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Regeneratives Design stellt nicht nur wieder her, was der Mensch zerstört hat. Es kann auch einen positiven Beitrag zur Umwelt und Gesellschaft leisten. Dazu müssen wir ein artenübergreifendes Miteinander etablieren.

von Martina Metzner

Fernando Laposse arbeitet mit Mais, Agaven und Luffa aus Mexiko | Foto: Fernando Laposse

Auf den Messen Heimtextil und Techtextil in Frankfurt am Main wurde viel über regeneratives Design diskutiert. Die Textilbranche, die im Takt der Mode schwingt, ist schon immer ein früher Seismograph für neue Entwicklungen. So bekennt die Modemacherin Stella McCartney: „Wir glauben, dass regenerative Landwirtschaft heute unerlässlich ist, um unseren Planeten für die Generationen von morgen zu schützen – angefangen bei einer unserer am häufigsten verwendeten Fasern, der Baumwolle“. Regeneratives Design kann in vielen Bereichen wie Landwirtschaft, Mode, Architektur, Design, Wirtschaft und Kultur angewendet werden und verfolgt dabei einen naturpositiven Ansatz: Wie können wir der Natur nicht nur etwas nehmen, sondern ihr auch etwas zurückgeben? Noch steht die Entwicklung am Anfang. Regeneratives Design könnte aber bald Buzzwords wie Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit Konkurrenz machen. An der Central Saint Martins University in London kann man seit 2022 einen Master of Arts in Regenerative Design ablegen. In Schweden macht sich das global tätige Architekturbüro White Arkitekter für Regenerative Architecture stark. Und im Berliner Kunstgewerbemuseum läuft aktuell die Ausstellung „Imagine: Coral Reef. Regeneratives Design“ (noch bis Ende Juni). Natürlich fragt man sich, ob es nur ein neues Label ist – wie es unlängst der Guardian diskutierte. Oder taugt es wirklich etwas?

„Imagine: Coral Reef“, Ausstellungsansicht © Institute of Design Research Vienna

Über Nachhaltigkeit hinaus

Regeneratives Design ist aber kein neues Konzept. Der Ansatz hat seine Wurzeln in den Anfängen der ökologischen Bewegung in den 1960er und 1970er Jahren. Als einer der Pioniere gilt der amerikanische Landschaftsarchitekt John T. Lyle: In seinem Buch „Regenerative Design for Sustainable Development“ (1994) beschreibt er, wie menschliches Tun und Handeln in natürliche Prozesse integriert werden kann, um lebendige, sich selbst erhaltende Systeme zu schaffen. Damit geht regeneratives Design deutlich über den Begriff der Nachhaltigkeit hinaus. Während Nachhaltigkeit darauf abzielt, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren und nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als sich wieder regenerieren können, konzentriert sich regeneratives Design auf die Wiederherstellung und Verbesserung natürlicher Systeme. Also Schäden zu reparieren UND einen positiven Beitrag für Umwelt und Gesellschaft zu leisten. Dies wird auch in der Wirtschaft als „netto-positiv“ beschrieben.

Fotos: Fernando Laposse
Fernando Laposse fördert die Biodiversität von traditionellem Maissaatgut in Mexiko und bereichert so die dort lebenden Gemeinschaften | Foto: Moritz Bernoully, © Frankfurter Kunstverein

Von der Natur abgeschaut

In einer regenerativen Kultur orientiert sich der Mensch an den Prinzipien der Natur, schafft Systeme, die sich selbst erneuern und erhalten. Vor allem in der Landwirtschaft werden regenerative Praktiken schon lange kultiviert. Ansätze wie die die biodynamische Landwirtschaft oder die Permakultur sind regenerativ ausgerichtet – heißt, sie arbeiten im Einklang mit der Natur, imitieren deren Prozesse und sorgen so dafür, dass Böden wieder fruchtbar werden, die Biodiversität steigt, das Wasser- und Energiemanagement verbessert wird. 

Ein Paradebeispiel für regeneratives Design ist Ferdando Laposse. 2015 kehrte der in London lebende Designer in seine mexikanische Heimat Tonahuixtla zurück, wo die Einführung von industriell gezüchteten und genetisch veränderten Maissamen seit den 1990er Jahren zu zahlreichen Problemen wie Bodenerosion, Biodiversitätsverlust, Arbeitslosigkeit und Abwanderung geführt hat. Mit „Totomoxtle“ startete er ein Projekt, bei dem einheimische Maissorten von lokalen Bauernfamilien und mithilfe einer internationalen Saatgutbank wieder angebaut werden. Innerhalb von vier Jahren konnten über 50 Menschen beschäftigt und sechs vom Aussterben bedrohte Maissorten wieder eingeführt werden. Aus den bunten Blättern des Criollo-Mais, die bei der Ernte als Abfall anfallen, fertigte Laposse Furniere und Intarsien für Möbel. Im Frankfurter Kunstverein konnte man Laposses Arbeiten unlängst in der Ausstellung „Bending the Curve“ bewundern. 

