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Europazentrale von Scott in der Schweiz
Die Europazentrale von Scott in der Schweiz plante das Architekturbüro Itten Brechbühl in BIM. Bild: IttenBrechbühl

Building Information Modeling (BIM) revolutioniert Architektur und Baubranche grundlegend: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit am digitalen Gebäudezwilling bringt Themen wie digitales Bauen und nachhaltige Gebäude voran – und bricht mit einer tradierten Arbeitskultur.

Von Martina Metzner.

Während viele Branchen schon elegant auf den unterschiedlichen digitalen Klaviaturen spielen, setzen sich Digitalisierungsprozesse im Bauen langsamer durch. Cloudbasiertes Arbeiten, robotische Fertigung oder Künstliche Intelligenz sind hier selten Realität, dafür sieht man auf Baustellen viele Handwerker/innen akribisch Wände mauern und Pläne ausrollen. Eine lineare durchdigitalisierte Wertschöpfungskette, wie sie in vielen Industrieunternehmen bereits der Fall ist, blieb dem Bauen aufgrund des hohen Anteils von Handwerk und Individualisierung bislang vorenthalten. Dies wird sich in den kommenden Jahren durch Building Information Modeling – auf deutsch übersetzt Bauwerksdatenmodellierung und üblicherweise kurz BIM genannt – ändern.

Werkzeug und Methode

Was steckt hinter BIM? Vereinfacht könnte man sagen, dass in einem gemeinsamen 3D-Modell alle physischen und funktionalen Daten eines Bauwerks vereint werden – vom reinen Entwurf, über Tragwerk, Haustechnik bis hin zu Material und Ausbau. Dieser digitale Gebäudezwilling soll die Planungs- und Kommunikationsprozesse sowie den Bauprozess über die verschiedenen Gewerke hinweg zusammenbringen, sodass letztendlich Gebäude schneller, günstiger und präziser gebaut werden können. BIM kann aber auch während der Nutzung zur Bewirtschaftung des Gebäudes dienen. Schließlich kann BIM auch zur Nachhaltigkeit beitragen.

Wie oft bei der Einführung neuer Techniken, wird auch BIM von hitzigen Debatten begleitet wurden. Denn es gibt viele Hürden, die gar nicht mal so stark im Formalen liegen, sondern vor allem in einer gewissen Kultur. „We shape our tools and then our tools shape us”, sagte einmal der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan. BIM wird, so der Tenor, einen Paradigmenwechsel einleiten. Als Werkzeug und Methode zugleich hat BIM in der Tat die Kraft, das komplette Bauwesen und die damit verbundenen Arbeitsweisen und Strukturen zu transformieren. Schließlich, auch wenn das noch kontrovers diskutiert wird, werden sich zwangsläufig auch die Ergebnisse, also die Gebäude ändern. Ein vollkommen digitaler Bauprozess, an dessen Ende eine digitale Fertigung steht, scheint immer näher zu rücken. Schon jetzt werden die stark nachgefragten Module für Holzbauten zum hohen Maße von digital gesteuerten CNC-Fräsen und Robotern individualisiert vorfabriziert, auf der Baustelle werden sie lediglich montiert – und das in Windeseile.

Paradigmenwechsel im Bauen

Öffentliche Infrastruktur-Projekte laufen in Deutschland seit 2020 über BIM
Öffentliche Infrastruktur-Projekte müssen seit 2020 in Deutschland in BIM geplant und ausgeführt werden. Bild: Deutsche Bahn

Auch wenn Länder wie die USA, Großbritannien, die Niederlande, die skandinavischen Länder wie Dänemark, Finnland, Norwegen oder Stadtstaaten wie Singapur schon deutlich weiter sind im Einsatz von BIM, kommt seit einigen/wenigen Jahren auch in Deutschland mehr Bewegung hinein. Nach dem „Digitalisierungsindex Mittelstand 2020/2021“, der von techconsult im Auftrag der Deutschen Telekom erhoben wurde, nutzen 15 Prozent der Bauunternehmen BIM. Schaut man auf die einzelnen Akteur/innen, so lässt sich feststellen: Große Generalunternehmen sowie größere Bauingenieurbüros arbeiten mehrheitlich schon seit einigen Jahren mit BIM. Aber auch bei den Architekt/innen wird es dynamischer: Während vor einigen Jahren vor allem große, vorwiegend international Büros auf BIM aufrüsteten, sind es nunmehr mittelgroße.

