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Stefan Diez, einer der profiliertesten deutschen Designer, setzt sich seit Jahren mit der Kreislaufwirtschaft auseinander. In unserer neuen Reihe „Designing Tomorrow” spricht er darüber, warum nachhaltiges Design mehr ist als Materialwahl und Prozesse – und wie neue Geschäftsmodelle jenseits des linearen Verkaufsprinzips die Zukunft der Branche prägen könnten.

Interview von Jasmin Jouhar

Designing Tomorrow – das Interviewformat mit Menschen, die unsere Zukunft gestalten. Führende Designer*innen und Expert*innen aus Forschung, Entwicklung und Innovation gewähren Einblicke in ihr Arbeiten und Denken. Sie teilen ihre Haltungen, Zweifel, Ideen und Visionen. Sie sprechen über Themen wie Innovation, Verantwortung, Kreislaufwirtschaft und Künstliche Intelligenz – und darüber, wie diese Entwicklungen ihr Berufsbild neu definieren.

Designer Stefan Diez | Foto: Katarina Cirkovic

Wie wichtig ist dir, dass die Projekte deines Studios innovativ sind?

Als Designer*innen können wir vor allem an zwei Stellschrauben drehen: der Wahl des Materials und dem Prozess, mit dem es verarbeitet wird. Beides beeinflusst maßgeblich, wie viel CO₂ bei der Herstellung anfällt und wie gut ein Produkt reparier-  oder recycelbar ist, oder wie es altert. Wenn wir von Innovation sprechen, meinen wir damit nicht immer, Materialien oder Prozesse völlig neu zu erfinden. Vielmehr können wir auf einfachere Stoffe setzen, die sich wirklich, also ohne Qualitätsverlust, recyceln lassen, etwa Glas, Karton, Stahl oder Aluminium. 

Gibt es ein konkretes Beispiel aus deiner Arbeit?

Ja, der Tisch „Boa“, den wir für Hay entwickelt haben. Eigentlich ein ganz simpler Konferenztisch nach dem Prinzip eines Tischbocks: Ein einziger, lang gezogener Bock mit vier Beinen trägt die gesamte Platte und lässt sich wegen seiner besonderen Konstruktion, die ich von Bambusmöbeln aus Japan kenne, platzsparend versenden. „Boa“ besteht zu 95 Prozent aus recyceltem Post-Consumer-Aluminium. Der Rest ist recycelter Kunststoff, der allerdings nicht vollständig zirkulär ist. Doch das Aluminium kann immer wieder recycelt werden, ohne dass etwas verloren geht – dafür gibt es etablierte Wiederverwertungsprozesse.

„Wenn wir von Innovation sprechen, meinen wir damit nicht immer, Materialien oder Prozesse völlig neu zu erfinden.“


– Stefan Diez, Designer

Tisch „Boa“ von Hay im Münchner Studio des Diez Office | © Diez Office
Boa“ besteht aus recyceltem Aluminium und lässt sich wegen seiner besonderen Konstruktion platzsparend versenden | Foto: Jonathan Mauloubier

Und die Tischplatte?

Man muss sie nicht unbedingt bei Hay kaufen und durch halb Europa transportieren lassen. Sie kann auch lokal beschafft werden, etwa als gebrauchte Platte oder vom Schreiner nebenan. Alle Prozesse, die wir hier kombiniert haben, gab es bereits – in ihrer Gesamtheit ist das jedoch neu. Manchmal liegt die Innovation aber gar nicht im Produkt selbst, sondern in seinem Umfeld – zum Beispiel in der Nutzung.

Was meinst du damit?

Wir können zum Beispiel über Eigentum nachdenken. In meinem Studio und mit Studierenden in Wien beschäftigen wir uns gerade mit Produkten, die speziell für die Vermietung konzipiert sind. Das ist zwar ein altes Konzept, aber es kann viele Vorteile bieten: Ein zentraler Unterschied zum Kauf, Pfand oder Leasing ist, dass das Produkt immer wieder zum Hersteller zurückkehrt. Der Hersteller ist somit daran interessiert, das Produkt möglichst lange nutzbar zu halten und in Service-Netzwerke oder Maßnahmen zur Verlängerung der Produktlebensdauer zu investieren.

Den Stuhl „Houdini“ entwarf Stefan Diez bereits 2009 für e15 | Foto: Ingmar Kurth

„Wir müssen nicht nur kreislauffähige Produkte, sondern auch passende Geschäftsmodelle entwickeln.“


– Stefan Diez, Designer

Verändern solche Konzepte auch die Rolle der Designer*innen?