Wechselseitige Beziehungen

Für regeneratives Design gibt es keine allgemeingültige Nomenklatur, sondern eine Vielzahl von Theorien, Praktiken und Schulen. Im deutschsprachigen Raum sind William McDonough und Michael Braungart am bekanntesten, die mit ihrem Konzept „Cradle to Cradle“ (2002) die Kreislaufwirtschaft populär gemacht haben – ein wesentliches Element des regenerativen Designs. In den USA bestimmen Pamela Mang und Bill Reed den Diskurs, die seit 1995 mit dem Beratungsunternehmen Regenesis das Prinzip der regenerativen Entwicklung auf Kommunen übertragen. Etwas jünger ist die Arbeit von Daniel Christian Wahl: In seinem Buch „Regenerative Kulturen gestalten“ (2016) thematisiert er die entscheidende Rolle von Design, um lebensförderliche Bedingungen zu schaffen. Taucht man noch tiefer in die Thematik ein, landet man unweigerlich bei den Theoretiker*innen Fritjof Carpa, Donna Haraway und Bruno Latour. Sie proklamieren, dass der Mensch in einer ständigen wechselseitigen Beziehung zu den nicht-menschlichen Lebewesen stehe, dass es keine Trennung zwischen Natur und Kultur geben könne. Dabei beziehen sich die Autor*innen immer wieder auf die Gaia-Hypothese, die die Erde und Biosphäre als lebendigen Organismus begreift – sie wurde in den 1970er Jahren in der Hippie-Bewegung berühmt und erfährt aktuell wieder eine Renaissance. All diese Modelle wenden sich gegen ein Denken, das das Anthropozän mit seinen multiplen Krisen hervorgebracht hat. Auch der Buddhismus kennt dieses Prinzip der wechselseitigen Bedingtheit, „Interbeing“ genannt, was unter anderem in dem Mantra „dies ist, weil jenes ist“ zum Ausdruck kommt. Neue Ansätze wie das Multispecies Design, das dem Human Centered Design Konkurrenz machen könnte, nehmen diese Denkweise auf und schließen nicht nur den Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen und Mineralien in die Überlegungen mit ein.

Noch gibt es wenige Unternehmen, die ganzheitlich und regenerativ arbeiten – so wie die Fair Furniture Group in den Niederlanden. „Fair“ bedeutet für das Familienunternehmen mit sieben Möbel-Marken und fünf Produktionsstandorten „fair zu Mensch, Gesellschaft und Erde“. Keine Worthülsen, denn die Gruppe setzt tatsächlich konsequent auf Kreislaufwirtschaft und soziale Nachhaltigkeit: Alle Produkte werden in den eigenen Werken hergestellt; jegliche Materialreste werden recycelt; das Sourcing erfolgt in den Niederlanden, Großbritannien sowie in anderen Ländern Westeuropas – und explizit nicht in Niedriglohnländern; Mitarbeitende werden weitergebildet und am Gewinn beteiligt; schwer vermittelbare Jugendliche erhalten Ausbildungsplätze; ein 30.000 Quadratmeter großer Garten vor der Fabrik in Emmen dient als Versuchsanbaufläche. Und, und, und.

Eines der Vorzeigeprojekte ist die Stuhl-Kollektion „Hemp“, die Vepa – eine der Marken der Gruppe – 2020 lanciert hat. Die Schalen der Stühle und Hocker bestehen aus rein pflanzlichem, kompostierbarem Hanf und Bioharz. Der Stahl für die Gestelle stammt aus dem hauseigenen Recycling. Lieferketten macht die Fair Furniture Group 100 Prozent transparent. Gerade letzteres oft noch ein blinder Fleck bei vielen Unternehmen, die sich nachhaltig nennen.

Koexistenz von Mensch und Natur – wie hier der 2002 eröffnete MFO-Park von raderschallpartner und Burckhardt + Partner Architekten in Zürich | Foto: © Jakob Rope Systems
Die Fair Furniture Group arbeitet regenerativ – wie hier für die Kollektion „Hemp Fine“ aus Hanffasern der Marke Vepa | Foto: ©Vepa
Mit „Kiki“ hat die in Berlin lebende Designerin Rasa Weber ein künstliches Riff im Mittelmeer geschaffen.«Kiki Prototype». Design: Rasa Weber. PhD Project: «SymbiOcean». Research Projekt: SNF «Interfacing the Ocean» – ZHdK. Location: STARESO – Calvi (FR). Diver: Noémie Chabrier. Photo: Stéphane Jamme @stepp_aquanaute 2023. All rights reserved: Rasa Weber.

Wie also gestaltet man regenerativ?

Wir sind bereits auf dem besten Weg zu einer regenerativen Kultur, wenn man sich Themen wie Kreislaufwirtschaft, Biomimikry, Resilienz, Anpassungsfähigkeit, Fair Trade und Nachhaltigkeit anschaut. Aber das reicht nicht. Denn oft sind wir nur „ein bisschen gut“, also in Teilbereichen. Wir müssen alles zusammenbringen, ganzheitlich denken und handeln, um einen positiven Beitrag zu leisten. Eine erste Orientierung bieten die neun Prinzipien für regeneratives Design der Zukunftsforscherinnen von FranklinTill oder die Leitlinien des Institut for Design Research Vienna in Kooperation mit EOOS. Etwas komplexer ist das REGEN Tool für regeneratives Design vom US-amerikanischen Architekturbüro BNIM. Um nur wenige, gemeinsame Aspekte kurz zu nennen: Systemisch und ganzheitlich denken und handeln. Lokale, traditionelle Kulturtechniken und Gemeinschaften fördern. Meere, Atmosphäre, Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität bewahren. Sich an den Prozessen der Natur orientieren. Kreativ und anpassungsfähig bleiben. Kreislaufwirtschaft statt Ressourcenausbeutung. Vor allem sollten wir – Gesellschaft und Gestaltende –, uns darum bemühen, Mensch und Natur immer zusammen zu betrachten, in einem System der Koexistenz und Co-Evolution – und nicht der Hierarchie. Letztendlich brauchen wir nicht weniger als einen Paradigmenwechsel, eine Abkehr von jahrhundertealten Weltbildern und Wertvorstellungen. Denn wie schon Einstein sagte: Wir können die Probleme nicht mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

Die Farm Hardwick Planting Company in Lousiana/USA produziert regenerative Baumwolle. Bild © Taylor Cooley Photography

Weiterführende Literatur und Quellen:


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