Über den britischen Architekten Norman Foster liegen bereits zahlreiche Bücher vor. Doch nun gibt der große Gestalter mit einer zweibändigen Publikation erstmals persönliche Einblicke in seinen Schaffensprozess und legt offen, was ihn zu seinen Bauten inspirierte. Ohne Zweifel: Das ist auch für Designerinnen und Designer lesenswert.
Rezension von Gerrit Terstiege
Eben erst endete die große Foster-Retrospektive im Centre Pompidou – ein passendes Haus, schließlich gehörte einer der Architekten des Pariser Museums, Richard Rogers, zu den frühen Wegbegleitern Fosters. Beide hatten in Yale studiert und 1963 gemeinsam mit ihren Partnerinnen, den Schwestern Wendy und Georgie Cheesman, das Architekturstudio „Team 4” gegründet. Das bauliche Prinzip des Centre Pompidou ist es, das Innere nach außen zu kehren: Rohre, Leitungen, Rolltreppen finden wir als Elemente der Fassade. Der Metabolismus des Gebäudes wird ohne Rücksicht auf Traditionen inszeniert, der postmoderne Museumsbau stellt sich zunächst einmal selber aus. Und in gewisser Weise kehrt Baron Foster mit seinen beiden großformatigen Büchern ebenfalls sein Inneres nach außen, denn die Leserinnen und Leser erwartet eine durchaus persönliche Rückschau, reich an Erinnerungen, Einordnungen und Erkenntnissen. Doch warum sind dafür gleich zwei Bände nötig, die zusammen über 11 Kilo auf die Waage bringen? Nun, ein großes Œuvre verlangt natürlich nach einer ebensolchen Dokumentation – und aus dem Taschen Verlag kennen wir bereits zahlreiche Werke, die alle Dimensionen sprengen. Ein riesiges Buch über Muhammad Ali („GOAT”) etwa konnte nur im Vatikan gebunden werden, wo man Erfahrung mit Großem und Großformatigem hat. Allerdings unterscheiden sich die beiden Foster-Bände sehr grundsätzlich voneinander – und das macht sie so besonders.
Der erste, in helles Grau gewandete Bildband, fast 700 Seiten stark, ist bereits eine beeindruckende Gesamtschau über Fosters Architekturprojekte in aller Welt, von seinen Anfängen bis in die Gegenwart, ja sogar in die nahe Zukunft reichend – denn die letzten Seiten bilden etliche laufende Projekte ab. Allein die Liste seiner Greatest Hits ist beeindruckend: Apple Park, Reichstags-Umbau, Wembley Stadion, Commerzbank-Hauptsitz in Frankfurt, etliche Flughäfen, Museen, Brücken – erst im letzten Jahr hätte mich im Frankreich-Urlaub Fosters Millau-Viadukt beinahe das Leben gekostet, denn natürlich musste ich am Steuer das Handy zücken und während der Fahrt nach der Video-Funktion suchen. Dann gibt es noch manches zu entdecken, das weniger bekannt ist: Entwürfe für Villen, Yachten, Flugzeuge. Aber auch Tische, Stühle, Sofas, Leuchten und Türdrücker. Foster + Partners hat im Laufe der Jahrzehnte auch zahlreiche Designentwürfe hervorgebracht, mit denen man eine eigene Publikation füllen könnte. In Band 1 spielen sie eine wichtige Nebenrolle. Die Welt der kleinen Dinge ist bei Foster von einer klaren – aber nicht immer wiedererkennbaren – Formensprache gekennzeichnet. Das Label, das seinen Gebäuden bis heute anhaftet, zu Recht und zu Unrecht, ist das der High-Tech-Architektur: das Gebäude als Gerät (oder umgekehrt). Hier macht einer Transportation Design für Immobilien und bricht damit alle Rekorde. Er selbst drückt es im Buch mit britischem Understatement aus: „Ich finde es spannend, Verbindungen zwischen unterschiedlichen Bereichen schaffen zu können, die als Fachgebiete gelten, für mich aber Teil eines gestalterischen Kontinuums sind.“
Die zentralen Prinzipien der frühen industriellen Moderne – das der Fließbandfertigung und der systematische Einsatz modularer Teile, die sich vor Ort zu größeren und damit manchmal ungewöhnlich filigranen Strukturen verbinden lassen – hat Foster wie kein zweiter zur Lösung baulicher Aufgabenstellungen umgedeutet und für sich nutzbar gemacht. Gelernt hat er, wie man weiß, von einem seiner Helden Richard Buckminster Fuller, der für seine „Domes” bis heute berühmt ist – also leichtgewichtigen Kuppelbauten, ersonnen ohne den banalen Ansprüchen an Alltagstauglichkeit genügen zu wollen. Dass aber selbst Fosters gläserne und begehbare Kuppel für den Reichstag in Berlin von den Bucky-Fuller-„Domes” inspiriert ist, gibt er hier offen zu. Obwohl dieser Zusammenhang eigentlich so naheliegend ist, musste ich erst einmal darauf gestoßen werden. Ebenfalls frappierend ist die Vielzahl der Vorstudien und Varianten, die Foster und sein Team anfertigten, um zur heutigen Form zu gelangen. Diese lässt die Bürger symbolhaft und mit voller Absicht hoch über den Politikern im Parlament flanieren. Wer Fosters zweiter großer Held ist, sieht der typografisch geschulte Blick sofort: beide Bände sind in der „Rotis” gehalten. Benannt ist die Schrift nach einem kleinen Weiler tief im Allgäu, wo sie in den späten 1980er Jahren von dessen Hausherrn Otl Aicher entworfen wurde. Dorthin pilgerte Foster mehrfach und konnte den bewunderten Grafiker und Corporate Designer für einige gemeinsame Projekte gewinnen, darunter etwa die U-Bahn von Bilbao.
Entstanden ist die umfassende Werkschau in Zusammenarbeit mit dem Architektur-Experten und Harvard-Absolventen Philip Jodidio, der Norman Foster Foundation in Madrid und Foster + Partners. Reich bebildert mit über 2000 Fotos und Skizzen aus Fosters Archiven, zeigt der erste Band also die wichtigsten Bauten und deren Vorstudien, während Foster im zweiten Band in acht bebilderten Essays die Quellen seiner Inspiration erläutert. Da können dann durchaus auch charmante Tim-und-Struppi-Adaptionen vorkommen; man lernt, dass ein Foster-Bau in dem Kubrick-Klassiker „A Clockwork Orange” zu sehen ist, reist beim Blättern mit dem umtriebigen Briten um die Welt und folgt ihm, je länger man liest, gerne bis auf den Mars. Denn auch für Gebäude auf fernen Planeten hat er bauliche Konzepte entwickelt, die sich weitgehend mit vor Ort vorhandenen Materialien umsetzen ließen. Hier kehrt der fast 90-Jährige zurück in seine Jugendzeit, als ihn Illustrationen in Science-Fiction-Büchern begeisterten. Ohne jene visionäre Seite der Persönlichkeit Fosters wären wohl viele Bauten weitaus braver ausgefallen. Das Spekulative und das Spektakuläre bedingen sich bei Foster mitunter. Oder – um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: „Ein Architekt gestaltet für die Gegenwart, lernt aus der Vergangenheit und formt eine weitgehend unbekannte Zukunft.“
NORMAN FOSTER (2 VOLS.) WORKS + NETWORKS
Norman Foster, Philip Jodidio
2 Bände im Schuber
1064 Seiten
Taschen Verlag, Köln
Deutsche Übersetzung als Download erhältlich
ISBN 978-3-8365-9626-8
350 Euro
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