So richtig ins Rollen kam die Diskussion in Deutschland erst durch die Großprojekte Berliner Flughafen und Elbphilharmonie, wo Planungen und Kosten aus dem Ruder liefen. Seitdem fördert die Bundesregierung BIM stark: 2014 durch einen Leitfaden, 2015 durch einen Stufenplan für öffentliche Infrastruktur- und Hochbauprojekte. So sind seit 2020 Infrastruktur-Baumaßnahmen wie Straßen, Brücken oder für den Schienenverkehr in BIM zu erfassen. Im gleichen Jahr wurde ein Nationales Kompetenzzentrum für BIM eingerichtet. In Zukunft werden nicht nur die großen, öffentlichen Bauprojekte BIM zur Voraussetzung machen, sondern auch zunehmend kleinere, sei es von öffentlichen oder privaten Auftraggeber/innen. Eine allgemeingültige BIM Richtlinie und Standards für Deutschland stehen noch aus, sind aber absehbar.

Elbphilharmonie wirde mit BIM errichtet
Bislang kam die neue Technologie vor allem für Großprojekte wie die Elbphilharmonie zum Einsatz. Bild: HOCHTIEF/ViconGmbH

Gemeinsam in Open BIM

Welche Vorteile bringt die Methode mit sich? BIM ist weitaus mehr als eine Software, mit der ein digitales 3D-Gebäudemodell erstellt werden kann, in dem alle relevante Projektinformationen, von der Position der Stromleitungen, über den Typus des Bodenbelags bis hin zu den Bohrlöchern für Lichtschalter, zentral gemanagt werden können. Vielmehr ändert sich die Zusammenarbeit, die nun gemeinsam und interdisziplinär zusammenläuft. Schon viel früher können Gewerke wie die Haustechnik in den Entwurf miteinbezogen und der Status Quo an Auftraggeber übermittelt werden. Idealerweise werden dazu nach dem Open BIM-Prinzip die 3D-Gebäudemodelle wie Architektur-, Tragwerks- und TGA-Modell von einem BIM Koordinator über neutrale IFC-Schnittstellen cloudbasiert zusammengeführt, um allen Beteiligten die gleichen Informationen zur gleichen Zeit zu liefern. Änderungen können dann schneller umgesetzt werden, denn wird das Fenster etwa größer gewünscht, so ändern sich auch Position von Leitungen und Baumassen automatisch, ohne dass man umständlich CAD-Pläne erneut austauschen und anpassen muss.

Kaldewei stellt BIM-Daten seiner Produkte bereit
Viele Hersteller haben in den vergangenen Jahren BIM-Daten ihrer Produkte bereitgestellt. Dazu gehört auch Kaldewei. Bild: Kaldewei
JUNG stellt BIM-Daten seiner Produkte bereit
Auch JUNG stellt BIM-Daten für seine Produkte bereit. Bild: JUNG

BIM in Anwendung: Stuttgart 21 und The Cradle

Eines der bekanntesten Beispiele für BIM ist der Bahnhofsumbau Stuttgart 21, schon jetzt ein Meisterwerk der Ingenieurbaukunst. Die Vorteile der Planung in BIM zeigen sich insbesondere an den 28 freigeformten Kelchstützen, die das architektonisch anspruchsvolle Schalendach des von ingenhoven architects entworfenen und von Werner Sobek AG statisch geplanten Tiefbahnhofs tragen. Die 450 Pläne in 3D fließen dazu zu einem BIM-Modell zusammen, woraus etwa die unterschiedlichen Krümmungsgrade der insgesamt 11.000 Bewehrungen pro Kelch abgeleitet werden. Das BIM-Modell gelangt sogar bis auf die Baustelle, durch mobile Endgeräte bei den Bauarbeiter/innen, um die genaue Position der Eisen zu ermitteln.

