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Let’s putzen! Kenya Hara, Art Director der Marke Muji, hat sich mit allen möglichen Formen des Reinigens beschäftigt und zusammengetragen, was man dazu braucht. Ein kleines Lehrstück über Mensch und Natur – sehr japanisch und sehr anregend.

Rezension von Thomas Wagner

Sweeping 399 steps from top to bottom ©Taiki Fukao

Ein gebückter Mann in blauer Montur fegt mit kurzem Reisigbesen und Kehrschaufel vorsichtig einen Moosgarten, um das grüne Polster nicht zu beschädigen. Andere fegen vor einem Laden, saugen den Teppichboden in einem Theater oder spritzen ganze Schiffe ab. Es gilt, den Staub auf der Veranda entlang der Tatami-Matten zu fegen oder nach dem Baumschnitt im Garten aufzuräumen. Selbst auf der Großen Chinesischen Mauer ist Fegen angesagt – eine Sisyphusarbeit wie im Grunde alles Reinigen und Säubern. Wird nicht regelmäßig gefegt und gewischt, abgestaubt und gescheuert, geschrubbt, ausgeklopft und gewaschen, shampooniert oder abgespritzt, geglättet oder gerecht, gemäht, beschnitten, geschabt und abgekratzt, abgelöst und aufgenommen, gewinnen Schmutz und Staub unweigerlich die Oberhand. „Ertrinkst du ihn in Wasser gut / so scheint er gar verschwunden / Doch ist vertrocknet erst die Flut / wird wiedrum Staub erfunden“ – tönte es treffend beim Liedermacher Christof Stählin. Putzen ist etwas, das jeder Mensch kennt – es sei denn, jemand übernimmt es für ihn. Wahrscheinlich ist es eine der ursprünglichsten Kulturtechniken überhaupt.

Schlummert hier das Wesen des Menschen?

Kenya Hara, Jahrgang 1958, Grafiker, Kurator und seit 2002 Art Director der Marke Muji, gilt als einer der einflussreichsten Designer Japans. 2020 hat er in Japan (zunächst für Muji) unter dem Titel „Cleaning“ ein Buch herausgegeben, das sich auf originelle Weise den verschiedenen Facetten des Putzens, Reinigens und Aufräumens widmet. Nun ist der handliche Band in einer mehrsprachigen Ausgabe bei Lars Müller Publishers erschienen. Das (oft tägliche) Bemühen, für Sauberkeit zu sorgen und Ordnung zu halten, wird anhand von Fotografien dokumentiert, die Yoshihiko Ueda und Taiki Fukao 2019, also noch vor der COVID-Pandemie, an verschiedenen Orten rund um den Globus aufgenommen haben – geleitet von der Frage, „ob das Wesen des Menschen vielleicht in unseren alltäglichen und ganz normalen Reinigungsarbeiten schlummert, die Kulturen und Zivilisationen übergreifend existieren“.

Vom Reisigbesen bis zum Saugroboter

Vieles von dem, was die Fotografen mit der Kamera eingesammelt haben, verdankt sich lange zurückreichenden Erfahrungen und Traditionen. Auf eine lockere Weise in Kategorien des Reinigens einsortiert, flirtet das eine oder andere auch mit der Kategorie des „Non Intentional Design“, die Uta Brandes und Michael Erlhoff für den ungewöhnlichen Gebrauch scheinbar eindeutiger Dinge erfunden haben. Wie auch immer, es geht um Werkzeuge (vom Reisigbesen bis zur Schneeschaufel, vom Wasserstrahl bis zum Saugroboter) und ihren Gebrauch, um die Situationen, in denen sie eingesetzt werden und um eine Kultur des Reinigens, Pflegens und Ordnens, die sich über Jahrtausende gebildet hat. Dinge, die einen direkten Weltbezug herstellen, Werkzeuge, mit deren Hilfe überall und Tag für Tag in Natur und Zivilisation eingegriffen wird – gestaltend, zerstörend, pflegend und erhaltend.

