glas und Metall, die er 1924 als Student in der Werkstatt von László Moholy-Nagy entwarf. Heute steht sie weltweit in Wohnzimmern und Museen – und wird seit 1980 wieder exklusiv von Tecnolumen in Bremen produziert, autorisiert von Wagenfeld selbst. Jede Leuchte trägt eine Seriennummer und Wagenfelds Signatur – ein Garant für Originalität und Qualität. Genau darin liegt ihr Erfolgsgeheimnis: Sie ist Ikone und Gebrauchsgegenstand zugleich.

Wagenfelds Haltung: Design muss nicht erklären, es muss funktionieren. Der oft zitierte Satz „Es gibt nichts, was man nicht noch verbessern könnte“ bringt seine Denkweise treffend auf den Punkt. Gestaltung verstand er als Aufgabe für die Gesellschaft, nicht für elitäre Zirkel. Die Dinge, die er entwarf – Teekannen, Dosen, Bestecke – waren erschwinglich, langlebig und klar. Zu seinen bekanntesten Entwürfen für den Alltag gehört die schlichte Butterdose aus Glas und Edelstahl, die er in den 1950er-Jahren für WMF entwickelte – ein Paradebeispiel für seine Idee von funktionaler Schönheit im kleinsten Maßstab.

Zwischen Bauhaus und Industrie

Was Wagenfeld vom bloßen Formgeber unterschied, war sein Glaube an die Kraft der Serienproduktion. Früh erkannte er das Potenzial industrieller Fertigung als Motor für demokratisches Design: „Denn die Wandlung der industriellen Produktion, die wir erstreben müssen, ist kein ästhetisches Problem. […] Sondern erst die Lösung der Aufgabe in ihrer sozialen und ökonomischen Wirksamkeit.“

Nach dem Umzug des Bauhauses nach Dessau im Jahr 1925 entschied sich Wagenfeld bewusst, in Weimar zu bleiben. Dort trat er als Geselle in die neu gegründete Staatliche Bauhochschule ein, wurde Assistent und übernahm 1928 die Leitung der Metallwerkstatt. Es war ein Zeichen für seine Eigenständigkeit und seine Überzeugung, dass Gestaltung nicht an Institutionen, sondern an Haltung gebunden ist.
Bereits 1926 wurde Wagenfeld Mitglied im Deutschen Werkbund – einer Vereinigung, die sich für hochwertige Gestaltung im Spannungsfeld von Handwerk, Industrie und Kunst einsetzte. Auch hier fand er ein Umfeld, das seine Vorstellung von gesellschaftlich verantwortungsbewusster Gestaltung teilte.

Butterdose von Wilhelm Wagenfeld für die Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) | © WMF
Porträt von Wilhelm Wagengeld | via Wilhelm Wagenfeld Stiftung

Arbeiten im Spannungsfeld der Zeit

Zwischen 1931 und 1935 hatte Wagenfeld eine Professur an der Staatlichen Kunstschule in Berlin inne – eine prägende Phase, bevor er 1935 die künstlerische Leitung der Vereinigten Lausitzer Glaswerke (VLG) übernahm. Dort entstanden viele seiner bekanntesten Haushaltsprodukte, etwa das stapelbare Kubus-Gefäßsystem. Kooperationen mit Firmen wie WMF, Jenaer Glas, Rosenthal und Braun zeigen, wie konsequent er die industrielle Gestaltung als gesellschaftliche Aufgabe verstand. Während der Zeit des Nationalsozialismus setzte Wagenfeld seine Tätigkeit als künstlerischer Leiter der VLG fort, ohne der NSDAP beizutreten – eine Mitgliedschaft lehnte er mehrfach ab. Zwar entwarf er weiterhin Produkte für den zivilen Gebrauch, doch einige seiner Arbeiten entsprachen formal den Vorstellungen der nationalsozialistischen Ästhetik. 1942 wurde Wagenfeld zum Kriegsdienst eingezogen, jedoch ein Jahr später auf Betreiben der Glasindustrie wieder entlassen. Diese Phase seines Lebens gilt als ambivalent: Einerseits bewahrte er gestalterische Kontinuität und Professionalität, andererseits bewegte er sich innerhalb der strukturellen Kompromisse eines autoritären Regimes.

Wagenfeld sprach die Sprache der Maschinen – mit der Sensibilität eines Gestalters. Sein Ansatz war systematisch, dabei aber nie steril. Selbst seine einfach gestalteten Vorratsdosen verfügen über eine stille Eleganz. Wagenfeld entwarf nicht für den Konsum, sondern für den Gebrauch. Deshalb trifft sein Werk auch in einer Gegenwart, die Nachhaltigkeit und Langlebigkeit neu denkt, einen Nerv. 1954 gründete er in Stuttgart die Werkstatt Wagenfeld – ein Ort, an dem er viele seiner Ideen zwischen Handwerk und industrieller Fertigung weiterentwickelte. Bis 1978 entstanden dort Entwürfe, die bis heute Gültigkeit haben: klar, zugänglich, zeitlos.

Design, das bleibt

Wagenfeld starb 1990 in Stuttgart, doch sein Werk wirkt nach. Die von ihm mitbegründete Wilhelm Wagenfeld Stiftung in Bremen verwaltet seinen Nachlass und zeigt, wie relevant seine Impulse bis heute geblieben sind. Keine Heldenverehrung, keine Inszenierung – sondern eine stille Konsequenz, die bis heute wirkt. Zum 125. Geburtstag also kein großes Denkmal, sondern ein genauer Blick auf ein Werk, das zurückhaltend auftritt – und deshalb überzeugt. Denn gutes Design, das wusste Wagenfeld, will nicht glänzen. Es will Teil des Alltags sein.

Die 1952 entworfenen „Max und Moritz“-Streuer gehören zu den beliebtesten Alltagsgegenständen von Wagenfeld. WMF produziert sie noch heute | © WMF
Blick in die Ausstellung „Wilhelm Wagenfeld A bis Z“ | Foto: Jens Weyers

Wilhelm Wagenfeld A bis Z

Wilhelm Wagenfeld Haus, Bremen

14. Nov. 2024  –  31. Aug. 2025

Foto: Maria Poursanidou

Über die Autorin

Katharina de Silva studierte Germanistik und Publizistik in Mainz und absolvierte ein journalistisches Volontariat, bevor sie als Redakteurin und Content-Expertin in Verlagen und Agenturen tätig war. Seit 2022 schreibt sie frei für Online- und Printmagazine über Design, Kunst, Kultur und Mutterschaft, darunter form, Stylepark Magazine, SCHIRN Mag und The Weekender. 2024 übernahm sie die Chefredaktion des Designmagazins „ndion“ des German Design Council – Rat für Formgebung.

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