Krisen stellen das Gewohnte infrage – und heben es ohne zu zögern auf den Prüfstand: Was trägt wirklich? Und was kann weg? Mit der Corona-Pandemie hat der Begriff Brand Purpose nicht nur neue Beachtung gefunden, die Krise fordert außerdem eine neue Auseinandersetzung mit ihm.
Von Lutz Dietzold.
Auszug aus dem Deutschen Markenmonitor 2019/2020
Ja, Marken haben sich auch schon in den vergangenen Jahren mit ihrer Haltung, ihrer Kultur und ihrer Daseinsberechtigung beschäftigt – spätestens seit Simon Sineks »Start with why«. Aber jetzt bekommt die Beschäftigung mit dem »Warum« eine neue, eine radikalere Dimension.
Viele Unternehmen haben die Frage nach dem »Why« in der jüngeren Vergangenheit mit Nachhaltigkeitszielen oder -erfolgen beantwortet, wie etwa einer zu erreichenden CO2-Neutralität. Aber: Nachhaltigkeit als übergreifendes Ziel kann heute kein alleiniger Sinnstifter mehr sein, da diese für Verbraucher und Stakeholder schon längst als Attribut ernst zu nehmender Marken gesetzt ist. Marken müssen jetzt darüber hinaus definieren, welchen sinnstiftenden Beitrag sie im Leben ihrer Adressaten einnehmen möchten. Dieser Brand Purpose beschreibt nicht nur nach außen die Existenzberechtigung einer Marke, stiftet nicht nur nach innen Sinn, damit Mitarbeiter sich mit dem identifizieren können, was sie tun. Der Brand Purpose kann viel mehr: Er kann der Treiber sein für kommende Innovationen, der Kompass für eine zukünftige Markenstrategie, die Leitplanke für das Markendesign.
Designer stellen seit jeher die Sinnfrage
Dieses Potenzial, diese gestalterische Kraft des Brand Purpose, haben Designunternehmen und die designstarken Marken schon lange erkannt. Braun gestaltet seit Jahrzehnten »Dinge mit bleibender Schönheit und lang anhaltender Funktion«. Das Bestreben, erstklassige, sinnvolle und dauerhafte Produkte zu schaffen, bezeichnet die Marke selbst als »funktionalistisches Ethos«. Die Frage nach dem »Warum« hat Dieter Rams so beantwortet: »Weniger, aber besser«. Was könnte mehr Sinn machen?
Designer sind als Problemlöser ausgebildet. Sie folgen einer Methodik, an deren Beginn eine selbst oder von außen gestellte Frage steht, die im Prozess konzeptionell, fachübergreifend und ganzheitlich beantwortet wird. Unternehmen können diese Expertise bei der Frage nach dem Brand Purpose noch mehr nutzen. Echte Design-Ikonen sind nie aus dem Bestreben heraus entstanden, den Gewinn zu maximieren, sondern aus dem Wunsch, eine ganz eigene und überzeugende Antwort auf eine bestimmte Fragestellung zu geben. Eine Antwort, die nicht zwingendermaßen auf den Profit einzahlt, sondern einen Wert schafft, der für die Menschen nutzbar wird. Einen Wert, der im besten Fall die Gesellschaft verändert, bereichert und voranbringt.
Treiber für den Brand Purpose: die digitale Generation
Die Frage nach dem Brand Purpose ist also kein Trend, sie bekommt aber gerade eine neue Dringlichkeit – nicht nur weil wir in Krisen radikalere Antworten geben müssen. Mit der Digitalisierung wird auch eine neue Generation groß, bei der wir mit der bloßen Bezeichnung als Digital Natives zu kurz greifen würden. Diese Generation ist digital denkend – aber auch sehr sinnfragend und disruptiv. Sie erwartet geradezu, dass eine Marke eine Haltung zu gesellschaftlichen, sozialen und umweltrelevanten Fragestellungen einnimmt und dass die Marke bestimmte Werte für sich definiert, diese lebt und nach außen trägt. Dabei geht es den Millennials und der Generation Z nicht allein um die Botschaft oder ein Image. Sie erwarten ebenso, ganz selbstverständlich, performante Produkte, die ihnen gleichzeitig ein Erlebnis verschaffen und in ihrem Alltag eine überzeugende Rolle einnehmen. Mit eben dieser Haltung entwickeln Startups, deren Gründer oft selbst zur digitalen Generation zählen, Ideen, die diesen allumfassenden Anspruch in Bezug auf Performance und Sinnhaftigkeit konsequent und radikal erfüllen. Damit werden Start-ups zu disruptiven Treibern, welche die Frage nach dem Brand Purpose oft radikaler beantworten als die etablierten Marken.