A truck with rotating brooms sweeping fallen leaves to the side ©Taiki Fukao
Peeling stickers from a road sign ©Taiki Fukao

Die Natur akzeptieren und moderat bändigen

„Umgebungen, die wir Menschen als Abgrenzung zur Natur geschaffen haben“, heißt es in einem kurzen Text am Ende des Buches, „nennen wir ,menschengemacht‘. Alles Künstliche, Menschengemachte soll bequem sein. Aber wenn die dafür verwendeten Materialien zu sehr in die Natur eingreifen oder sie sogar zurückdrängen, wie bei Kunststoff und Beton, beginnen die Menschen, sich nach der Natur zu sehnen. Überlässt man jedoch die Natur sich selbst, häufen sich Staub und Laub an, und Pflanzen nehmen überhand. So kam es, dass die Menschen historisch gesehen die Natur bis zu einem gewissen Grad akzeptierten und sie dabei moderat bändigten.“

Wie die brechenden Wellen den Sandstrand waschen

Dass der Furor des Säuberns die Natur nicht überwältigen darf, offenbart, wie japanisch die Perspektive auf das Reinigen geprägt ist: „Gestaltet man daher eine Wohnung oder einen Garten, wirkt es unkultiviert und geschmacklos, wenn das Menschengemachte dominiert. Wir müssen der Natur eine angemessene Herrschaft erlauben, also weder das Laub zu sauber wegfegen noch das Grün zu stark beschneiden. So wie am Meeresufer, wo die brechenden Wellen den Sandstrand waschen, mag sich die Antwort auf das Geheimnis des Ordnung-Schaffens an Orten verbergen, an denen sich Natur und Mensch aneinander reiben, auf unserer Suche nach gemäßigtem Komfort.“ Manch westlicher Putzteufel sollte sich das, um mehr Nachhaltigkeit willen, hinter die Ohren schreiben: der Natur eine angemessene Herrschaft erlauben.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Ordnung und Sauberkeit in der Kultur Japans einen besonders hohen Stellenwert besitzen. Wer keinen Müll wegwirft, putzt und aufräumt, will anderen bewusst nicht zur Last fallen – und leistet so einen Dienst an der Gemeinschaft. Geh- und Bahnsteige werden akribisch gereinigt. Die Erziehung zu Sauberkeit beginnt schon in der Schule, wo Schülerinnen und Schülern Gänge, Klassenzimmer, Toiletten selbst reinigen müssen. Und beim „Ōsōji“, dem Großputz (der auf die Edo-Zeit (1603 – 1868) zurückgeht, als die Häuser durch Holzkohleöfen geheizt und dadurch sehr verschmutzt waren) wird am Jahresende alles gesäubert, um auf den Besuch des Shintō-Gottes Toshigami vorbereitet zu sein, der als Neujahrsgott zu Beginn des neuen Jahres jedem Haus einen Besuch abstatten könnte.

The crew polishes the deck of the ship with coconut cross sections ©Taiki Fukao

Dem inneren Rhythmus Gehör schenken

Kurzum: Beim Reinigen geht es ums Ganze. Um all die zahllosen und ständig wiederkehrenden Herausforderungen, denen sich eine vom Menschen geschaffene Existenz in und gegenüber der Natur ausgesetzt sieht, wie diese gestaltet sind und wie man mit ihnen fertig wird. Weil Saubermachen und Sauberhalten untrennbar mit bestimmten Handlungen verbunden sind, haben sie Rituale entstehen lassen, die dem, der sie ausführt, Halt gibt: „Unabhängig davon“, so liest man, „wie die Technologie in Zukunft voranschreitet, sind Menschen Lebewesen, die einen Lebensrhythmus anstreben, der in der Tiefe ihrer Seele resoniert. Wenn wir diesem natürlichen inneren Rhythmus Gehör schenken, können wir voranschreiten.“ Würde überall, soviel lässt sich sagen, rücksichtsvoll, achtsam, meditativ und ohne Hektik geputzt – es wäre ein Glück.

Kenya Hara (ed.)

Cleaning

With photographs by Yoshihiko Ueda, Taiki Fukao

With contributions by Kenya Hara, Takuya Seki, Mariko Hara

Design: Kenya Hara, Takuya Seki

11,8 mal 16 cm,

504 pages, 374 illustrations

paperback

Lars Müller Publishers, Zürich 2023

ISBN 978-3-03778-732-8, English

30,00 Euro


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