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Smart Textiles – Stoffe, die mehr können – sind in aller Munde und gewinnen im Zuge der KI-Revolution mit ihren grenzenlosen Visionen zunehmend an Anziehungskraft. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff? Wo liegen die Potenziale – und wo stößt die Wissenschaft (noch) an ihre Grenzen?

von Silke Bücker

Ada von Jenny Sabin Studio: eine Mischung aus Material, Architektur, Technologie und Daten | © Jenny Sabin Studio, Foto: John Brecher für Microsoft

Kleidung, die nicht nur schützt, sondern auch misst, analysiert und sogar Energie liefert – smarte Textilien stehen für eine neue Generation funktionaler Materialien. Sie kommen in Mode, Möbeln, Fahrzeugen oder der Architektur zum Einsatz und vereinen textile Eigenschaften mit elektronischer Intelligenz. Möglich wird das durch die Kombination verschiedenster Materialien mit Mikroelektronik, Sensorik oder leitfähigen Garnen. Doch der technische Fortschritt bringt auch Herausforderungen mit sich: Je enger Technik und Textil miteinander verwoben sind, desto komplexer wird die Balance zwischen Alltagstauglichkeit, Langlebigkeit und Nachhaltigkeit. Besonders Kleidung, die direkt auf der Haut getragen wird, etwa zur Überwachung von Vitaldaten beim Sport, stellt hohe Anforderungen. Viele smarte Textilien sind nur begrenzt waschbar, die technische Entwicklung schreitet rasant voran – und am Ende ihrer Lebensdauer lassen sich die Materialien häufig nicht mehr trennen, was das Recycling erschwert oder unmöglich macht.

Levi’s Commuter™ Trucker Jacket mit Jacquard™ von Google | © Levi Strauss & Co.

Frühe Versuche und neue Ansätze

Ein frühes Beispiel, das sowohl in puncto Nachhaltigkeit als auch Kreislauffähigkeit in die Kritik geriet und daher keine dauerhafte Etablierung erfuhr, ist die Commuter Trucker Jacket, die Levi’s gemeinsam mit Google bereits 2017 entwickelte. Das klassische Jeansjacken-Modell wurde von Google mit eingewebten Metallfäden und einer berührungsempfindlichen Manschette ausgestattet. Das Smartphone konnte in der Tasche bleiben – gesteuert wurde es direkt über den Ärmel. Die Jacke kam zu einem Preis von 350 Dollar auf den Markt – ihre Haltbarkeit war jedoch von Beginn an begrenzt, denn die Technik überstand lediglich bis zu 30 Maschinenwäschen.

Inzwischen zeigen neuere Entwicklungen, dass das Bewusstsein für zirkuläre Ansätze wächst. So wurde an der TU Chemnitz eine Methode zur Rückgewinnung von Metallen wie Silber, Kupfer oder Nickel aus Textilien entwickelt, mit dem Ziel, diese Materialien wieder dem Wertstoffkreislauf zuzuführen.
Das kalifornische Start-up Art by Physicist integriert Solarfolie, die bis zu fünf Volt Spannung erzeugt, in Jacken und Kleider, wodurch unterwegs elektronische Geräte aufgeladen werden können. Wird die Folie unbrauchbar, lässt sie sich problemlos entnehmen, ersetzen und vollständig wiederverwenden – ganz ohne den Einsatz von Schadstoffen.

Ein funktionierender Faser-Computer, verknotet (links) und aufgehängt mit einem Gewicht von einem Kilogramm (rechts) | Foto: Nikhil Gupta/Fink Lab MIT

Hightech auf der Haut: Wenn Kleidung zum Computer wird

Einen Schritt weiter geht das MIT Media Laboratory in Massachusetts: Dort wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts ein flexibler, waschbarer Faser-Computer entwickelt, der sich in Shirts oder Leggings integrieren lässt. Ziel ist es, körperliche Prozesse in Echtzeit zu überwachen und bei Abweichungen oder Risiken sofort zu reagieren – ohne dass Trägerinnen und Träger die Technologie bewusst wahrnehmen.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Wearables, die meist nur einzelne Körperstellen wie Handgelenk oder Brust erfassen, ermöglichen flächendeckend funktionalisierte Textilien eine nahezu vollständige Datenerhebung. Denn der menschliche Körper sendet permanent Informationen aus – in Form von Wärme, Schall, biochemischen Stoffen, elektrischen Impulsen oder Licht. Diese Daten liefern wertvolle Hinweise auf Gesundheit, Belastung oder emotionale Zustände. Die Idee, diese Signale nicht verpuffen zu lassen, sondern durch smarte Kleidung auszuwerten, eröffnet vielseitige Einsatzmöglichkeiten – insbesondere in Bereichen mit hoher körperlicher Beanspruchung oder in der medizinischen Rehabilitation. Aktuell befindet sich die Hightech-Faser noch in der Erprobung und soll bald einem Härtetest unter Extrembedingungen unterzogen werden.

Im Februar nächsten Jahres werden Soldatinnen und Soldaten der US-Armee und Marine mit vernetzten Merino-Mesh-Shirts ausgestattet, wenn sie im Rahmen der Arktis-Mission Musk Ox II rund 1.000 Kilometer bei Temperaturen von durchschnittlich minus 40 Grad Celsius zurücklegen. Die Textilien sollen dabei in Echtzeit Daten über den körperlichen Zustand liefern – mit dem Ziel, Belastungsreaktionen frühzeitig zu erkennen und Gesundheitsrisiken vorzubeugen.

