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Wo alles perfekt ineinander passt: Burkhardt Leitner hat mit Modulsystemen Designgeschichte geschrieben. Am 19. Februar wurde er achtzig Jahre alt.

Von Adrienne Braun

Burkhardt Leitner
Burkhardt Leitner, Foto: Max Leitner

Andere wären beleidigt, wenn man ihnen vorwerfen würde, faul zu sein. Burkhardt Leitner nicht. Denn wer weiß, vielleicht hätte der Designer weniger Erfolg gehabt, wäre er nicht so bequem gewesen. So aber hatte Leitner keine Lust, sich mit Reklamationen herumzuschlagen. Deshalb verfeinerte er seine Produkte so lange, bis er sicher sein konnte, dass die Kundschaft keine Scherereien damit hat – und er keine Scherereien mit der Kundschaft. Letztlich hat sich seine Faulheit mehr als bezahlt gemacht.
Nun wird Burkhardt Leitner achtzig Jahre alt und blickt auf ein langes Leben als Designer zurück. Zur Faulheit kam auch etwas Glück dazu. Denn als er sich Anfang der 1960er Jahre selbstständig machte, war es genau der richtige Zeitpunkt dafür. Im florierenden Wirtschaftswunderland stieg der Bedarf an Produkten für den Messebau – und er konnte sie liefern: Stellwände, Regale, Fächer, Tische, also das, was man für einen erfolgreichen Messeauftritt benötigte. Leitner wurde einer der führenden Experten für Architektursysteme für Messen und Ausstellungen.

„Machen Sie erst alles gerade, schräg wird’s von allein.“

1963, er war gerade erst volljährig geworden, meldete Burkhardt Leitner in Stuttgart seine erste Firma an. Drei Jahre später beteiligte er sich bereits an der Entwicklung des ersten Knoten-Platten-Systems, dem er selbstbewusst seinen Namen gab: „Leitner 1“.

Sein Name ist unmittelbar mit Stuttgart verbunden. Geboren wurde Leitner aber 1943 in Polen. Die Familie floh nach Westberlin, wo sie erst einmal in Auffanglagern untergebracht war. In Esslingen fand man endlich ein neues Zuhause. Der Sohn machte in Stuttgart beim Herrenausstatter Knagge & Peitz eine Lehre zum Schaufensterdekorateur. Der Chef gab seinem Lehrbub einen wichtigen Satz mit auf den Weg: „Machen Sie erst alles gerade, schräg wird’s von allein.“

„Was bleibt, ist der Eindruck, den er bei seinem Besucher hinterlässt: das Raumerlebnis.“

Burkhardt Leitner
Euroshop 2011, Messeauftritt burkhardt leitner, Konzep: Ippolito Fleitz, Foto: Zooey Braun

Der Meister sollte nicht Recht behalten. Denn es waren Präzision und Funktionalität, die Leitner-Design von Beginn an auszeichneten. Schließlich muss ein Messestand gut zu transportieren sein und sich schnell aufbauen lassen – ohne vorherige Lektüre umständlicher Gebrauchsanleitungen. Leitner antwortete auf die Anforderungen mit Modulsystemen. Eines seiner Messesysteme passt in einen Koffer, ein anderes besteht aus einem Paraventsystem. „Clic“ nutzt magnetische Steckverbindungen. „Kaum aufgebaut, wird der Messestand in kleinste Transporteinheiten zerlegt und geht auf Reisen“, sagt Leiter. „Was bleibt, ist der Eindruck, den er bei seinem Besucher hinterlässt: das Raumerlebnis.

„Design beginnt mit Zuhören“

Einer von Leitners Leitsätzen ist, „Design beginnt mit Zuhören“. Er hat sich gern auf sein Bauchgefühl verlassen, gerade auch wenn es um die Wünsche der Kunden ging – ob bei der Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand 1933 bis 1945“ im Jahr 1971 in der Frankfurter Paulskirche, beim Ausstellungssystem für das Bauhaus-Archiv Berlin oder 1989 bei der Schau „Design – USA“, die von Moskau bis in den Fernen Osten wanderte. 19 Stationen hatte die Ausstellung, für die Leitner USA die Gestaltung entwickelte.