Das müssen sie auch, denn ihre junge Zielgruppe fordert Haltung: Laut einer Verbraucherstudie von Accenture Strategy gaben 58 Prozent der in Deutschland befragten Verbraucher an, dass für ihre Kaufentscheidung auch die Unternehmensethik und -authentizität ausschlaggebend sind. Bei der Generation Z liegt dieser Wert sogar bei 72 Prozent. Brand Purpose ist also auch eine Generationenfrage.
Die Digitalisierung schafft mit ihren neuen Technologien und Medien Transparenz, ob die von Unternehmen gegebenen Versprechen eingehalten werden. Verstöße können in rasender Geschwindigkeit publik und ebenso schnell von den Kunden durch Meinungsäußerung in den sozialen Medien abgestraft werden. Und im gleichen Zuge durch eine Abkehr von der Marke: 48 Prozent der 25- bis 34-Jährigen in Deutschland sahen sich – in den vergangenen zwei Jahren vor der Befragung – von Unternehmen getäuscht. Daraufhin wechselten etwas mehr als die Hälfte davon die Marke.
Kunden entscheiden, ob der Brand Purpose trägt
Ebenso wie der Brand Purpose, das Markenversprechen, faktisch eingelöst werden muss, muss auch das Markenerlebnis eins zu eins dazu passen – Kunden sind ob der Glaubhaftigkeit von Marken sensibilisiert und erkennen heute schneller denn je, ob eine Marke in Angebot, Botschaft, Design und Verhalten ganzheitlich und damit glaubhaft agiert – im digitalen wie im analogen Raum. Die Kontrollinstanz für einen tragfähigen Brand Purpose ist am Ende der Adressat: Es wird sich das durchsetzen, was Kunden wollen und was eben jenen sinnstiftenden Beitrag im Leben des Einzelnen leistet.
Umfrage zum „Deutschen Markenmonitor“ 2021/22 gestartet
Die neue Umfrage der „Deutsche Markenmonitor“ 2021/22, herausgegeben vom Rat für Formgebung und der GMK Markenberatung, hat begonnen. An Deutschlands größter Entscheiderstudie zu Trends und Erfolgsfaktoren der Markenführung können alle Unternehmen und Agenturen teilnehmen, die an einer strategischen Analyse ihrer Markenarbeit interessiert sind. Mit der Teilnahme helfen Marken-Experten mit, wichtige Erkenntnisse über moderne und digitale Markenführung, Markenarbeit sowie Markenbewusstsein zu gewinnen. Noch bis zum 24. Dezember 2020 können Sie mitmachen.
Hier können Sie die Umfrage zum „Deutschen Markenmonitor“ 2021/22 starten.
Mehr Informationen zum Deutschen Markenmonitor finden Sie hier.
Der Autor: Lutz Dietzold
Geschäftsführer Rat für Formgebung
Lutz Dietzold (*1966) ist seit 2002 Geschäftsführer des Rat für Formgebung. Zuvor war er selbstständig in der Designkommunikation tätig und verantwortete als Geschäftsführer des hessischen Designzentrums die strategische Neuausrichtung der Designförderung.
Fundiert auf seinem Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Germanistik in Frankfurt hat Lutz Dietzold langjährige Expertise in den Bereichen Design, Marke und Innovation. Sein Augenmerk gilt zudem der Förderung von Design und Designnachwuchs. Seit 2011 ist er Beiratsmitglied der Mia-Seeger-Stiftung und Mitglied im Vorstand der Stiftung Deutsches Design Museum, dessen Vorsitz er 2020 übernahm. Im selben Jahr wurde er in den Beirat des Dieselkuratoriums berufen und setzt sich dafür ein, die Vorreiterrolle wirtschaftlich erfolgreicher Innovatoren zu stärken.
Zudem engagiert sich Lutz Dietzold für die verstärkt internationale Ausrichtung des Rat für Formgebung und seines weltweiten Netzwerks von führenden Unternehmen aus Industrie und Wirtschaft. Dazu zählt der Aufbau einer Tochtergesellschaft in China.
Lutz Dietzold veröffentlicht regelmäßig Beiträge und hält national und international Vorträge zu einer Vielzahl von Themen. Daneben ist er Mitglied in zahlreichen Gremien und Jurys sowie Projektbeirat des Bundespreis Ecodesign des Bundesumweltministeriums.
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