Im Moment schneiden wir uns mit der Kreislaufwirtschaft gewissermaßen ins eigene Fleisch: Wer weniger neue Produkte verkauft, verdient weniger. Dasselbe gilt für Handel und Hersteller, denn unsere Verträge stammen noch aus einer linearen Wirtschaftswelt. Bei einem Mietmodell hingegen würde man Designer*innen so lange bezahlen, wie das Produkt vermietet wird. Je länger es zirkuliert, desto mehr profitieren alle Beteiligten. Ich würde bei der Gestaltung darauf achten, dass das Produkt besonders wartungs- und umbaufreundlich ist und so seinen Wert behält. Wir müssen also nicht nur kreislauffähige Produkte, sondern auch passende Geschäftsmodelle und Verträge entwickeln.

Auch mit dem Frankfurter Start-up OMCC (Office for Micro Climate Cultivation) lotest du deine Rolle neu aus.

Meine Rolle bei OMCC ist die Artdirektion. Wir sind gerade dabei, diese Position vertraglich festzuhalten und mit einem entsprechenden Anteil am Unternehmen zu honorieren. Damit lösen wir uns vom klassischen Lizenzmodell, das hohen Verkauf statt langer Nutzung belohnt. Ich finde es extrem spannend, neue Geschäftsmodelle aus Designerperspektive zu denken.

Das vertikale Begrünungssystem VERD° von OMC°C | Foto: Petr Krejci
Foto: Ingmar Kurth

„Ich finde es extrem spannend, neue Geschäftsmodelle aus Designerperspektive zu denken.“


– Stefan Diez, Designer

Garten des Diez Office im Münchner Glockenbachviertel | © Diez Office

Womit kann man dich als Gestalter am besten herausfordern?

Für mich sind klare Vorgaben sehr reizvoll. So war der „Houdini“-Stuhl, den wir vor 15 Jahren für e15 entworfen haben, der allererste Stuhl einer Marke, die bis dahin nur Tische herstellte. Oder das Projekt mit Midgard: Zwischen dem letzten Entwurf der Firma und unserer „Ayno“-Leuchte lagen 70 Jahre. In solchen Momenten wird deutlich, was bei einem Projekt wirklich zählt. Die großen Veränderungen unserer Zeit, insbesondere die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft, sind eine wirkliche Herausforderung. Statt davor Angst zu haben, sollten wir sie mit Neugier und Optimismus angehen, weil sie eine enorme Chance bieten, vieles besser zu machen. Gleichzeitig sollten wir nicht vergessen, wieder mehr über Gestaltung und Ästhetik zu sprechen.

Letzte Frage: Du schaffst dir gerade in Norditalien, in der Nähe von Vicenza, einen neuen Ort zum Leben und Arbeiten. Warum?

Seit 2008 haben wir in München einen wunderbaren Standort in einem Hinterhof aufgebaut, den sich rund 20 Leute teilen und selbst verwalten. Allerdings läuft unser Pachtvertrag 2027 aus, und die Kosten könnten dann immens steigen. Obwohl ich lange nach Alternativen in München gesucht habe, habe ich nichts Vergleichbares gefunden. Die Idee einer „Meister-Eder-Werkstatt“ mitten in der Stadt ist inzwischen kaum noch realistisch. Ich möchte nicht jeden Tag ums Überleben dieses Ortes kämpfen müssen, sondern heute in die Freiheit von morgen investieren. Zudem bietet das Veneto eine hervorragende Infrastruktur mit vielen kleinen Betrieben, mit denen wir ohnehin schon lange zusammenarbeiten. In Bayern hingegen sind die Wartezeiten für einfache Fertigungsschritte mittlerweile oft so lang, dass wir uns keine Experimente mehr leisten können. Doch genau diese Experimente sind unerlässlich, um so zu arbeiten, wie ich es für richtig halte. Aber vielleicht klappt ja auch die Vertragsverlängerung und dann haben wir einfach zwei Standorte, die sich ergänzen werden.


Foto: Christian Geisselmann

Stefan Diez ist ein Münchner Industriedesigner. Seit der Gründung seines Studios DIEZ OFFICE im Jahr 2002 entwickelt er innovative Möbel, Beleuchtung und Architekturkonzepte. Sein Designansatz basiert auf Nachhaltigkeit und den von ihm formulierten 10 Circular Design Guidelines. Diez arbeitet mit renommierten Herstellern wie HAY, Vibia, Magis und Herman Miller zusammen und wurde für seine Entwürfe vielfach ausgezeichnet. Neben seiner Designpraxis lehrt er seit 2008. Seit 2018 leitet er den Studiengang Industrial Design an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2025 ist er Mitglied der Jury der ICONIC AWARDS 2025


AYNO – Leuchtenfamilie von Stefan Diez für Midgard | © Midgard Licht

Über die Autorin

Jasmin Jouhar arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Zu ihren Themen gehören Design und Marken, Architektur und Innenarchitektur. Sie schreibt für eine Vielzahl deutschsprachiger Fach- und Publikumsmedien, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Online-Plattform Baunetz, die Magazine Schöner Wohnen und AD. Daneben moderiert sie Branchenevents und verantwortet Corporate Publishing-Projekte. Jasmin Jouhar engagiert sich mit Coachings, Workshops und Vorträgen in der Förderung des jungen Designs. 

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