Burkhardt Leitner
Foto: René Müller

Haltung und Form

Gesellschaftliches Engagement war für ihn selbstverständlich. Auch im Rat für Formgebung hat sich Leitner engagiert, als Stifter und von 1998 bis 2014 als Mitglied des Präsidiums. „Mit seinen Innovationen im Messebau war Burkhardt schon lange vor der aktuellen Renaissance modularer und temporärer Lösungen wegweisend. Doch genauso wie mit seinem Innovationsgeist verbinde ich mit Burkhardt einen wichtigen und treuen Mitstreiter für das Design. Er gehört zu den Persönlichkeiten, die mit ihrer klaren Haltung den Rat für Formgebung prägen“, erinnert sich Lutz Dietzold, Geschäftsführer Rat für Formgebung. Und genauso intensiv hat Leitner „Haltung und Form“ als wichtigen Bestandteil einer Unternehmensphilosophie mit Nachdruck immer wieder in die Sitzungen eingebracht. Heute selbstverständlich. Der Deutsche Werkbund war ihm nahe, die Gespräche in Leitners Küche waren legendär. Aktiv war Leitner im Beirat des aed Verein zur Förderung von Architektur, Engineering und Design e.V. in Stuttgart sowie im Förderkreis der Merzakademie. Und natürlich stellte er seine Entwicklungen in namhaften Designwettbewerben vor – mit größtem Erfolg.

Nicht alles lief stromlinienförmig

2015 zog sich Burkhardt Leitner aus dem Berufsleben zurück, in dem selbstverständlich nicht alles stromlinienförmig verlief, was aber keineswegs nur von Nachteil war. Als Leitner für Kodak ein Regalsystem aus Holz herstellen sollte, ließ er es in einer Behindertenwerkstatt fertigen. Doch das Holz trocknete nicht schnell genug durch. Als der Liefertermin drängte, entwickelte Leitner kurzerhand eine Drahtkonstruktion: „Leitner 6“ war geboren.

Die Galerie, die er 1998 in Stuttgart gründete, war aus wirtschaftlicher Sicht kein Erfolg. Aber er war eben nie nur Geschäftsmann, sondern in erster Linie ein kreativer Kopf, weshalb er sich nebenher auch dem klassischen Produktdesign widmete und zum Beispiel passend zum Zeitgeist der Siebziger einen voluminösen Aschenbecher für Ernte 23 entwarf – aus knallorangem Kunststoff. Irgendwann kam Leitner auch auf die Idee, die Abfälle aus der Produktion weiterzuverarbeiten. Das Ergebnis war der „Alu-Laden“, ein kleines Geschäft in Stuttgart, in dem es Buchstützen, Kerzenständer und Vasen gab, Salzstreuer und Tabletts.

non art – nicht Kunst

non art, Foto: Peer Oliver Brecht

Seine heimliche Leidenschaft galt auch seinen persönlichen Jahresgaben: kleinen, spielerischen Objekten, die auf witzigen gestalterischen Ideen basieren, etwa Kugeln, die auf feinen Drähten tanzen. Der Zeitgeist fand sich in Material und Formgebung wieder. Alljährlich bat Burkhardt Leitner den Freund und Autor Ulrich Fleischmann um einen Text zu diesem non art – mit jeglicher erzählerischen Freiheit. Dies galt auch für die Fotografen, die das aktuelle non art fotografisch interpretierten. Auch wenn Burkhardt Leitner diese kleinen Objekte „non art“ nennt, hatte er immer eine große Nähe zur Kunst – weshalb die Firmenpoststempel auch regelmäßig von Künstlern gestaltet wurden.

Sein langjähriger Freund und Vertriebspartner Akin Nalca hat die Marke Burkhardt Leitner 2015 übernommen. Dem Leitgedanken von Leitner ist auch das neue Unternehmen Burkhardt Leitner Modular Spaces GmbH treu geblieben: Sustainability First – die Architektursysteme von Burkhardt Leitner erfüllen noch immer im höchsten Maße alle Nachhaltigkeitskriterien, die im Messebusiness und Ausstellungswesen der Zukunft gefordert werden.


Cover des Buchs „Burkhardt Leitner – System Designer“.

Burkhardt Leitner System Designer

Hrsg. von Prof. Ulrich Fleischmann und Burkhardt Leitner constructiv GmbH & Co. KG

Mit Beiträgen von Barbara Friedrich, Rainer Hascher, Florian Hufnagel, Andrej Kupetz, Sabine Mescher-Leitner, Nils Holger Moormann, Michael Peters, Peter Pfeiffer, Wilfried Stoll, Kurt Weidemann u.v.m.

415 Seiten

Deutsch/Englisch

avedition, Stuttgart 2013


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