Mit BIM wurden die Kelchstützen des neuen Stuttgarter Bahnhofs geplant
Mithilfe von BIM wurde die aufwendige Konstruktion der Kelchstützen des neuen Stuttgarter Bahnhofs geplant. Bild: Deutsche Bahn
11.000 Bewehrungen der Kelchstützen wurden mit BIM bestimmt
Im System wurden Position und Form der 11.000 Bewehrungen für jede Kelchstützen von S21 genau festgelegt. Bild: Werner Sobek AG

Dass mit BIM nicht nur konstruktiv anspruchsvoll, sondern auch nachhaltig gebaut werden kann, zeigt das Projekt „The Cradle“, das aktuell in Düsseldorf von Interboden zusammen mit HPP Architekten, Drees & Sommer sowie Cradle to Cradle und Madaster gebaut wird. The Cradle rückt den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes, also bis hin zu seinem möglichen Abriss, ins Zentrum und setzt dabei auf Kreislauffähigkeit. Dazu wurden in einem Materialpass in BIM alle verwendeten Materialien und Produkte mit einer Bauteilnummer hinterlegt. Dadurch kann man während der gesamten Nutzungsphase analysieren, welche Materialien zum Einsatz gekommen sind, ob und wie sie wiederverwendet oder -verwertet werden können. Schließlich lassen sich dadurch Kennzahlen wie die gespeicherte graue Energie oder der wirtschaftliche Restwert des Gebäudes beziffern.

Alle Bestandteile von The Cradle wurden in BIM hinterlegt
Alle Materialien und Produkte des neuen Gebäudes The Cradle wurden in BIM hinterlegt. Bild: Interboden/ HPP Architekten

Chancen für das Bauwesen

Die Reibungsverluste im Zuge der Umstellung auf BIM sind vielfältig. Sie ergeben sich etwa durch neue Arbeitsweisen und Leistungsbilder. Während bislang Entwurfs-, Genehmigung- und Ausführungsplanungen von Architekt/innen klar getrennt waren, überlagern sich diese Phasen in BIM. Dem gegenüber stehen Chancen: Architekt/innen, Handwerker/innen, Auftraggeber/innen und Hersteller/innen begegnen sich auf Augenhöhe, man lernt voneinander. Weiterhin besteht die Befürchtung, dass kleinere Büros und Handwerksbetriebe bis hin zu mittelständischen Zulieferern die Kapazität nicht hätten, diesen Schritt mitzugehen. Doch schaut man auf die jüngeren Generationen, so sind für sie solche digitalen Planungstools und Methoden eine Selbstverständlichkeit.

Sicher wird die Einführung Kraft kosten – gerade für etablierte, kleinere Betriebe. Die Umstellung dürfte sich aber lohnen, wenn man auf die dynamische Entwicklung im Bauen und Herausforderungen wie Ressourcen- und Klimaschutz oder der zunehmenden Urbanisierung schaut. Wenn man BIM so anwendet, dass Gebäude dadurch günstiger und schneller, gleichzeitig qualitätsvoller und fair und obendrein deutlich nachhaltiger hergestellt, bewirtschaftet und genutzt werden können, kann man sich BIM kaum verweigern. Denn nur zur Kostenkontrolle ist diese Methode deutlich unter Wert genutzt. Sicher ist aber auch, dass die vollkommene Digitalisierung des Bauwesens kein Allheilmittel ist und man von Fall zu Fall entscheiden, welche Methode am besten geeignet ist.


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