Bio-Innovation: Wenn die Natur smarter wird

Nicht nur technikbasierte Ansätze machen Textilien intelligenter – auch die Natur wird zunehmend zur Quelle für innovative und nachhaltige Lösungen. Veredelungs- und Verarbeitungsprozesse tragen dabei maßgeblich dazu bei, die Performance umweltfreundlicher Materialien zu optimieren. Das kanadische Unternehmen Vegeto Textiles etwa entwickelte eine isolierende Dämmung auf Basis von Milchkraut, Biopolymerfasern, Maisstärke und Kapok. Die wärmende Faserlösung kommt ganz ohne tierische oder erdölbasierte Rohstoffe wie Daunen oder Polyester aus. Ocean Safe aus der Schweiz bietet ein biologisch abbaubares Polyestergewebe an, das in seiner Leistungsfähigkeit mit herkömmlichen Kunstfasern konkurrieren kann – allerdings ohne deren umweltbelastende Auswirkungen.

Fabdesigns Inc. produziert E-Textilien auf Basis verschiedener leitfähiger Materialien | © Fabdesigns Inc.

Auch im Interior-Bereich setzen Unternehmen neue Maßstäbe: Der Tapetenhersteller Marburg stellte mit Terra die erste Tapete auf Lehmbasis vor. Der uralte Baustoff reguliert nicht nur die Raumfeuchtigkeit, sondern reduziert durch seine mineralischen Bestandteile auch Feinstaub und Schadstoffe in der Luft – ein spürbarer Beitrag zum besseren Raumklima.

Der Textilhersteller Trevira CS präsentierte jüngst Breathair, ein recyclingfähiges Polstermaterial aus Endlosfilamenten mit 3D-Struktur. Es bietet maximalen Sitzkomfort, fördert die Blutzirkulation und ist gleichzeitig langlebig, wasserabweisend und flammhemmend. Bei Fabdesign Inc. aus Kalifornien setzt man auf die additive Kraft des Strickens: Das Unternehmen produziert 3D-Textilkonstruktionen für die Automobilindustrie – etwa Sitze, Innenverkleidungen oder Armaturenbretter – mit integrierten Funktionen wie Sensorik, Massage, Heizung oder Kühlung zur Steigerung des Fahrkomforts.

Einen anderen Weg geht das belgische Unternehmen Devan, das sich seit über 40 Jahren auf funktionale Textillösungen spezialisiert hat. Mit dem Material Purissimo bietet es eine textilbasierte Antwort auf Tierhaarallergien: Eingekapselte, inaktive Probiotika werden durch Reibung aktiviert und setzen Sporen frei, die in nützliche Bakterien umgewandelt werden – diese wiederum zersetzen Allergene von Hund und Katze.

Das Konstrukt namens Ada, besteht aus 3D-gedruckten Knoten, Glasfaserstäben, LEDs und Lichtleitfasern, die allesamt mit fotolumineszierenden Strickgarnen überzogen sind | © Jenny Sabin Studio, Foto: John Brecher für Microsoft

Künstliche Intelligenz im textilen Raum

Wie stark Künstliche Intelligenz die Entwicklung smarter Textilien bereits heute prägt und künftig beschleunigen kann, zeigt eine eindrucksvolle Kunstinstallation des New Yorker Jenny Sabin Studio in Kooperation mit Microsoft Research. Das Projekt trägt den Namen Ada – eine Hommage an die Informatikpionierin Ada Lovelace – und verbindet 3D-gedruckte Knoten, Glasfaserstäbe, LEDs und Lichtleitfasern mit fotolumineszierendem Strickgarn zu einer hybriden Struktur aus Material, Technologie und Architektur.

Die Installation, derzeit im Atrium des Microsoft-Hauptsitzes in Redmond (Washington) zu sehen, reagiert in Echtzeit auf die Stimmungen und Emotionen der Menschen im Raum. Möglich wird das durch KI-gestützte Datenerfassung, die sich in Lichtmustern und Farbverläufen widerspiegelt. Ada ist damit mehr als ein Kunstwerk – sie verkörpert eine Form emotional intelligenter Architektur, die nicht nur visuell beeindruckt, sondern auch zwischenmenschliche Interaktion unterstützt und Atmosphäre schafft.

Zukunft mit Gefühl und Verstand

All diese Beispiele zeigen das Potenzial smarter Materialsysteme – als hybride Lösungen zwischen Technologie, Gestaltung und Funktionalität. Die Zukunft smarter Textilien entscheidet sich dabei nicht allein durch technische Raffinesse, sondern durch ihr nachhaltiges Zusammenspiel mit Mensch und Umwelt. Gelingt es, Funktionalität, Langlebigkeit und Kreislauffähigkeit in Einklang zu bringen, können smarte Materialien vom innovativen Nischenprodukt zum selbstverständlichen Bestandteil des Alltags werden – leise, effizient, unverzichtbar.

Über die Autorin

Silke Bücker arbeitet als freie Journalistin, Kommunikationsberaterin und Dozentin in Köln. Ihre Schwerpunkte liegen auf Mode, Nachhaltigkeit und Markeninszenierung. Sie war Chefredakteurin des Fachmagazins TM Textilmittelungen und gestaltete unter dem Dach ihrer Agentur Modebureau Silke Bücker Markenauftritte für Kunden wie Hanro, Armedangels oder Bogner. Sie schreibt für Fach- und Lifestylemedien und lehrt an der AMD in Düsseldorf.

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